Lazarsfeld, Sophie

alternative Schreibform: Sofie

geb. Munk, 26.05.1881 in Troppau/Opava – gest. 24.09.1976 in New York; Individualpsychologin, Pädagogin, Schriftstellerin

Sophie wurde 1881 als Tochter des gutsituierten, liberal gesinnten jüdischen Ehepaars Moriz und Henriette Munk in Troppau/Opava in der heutigen Tschechischen Republik geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters schloss die Mutter eine weitere Ehe und zog daraufhin mit der vierjährigen Tochter nach Wien, wo sie fortan in deutlich bescheideneren Verhältnissen aufwuchs. 

Nach Sophies 1900 erfolgten Eheschließung mit dem Anwalt und liberalen Sozialdemokraten Robert Lazarsfeld widmete sie sich – die ihre Schulausbildung mit 16 Jahren abgeschlossen und niemals eine Hochschule besucht hatte – in den ersten Jahren ihrer Ehe vor allem dem Haushalt und der Erziehung ihrer beiden Kindern Elisabeth und Paul, der später ein Pionier auf dem Gebiet der empirischen Sozialforschung wurde. Mit der zunehmenden Etablierung der Rechtsanwaltskanzlei ihres Mannes knüpfte Lazarsfeld vermehrt soziale Kontakte in der gehobenen Wiener Gesellschaft. Sie begann, sich autodidaktisch fortzubilden und setzte sich fortan auch mit politischen Fragen auseinander. 

Nachdem sie nach längerer Krankheit zu Beginn der 1920er Jahre durch Margarethe Hilferding Bekanntschaft mit Alfred Adler gemacht hatte, wurde sie bald zu seiner engsten Mitarbeiterin. Sie absolvierte als knapp Vierzigjährige die Ausbildung zur Individualpsychologin und wirkte in der Folge in ihrer privaten Praxis in ersten Wiener Bezirk als Erziehungs-, Ehe- und Sexualberaterin. Zudem hielt sie als Mitglied der Sozialdemokratie regelmäßig Vorträge – sie war unter anderem Referentin der sozialdemokratischen Kunstelle –, gestaltete Radiobeiträge, bot Seminare an und war Herausgeberin der Buchreiche Richtige Lebensführung, die Erziehungsfragen populärwissenschaftlich aufbereitete. In ihren zahlreichen Publikationen in Zeitschriften sowie der Tages- und Wochenpresse beschäftigte sie intensiv sich mit Fragen der Frauenemanzipation und den Geschlechterrollen und prägte den Begriff vom „Mut zur Unvollkommenheit“, der sich in der Individualpsycholgie zum geflügelten Wort entwickelte. Lazarsfeld engagierte sich darüber hinaus im Verein für Individualpsychologie und übernahm 1926 die Leitung einer individualpsychologischen Ehe- und Sexualberatungsstelle. Sozial stark engagiert, machte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann ihr Haus zu einem intellektuellen Treffpunkt der österreichischen Sozialdemokratie, in dem führende Köpfe des Austromarxismus wie Otto Bauer und Friedrich Adler verkehrten. Mit letzerem verband Lazarsfeld eine lebenslange Freundschaft.

Ab den 1930er Jahren führte sie ihre Vortragstätigkeit vermehrt ins Ausland, u. a. nach Berlin, Zürich und Pressburg. 1932 war sie Organisatorin einer individualpsychologischen Sommerschule am Semmering, an der Fachleute aus 53 Ländern teilnahmen. Daneben engagierte sie sich in diversen international tätigen Organisationen wie der Women´s Organisation for World Order (WOWO), die für eine positive gesellschaftliche Veränderung des Frauenbildes eintrat.

Im Gefolge der Februarkämpfe 1934 wurden Lazarsfeld und ihr Mann – nicht zuletzt aufgrund ihrer engen Beziehung zum Ehepaar Bauer – als politische Aktivisten tagelang inhaftiert. Nach der erzwungenen Auflösung des Vereins für Individualpsychologie war Lazarsfeld eines der Gründungsmitglieder des Klubs der Freunde der Individualpsychologie, der in der Folge unter genauer Beobachtung der Behörden stand, denn „der ominöse Name Lazarsfeld mahnt zu einiger Vorsicht und Wachsamkeit“ (WMB, 25.1.37). Der für ihre Publikationen typische und in Kollegenkreisen nicht unumstrittene offene Umgang mit dem Thema Sexualität führte dazu, dass ihr Buch Wie die Frau den Mann erlebt 1936 zeitweise beschlagnahmt wurde.

Als Antwort auf die politischen Entwicklungen des Jahres 1938 emigrierte das Ehepaar Lazarsfeld gemeinsam mit ihrer Tochter, dem Schwiegersohn und dem Enkelkind nach Paris. Nach dem Tod Robert Lazarsfelds ließ  sich Sophie 1941 in New York nieder, wo bereits ihr Sohn lebte, und nahm ihre Tätigkeit als individualpsychologische Beraterin wieder auf. Als zeitweilige Vizepräsidentin der Individual Psychology Association hielt sie Kurse und Vorträge und veröffentlichte bis in die 1960er Jahre wissenschaftliche Artikel. Sie starb 95-jährig in New York.


Werke (Auswahl):

Erotisches Gedächtnis und erotische Träume. Neue Betätigungsziele der Individualpsychologie. In: Internationale Zeitschrfit für Individualpsychologie 3 (1924), S. 31-33; Mut zur Unvollkommenheit. In: Internationale Zeitschrift für Individualpsychologie 4 (1926), 375-381; Kleist im Lichte der Individualpsychologie. In: Jahrbuch der Kleistgesellschaft, Wien 1927; Die Ehe von heute und morgen (1927); Erziehung zur Ehe, Wien (1928); Technik der Erziehung (1928).

Literatur

Dorothee Friebus, Sofie Lazarsfeld oder „Wie die Frau den Mann erlebt“. In: Alfred Lévy/Gerald Mackenthun (Hg.): Gestalten um Alfred Adler – Pioniere der Individualpsychologie, Würzburg 2002, 157-174; Klara Kenner, Der zerrissene Himmel. Emigration und Exil der Wiener Individualpsychologie, Göttingen 2007; Dies., Lazarsfeld Sophie. In: AEP 39/4 (2002), S. 33-35; Elke Krasny, Stadt und Frauen. Eine andere Topographie von Wien, Wien 2008; Martina Siems, Sofie Lazarsfeld. Die Wiederentdeckung einer individualpsychologischen Pionierin, Göttingen 2015; Eintrag bei fraueninbewegung.

Quellen und Dokumente

Sophie Lazarsfeld, Vom häuslichen Frieden. In: Die Mutter. Halbmonatsschrift für alle Fragen der Schwangerschaft, 1.5.1925, 3f; Sophie Lazarsfeld, Die Macht über den Stärkeren. In: Die Mutter. Halbmonatsschrift für alle Fragen der Schwangerschaft, 15.7.1925, 7f; Richtige Lebensführung. In: Arbeiterwille, 20.5.1926, S. 5; Sophie Lazarsfeld, Die Behandlung des Kleinkindes. In: Die Frau und Mutter (1927), H. 7, S. 16; „Wie die Frau den Mann erlebt.“ Ein Buch über sexuelle Not und sexuellen Fortschritt. In: Arbeiterinnen-Zeitung, 1.1.1933, S. 18f; Erziehung zur Ehe. In: Neues Wiener Journal, 31.1.1928, S. 8; Sophie Lazarsfeld, Das Kind in der Familie. In: AZ, 3.1.1927, S. 4; Margaret Hilferding: Besprechung zu: S. L.: Die Ehe heute und morgen [1927] und: Erziehung zur Ehe [1928]. In: Der Kampf, H. 4(1928) S. 180-181; Wie die Frau den Mann erlebt. Psychoanalyse und Technik der Liebe. In: Neues Wiener Journal, 14.12.1930, S. 19f; Endlich geht es gegen Schmutz und Schund. In: Salzburger Chronik für Stadt und Land, 25.1.1934, S. 5; Wie die Frau den Mann erlebt. Rezension. In: NFP, 27.3.1936, S. 6; Klub der Freunde der Individualpsychologie. In: Wiener Montagblatt, 11.10.1937, S. 4

(MK)