Kaus, Otto

geb. am 19.9.1891 in Triest – gest. vermutlich 1943 in Berlin; Psychologe, Kritiker, Schriftsteller.

K. ist ein früher Anhänger Alfred Adlers; schon 1912 findet sich sein Name mit dem Zusatz „stud. med.“ auf einer Liste der Vorstandsmitglieder des „Vereins für freie psychoanalytische Forschung“. Während des Ersten Weltkrieges ist er in der Flüchtlingsbetreuung therapeutisch tätig, für die Zeitschrift Die Aktion liefert er einige Psychogramme von Lagerpsychosen. Im Zentralblatt für Psychoanalyse (3, 4/5, 1913) äußert sich K. zur Onanie-Debatte und liefert sich diesbezüglich einen Disput mit Wilhelm Stekel, weiters rezensiert er hier italienische Zeitschriften der Psychiatrie. In den 1910er-Jahren lernt er in der Wiener Literatur- und Kulturszene die Schriftstellerin und seine spätere Ehefrau Regina Wiener (dann Kaus) kennen, die er mit Adler und dessen Individualpsychologie bekannt macht. Die Ehe wird im April 1927 wieder geschieden.

K. ist einer der wichtigsten frühen individualpsychologischen Literaturinterpreten, 1912 erscheint seine Abhandlung Der Fall Gogol, 1916 Dostojewski. Zur Kritik der Persönlichkeit. Ein Versuch, 1918 Strindberg. Eine Kritik sowie in den frühen 1920er-Jahren seine Auseinandersetzungen Dostojewski und sein Schicksal (1923) und Die Träume in Dostojewskys „Raskolnikoff“ (1926). 1914 verfasst er auch ein eigenes literarisches Werk, die Tragödie Phaethon. Neben seiner literarischen und literaturwissenschaftlichen Tätigkeit tritt der politisch aktive Kommunist/Marxist K. auch mit zahlreichen publizistischen Arbeiten in Erscheinung: Er firmiert als Mitherausgeber der Zeitschrift Summa und gründet die kommunistische Zeitschrift Sowjet, deren erste beide Jahrgänge von Mai 1919 bis Februar 1921 er herausgibt und für die er zahlreiche Artikel (z. T. auch anonym) verfasst. Darin beschäftigt er sich v. a. mit (der russischen) Literatur und Kultur, Kunstgeschichte oder dem Kino. Hier publiziert auch Otto Gross zwei Artikel und K. widmet ihm dann im Mai 1920 einen Nachruf. Ob K. auch persönlichen Kontakt zu Otto Gross hatte, ist nicht bekannt, jedenfalls ist er dessen sexuell-libertinären und revolutionären Ansichten im Gegensatz zu den solideren Individualpsychologen sehr aufgeschlossen. Selbst H. Bahr bezieht sich in seiner Tagebuch-Rubrik im Neuen Wiener Journal mehrmals auf Beiträge von K., z. B. auf einen über die ‚Schundliteratur‘.

K.s politische Überzeugung hindert ihn jedoch nicht an – letztendlich verlustreichen – Börsenspekulationen, wie seine Ehefrau Gina Kaus in ihrer Autobiographie berichtet. Nach dem Verlust des Familienvermögens geht K. nach Berlin, um dort eine neue Existenz aufzubauen. 1924 wirkt er in Berlin beim Aufbau der Berliner Sektion des Vereins für Individualpsychologie mit, die Fritz Künkel in Angriff genommen hatte und bei der auch Manès Sperber aktiv war. Beide beteiligen sich auch 1925 bei der sich in Dresden konstituierenden Gruppe marxistischer Individualpsychologen unter der Führung von Otto Rühle und Alice Rühle-Gerstel. Ab 1927 gehört K. der marxistischen Arbeitsgemeinschaft in Berlin und somit dem marxistischen Flügel der Individualpsychologie an.

Gemeinsam mit Fritz und Ruth Künkel gibt K. die Schriftenreihe Mensch und Gemeinschaft heraus, in der 1925 seine Abhandlung Ehe und Ehelosigkeit erscheint, gemeinsam mit Alfred Adler und Leonhard Seif fungiert er als Herausgeber der Reihe Individuum und Gemeinschaft. Schriften der Internationalen Gesellschaft für Individualpsychologie (1926f.), in der 1926 sein Buch Die Träume in Dostojewskys „Raskolnikoff“ erscheint. Im selben Jahr publiziert er in der Dresdner Reihe Schwer erziehbare Kinder Das einzige Kind (1926). K. macht sich vor allem durch eine rege Vortragstätigkeit und zahlreiche Artikel zu literaturwissenschaftlichen, sexualreformerischen und politischen (marxistischen) Themen innerhalb der Individualpsychologie einen Namen, noch 1932 und 1933 scheint sein Name als Vortragender und Lehrender der Berliner Sektion für Individualpsychologie auf.

Für seine letzten Lebensjahre gibt es nur noch spärliche Informationen: Der Schriftsteller Henry (Heinz) Jacoby, der über Otto Rühle zur Individualpsychologie stieß, weiß ihn seiner Autobiographie zu berichten, dass K. an den Folgen einer Syphiliserkrankung leidet und sich weitgehend aus dem öffentlichen und gesellschaftlichen Leben zurückgezogen hat. Und Gina Kaus’ Autobiographie zufolge arbeitet K. ab 1933 im politischen Untergrund in Deutschland und stirbt vermutlich 1943 (das genaue Todesjahr ist unbekannt) in Berlin bei einem Luftangriff.


Weitere Werke (Auswahl)

Zahlreiche Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften wie z. B. Die Aktion, Berliner Tageblatt, Die Literarische Welt, Sowjet, Summa, Der Tag, Die weißen Blätter, Zeitschrift für Individualpsychologie, Zentralblatt für Psychoanalyse.

Quellen und Dokumente

Bestand O.K. im Tagblattarchiv der Wienbibliothek.

Der Scharfrichter von Breslau. In: Der Tag 19.2.1924, S. 4; Der Fall Haarmann. In: Arbeiter-Zeitung, 23.7.1927, S. 8f.; Das Gemeinschaftsproblem in der Psychopathie. In: Der Tag 14.8.1924, S. 4.

Ankündigung der Zs. Sowjet. In: Buchhändler-Correspondenz, 21.5.1918, S. 308; Hermann Bahr: Tagebuch. In: Neues Wiener Journal, 14.12.1919, S. 6.

Literatur

Anmerkungen in: Gina Kaus: Von Wien nach Hollywood. Hg. v. Sibylle Mulot. Frankfurt/Main 1990, 254f. sowie passim; Almuth Bruder-Bezzel: Individualpsychologie und Expressionismus. In: Zeitschrift für Individualpsychologie 37, 2, 2012, 116–139; dies.: Verbindungslinien zwischen Alfred Adler, Otto (und Gina) Kaus und Otto Gross. In: Christian Bachhiesl u. a. (Hgg.): Psychoanalyse & Kriminologie. Hans & Otto Gross. Libido & Macht. 8. Internationaler Otto Gross Kongress Granz, 14. bis 16. Oktober 2011. Marburg an der Lahn 2015, 391–405; Veronika Hofeneder: Revolution und Literatur – Russland-Diskurse in der Zeitschrift Sowjet. In: Primus-Heinz Kucher u. a. (Hgg.): Kunst u. Literatur im Schatten des ‚Roten Oktober‘ 1918–1938. Wien u. a. 2018 (im Erscheinen).

(VH)