Wertheim, Johannes

geb. am 14.5.1888 in Wien – gest. am 26. September 1942 in Auschwitz; Journalist, Verleger

W., Sohn eines Journalisten (u.a. für Der Bote) aus Cluj/Klausenburg, studierte nach dem Besuch des Erzherzog-Rainer-Gymnasiums an der Universität Wien Philosophie, Pädagogik, Anglistik und Literatur und legte 1912 eine umstrittene Dissertation über schulische Koedukation vor. Danach betrieb W. bis 1918 eine private Mittelschule. 1916 zog er mit seiner Frau Hilde, die selbst als Journalistin und Schriftstellerin in Erscheinung trat, in die Albertgasse 26 in Wien-Josefstadt. Die Wohnung diente auch den später gegründeten Verlagen als Adresse. W. gehörte bis zum Austritt 1923 dem Judentum an.

1918 trat als Einjährig-Freiwilliger bei den Jännerstreiks als Redner auf, weshalb er für sechseinhalb Monate inhaftiert worden war, ehe im Juli der Freispruch vom Vorwurf des Hochverrats erfolgte. Ebenso wie der Linksradikale Franz Koritschoner lehnten W., Leo Rothziegel, zu diesem Zeitpunkt Protagonisten der Roten Garde, Julius Dickmann und andere die Gründung der KPDÖ im November 1918 als verfrüht ab und schlossen sich zur Föderation revolutionärer Sozialisten ‚Internationale‘ (FRSI) zusammen. Deren Presseorgan Der freie Arbeiter wurde von Hilde Wertheim, die Beilage Die Rote Gardevon Egon Erwin Kisch redigiert, in der Albertgasse 26 verlegt und erschien zwischen 9. November 1918 und 13. Juni 1919 in dreißig Ausgaben. Ende Mai 1919 fusionierten die KPDÖ und die FRSI, am dritten Parteitag im Dezember 1919 zählte W. bereits zum Präsidium und wurde als Verantwortlicher für Presse und Propaganda in den Vorstand gewählt, aus dem er 1922 ausschied.

Ab 1920 trat W. als Publizist in Die Rote FahneKommunismus und vor allem in der Internationalen Presse-Korrespondenz (Inprekorr), deren Redaktion er 1924/25 von Wien aus leitete, auf, 1932/33 wirkte er als verantwortlicher Redakteur von Der Sowjetfreund, der Zeitschrift des Bundes der Freunde der Sowjetunion. Parallel zu den verstärkten Bemühungen der KP um die Verbreitung deutschsprachiger kommunistischer Literatur und besonders wichtig angesichts des vorübergehenden KPD-Verbots 1923/24 gründete und führte W. wohl in Abstimmung mit dem Moskauer Lenin-Institut  den Verlag für Literatur und Politik (dort u.a. die Zeitschrift Arbeiter-Literatur 1924, die Reihe Marxististische Bibliothek und verschiedene deutschsprachige Lenin-Ausgaben) mit Zweigstelle in Berlin, den Agis-Verlag, den Münster-Verlag und den Verlag Egon Grünberg. Darüber hinaus fungierte er als Geschäftsführer des 1921 angemeldeten Verlags der Arbeiter-Buchhandlung. Im kommunistischen Kultur- und Gesellschaftsleben Wiens war W., nach dem Justizpalastbrand Teil der radikalen Linken innerhalb der KPÖ, etwa als Redner bei einer Feier zu Ehren Maxim Gorkis am 1. Mai 1928 oder gemeinsam mit dem jüdischen Arzt Isidor Fassler als Leiter einer Russlandreise des Bundes der Freunde der Sowjetunion, zu dessen Begründern W. mit Egon Schönhof zählte,1931 aktiv.

Wie seine Frau Hilde Gründungsmitglied des Bundes der proletarisch-revolutionären Schriftsteller Österreichs, übernahm W. Mitte 1933 nach der Emigration Ernst Fabris und Maurice Oskar Achts im von Johannes R. Becher überbrachten Auftrag der Internationalen Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller bis zur Auflösung 1934 dessen Leitung. W. reiste mit seiner Familie Ende Februar 1934 über Zürich nach Paris aus und fungierte dort als Beauftragter der Komintern für Verlagswesen in nichtfaschistischen Ländern. Im Mai 1941 im Auftrag der Pétain-Regierung festgenommen und interniert, wurde W. am 23. September 1942 nach Auschwitz deportiert und in der Folge ermordet.


Werke

Die Föderation revolutionärer Sozialisten „Internationale“. Eine Episode aus der österreichischen Arbeiterbewegung 1918/19. In: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung 12 (1926), S. 297–309; Durch Demokratie zum Faschismus 1918-1928. Wien: Verlag der Arbeiterbuchhandlung 1928; Sozialdemokratische Arbeiter über die Sowjetunion. Die 3. oesterreichische Arbeiterdelegation im Lande des sozialistischen Aufbaus. Wien: Bund der Freunde der Sowjetunion 1931.

Quellen und Dokumente

Beiträge J. W.s: [Gedenkrede zum Jännerstreik 1918]. In: Die Wage, 16.1.1920; mit P. Friedländer, F. Koritschoner und K. Tomann: Für den Kampf gegen die Klassenjustiz. In: Die Rote Fahne, 17.12.1921, S. 1, Unsere “Rote Fahne”. Anläßlich des Beginnes des 10. Jahrganges. In: Die Rote Fahne, 1.1.1927, S. 3, Das Jubiläum einer alten Hure und ihre Gratulanten. In: Die Rote Fahne, 31.5.1928, S. 5, Der 15. Juni 1919. Ein Tatsachenbericht. In: Die Rote Fahne, 17.6.1928, S. 7, Im Zeichen der Sowjets werden wir siegen. In: Die Rote Fahne, 30.4.1929, S. 8.

N.N.: Ein Freispruch. In: Neues Wiener Journal, 31.7.1918, S. 2, Erwin Waiß: Dr. Wertheim – das unbeschriebene Blatt. In: Reichspost, 16.6.1919, S. 3, Franz Koritschoner: Der Fall Wertheim. In: Die Rote Fahne, 10.10.1920, S. 7, Johannes R. Becher: Bericht über die Tätigkeit während meiner Reise vom 5. Juli bis 27. September 1933. In: Zur Tradition der deutschen sozialistischen Literatur. Eine Auswahl von Dokumenten. Bd. 1: 1926-1935. Berlin, Weimar: Aufbau 1979, S. 624-645.

Literatur

Ernst Fischer: Verleger, Buchhändler & Antiquare aus Deutschland und Österreich in der Emigration nach 1933. Ein biographisches Handbuch. Elbingen: Verband Deutscher Antiquare 2011, S. 343f, E. F., Stephan Füssel (Hg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Die Weimarer Republik 1918-1933, Teil 2. Berlin, Boston: de Gruyter 2012, S. 117-119, Hannes Leidinger, Verena Moritz: Gefangenschaft, Revolution, Heimkehr. Die Bedeutung der Kriegsgefangenenproblematik für die Geschichte des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa 1917 – 1920. Wien (u.a.): Böhlau 2003, S. 568, Gerald Musger: Der “Bund der proletarisch-revolutionären Schriftsteller Österreichs (1930 – 1934). Eine Dokumentation. Graz, Univ. Diss., 1977, Herbert Steiner: Die Kommunistische Partei Österreichs von 1918-1933. Bibliographische Bemerkungen. Meisenheim am Glan: Hain 1968, Georges Wertheim: Die Odyssee eines Verlegers. In memoriam Dr. Johannes Wertheim (1888-1942). In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (Hg.): Jahrbuch 1996. Wien: DÖW 1996, S. 204-229.

(ME)