(in Vorbereitung)

Buch-, Kunst- und Musikverlag, gegründet 1919.

Quellen und Materialien:

Eintrag bei: Geschichte Wien: hier.

Eintrag bei: Murray Hall: Verlagsgeschichte: hier.

(in Arbeit)

Aus der zwischen 1907 und 1920 wöchentlich erscheinenden, nationalzionistisch ausgerichteten Jüdische Zeitung hervorgehend erschien die Wiener Morgenzeitung (WMZ) in der mit 30. Dezember 1918 gegründeten Jüdischen Zeitungs- und Verlagsgesellschaft m.b.H., die in der Wiener Taborstraße angesiedelt war. Mitbegründet u.a. von den Zionisten Isidor Margulies, Adolf Stand und Adolf Böhm wurde die erste Ausgabe am 19. Jänner 1919 publiziert. Prägende Figur und langjähriger Chefredakteur und Herausgeber wurde Robert Stricker, der aus der 1896 neugegründeten zionistischen Studentenverbindung Veritas kam, Mitherausgeber der Jüdischen Volksstimme und Gefolgsmann Theodor Herzls war. Er formulierte im Programmartikel der ersten Ausgabe:

Die Presse ist eine scharfe, gewichtige Waffe, und das Volk, welches über eine gute Presse verfügt, kann sich rasch und leicht zu seinem Rechte durchschlagen. […] Die „Wiener Morgenzeitung“ wurde von Juden gegründet und wird von Juden geschrieben, welche den geraden Weg gehen wollen, weil sie überzeugt sind, daß er allein zum jüdischen Volksrecht und zur heilsamen Verständigung mit anderen Völkern führt.  […] Die „Wiener Morgenzeitung“ ist ein Judenblatt. Anderen brennt dieser Name wie ein Schandmal auf der Stirn, sie will ihn gerne tragen. (WMZ, 19.1.1919, S. 1)

Die WMZ stellte nach dem Ersten Weltkrieg die einzige deutschsprachige jüdische Tageszeitung Europas dar und war eng mit der Jüdischnationalen Partei in Österreich verbunden, die durch Stricker bei den Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung ein Mandat erreichen konnte. Sie erreichte eine Auflage von 8.000 Stück. Neben jüdischen Aspekten in Kultur und Politik wurden mit der im Frühjahr 1919 von Anitta Müller-Cohen redigierten Beilage Frauenrecht und Frauenarbeit früh emanzipatorische Themenstellungen forciert. Auch die der Sozialdemokratie nahestehende Klara Mautner konnte sich insbesondere mit Sozialreportagen und Feuilletons zwischen 1922-1927 als Autorin positionieren; als Feuilletonisten und Kritiker wirkten zudem Otto Abeles und Oskar Rosenfeld mit. Im Feuilleton kamen Erzählungen und Romane jüdischer Autor/innen, darunter auch Übersetzungen zum Abdruck, u.a. von Mosche Smilansky, Leopold Kompert, Schalom Asch und Joseph Opatoshu.

Der Verlag hatte durchwegs mit finanziellen Sorgen zu kämpfen. Am 17. September 1927 erschien ohne Vorankündigung die letzte Ausgabe der WMZ, am 29. März 1928 wurde das Konkursverfahren gegen die Gesellschaft eröffnet.


Quellen und Dokumente

Digitalisierte Ausgaben: Compact Memory, UB Goethe-Universität Frankfurt am Main

Robert Stricker: Ein Judenblatt. In: Wiener Morgenzeitung, 19.1.1919, S. 1, Bruno Frei: Unheilbar. In: Wiener Morgenzeitung, 19.1.1920, S. 1, Else Feldmann: Die Juden in Lainz. In: Wiener Morgenzeitung, 24.7.1921, S. 4f., Otto Abeles: Franz Werfels „Bocksgesang“. (Uraufführung im Raimund-Theater.). In: Wiener Morgenzeitung, 12.3.1922, S. 5, Oskar Rosenfeld: Sommertage in Abbazia. Ouvertüre. In: Wiener Morgenzeitung, 22.7.1922, S. 3, Klara Mautner: Strindberg als Erzieher. In: Wiener Morgenzeitung, 22.10.1922, S. 11, E. G. Fried: Das Modebuch. Die Bücher des Schaufenster [zu Hugo Bettauers Freudlose Gasse]. In: Wiener Morgenzeitung, Literaturbeilage, 19.3.1924, S. 1,  Anitta Müller-Cohen: Die Frauenfrage in Palästina. In: Wiener Morgenzeitung, 28.8.1927, S. 4f.

Rettungsaktion für die „Wiener Morgenzeitung“. In: Jüdische Presse, 11.3.1921, S. 3.

Literatur

Dieter Hecht: Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt. In: Frank Stern, Barbara Eichinger (Hg.): Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938. Akkulturation – Antisemitismus – Zionismus, S. 99-114 (2009), D. H.: Jüdischnational-Zionistische Parteizeitungen. In: Chilufim 7/2009, S. 67-82, Dieter Mühl: Die Wiener Morgenzeitung und Robert Stricker. Jüdischnational-zionistischer Journalismus in Wien. In: Michael Nagel (Hg.): Zwischen Selbstbehauptung und Verfolgung. Deutsch-jüdische Zeitungen und Zeitschriften von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus, S. 253–268 (2002).

(ME)

(jiddisch ווילנער טרופע Vilner trupe)

Dieses Ensemble aus jiddischen Schauspielerinnen und Schauspielern entstand 1916 und zwar vermutlich im Zug der Auflösung des Wilnaer Staatstheaters. Noch während des Ersten Weltkrieges kam das zunächst in Grodno, Bialystok und Kowno auftretende Ensemble nach Warschau. Erstmals berichtete in Österreich die Wiener Morgenzeitung im Juli 1920 über diese Theatergruppe, die in Warschau den Namen WT annahm. 1921 folgten weitere Berichte, die bereits in höchsten Tönen von der Qualität und vom Erfolg dieses Ensembles sprachen, welche wesentlich von der Regiekunst Stanislawskis inspiriert war sowie auf die Aufführung von Theaterstücken An-skis, insbesondere des Dibbuk/Dybuk (UA, 9.12.1920 in Warschau) zurückging. Mit diesem Stück unternahm das Ensemble auch eine Reihe von Tourneen durch Europa und später auch in die USA. Im deutschsprachigen Raum gastierte die WT zuerst im Sept. 1921 in Berlin (auf Einladung von Sammy Gronemann und dem Hg. der Zs. Ost-West, Leo Winz) mit Die verlassene Schenke von Perez Hirschbein (erregte dabei die Aufmerksamkeit von M. Reinhardt ebenso wie jene von A. Döblin); in Wien gastierte sie im Okt.-Dez. 1922 in der Rolandbühne (Freie Jüd. Volksbühne) mit dem als „Sensation“ (NWJ) aufgefassten Dibbuk, aber auch mit Uriel Acosta von K. Gutzkow und anderen, auch nichtjüdischen Stücken. R. Musil feierte in einer Besprechung für die Prager Ztg. Bohemia die „schauspielerische Kultur“, die sprachlichen Leistungen sowie die der „Umwelt chassidischer Sagen“ entnommenen Stoffe und hob insbesondere die Schauspielerin Mirjam Orleska hervor (8.12.1922). Auf dem Spielplan der Truppe standen ferner auch R. Beer-Hofmanns Jaakovs Traum, Hebbels Judith, Schillers Don Carlos sowie Stücke von Leonid Andrejew, Michail Arzybaschew, Schalom Asch, David Pinski oder Scholem Alejchem u.a. Der Erfolg dieser Aufführungen führte zur Verlängerung des Gastspiels in den Jänner 1923 hinein (auf der Rolandbühne) sowie bis Anfang Februar auf dem Lustspieltheater, wo neben dem Dybuk auch A. Weiters Der Stumme zur Aufführung gelangte.

Aus: Wiener Morgenzeitung, 18.7.1920, S. 3

Danach setzte das Ensemble seine Gastspiele in Lemberg sowie in London und anderen englischen Städten mit ähnlicher Resonanz fort, u.a. auch mit Liebelei von A. Schnitzler und Der Weibsteufel von Schönherr. Im August 1924 gastierten die Wilnaer mit dem eher hölzernen Stück Doktor Kohn von Max Nordau sowie mit dem günstiger aufgenommenen Ein verworfener Winkel von Perez Hirschbein wieder am Wiener Carltheater. Unter den Schauspielern fand sich auch L. Halpern. Im Zuge des Musik- und Theaterfestes der Stadt Wien hielt sich auch der künstlerische Direktor der Truppe David Herman (1879-1937, Warschau) im Oktober 1924 in Wien auf, worüber z.B. die Morgenzeitung ausführlich berichtete. Das Interesse am jüd.-jidd. Theater führte ebf. im Okt. 1924 zu Überlegungen, unter Mitwirkung von Schauspielern der Wilnaer Truppe in Wien eine ihr verwandte Kleinkunstbühne zu eröffnen. Die internat. Resonanz, insbes. auf die Dybuk-Aufführungen, ermöglichte im Feb. 1925 die erste deutschsprach. Aufführung dieses Stücks in Wien (RolandbF. RosenfeldF. Rosenfeld aufgrund ihrer Bearbeitung und Herauslösung aus dem legendenartigen kulturellen Umfeld als von „ungeheurer BühnenAZrkung“ (AZ, 4.3.1925) empfand. Im Zuge verschiedener Veranstaltungen traten Ende der 1920er Jahre immer wieder in Wien weilende Mitglieder des Ensembles als Vortragende in Erscheinung, so z.B. Luba Kadison oder Jehuda Ehrenkranz, letzterer anlässlich eines Scholem-Alejchem Gedenkfeier im Mai 1926 sowie in mehreren Lesungen in den Jüd. Künstlerspielen, aber auch in Prag (bis in die 1930er Jahre hinein). Im selben Jahr absolvierte das Ensemble zuerst eine Rumänien-, danach eine, so Wiener Zeitungsberichte, weniger erfolgreiche (als erwartet) USA (New York, v.a. am Maurice Schwartz Yiddish Theatre)- und 1927 eine Argentinien-Gastspieltournee. 1928-29 berichteten Wiener Zeitungen zwar gelegentlich von Schauspielern aus dem Ensemble und deren Auftritte; das Ensemble selbst trat jedoch erst im Jänner und Februar 1930 (Der Tag, 24.1.1930,7) sowie im Mai- Juni und Oktober-Dezember 1930 mit einem umfangreichen Programm wieder in den Künstlerspielen sowie im Theater ›Reklame‹ (Taborstraße) auf, beginnend mit Schwer zu sein ein Jud von Alejchem über Der Dorfjunge von A. Kobrin bis hin zu Reklame von František Langer, Sintflut von H. Berger und selbst einem bunten Sylvesterabend am 31.12.1930. Auch im Folgejahr blieben die Wilnaer vorerst (bis Ende Februar) in Wien und setzten ihr Gastspielprogramm mit Der Teufel lacht von Sophie Bieloe, ferner mit Tag und Nacht von An-Ski fort, wobei Alex Stein Regie führte (und als Schauspieler auftrat), gefolgt von Die Tage unseres Lebens von L. Andrejew, Der Jazzsänger (nach dem gleichnamigen ersten Tonfilm) und Tewe der Milchiger, wiederum von Alejchem. Ende Dez. 1932 traf die Truppe nochmals in Wien ein, und spielte im Jänner-Februar u.a. Herschele Ostropoler von M. Liftschütz und im Mai Kidusch Haschem von Schalom Asch. Im Juli 1934 trat das Ensemble ein letztes Mal in Wien unter A. Stein auf, danach gab es nur noch vereinzelt bis 1937 Rezitationsabende unter Beteiligung (ehemaliger) WT-Schauspielerinnen und Schauspieler, was auch mit der Auflösung des Ensembles 1935 aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten zusammenhing.


Literatur

Michael Brenner: Deutsch-jüdische Kultur in der Weimarer Republik. München 2000 (engl. Originalausg. 1996), 218-220; Mirosława M. Bułat: Wilnaer Truppe. In: D. Diner (Hg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Bd. 6: Ta–Z. Stuttgart-Weimar 2015, 414-417; Debra Caplan: Yiddish Empire. The Vilna Troup, Jewish Theater and the Art of Itinerancy. Michigan 2018; Brigitte Dallinger: Quellenedition zur Geschichte des jüdischen Theaters in Wien. = Conditio Judaica, 42, Tübingen 2003; Salcia Landmann: „Der Dibbuk“ von An-Ski. Zur Aufführungsgeschichte. In: Diess.: An-Ski: Der Dibbuk. Frankfurt am Main 1989, Robert MusilRobert Musil: Die Wilnaer Truppe in Wien. In: Bohemia (Prag) 8.12. 1922, ferner in: ders.: Ges. Werke Bd. 9, hg. von A. Frisé. Reinbek 1981, 1613-1615; Shelly Zer-Zion: Habima. Eine hebräische Bühne in der Weimarer Republik. Paderborn 2016 (aus dem Hebr. Übers.), 123-129; Armin A. Wallas: „Jiddisches Theater“. Das Gastspiel der Wilnaer Truppe in Wien 1922/23. In: Das Jüdische Echo, vol. 44/1991, 179-192.

Quellen und Dokumente

A. Kleinmann: Jüdisches Theater in Warschau. In: Wiener Morgenzeitung, 18.7.1920, S. 3-4; A. Roisig: An der Grenze zweier Welten. In: NFP, 16.4.1921, S. 1-2; K. Maril: Jüdisches Theater in Berlin (über P. Hirschbein). In: Wiener Morgenzeitung, 15.9.1921, S. 10; N.N.: Spielplan der Wilnaer. In: Wiener Morgenzeitung, 15.2.1922, S. 5; H. M[argulies]: Die Wilnaer Truppe. In: NWJ, 1.11.1922, S. 6; O.A[beles]. Der fünfte Abend der Wilnaer. (Über Arzybaschew). In: Wiener Morgenzetung, 12.11.1922, S. 10; Uriel Acosta-Annonce. In: Wiener Morgenzeitung, 27.12.1922, S. 6; O.Abeles: Der Dorfsjing. (inkl. Annonce). In: Wiener Morgenzeitung, 26.11.1922, S. 10; e. kl.: Gastspiele der Wilnaer (Bilanz).In: NFP, 24.1.1923, S. 8; S. Gronemann: Die Wilnaer Truppe (Frühgeschichte). In: Wiener Morgenzeitung, 25.7.1924R. Hualla>; R. Hualla: Doktor Kohn. In: Der Tag, 14.8.1924, S. 7; N.N.: Ein jüdischer Regisseur. D. Herman in Wien. In: Wiener Morgenzeitung, 12.10. 1924, S. 10-11; N.N.: P. Hirschbein: Ein verworfener Winkel. In: NFP, 17.8.1924, S. 12; S. Meisels: Sch. An-Ski. Zur bevorstehenden deutschen Aufführung des Dybuk. In: NWJ, 27.2.1925, S. 8; F. R[osenfeld]: Der deutsche Dybuk. In: AZ, 4.3.1925, S. 9; F.R.: Wilnaer Truppe – H. Berger: Die Sintflut. In: AZ, 25.12.1930, S. 9; Die Wilnaer Truppe in Wien. In: NWJ, 30.12.1932, S. 6; M.S.: Über Gastspiel der WT: M. Liftschütz: Herschele Ostropoler. In: Der jüdische Arbeiter, 3.2.1933, S. 6.

(PHK)

Aus: Arbeiter-Zeitung, 13.10.1929, S. 17

Titel eines Beitrags, den O. Neurath am 13. Oktober 1929 in der AZ veröffentlicht hat. Dieser Beitrag baut auf die zuvor, d.h. im August 1929, veröffentlichte Programmschrift des Vereins Ernst Mach (VEM) auf (gegr. im Nov. 1928) unter dem Titel Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis auf (ohne namentl. Verfassernennung, doch weitgehend von Neurath, R. Carnap u. H. Hahn stammend) und ist Moritz Schlick zum Dank gewidmet, der im selben Jahr einen Ruf an die Univ. Bonn abgelehnt u. seit 1922/24 einen informellen Diskussionskreis zu Aspekten des logischen Empirismus bzw. des Neopositivismus (Schlick-Zirkel) aufgebaut hat. Das Konzept der wiss. Weltanschauung wurde erstmals öffentlich am Prager Kongress für Erkenntnislehreim Sept. 1929 vorgestellt, der u.a. vom VEM mitorganisiert worden war.

Die ‚wissenschaftl. Weltauffassung‘ (WWA) wird in Teil II (305-308) dieser Programmschrift näher ausgeführt. Sie charakterisiere sich nicht so sehr durch eigene Thesen, „als vielmehr durch die grundsätzliche Einstellung“. Als Ziel wird eine „Einheitswissenschaft“ formuliert, d.h. die Herstellung von Beziehungen zwischen den „Leistungen dereinzelnen Forscher auf verschiedenen Wissenschaftsgebieten“, womit die „Kollektivarbeit“ betont wird, aber auch die Suche „nach einem neutralen Formelsystem, einer von den Schlacken der historischen Sprache befreiten Symbolik“. Klarheit versus Dunkelheit, Oberfläche versus unergründliche Tiefen, Analyse versus Intuition: „Die wissenschaftliche Weltauffassung kennt keine unlösbaren Rätsel“ (WWA, 305). Die Klärung von Aussagen bzw. Problemen ist die Grundlage philosophischen Arbeitens und zwar auf das Basis der logischen Analyse (mit Bezug auf B. Russel und L. Wittgenstein). Diese Methode der logischen Analyse unterscheide die WWA und ihren neuen empirischen Positivismus vonälteren, stärker biologisch-psychologisch ausgerichteten Formen. Metaphysik wird als Irrweg abgelehnt, ebensodie Vorstellung, Denken könne aus sich heraus, ohne Erfahrungsmaterial zu Erkenntnissen führen. Dagegen kenne die WWA nur „Erfahrungssätze über Gegenstände aller Art und die analytischen Sätze der Logik und Mathematik.“ (WWA, 307). Die wissenschaftl. Beschreibung von Fragestellungen habe sich daher auf die empirische Oberfläche zu konzentrieren und nicht auf ihr sog. „Wesen“ oder auf subjektiv erlebte Qualitäten; letztere sind „nur Erlebnisse, nicht Erkenntnisse“ (WWA, 308).

Teil III der Programmschrift widmet sich den sog. ›Problemgebieten‹. Darunter werden folgende angeführt: 1. Die Grundlagen der Arithmetik, als in histor. Richtung wichtige Wissenschaft, die Anstöße zur Entwicklung der modernen Logik geliefert habe, aber einer Überprüfung ihrer Fundamente bedürfe, weil Widersprüche, die sog. ‚Paradoxien der Mengenlehre‘ aufgetreten seien. In diesem Zusammenhang wären auch die axiomatische Methode sowie die Aufstellung von Axiomensystemen für spezif. mathemat. Gebiete kontinuierlich zu überprüfen; 2. Grundlagen der Physik und dabei v.a. die Frage nach der „Bewältigung der Wirklichkeit durch wissenschaftliche Systeme, insbesondere durch Hypothesen- und Axiomensysteme“ (WWA, 310) u. verbunden mit einer weiteren Schärfung in der Begriffsbildung (betr. Raum, Zeit, Substanz, Kausalität u.a.), die durch die Fortschritte seit Helmholtz, Machu. Einstein den meisten anderen Wissenschaften bereits einen Schritt voraussei. Daran schließen 3. Grundlagen der Geometrie an, die sich insbes. mit Fragen einer nichteuklidischen Geometrie bzw. der seit Gauß entstandenen physikal. Geometrie befasst, welche dieeuklidische Geometrie von der mathematischen zunehmend geschieden u. axiomatisiert hat. Auch mit der Logik wurde sie in Beziehung gesetzt als eine„Theorie bestimmter Relationsstrukturen“ (WWA, 312), ferner 4. Grundlagen der Biologie und Psychologie. Dabei weist die Programmschrift auf die Versuche hin, beide Wissenschaftsgebiete metaphysisch besetzen zu wollen, einerseits durch den Vitalismus, andererseits durch sprachliche Praxen, die metaphysisch und durch das Konzept der Seele mitbestimmt sind, während behavioristische Ansätze grundlegend als der WWA „nahe“ eingestuft werden sowie 5. Grundlagen der Sozialwissenschaften. Auf diesem Feld sei noch mehr begriffliche Klärung nötig als in den zuvor genannten, z.B. in den Gebieten der Geschichte und der Nationalökonomie. Ein bündiger Abschnitt IV fasst Rück- und Ausblick zusammen, markiert nochmals die Differenzen zur herkömmlichenPhilosophie (Sätze aufstellen vs. Sätze erklären, Ablehnung des Begriffs der Idee) und forciert den der Erfahrung: „Es gibt keinen Weg zur inhaltlichenErkenntnis neben dem der Erfahrung“ Ebd., 314), weshalb die WWA auch als Erfahrungswissenschaft gelten könne, die dem Leben der Gegenwart nicht nur nahestehe, sondern ihm „dient“ (Ebd., 315). Der abschließende Teil besteht auseinem Literaturverzeichnis der Mitglieder des Wiener Kreis (Bergmann, Carnap, Feigl, Ph. Frank, Gödel, Hahn, Kraft, Menger, Natkin, Neurath, O. Hahn-Neurath, Radaković, Schlick, Waismann), unter deneneinige Schriften (insbes. betr. Carnap, Schlick) zusammengefasst u. erklärt werden, an das sich ein weiteres von dem Kreis nahestehender Wissenschaftler anschließt (Dubislav, J. Frank, Grelling, Härlen, Kaila, Loewy, Ramsey,Reichenbach, Reidemeister, Zilsel sowie Einstein, Russel und Wittgenstein.

Neuraths WWA-Beitr. in der AZ unterscheidet sich einerseits grundlegend von der Programmschrift, indem er das Konzept der WWA an eine politische wie ideologische Bewegung, jene der sozialdemokratisch organisierten Arbeiterschaft, heranzuführen unternimmt (und dabei eine historische und symbolische Sprache aufruft), andererseits relativiert er durch den systematischen Rekurs auf das Konzept von Einheits-und  Erfahrungswissenschaft, dem er auch den wissenschaftlichen Sozialismus zur Seite stellt, zugleich dessen traditionelle politische Rhetorik. Teilnahme an den modernen Entwicklungen über Integration der WWA in die Arbeiterbildung trage dazu bei, den Einfluss der kathol. Theologie zurückzudrängen, aber auch über die „altmodischen und unvollkommenen Werkzeuge des Materialismus“ der frühen Arbeiterbildungsbewegung hinauszugelangen.

Diese Position blieb verständlicherweise sowohl innerhalb des Wiener Kreises nicht unumstritten, so positionierte sich V. Kraft deutlich dagegen, als auch innerhalb des linken Flügels der SDAPÖ, dem Neurath sonst zugerechnet worden ist.


Quellen und Dokumente

Prager Kongreß für Erkenntnislehre. In: Prager Tagblatt, 27.9.1929, S. 7, Die Tagung der Wiener Freidenker. In: Arbeiter-Zeitung, 24.2.1931, S. 4, Felix Weltsch: Schöpfende und ordnende Philosophie. In: Prager Tagblatt, 4.11.1931, S. 4,

Literatur

O. Neurath: Gesammelte philosophische und methodologische Schriften. Bd. 1, hg. von R. Haller u. H. Rutte; V. Kraft: Der Wiener Kreis. Der Ursprung des Neopositivismus. Wien 1950, 31997; F. Stadler: Vom Positivismus zur wissenschaftlichen Weltauffassung. Wien 1982; Ders.: Studien zum Wiener Kreis. Wien 1997 (engl. 2001: The Vienna Circle); K. Sigmund: Sie nannten sich Wiener Kreis. Exaktes Denken am Rand des Untergangs. Wiesbaden 2015; Ch. Limbeck-Lilienau: Der Wiener Kreis: Texte und Bilder zum Logischen Empirismus. Wien-Münster 2015.

Eintrag bei wien.gv.at, bei anthrowiki.at, bei Universität Wien – Wiener Kreis, bei britannica.com sowie bei scienceblog.at.
Ferner (mit Audiodokumenten): Österreichische Mediathek: hier.

(PHK)

Das Konzept der Würfelbühne(WB) wurde von dem aus Hall (Tirol) gebürtigen Architekten und Bühnenbildner Hans Fritz seit 1919 für die Innsbrucker Kammerspiele unter Ferdinand Exl erarbeitet und deren Einsetzbarkeit an so unterschiedlichen Stücken wie solchen von Franz Kranewitter oder Oscar Wilde erfolgreich erprobt. Am 19.4. 1922 wurde sie erstmals außerhalb Innsbrucks in einem mit Lichtbildern angereicherten Vortrag in der Wiener Sezession öffentlich vorgestellt, bei dem auch Vertreter des Unterrichtsministeriums sowie der Bundes- und mehrerer privater Theater anwesend waren. Dabei betonte Fritz, dass die WB zunächst vor allem ein Versuch sei, die „so brennende materielle Knappheit zu überwinden“ (WZtg. 20.4.1922), weil sie mehrfach verwendbar sei und dem Prinzip des „Baukastens“ folge. Darüber hinaus orteten die ersten Kritiken als ästhetischen Faktor die „neue plastische Wirkung“.

aus: Bau- und Werkkunst 1924 (L. W. Rochowanski)

Fritz erläuterte ferner die multifunktionalen Aspekte des Würfel-Prinzips (z.B. im Hinblick auf Lager-, Zuschauerraum, aber auch für den Film). Auf der Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik im Rahmen des Musik- und Theaterfestes der Stadt Wien im Sept.-Okt. 1924 erregte die WB neben der Raumbühne und dem radikalen Konzept des Theaters ohne Zuschauer große Aufmerksamkeit. L. W. Rochowanski setzte sich mit ihr in der Zs. Bau- und Werkkunst eingehend auseinander und meinte, die WB habe „das Gesicht des Theaters vollständig verändert.“ Die WB wurde daher auch auf der Internationalen Kunstgewerbeausstellung in Paris im Sommer 1925 neben Projekten von F. Kiesler, O. Strnad, F. Rosenbaum u.a. gezeigt (NFP, 30.8.1925, 1-3). Auch bei der Internationalen Theaterausstellung in New York im Frühjahr 1926 stieß die WB auf beachtliche Resonanz, so ein kurzer Bericht im Tag vom 19.4.1926. Im darauffolgenden Jahr 1927 hat C. Holzmeister im Zuge des Umbaus der Bühne des Salzburger Festspielhauses auf das Konzept der WB zurückgegriffen und 1930 wurde dieses auf der Ausstellung ›Theater aus Österreich‹ in München noch einmal gezeigt. In der Theaterpraxis kam es Ende der 1920er und zu Beginn der 1930er Jahre dann allerdings nicht mehr zur Verwendung. Das Grundkonzept des Kubus kam von H. Fritz allerdings 1936 in seinem Siedlungsprojekt Neu-Rum nochmals und auf Wohnbedürfnisse adaptiert zur Verwendung.


Quellen und Dokumente:

R. : Vortrag H. Fritz. In: Wiener Zeitung, 20.4.1922, S.10,

Literatur:

D. Bogner: Wien 1920-1930. „Es war als würde Utopia Realität werden“ Wien 2017, 343; B. Lésak: Die österreichische Theateravantgarde 1918-1926. Ein Experiment von allzu kurzer Dauer. In: P-H. Kucher (Hg.): Verdrängte Moderne-vergessene Avantgarde. Göttingen 2016, 60-62.

(PHK)

Am 20.5.1927 um 7:54 Uhr startet der US-amerik. Pilot Charles Augustus Lindbergh jr. (1902-1974) in der eigens dafür entwickelten Maschine Spirit of St. Louis am New Yorker Roosevelt Field zu seinem Nonstopflug nach Paris, wo er nach 33,5 Stunden Flugzeit am Flughafen Le Bourget empfangen wird.

Die erste Alleinüberquerung des Atlantiks wird auch in Österreich von ausführlicher Berichterstattung begleitet: Eine sportliche Höchstleistung und eine Großtat menschlichen Mutes titelt die Neue Freie Presse vom 22.5.: Der Leitartikel ist dem Lindbergh-Flug als Symptom für das begrüßenswerte Näherrücken von Alter und Neuer Welt gewidmet, von dem man sich eine Strahlkraft auch im (Welt-)Politischen erhofft: „Wie nahe sind Amerika und Europa einander gerückt! Es wäre unfaßbar, wenn die Generation, der solche Leistungen gelingen, nicht auch imstande wäre, den Aufstieg zu einem Rekord des Friedens zu wagen.“

Laut der Kleine Blatt-Redaktion hinwiederum lässt Lindberghs Reüssieren keinen Zweifel (mehr) an der Durchschlagkraft der vergleichbar ‚unfassbaren‘ sozialistischen Vision(en): Gleich Galileo Galileis Wirken künde Lindberghs Tat „den Trotz, der unausrottbar die Menschen beseelt und sie zu ihren Zielen vorwärtsbringt. Was heute etwas noch Einziges ist, […] wird etwas Gewöhnliches sein. So werden auch die Ideen, die jetzt noch als unverwirklichbar so vielen gelten, dann, wenn der Mut, der Trotz gesiegt haben, selbstverständlich sein.“

Über die Rückkehr des gefeierten Piloten wird am 3.7.1927 u.a. Ann Tizia Leitich aus New York berichten: Für Leitich, die dafür auf aus der Debatte über die Monotonisierung der Welt bekannte Motive zurückgreift, verkörpert Lindbergh prototypisch den amerikanischen Helden: „Er vermeidet das ominöse Wort ‚Ich‘. ‚We‘ sagt er statt dessen und meint sich und den Plan. […] Ist es nicht wunderbar – ein Held, an dessen Händen kein Blut klebt, hinter dem keine Tränen geweint, keine Gräber geschaufelt werden. Wer kann im Angesichte dieses Triumphes der Maschine und des Menschen noch sagen, unsere Zeit sei erbärmlich? […] [Z]u Columbus‘ Zeiten schien solche Tat noch zum Teil Hexerei. Heute aber ist Technik und der ungeheure Horizont, den sie erschließt, Gemeingut aller. [D]ieser Held der Maschine, dieser reine Typus eines neuen Menschen mußte aus Amerika kommen“.

Unter dem Titel We hat Lindbergh 1927 tatsächlich seine Erinnerungen an das Abenteuer Nonstopflug zur Veröffentlichung gebracht; Wir Zwei. Im Flugzeug über den Atlantik lautet der Titel der noch im gleichen Jahr besorgten dt. Übertragung, aus der etwa das Wr. Volksblatt für Stadt und Land seiner Leserschaft in der Weihnachtsbeilage einen Auszug präsentieren wird.

Auf We greift auch Bert Brecht für Der Lindbergh-Flug zurück, ein „musikalisches Hörbild“, das in der Vertonung von Kurt Weill (als „Kantate für Soli, Chor und Orchester“) am 5.12.1929 an der Berliner Krolloper uraufgeführt wird. Eine von Weill und Paul Hindemith in gleichen Teilen erarbeitete Fassung gelangt im selben Jahr im Rahmen des Baden-Badener Musikfests zur Aufführung.

Brecht überarbeitet den Ozeanflug schließlich zu einem „Radiolehrstück für Knaben und Mädchen” (Der Flug der Lindberghs, 1930). 1950 sieht er als Bedingung für eine Rundfunkaufführung die Abänderung des Titels zu Der Ozeanflug dafür vor: Laut neuem Prolog hat Lindbergh, ein Sympathisant des Nationalsozialismus, den „Hitler-Schlächtern” das „Fliegen mit tödlichen Bomben” gezeigt.


Quellen und Dokumente

N.N.: In: Neue Freie Presse (22.5.1927), S. 1, N.N.: In: Das Kleine Blatt (22.5.1927), S. 2, Ann Tizia Leitich: Der Held. In: Neue Freie Presse (3.7.1927), S. 11.

(RU)

Das Zeitschriftenspektrum der österreichischen Zwischenkriegszeit war überraschend vielgestaltig, dynamisch und in der Ausrichtung alle Bereiche des politisch-sozialen wie des kulturell-künstlerischen Lebens umfassend.

Eine umfassende analytische Bibliographie der (spät)expressionistischen Zeitungen und Zeitschriften liegt seit der zweibändigen Arbeit von A.A. Wallas vor, für die Perioden danach existieren weder vergleichbare Studien noch vollständige Überblicke und Bibliographien.

Im Anno-Programm der ÖNB sind im Moment mehrere hundert Zeitungen und Zeitschriften digitalisiert (http://anno.onb.ac.at/alph_list.htm), die im Zeitraum der Zwischenkriegszeit erschienen und von (alltags)kultur-, kunst- und literaturwissenschaftlicher Relevanz sind.

Das litkult.1920er-Stichwortverzeichnis (Lexikon) weist Einträge zu nachfolgenden Titeln auf (in ihrer jeweiligen alphabetischen Zuordnung):

  • Bildungsarbeit
  • Daimon
  • Das Flugblatt
  • Der Friede
  • Der Kampf
  • Der Merker
  • Der Zeitgeist
  • Die Botschaft
  • Die Bühne
  • Die Wage
  • Die Wahrheit
  • Europäische Revue
  • Illustrierte Rote Woche
  • Melos
  • Mocca
  • Moderne Welt
  • Musikblätter des Anbruch
  • Neue Erde
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  • Sowjet

Weitere auf ANNO zugängliche Zeitschriften:

  • Allgemeine Photographische Zeitung
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  • Der Filmbote. Zeitschrift für alle Zweige der Kinometagraphie
  • Die Filmwelt. Offizielles Organ des Reichsbundes der Kinofreunde Österreichs
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  • Der Humorist. Zeitschrift für Theater und Kunstwelt
  • Kikeriki. Humoristisches Volksblatt
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  • Der Kuckuck
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  • Wiener Illustrierte
  • Wiener Magazin
  • Das Wort (1927-28)

Quellen und Dokumente

Armin A. Wallas: Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich. Analytische Bibliographie und Register. München 1995; A. Holzer: Kaiser, Sex and Crime. Jahrzehnte war „Das interessante Blatt“ Österreichs größte Wochenillustrierte. In: Wiener Zeitung, 29.5. 2016; online verfügbar unter: https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Medien/Zeitungsgeschichte  ; Auswahl Mediathek der Univ. Graz: https://public.sharepoint.uni- graz.at/sites/ub/OeffentlicheDokumente/Auswahl_digitalisierter_Zeitungen.pdf

(PHK)