Operettenrevue

Bezeichnung für jenes Genre des Musiktheaters, das ab zirka 1900 Elemente der Operette, des Varietès und der Revue miteinander verbindet und Ähnlichkeiten zur Musical-Form aufweist. Anfänglich, z.B. im Wiener Orpheumtheater, auch Genrebezeichnung für ein Arrangement von Liedern, das bestehenden Operetten entnommen und zu einem eigens auf Publikumserwartungen hin zugeschnittenen Programm zusammengestellt und teilweise durch neue Kompositionen ergänzt wurde. Im Vergleich zur klassischen Wiener Operette wurde vor 1914 der musikalische Vortrag forciert, Handlung oft völlig weggelassen und damit ein spezifisches Unterhaltungsprogramm, das Eingang fand in Varietè- und Kabarett-Theater wie z.B. dem ›Ronacher‹ oder in das Kabarett ›Fledermaus‹, aufgebaut. Es eignete sich gut für Tournee- und Aufführungszyklen in kleineren Theatern wie zahlreiche Presseberichte aus Czernowitz, Graz, Innsbruck oder Linz belegen.

Schrittweise wagten sich auch etabliertere Drehbuchautoren und Komponisten an dieses Genre, 1914 z.B. F. Dörmann mit Was tut man nicht alles aus Liebe? Nach Kriegsende wurden zunächst außer Benefizveranstaltungen und seichten Produktionen für Varietés wie dem ›Chat noir‹ O-Revuen bis 1921 kaum aufgeführt. Ab 1921-22 griffen das Bürgertheater und das Carltheater dieses Genre wieder auf; selbst die Freie Jüdische Volksbühne präsentierte im August 1921 ein Programm durch ihren Spielleiter Isaak Deutsch und die Volksbühne Favoriten überraschte bereits im April 1921 durch eine Revue aus klassischen Operettenstücken (Millöcker, Strauß, Zierer u.a.), unterlegt mit einem Lichtbildvortrag. 1923 kam es auch zu Zensurproblemen im Zshg. mit der zuvor in Berlin gezeigten O-Revue Die Dame vom Olymp der erfolgreichen Librettisten R. Schanzer/E. Welisch. Im selben Jahr legte erstmals ein etablierter Operettenkomponist wie F. Léhar mit Libellentanz eine Komposition vor, die in der Kritik auch als O-Revue aufgefasst worden ist; 1926 folgte ihm der erfolgreiche Librettist Oskar Friedmann (1872-1929) mit Liebesmagazin, das auf der Neuen Wiener Bühne zur Aufführung kam, sowie das Duo Fritz Grünbaum und Karl Farkas mit Journal der Liebe im Bürgertheater, – Titel, die auf eine Trivialisierung des Genres verweisen. Ab 1925-26 findet sich dieses Genre auch in den Programmen der österr. Radiosender Graz und Wien. Farkas und Grünbaum gebührt aber auch das Verdienst, das Genre an internationale Revue-Standards herangeführt zu haben, an Standards, wie diese z.B. mit Lady X (Musik von L. Gruenberg, wurde auch als Jazzoperette rezipiert) im Apollotheater 1927 sichtbar wurden. 1929 trat auch Ludwig Hirschfeld mit diesem Genre in Erscheinung, wie die Auff. von Jetzt oder nie… in Innsbruck dokumentiert. Im Juli dess. Jahres beschloss die Wiener Opernbühne (= Staatsoper) ihr Programm mit Eine Nacht in Venedig von R. Strauß, die aufgrund ihrer opulenten, revuehaften Ausstattung für Aufsehen sorgte.

Dass dieses Genre auch in den umliegenden Ländern erfolgreich war, dokumentieren Gastspiele des Olmützer Operettenensembles im Sept. 1930 mit N. Brodskys O-Revue Die entführte Frau im Raimund-Theater ebenso wie Berichte von Budapester Aufführungen oder dem Interesse von M. Reinhardt an revuetauglichen Operetten. 1931 bestätigte die Wiener Auff. der zuvor auch in Berlin erfolgreichen Bearbeitung des Dumas-Romans Die drei Musketiere zu einer O-Revue durch Schanzer/Welisch das anhaltende Interesse. Im Februar 1932 sorgte eine Auff. des Weißen Rößl als O-Revue durch das niederösterr. Theater in Znaim für Schwierigkeiten mit der Polizei, die das Gastspiel aufgrund monarchistischer (k.k.)-Tendenz u. entsprechender Bekundungen im Publikum daraufhin untersagte. Vermutlich aufgrund der Wirtschaftskrise und der sich verschärfenden politischen Verhältnisse kamen 1932-33 keine weiteren Produktionen zustande. 1934 kündigte J. Brammer wohl eine O-Revue gemeins. mit B. Granichstaedten an (NWJ, 20.5.1934) an und 1935 das Bürgertheater im Zshg. mit einem G. Werbezirk-Gastspiel ebenfalls eine neue Produktion: nur das zweitgenannte Vorhaben ist im Jänner 1936 ohne besondere Resonanz realisiert worden.


Quellen und Dokumente

Orpheum. In: Wiener Zeitung, 8.12.1903, S. 8, Inserat zu So wird’s gemacht! In: Der Floh, 23.3.1913, S. 18, Ronachertheater. In: Neues Wiener Tagblatt, 19.12.1914, S. 18, Zensurschwierigkeiten in den Kammerspielen. In: Der Morgen, 17.12.1923, S. 3, „Libellentanz“. In: Moderne Welt 4 (1923), H. 12, S. 8, Das Blendwerk der Revue. In: Moderne Welt 7 (1927), H. 10, S. 33f., Ludwig Hirschfeld: Apollotheater. In: Neue Freie Presse, 19.9.1927, S. 17, Wiener Theater. In: Der Kuckuck, 14.7.1929, S. 10, Das staatsgefährliche „Weiße Rößl“. In: Freie Stimmen, 5.2.1932, S. 3, Bürgertheater in der neuen Spielzeit. Fritz Imhoff. – Operettenrevue. – Gisela Werbezirk. In: Neues Wiener Journal, 20.8.1935, S. 11.

Wiener Operettenrevue. Aufzeichnung bei mediathek.slub-dresden.de.

(PHK)