Die Zeitschrift Sowjet erscheint in vier Jahrgängen von Mai 1919 bis Dezember 1922 und ist grundsätzlich als kommunistische Propagandaschrift konzipiert. Vom Schriftsteller und Individualpsychologen Otto Kaus gegründet, gibt dieser die ersten beiden Jahrgänge in der Wiener Verlagsgenossenschaft „Neue Erde“ heraus. Ab dem 3. Jg. (Mai 1921) fungiert dann Paul Levi als Herausgeber, der erst kurz zuvor wegen seiner scharfen öffentlichen Kritik an der KPD aus der Partei ausgeschlossen worden war. Unter seiner Ägide ändert sich die programmatische Ausrichtung der Zeitschrift wesentlich, was auch durch die Abänderung des Zeitschriftentitels zum Ausdruck kommt: Ab der Nr. 5 des 3. Jg. (Juli 1921) erscheint die Zeitschrift unter dem Titel Unser Weg. Zeitschrift für kommunistische Politik, ab der Nr. 7 des 4. Jg. (10.4.1922) wird noch einmal der Untertitel in Halbmonatsschrift für sozialistische Politik abgeändert.

Auf politischer Ebene positioniert sich der Sowjet radikal-bolschewistisch und propagiert Klassenkampf und Diktatur des Proletariats. Ebenso wird auf aktuelle politische Ereignisse und deren Auswirkungen auf Österreich und Deutschland Bezug genommen (z. B. Friedensvertrag von Versailles im Mai 1919, Kapp-Putsch im März 1920), die zumeist gemäßigten politischen sozialistischen Akteure (v. a. Otto Bauer, Karl Kautsky) werden ebenso wie deren Publikationsorgane (z. B. die Arbeiter-Zeitung) scharf kritisiert. Vor allem in seinen Anfängen versteht sich der Sowjet trotz seiner grundsätzlichen Konzeption als kommunistische Propagandaschrift auch als Kulturzeitschrift, die ihrem Leserkreis kulturelle Themen sowie Kunst und Literatur vermitteln will. So finden sich in den ersten Nummern neben agitatorischen Appellen zum Klassenkampf, Berichten zur politischen Lage in Russland und die Folgen der Oktoberrevolution in Europa oder Essays zur kommunistischen Wirtschaftspolitik auch literarische Texte wie Gedichte und Erzählungen sowie Kritiken zu einschlägigen Theateraufführungen russischer Autoren. Als AutorInnen fungieren SchriftstellerInnen und PolitikerInnen, die hauptsächlich aus dem linken Lager kommen, wie Rudolf Fuchs, Maxim Gorki, Otto Groß, Henri Guilbeaux, Lenin, Otto Kaus, Gina Kaus (unter dem Pseudonym Andreas Eckbrecht), Alexandra Kollontai, Hugo Sonnenschein, Georges Sorel u. v. m. Das Konzept, die Gesellschaft mithilfe von Kunst und Kultur zu erneuern, ist in vielen Texten präsent. Ausführlich wird auch das Thema des „neuen Menschen“ verhandelt: Otto Groß entwickelt Die kommunistische Grundidee in der Paradiessymbolik unter Bezugnahme auf mutterrechtliche Gesellschaftsvorbilder (Sowjet 1, 1919, 2, S. 12–27), Alexandra Kollontai propagiert in Zusammenhang mit ihren Überlegungen zu einem neuen Familienverständnis auch eine neue Rolle der Frau (Sowjet 1, 1920, 8/9, S. 43–52; 1, 1920, 10/11, S. 45–50) und Gina Kaus verhandelt das Thema in ihrer Erzählung Der Altar auf literarischer Ebene (Sowjet 1, 1919/1920, 5–7, S. 23–40; S. 43–54; S. 36–46).

Unter Levis Herausgabe richtet sich der Sowjet kritisch gegen die kommunistische Partei. So erscheinen beispielsweise alle Artikel der Nr. 6 und 7 des 3. Jg., die den III. Kongress der Internationale kommentieren, bis auf Levis Beiträge anonym, da „[d]er Kongreß der Kommunistischen Internationale […] so wie die Zentrale der VKPD. den großen Bann über unsere Zeitschrift verhängt [hat]. Wir sind aber der Meinung, daß die Resultate des Kongresses in vollständiger Freiheit besprochen werden müssen.“ (Unser Weg 6, 1921, 3, S. 165) Die letzte Nummer der Zeitschrift erscheint am 10.12.1922, sie muss wie viele andere Presseerzeugnisse dieser Zeit wegen der stetig ansteigenden Papierpreise eingestellt werden.


Literatur

Veronika Hofeneder: Revolution und Literatur – Russland-Diskurse in der Zeitschrift Sowjet. In: Primus-Heinz Kucher/ Rebecca Unterberger (Hgg.): Der lange Schatten des ‚Roten Oktober‘ 1918–1938. Frankfurt/M.-Bern-Bruxelles-Wien u.a. 2019 (im Erscheinen).

(VH)