Bauroff, Claire

geb. als Klara Amanda Anna Baur am 26.2.1895 in Weißenhorn (D) – gest. am 7.2.1984 in Bayern; Tänzerin, Tanzchoreographin

Die Tochter eines königl. Bayr. Notars u. seiner Frau interessierte sich schon als junges Mädchen für die Bühne u. nahm gegen den Willen ihrer Eltern in München zuerst Schauspielunterricht, dem 1913-15 eine Tanzausbildung bei Rudolf Bode folgte. Erste Auftritte nach dem Krieg stießen auf Resonanz, die Mitwirkung am Film Pán des ungar. Regisseurs Pál Fejös brachte ihr 1920 internat. Beachtung. Infolgedessen heiratete sie den ungar. Grafen I. Zichy, flüchtete aber schon nach wenigen Monaten aus dieser Ehe. In Wien trat B. erstmals am 6.10.1920 im Großen Konzerthaussaal gem. mit Cleo Darmora auf, musikal. Begleitet von Otto Schulhof. 1921 trat sie im Ensemble A. Eltzoff u.a. auch im Wiener Moulin Rouge auf, 1922 im Tanzvarietè-Programm des Lurion sowie in einem Tanzabend der Sezession, in der sie – so das NWJ am 26.11.1922 – hüllenlos durch eine „rhythmische Faszination“ begeistert: „Im Zuschauerraum saß Anita Berber und wunderte sich, daß jemand noch nackter tanzen könne als sie.“ In das Jahr 1922 datiert auch die Begegnung mit Hermann Broch, der ihr das Gedicht Die Tänzerin widmete u. nach einer kurzen Liaison weiterhin freundschaftlich verbunden blieb. Auch 1923 und 1924 trat B. mehrmals und vielbeachtet in Wien auf, so z.B. bei den Tanzfestspielen im Okt. 1923, gem. mit Sascha Leontjew (Moskau) und der Wiener Tänzerin Maria Ley, oder 1924 im Rahmen der Musikfestwochen, wo ihre Tanzdichtung Das Licht ruft die Uraufführung erlebte, „mimische Balladen“, wie B. Balázs hymnisch festhielt, vor der die Wiener Kritik verblasse. Auch an der von Karlheinz Martin verantworteten „sensationellen“ (so C. Zuckmayer) Inszenierung der Franziska von Wedekind ab 19.12. 1924, wirkte Bauroff mit und war mit der Tanzgruppe Getrude Bodenwieser maßgeblich am Erfolg dieses Stückes beteiligt. In einer Bespr. eines Tanzabends im Jänner 1925 in der NFP wurde ihr, die den Abend gem. mit Ellionor Tordis gestaltete, zugestanden, eine eigenständige Form entwickelt zu haben: den autonomen Ausdruckstanz. 1925 wurden in Berlin die von Fleischmann angefertigten Aktfotos, die eine ihrer Revuevorstellungen bewarben, beschlagnahmt, was zu heftigen Debatten führte.

1926 trat B. gem. mit den Tiller-Girls in der Revue Achtung Welle 505 im Wiener Apollotheater auf; Trude Fleischmanns Aktfoto erschien im Revue-Bericht der Zs. Die Bühne. Diese Auftritte zielten weniger auf Erotisierung des Tanzes, auf den Voyeurismus der Zuseher, als vielmehr auf eine eigenständige Weiterentwicklung der Bewegung des Ausdruckstanzes in der Linie von Émile J. Dalcroce u. Rudolf von Laban, aber auch Mary Wigman. Schon seit Anfang der 1920er Jahre diente sie daher nicht nur als Modell für photograph. Arbeiten sondern auch für zeitgenöss. Maler u. Zeichner wie z.B. Fred Dolbin oder Ottheinrich Strohmeyer-Platenius, die versuchten, die Dynamik ihrer Bewegung abzubilden, weshalb sie zu einer Ikone der Tanzphotographie avancierte. 1927 heiratete sie den jüd. Philosophiehistoriker

Paul Schrecker, den sie über Broch kennengelernt hatte. Im selben Jahr wirkte sie auch gem. mit anderen Tänzerinnen u. Tänzern am sog. Körperkulturfilm Wege zu Kraft und Schönheit mit, der vom österr. Regisseur Wilhelm Prager mit Zeitlupenaufnahmen in der Tanzschule Hellerau gedreht wurde. Im Sept. 1927 wirkte sie auch an dem von Fritz Grünbaum u. Armin Berg Revueprogramm Hallo, hier Grünbaum im neueröffneten Boulevardtheater mit einer, so die AZ, „erschütternden Tanzszene ‚Die Amazone‘“ mit. Seit 1928 trat sie in Österreich nicht mehr direkt auf; nur im Programm von Radio Wien war sie ab 1932 in der Rubrik Stunde der Frau einige Male vertreten sowie am 22.12.1934 mit dem von ihr bearb. Weihnachtsspiel Der Sterntaler an der Seite weiterer Weihnachtsspiele von Richard Billinger und Max Mell. 1933 trennte sie sich von P. Schrecker, der ins Exil nach Frankreich u. danach in die USA flüchtete. Sie verblieb in Deutschland u. arbeitete während der NS-Zeit als Tanzlehrerin u. zog sich schrittweise aus dem Licht der Öffentlichkeit zurück.


Werk

Wandlung aber ist das Leben. Gedichte (2011)

Quellen und Dokumente

Anzeige zum Auftritt mit dem Russischen Hofballett. In: Wiener Montags-Journal, 5.12.1921, S. 5, B. Balázs: Noch einmal Claire Bauroff. In: Der Tag, 11.11.1924, S.7; F. Cl.: Tanzabende. In: Neue Freie Presse (a), 3.1.1925, S. 5, Die konfiszierte Claire Bauroff. In: Die Bühne 2 (1925), H. 47, S. 6, Die Revue der Schönheit. In: Die Bühne 3 (1926), H. 73, S. 22f., Wege zu Kraft und Schönheit II. Der sensationelle Körperkulturfilm der Oesterreichischen Kulturfilm-A.-G. In: Das Kino-Journal, 25.6.1927, S. 9f.,

Literatur

R. G. Czacpla: ‘nach Maß gearbeitet’. Hermann Brochs Gedichte für die Tänzerin Claire Bauroff. Mit einer Edition des Briefwechsels Bauroff – Broch und von Auszügen aus der Korrespondenz Bauroff – Burgmüller. In: Jahrbuch zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik 12 (2008), S. 69-113;  O. Bentz: Choreographie der Nacktheit. In: Wiener Zeitung, 26.10.2012; R.G. Czapla: Die ungleichen Geschwister. Der Unternehmer Friedrich Baur und die Tänzerin Claire Bauroff. München 2015.

(PHK)