Krenek, Ernst

eigentlich Křenek, geb. am 23.8.1900, Wien – gest. am 22.12.1991 in Palms Springs, CA, USA; Komponist, Musiktheoretiker, Journalist, Schriftsteller

in erster Ehe (1924) verh. mit Anna Mahler (1904-1988; österr. Bildhauerin, Tochter v. Gustav Mahler u. Alma Mahler-Werfel), in zweiter (1928) mit Berta Hermann (1885 -1974; dt. Schauspielerin), in dritter (1950) mit Gladys Nordenstrom-Krenek (1924-2016; US-amerikanische Komponistin)

Geboren in Wien als Sohn eines aus Böhmen gebürtigen Offiziers der österr.-ungar. Armee – mit der Großmutter väterlicherseits war die Verkehrssprache in Wien bis zu deren Tod 1910 tschechisch –, besuchte K. die Volksschule der ›Christlichen Schulbrüder‹ (1906ff.), dann das Gymnasium Klostergasse, bevor er nach kurzem Militärdienst (1918) an der Universität Wien Philosophie, Kunstgeschichte u. Musikwissenschaft inskribierte. Seit 1906 Klavierunterricht beim Organisten der Votivkirche Fridolin Balluff u. erste kompositorische bzw. literarische Versuche; ab 1916 Besuch der Kompositionsklasse Franz Schrekers. 1920 folgte K. Schreker an die Hochschule für Musik nach Berlin, die er 1922 ohne Abschluss verließ. 1923/24 Reisen durch Westeuropa, finanziert vom Winterthurer Mäzen Werner Reinhart. 1925-27 Assistent von Paul Bekker am Staatstheater Kassel; erste (u.a. theatertheoretische) Beiträge für die Kasseler Theaterprogrammhefte u. Radiovorträge für die Kasseler Nebenstelle des Frankfurter Senders im dann andauernden Bestreben, sich auch journalistisch (und überregional) Gehör zu verschaffen. K.s. bühnenpraktische Erfahrungen flossen unmittelbar in die Konzeption der sogenannten „Jazzoper“ Jonny spielt auf ein, nach deren Leipziger Uraufführung (10.2.1927; Regie: Walter Brügmann; Dirigent: Gustav Brecher) ihm der internationale Durchbruch gelang (rd. 700 Jonny-Aufführungen in mehr als 80 Opernhäusern weltweit). 1928 Rückkehr nach Wien als freischaffender Komponist u. Intensivierung der Vortrags- u. Publikationstätigkeit, u.a. für die Zs.  Anbruch, ab 1930 als freier Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung, ab 1932 als Mitinitiator (gem. mit Willi Reich u. Alban Berg) der bzw. regelmäßiger Beiträger für die „Wiener Musikzeitschrift“ 23 sowie 1934-37 als freier Mitarbeiter der Wiener Zeitung. 1934 Wiedereintritt in die kath. Kirche (nach Austritt 1921), Mitgl. der Vaterländischen Front; anfänglich (kultur)politisches Engagement (u.a. durch Beiträge für die Wiener Zeitung u. die Zs. Der Christliche Ständestaat bzw. das von K. als Forum zeitgenössischer Musik initiierte „Österreichische Studio“) für den Christlichen Ständestaat als erhofftes Bollwerk gegen Nazi-Deutschland, das zunehmend Resignation wich, nicht zuletzt aufgrund der durch NS-Interventionen noch in der Probenphase 1934 vereitelten Wr. Uraufführung der Oper Karl V. 1937 unternahm K. erstmals eine USA-Reise. Als er im März 1938 für die Amsterdamer Urauff. seines Zweiten Klavierkonzerts nach Europa zurückkehrte, ereilte ihn die Nachricht vom „Anschluss“, sodass er nicht mehr nach Wien reiste. Im August 1938 entschloss sich K. zur Emigration in die USA, wo er seine Unterrichtstätigkeit professionalisierte (u.a. 1939-42 Vassar College, 1942-47 Hamline University; Gastprofessuren: Princeton University 1957, Peabody Institute in Baltimore, Maryland 1967). Seit 1945 US-amerikanischer Staatsbürger, seit 1966 wohnhaft in Palms Springs, wo er im Dez. 1991 verstarb; beigesetzt am Wr. Zentralfriedhof. 1980 kam es zur Gründung des Ernst-Krenek-Archivs in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (heute: Wien Bibliothek), 2004 der ›Ernst Krenek Institut Privatstiftung‹ in Krems a.d. Donau. – – K.s kompositorisches Gesamtwerk (240 Opera in über 70 Jahren Schaffenszeit) irritiert(e) eingedenk seiner stilistischen Vielgestalt: Nach ersten atonalen bzw. der Neuen Musik verpflichteten Kompositionen überraschte K. mit einer als „gefällig“ (miss)verstandenen neoromant. Phase, in die die vermeintliche Jazzoper u. eine im Liederzyklus Reisebuch aus den österreichischen Alpen (1929) augenscheinliche Befassung mit dem Werk Franz Schuberts datierten; mit Karl V. legte K. 1934 die erste abendfüllende Zwölftonoper – radikal im Ästhetischen, indes als eine Art ‚ständestaatliches Festspiel‘ konservativ im Gehalt – vor; seit den 1950ern war schließlich sein Umgang mit serieller bzw. elektronischer Musik evident. Als Komponist u. Librettist in Personalunion kaprizierte sich K. auf den auch ‚literarischen Eigenwert‘ seiner Texte, etwa im Falle des (1990 uraufgef.) Kehraus um St. Stephan (1930), im Selbstverständnis von K. eine Vorwegnahme Ödön v. Horváths kritischen Volksstücks. Beachtenswert waren K.s Kontakte zu AutorInnen, die mitunter aus Kompositionsprojekten (Franz Werfel, R.M. Rilke, Oskar Kokoschka) oder seiner journalistischen Tätigkeit z.B. für die Frankfurter Zeitung (Joseph Roth, Walter Benjamin, Ernst Bloch) resultierten. Über diese gab er u.a. in den im Exil entstandenen Lebenserinnerungen Im Atem der Zeit Auskunft, die ihn ebenso als versierten Kenner der zwischenkriegszeitl. Literaturszene ausweisen u. wie das literaturkrit. Werk für v.a. die Frankfurter u. Wiener Zeitung, seine Kenntnis der bzw. Kontakte zu AutorInnen wie u.a. Bert Brecht, Max Brod, Alfred Döblin, Marieluise Fleißer, Aldous Huxley, Franz Kafka, Siegfried Kracauer, Theodor Kramer, Otto Stoessl, Alfred Polgar, Erik Reger, Joseph Roth, Ernst Waldinger, Ernst Weiß, Klaus u. Thomas Mann dokumentieren. Von Bedeutung war insbes. die Bekanntschaft mit Th. Mann im Exil insofern, als sich K. u.a. an dessen im Doktor Faustus-Roman offenbare Befasstheit mit musik-/kompositionstheoret. Fragestellungen (mit)verantwortlich glaubte – u. nicht nur Theodor W. Adorno, mit dem K. um 1930 im Anbruch eine von Wien aus auf die Frankfurter Zeitung u. die Essener Zeitschrift Der Scheinwerfer ausstrahlende Kontroverse über (musikalischen) „Fortschritt“, d.i. Zwölftontechnik, u. „Reaktion“, d.i. Neutonalität, ausgefochten hatte. Neben Rezensionen finden sich unter den rd. 500 journalistischen Beiträgen K.s 1924-1938 Reisetexte, essayistische Denkbilder u. kulturkritische (Programm-)Texte, vermittels derer er einen „Radikalismus der Mitte“ – nach, wie K. rückblickend betonte, Vorbild Karl Kraus‘ „splendid isolation“-Haltung in Distanz zu allen kulturpolitischen Lagern – wider die nach seinem Dafürhalten von der polit. Linken wie Rechten gleichermaßen forcierte „Kulturlosigkeit“ vertrat, zudem seit Beginn der 1930er Jahre die Vision eines „neuen Österreichs“ als Reaktivierung eines spezifisch österr. Traditionalismus. Die Realisation dieses neuen Österreichs erhoffte sich K. zunächst vom austrofaschist. Regime, das er zur Einbeziehung radikaler (Avantgarde-)Geister ins neue Staatsgefüge ermahnte u. dadurch vor dem Abdriften in einen den Blut-und-Boden-Idealen im Dritten Reich – 1938 war K.s afroamerikanischer Jazzer Jonny ikonografisch auf der Broschüre zur die sog. Reichsmusiktage in Düsseldorf begleitenden Ausstellung Entartete Musik zu sehen – vergleichbaren reaktionären Konservativismus warnte. Die Causa Karl V. sollte ihm bereits 1934 die voranschreitende ‚Gleichschaltung‘ im kulturellen Leben Österreichs vor Augen führen u. damit die Aussichtslosigkeit der von K. imaginierten Einbeziehung einer in ihren Ausdrucksmitteln zwar radikal avancierten, in ihrem Ausdruckswillen indes konservativen, prononciert österr. bzw. kathol. Kunst ins ständestaatl. Gefüge. Ungeachtet regelmäßiger Aufenthalte in der „Alten Welt“ seit den 1950er Jahren (z.B. 1950 Dozent bei den Darmstädter Ferienkursen für neue Musik; 1968 Europareise (Dirigier-, Lehrtätigkeit); seit 1982 jährliche Sommeraufenthalte im Mödlinger Arnold Schönberg-Haus) verblieb K. bis zu seinem Tod 1991 im US-amerikanischen Exil ohne Ende, eine Formel, in die C. Maurer Zenck (auch) K.s Schwierigkeiten, sich nach 1945 in das kulturelle Gedächtnis Europas zurückzureklamieren, kristallisierte.

Werke

Kompositionen (Auswahl)

Die Zwingburg op. 14. Szenische Kantate in einem Akt. Text v. Fritz Demuth, bearb. v. Franz Werfel [1922]. – Der Sprung über den Schatten op. 17. Komische Oper in drei Akten (10 Bildern). Text v. E.K. [1923]. – Orpheus und Eurydike op. 21. Oper in drei Akten. Text v. Oskar Kokoschka [1923]. – O Lacrimosa op. 48. Drei Gesänge für Sopran oder mittlere Stimme u. Klavier. Text v. R.M. Rilke [1926]. – Jonny spielt auf op. 45. Oper in zwei Teilen. Text v. E.K. [1926]. – Leben des Orest op. 60. Große Oper in fünf Akten (8 Bildern). Text v. E.K. [1929]. – Reisebuch aus den österreichischen Alpen op. 62. Liederzyklus für mittlere Stimme u. Klavier in vier Bänden. Text v. E.K. [1929]. – Kehraus um St. Stephan op. 66. Satire mit Musik in zwei Teilen (19 Szenen). Text v. E.K. [1930]. – Durch die Nacht op. 67 für hohe Stimme u. Klavier. Zyklus aus „Worte in Versen“ v. Karl Kraus [1931]. – Gesänge des späten Jahres op. 71. Liederzyklus für mittlere Stimme u. Klavier. Text v. E.K. [1931] – Karl V. op. 73. Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen. Musik v. E.K. [1933] – Lamentatio Jeremiae Prophetae op. 93 für gemischten Chor [1941/42]. – Pallas Athene weint op. 144. Oper in einem Vorspiel u. drei Akten. Text v. E.K. [1952/53]. – Horizon Circled für Orchester op. 196 [1967]. – Spätlese für Bariton und Klavier op. 218. Text v. E.K. [1972/73]. – They know what they wanted für Erzähler und kleines Ensemble op. 227. Text v. E.K. (mit Zitaten aus anderen Sprachen) [1977]. – Streichquartett Nr. 8 op. 233 [1981]. – Opus sine nomine op. 238 für Solisten, gemischten Chor u. Orchester. Text v. E.K. (dt. und Latein, Mischtext) [1988].

Literarische, journalistische, (musik)dramatische Werke, Korrespondenzen (Sammlungen)

Selbstdarstellung, Zürich 1948. – Zur Sprache gebracht. Essays über Musik, hg. u. mit einer Einleitung v. Friedrich Saathen, München 1958. – Gedanken unterwegs. Dokumente einer Reise, hg. v. Friedrich Saathen, München 1959. – Prosa-Dramen-Verse, München-Wien 1965. – Briefwechsel [mit Theodor W. Adorno], hg. v. Wolfgang Rogge, Frankfurt a.M. 1974. – Im Zweifelsfalle. Aufsätze über Musik, Wien 1984. – Der hoffnungslose Radikalismus der Mitte. Briefwechsel [mit Friedrich T. Gubler] 1928-1939, hg. v. Claudia Maurer Zenck, Wien 1989. – Die amerikanischen Tagebücher 1937-1942. Dokumente aus dem Exil, hg. v. Claudia Maurer Zenck, Wien 1992. – Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne. Aus dem amerik. Engl. v. Friedrich Saathen, rev. Übers. v. Sabine Schulte, Hamburg 1998. – Briefwechsel mit der Universal-Edition (1921-1941), hg. v. Claudia Maurer Zenck [2 Bde.], Wien 2010/2012. – In der Zeiten Zwiespalt. Schriften eines unbekannten Bekannten, hg. v. Martina Riegler u.a., Wien 2012.

Ausgewählte Sekundärliteratur

Claudia Maurer Zenck: E.K. Ein Komponist im Exil, Wien 1980. – Otto Kolleritsch (Hg.): E.K., Wien-Graz 1982 [darin: Wendelin Schmidt-Dengler: „Wie schlafende Uhren blicken uns des Lebens Bilder an.“ Zu E.K.s ‚Reisebuch aus den österreichischen Alpen‘ und ‚Gesänge des späten Jahres‘, S. 69-78]. – Matthias Schmidt (Hg.): E.K. Zeitgenosse des 20. Jahrhunderts. Zum 100. Geburtstag. Buch zur Ausstellung, Wien 2000. – Meret Forster: Reflexe kultureller Modernisierung. E.K.s Radikalismus der Mitte und der Einfluss von Karl Kraus 1928-1938,Frankfurt a.M. 2004. – Jürg Stenzl (Hg.): E.K., Oskar Kokoschka und die Geschichte von Orpheus und Eurydike, Schliengen 2005. – Matthias Henke (Hg.): Schönheit und Verfall. Beziehungen zwischen Thomas Mann und E.K. (Mehr als) Ein Tagungsbericht, Frankfurt a.M. 2015. – Rebecca Unterberger: Zwischen den Kriegen, zwischen den Künsten. Ernst Krenek – „Beruf: Komponist und Schriftsteller“, Heidelberg 2019.

Online-Dokumente (Auswahl)

Ernst Krenek: Wer ich bin. In: Neues Wr. Journal, 18.12.1927, S. 6; E. C.: Schlafwagen Paris (Gare du Nord) – Wien (Staatsoper). In: Die Bühne 4 (1927), Nr. 164, S. 10f.; Julius Korngold: Operntheater. („Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek.) In: NFP, 1.1.1928, S. 1-5; e[rnst] f[ischer]: Der Neger Jonny und das freiheitliche Wien. In: Arbeiterwille, 14.1.1928, S. 3-4; Viktor Zuckerkandl: Ernst Krenek: „Leben des Orest.“ In: NFP; 27.1.1930, S. 1f; Ernst Krenek: Konservativ und radikal. In: Wiener Zeitung, 25.2.1934, [Sonntagsbeilage] S. 1f.

E. Krenek: Jonny spielt auf. Hörbeispiel (UE-Edition) und Partitur: hier.

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