Kassák, Ludwig (Lajos)

auch Lajos Kassák, geb. am 21.3.1887 in Ersekúja (Österreich-Ungarn) – gest. am 22.7.1967 in Budapest; Schriftsteller, Maler, Redakteur, Kritiker

Kassak wurde als Sohn eines Apothekergehilfen und einer Wäscherin geboren und ging nach einer Schlosserlehre auf Wanderschaft. Dabei kam er 1907 nach Paris, wo er bis 1910 verblieb. Hier traf er Guillaume Apollinaire, Robert Delaunay und Pablo Picasso. 1912 begann K. expressionistische  Gedichte, Dramen und Romane zu schreiben.

Nach seiner Rückkehr nach Budapest gab er mit Emil Szittya die ungarische Avantgardezeitschrift “A Tett” (Die Tat) heraus, die schon bald wegen „Gefährdung der Interessen der Wehrmacht“ verboten wurde, wie zeitgleich der Pester Lloyd u. das Grazer Tagblatt am 7.10 1916 berichteten. Im selben Jahr trat K. auch als Hg. der Zs. MA (Heute) in Erscheinung, in der u.a. Alexander/Sandor Barta, Robert Reiter, Kurt Schwitters, Oskar Schlemmer, Tristan Tzara, Elisabeth Ujváry, El Lissitzky und Alexander Archipenko publizierten. Kassak proklamierte die Einheit von technischer Zivilisation und Kunst, aber 1919 auch von Kommunismus, Aktivismus und neuer Kunst. Zu MA-Gruppe gehörte bald auch László Moholy-Nagy, mit dem er, seit 1920 in der Emigration in Wien, 1922 das Buch neuer Künstler herausgab. 1921 begann er mit eigenen konstruktivistischen Arbeiten. 1922 veröffentlicht K. das Manifest Bildarchitektur, dem er auf literar. Ebene bzw. allgemeiner dem der Textproduktion seine Nummerierten Gedichte zur Seite stellte und konnte in der Berliner Galerie Der Sturm ausstellen, in deren Verlag 1923 das MA-Buch erschien, u.a. mit seinem berühmten Ged. Das Pferd stirbt und die Vögel fliegen hinaus (Dt. von Andreas Gáspár; Reprint 1999). Die krit. Resonanz auf die Bildarchitektur- bzw. Nummerierte Gedichte-Konzeption führte 1922, gem. mit Andor Németh, auch zur Grd einer weiteren Zs., die aber über Heft 1 nicht hinauskam: 2×2 und die Krise sowie das beginnende Auseinanderbrechen des Kassak-Kreises anzeigte. 1924 begleitete K. mit einer Sondernr. der Zs. MA die internat. Theaterausstellung in Wien. In dieser publiz. u.a. M. Chagall, G. Grosz, J. M. Hauer, F. Léger, El Lissitzky, P.Picasso, E. Prampolini, K. Schwitters, A. Tairov u.a.m. Auffällig ist dabei jedoch das Fehlen von Beitr. von F. Cizek oder F. Kiesler, die K.s. konstruktivist. Kunst zweifellos nahestanden, diese aber nicht rezipierten, wie auch umgekehrt.Zur zeitgenöss. österr. Moderne gab es nur sporadische Beziehungen, z.B. in Form  der presserechtl. Notwendigkeit eines österr. Redakteurs für eine fremdsprachige Zeitschrift. Diese Funktion übten 1919-21 F. Brügel bzw. 1921-24 Joseph Kalmer aus; letzterer übersetzte immerhin ein Gedicht K.s., veröffentl. aber in MA selbst nichts. 1926 kehrte K. nach Budapest zurück u. gründete dort wieder zwei Zs.: Munka (Arbeit) (1927–1938) u. Dokumentum (1927), zugleich näherte er sich Ende der 1920er Jahre der österr. Sozialdemokratie an, publiz. In deren Zs. Kunst und Volk ab 1928 programmat. Beiträge wie z.B. Der Werdegang eines Proletariers (Mai 1929) oder Die Reklame (April 1930). Anfang der 1930er Jahre wandte sich K. verstärkt der Fotomontage als Ausdrucksform zu u. verknüpfte sie mit soziolog.-sozialpolit. Perspektiven. Während des Zweiten Weltkriegs zog sich K. in eine innere Emigration zurück, unterhielt aber Kontakte zu versch. Künstlern, z.B. in Form von Werkstattbesuchen.

Nach 1945 eröffneten sich ihm in der jungen ungar. Demokratie wieder neue Möglichkeiten; er redig. abermals Zs. wie z.B. Kortárs u. übernahm als Stellvertreter von Z. Kodály das Amt des Vizepräsidenten des Künstlerischen Rates. 1947 konnten auch seine Gesammelten Gedichte erscheinen. 1949, im Zuge der kommunist. Wende, wurde K. wieder für einige Jahre zum Schweigen gebracht. In den 1950ern begann er sich daher neuerl. der Malerei zu widmen, knüpfte an seine konstruktivist. Phase der 1920er an u. stieg alsbald zur (vorerst inoffiziellen) Autorität im ungar. Kunstbetrieb auf: 1965 wurde er mit der höchsten staatl. Auszeichnung geehrt, dem Kossuth-Preis.


Weitere Werke

Gem. mit L. Moholy-Nagy: Buch neuer Künstler (1922); Lasst uns leben in unserer Zeit. Gedichte. Bilder und Schriften zur Kunst (1926, Repr. mit Nachwort von J. Vadas, 1989); A magyar avantgard három folyóirata (1964); Als Vagabund unterwegs (Erinnerungen, 1972)

Quellen und Dokumente

Vortragsabend der Zeitschrift MA. In: Pester Lloyd, 9.4.1919, S. 10, Anzeige zum MA-Buch. In: MA 8 (1923), H. 4, S. 12, Ladislaus Fenyes: Ungarische Dichter. In: Arbeiter-Zeitung, 22.8.1933, S. 7.

Literatur

C. Laszlo: Ma-Kassák (1968); E. Reichmann (Hg.in): Avantgardistische Literatur aus dem Raum der (ehemaligen) Donaumonarchie (1997); P. Deréky (u.a., Hg.): Mitteleuropäische Avantgarden (2006); Z. Peter: Lajos Kassák, Wien und der Konstruktivismus 1920-1926 (2010); N. Bachleitner u.a. (Hgg): Brüchige Texte, brüchige Identitäten. Avantgardistisches und exophones Schreiben von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart (2017; darin v.a. die Beiträge von K. Kókai u. P. Deréky); Z. Peter: Eine bittere Beziehung – Lajos Kassak, Ungarn und die Räterepublik. In: A. Dikovich, E. Saunders (Hgg.): Die ungarische Räterepublik 1919 in Lebensgeschichten und Literatur. Wien 2017, 181-200.

Eintrag bei kassakmuzeum.hu.

(PHK)