Martin, Karlheinz

auch Karl Heinz Martin, geb. am 6.5.1886 in Freiburg/Br. – gest. am 13.1.1948 in Berlin; Schauspieler, Theater- und Filmregisseur, Drehbuchautor, Gastregisseur an österr. Theatern

M. begann seine Laufbahn als Schauspieler, wechselte dann 1909 ins Regiefach.In österr. Zeitungen wird M. seit der Übernahme des Frankfurter Komödienhauses (vormals F. Residenz-Theater) als Direktor fassbar; auch der nicht auf sein Verschulden zurückzuführende finanz. Zusammenbruch desselben 1911 fand entspr. Widerhall, sodass M. wieder gezwungen war Regie oder Bühnenbild zu machen, darunter 1913 eine vielbeachtete O. Wilde-Inszen. von Der Geburtstag der Infantin als Tanzspiel. Mit Auff. von C. Sternheim trug er wesentlich zur Durchsetzung des Expressionismus auf der Bühne bei. Ende Aug. 1919 berichtete das Neue Wiener Tagblatt von der Grd. der experimentellen Bühne Tribüne in Berlin als „erste moderne Bühne ohne Dekorationen“, wo im Okt. 1919 Tollers Die Wandlung, in der F. Kortner als „starkes Talent“ entdeckt wurde, zur Auff. kam. 1920 wirkte er auch am express. Kunstfilm mit; er führte Regie in G. Kaisers von morgens bis mitternachts, der allerdings keinen Verleih fand. Zugleich begann M. seine Tätigkeit als Regisseur bei der Berliner Reinhardt-Bühne, von wo aus er sich rasch einen Namen machte, wie M. Lesser 1921 in einem programm. Feuilleton Von der neuen Kunst! festhielt. So wird auch der neubestellte Dir. des Raimundtheaters, Rudolf Beer, auf M. aufmerksam u. vertraut ihm eine Hauptmann-Insz. an, die zuerst in Brünn erprobt, bevor sie in Wien selbst gegeben wurde.

Zwischen Sept. u. Dez. 1922 prägte M. das Programm des Raimundth. mit Inszenierungen von Wedekinds Hidalla, Strindbergs Traumspiel, Shakespeares Othello und Hauptmanns Die Weber u. positionierte sich als einer der wichtigsten u. innovativen Regisseure auch in Wien. F. Dörmann wünschte sich in einem Beitr. über das Burgtheater, dem er in vielen Positionen „Notbesetzungen“ attestierte, ausdr. ein Regietalent wie K. M. Im Mai 1923 folgte die EA von E. Tschirikows Pogrom-Schauspiel Die Juden sowie Ibsens John Gabriel Borkman, die durchwegs auf geradezu hymnische Resonanz stießen u. in denen u.a. Heinrich Schnitzler als Schauspieler mitwirkte.  Seine Präsenz am Raimundtheater setzte sich 1924 noch nachdrücklicher fort: mit einer Deval-Insz., Hauptmanns Michael Kramer, Ibsens Volksfeind un Pirandellos Sechs Personen suchen einen Autor im März-April, mit einer Götz von Berlichingen-Insz. im Sept., Shaws Die heilige Johanna im Oktober sowie, als einen Meilenstein in der zeitgenöss. Regieführung, Wedekinds Franziska im Dezember 1924-Jänner 1925. Im Juli 1924 wurde er auch vorübergehend mit den Direktionsgeschäften betraut. Auch 1925 setzte M. seinen Erfolgslauf im Raimundtheater sowie erstmals auch im Dt. Volkstheater fort und zwar v.a. mit Jeromes Lady Fanny und die Dienstbotenfrage, die F. Salten gem. mit der Franziska-Inszenierung als „volle künstlerische Individualität“ hervorhob, ferner mit Klabunds chines. Stück Der Kreidekreis, mit Schillers Wallenstein-Trilogie, aber auch mit S. Guitrys Komödie Hilfe! Diebe! Liebe! u. Grabbes Napoleon-Drama. Im Jahr 1926 folgten weitere Höhepunkte mit Zuckmayrs Der fröhliche Weinberg, Shaws Mensch und Übermensch, Veillers Der dreizehnte Stuhl, Shakespeares Viel Lärm um nichts und Rollands Spiel von Tod und Leben, ein Revolutionsdrama, in dem v.a. A. Moissi, so F. Rosenfeld, eine Glanzrolle ablieferte. 1927 übernahm M. vorwiegend Regiearbeiten in Berlin, u.a. am Lessingtheater, führte Regie bei der Berliner Opernauff. von Kreneks Jonny spielt auf, u. war in Wien nur mehr im Rahmen einer Gastregie am Dt. Volkstheater im Juni 1927 tätig. In einem Vortrag in der Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst sprach im F.Th. Csokor das Verdienst zu, das moderne Theater in DL revolutioniert zu haben: „Das jüngste Theater in Deutschland datiert von der revolutionierenden Tätigkeit des Regisseurs Karlheinz Martin her.“ 1928 brach er eine geplante Danton-Aufführung in Budapest ab, weil die ungar. Zensur das Büchner-Stück unzumutbar zugerichtet hatte und führte in der Winterspielzeit wieder am Dt. Volkstheater in einem Shakespeare-Zyklus Regie; im März 1929 verantwortete er die Wiener Erstaufführung von Brecht/Weills Dreigroschenoper, die als „ungewöhnlich gute Aufführung“ rundum auf Anerkennung stieß und erstmals das Wiener Jazzsymphonieorchester unter Robert Gingold auf eine große Theaterbühne brachte. Aus demselben Jahr datiert auch seine Mitwirkung am Drehbuch zur Verfilmung von Döblins Berlin Alexanderplatz. Im Anschluss an eine als spektakulär befundene Fuhrmann Henschel-Inszen. am Dt. Volkstheater war M. im Dez. 1931 kurz als Burgtheaterdirektor im Gespräch.

1932 folgte eine zwiespältiger aufgenommene Inszen. von Molnars Liliom in der textl. Bearb. von A. Polgar sowie das Kriegsstück Wunder um Verdun von H. Chlumberg, 1933 die Inszenierung von F. Langers Stück Engel unter uns. Von den Nationalsozialisten in seiner Theaterarbeit behindert u. 1940 auch mit Verbot belegt, wich M. 1934 neuerlich nach Wien aus, wo er so unterschiedl. Stücke wie Die Soldaten von J.M.R. Lenz, Csokors Das Spiel von den zehn Jungfrauen, das „Frontstück“ Die endlose Straße von S. Graff u. K. Hintze, aber auch die Operette Ball in Savoy von A. Grünwald u. F. Beda-Löhner inszenierte. Ab 1935 wandte sich M. stärker der Filmarbeit im Unterhaltungssegment zu wie z.B. 1936 in der Bavaria-Produktion Komödie des Herzens oder 1937 im Wiener Lux-Film Die glücklichste Ehe der Welt und 1938 mit der Styria-Tobis-Produktion Der Hampelmann. 1940 wurde er kurz mit Berufsverbot belegt; er konnte aber, obwohl den Nazis ein Dorn im Auge, bald wieder Gastregien übernehmen.


Quellen und Dokumente

Puck: Frankfurter Theaterbericht. In: Der Humorist, 10.10.1913, S. 10, B.: Berliner Theater [Rez. zu Ernst Tollers Die Wandlung]. In: Neues Wiener Journal, 7.10.1919, S. 9,Max Lesser: Von der neuen Kunst. In: Neues Wiener Tagblatt, 15.3.1921, S. 2f., Karl Marilaun: Beim neuen Direktor des Raimund-Theaters. In: Neues Wiener Journal, 31.8.1921, S. 5, Felix Dörmann: Burgtheaterbetrieb. In: Neues 8-Uhr-Blatt, 30.12.1922, S. 2,  F. St.: Raimundtheater. In: Der Humorist, 8.4.1924, S. 3, Otto Koenig: Das Theater- und Musikfest der Stadt Wien. Die “Götz”-Inszenierung von K.H. M. In: Arbeiter-Zeitung, 17.9.1924, S. 8, K. Marilaun: Gespräch mit Karlheinz Martin. In: NWJ, 11.10.1924, S. 6; Felix Salten: Komödie [Rez. zu Raoul Auernheimers Merimée]. In: Neue Freie Presse, 18.1.1925, S. 1-3, Fritz Rosenfeld: Ein Spiel von Tod und Liebe. (Zur Erstaufführung im Deutschen Volkstheater). In: Arbeiter-Zeitung, 7.4.1926, S. 10, Entwicklungsprobleme des Bühnenbildes. Ein Vortrag des Dramatikers Franz Theodor Csokor. In: Neues Wiener Journal, 12.3.1927, S. 7f.

(PHK)