geb. am 21.6.1903 in
Treffen (Kärnten) – gest. am 8.2.1943 in New York; Schriftsteller,
Politiker, Exilant
Der Sohn eines
Kaufmanns und Landwirts besuchte zunächst das Stiftsgymnasium St. Paul im
Lavanttal um danach einige Semester Jus in Wien zu studieren. Ab 1926 arbeitete
Z. auch als Journalist, so z.B. wurde er im April 1927 zum „Schriftleiter“ der
›Kärntner Monatshefte‹ bestellt (Freie Stimmen, 4.4.1927). 1928 trat er der
paramilitärischen Formation Steirischer Heimatschutz (unter
dem Kommando von W. Pfrimer) bei und begann sich politisch zu exponieren;
bereits 1929 wurde er Sekretär der Bundesführung der Heimwehren und ab
1930 im sog. Heimatblock, der von Mussolini mitfinanzierten politischen
Wahlbewegung der Heimwehren, tätig, der bei den Wahlen im Nov. 1930 etwa 6% der
Stimmen erzielen konnte.
Literarisch trat
Zernatto erstmals 1930 mit einer Novelle in einem Sammelbd. junger österr. Schriftsteller
in Gesellschaft mit F. Schreyvogl und K. H. Waggerl im Staackmann
Verlag an die Öffentlichkeit. Kurz darauf wurde ihm der Lyrik-Preis der Zs.
›Die Kolonne‹ (Dresden) für Gedichte zugesprochen, die noch im selben Jahr in
einem Bd. erschienen, der Z. endgültig als eigenständige Stimme etablierte,
in Gelobt sei alle Kreatur. Z.s. politische Ausrichtung stand
offenbar Kontakten mit den sozialdemokrat. Bildungsinstitutionen nicht im Wege:
im Okt. 1930 las er z.B. in der VHS Ottakring aus eigenen Werken und
wurde dabei von Th. Kramer vorgestellt. In der Zs. des Österr. Alpenvereins
erschien zwischen Jänner 1931 und Februar 1932 der Roman Der Weg über
den Berg als Fortsetzungsroman, und Radio Wien nahm Zernatto-Ged.
fortan regelmäßig in sein literar. Sendeprogramm auf. Diese Resonanz führte
wohl dazu, dass Z. 1932 in den Reclam- Deutscher Almanach für das Jahr
1933 mit zwei Ged. aufgenommen wurde. Im Febr. 1933 trat er gem. mit
F. Brügelgeb. am 13.2.1897 in Wien - gest. am 4.7.1955 in London; Schriftsteller, Bibliothekar, Historiker, Volksbildner Ps.: Du..., F. Th. Csokorgeb. am 6.9.1885 in Wien - gest. am 5.1.1969 in Wien; Schriftsteller, Kritiker, Dramaturg, Regisseur Aus einer gutb..., O.M. Fontana, Josef Luitpolt u.a. im
Zuge einer Urania-Lesung an die Öffentlichkeit, im Nov. desselben Jahres mit
dem Vortrag Mensch und Zeit in Radio Wien, auf den O.
Koenig in der AZ verhalten kritisch reagierte. Im Okt. 1933
erschien schließl. der zweite bed. Gedichtband Die Sonnenuhr,
diesmal im Staackmann-Verlag. 1934 wurde Z. wieder (kultur)politisch stärker
tätig, u.a. durch die Ernennung zum Mitglied des ›Bundeskulturrates‹ in der
autoritär-ständestaatlichen Regierung. Im Juli 1934 übernahm Z. die Leitung des
Magazins ›Die moderne Welt‹, in der er auch selbst Beiträge veröffentlichte,
vorwiegend Texte zum Verhältnis Mensch und Landschaft aber auch über die
hochbegabte Roswitha Bitterlich (1920-2015). Auch in der Anthologie Österreichische
Lyrik der Gegenwart (Saturn VerlagGegründet im März 1926 (gem. Anzeige in der Österreichischen Buchhändler-Correspondenz) von Fritz Ungar (ab 1939 im ...) war er vertreten; er wurde ferner
in den Vorstand des ›Kulturbund‹ (NWJ, 6.10.1934) berufen, las wiederholt bei
Veranstaltungen des ›Deutsch-österreichischen Schriftstellerverbandes‹ sowie
des ›Volksbund der Katholiken Österreichs‹. Im Okt. 1934 wurde das Erscheinen
seines Romans Sinnlose Stadt angezeigt, der auch in Form von
Lesungen in Radio Wien vorgestellt wurde. 1935 vervollständigte sich die
Integration Z.s. in den austrofaschist. Kulturbetrieb; er wurde u.a. Beirat der
Kommission für Filmwissenschaft (neben R. Henz u. J. Nadler), war im Vorstand
des ›Katholisch-deutschen Schriftstellerverband Österreichs‹, ferner in allen
Almanachen u. Kalendern vertreten. Radio Wien räumte ihm breiten Raum für
Vorträge u. Eigenlesungen ein, in deren Rahmen er von Erwin Rieger hymnisch
vorgestellt wurde als einer, der „das herbe männliche Kärnten“ würdig vertrete:
seine Gedichte wären zugleich „vom Besten […], was österreichische Lyrik in den
letzten Jahren“ hervorgebracht habe. In einer Darstellung im NWJ unter
dem Titel Ein österreichischer Bauerndichter präsentierte sich
Z. weltgewandt, wies auf den „romanisch-slawischen Einschlag meines Wesens“
hin, nicht ohne das Deutsche als den zentralen zu bestimmen. Als Problemfelder
seiner Dichtung nannte er das Grenzlandproblem, das Verhältnis Mensch und
Landschaft sowie das Zeitproblem. Einflüsse wies er von sich, an anregenden
Lektüren erwähnt er neben der Bibel Th. Haecker, K.-H. Waggerl, K. Hamsun u.
A. Wildgans sowie die Klassiker Goethe u. Kleist, während er die
Repräsentanten der (Wiener) Moderne, einschl. Hofmannsthal u. Rilke als
artistisch und für seine Generation wenig bedeutend, kleinredete.
Im Juni 1936 wurde Z.
nicht nur Generalsekr. der ›Vaterländischen Front‹ (VF), in der er sich für
eine offensive Österreich-Ideologie und die Initiative ›Neues Leben‹ stark
machte, sichtbar etwa in der Einrichtung der ›Österreichischen Länderbühne‹,
die im Schönbrunner Schloßtheater mit einem (unbedeutenden) Volksstück ihre
Tätigkeit aufnahm, sondern war bereits auch schon Staatssekretär der Reg.
Schuschnigg und somit in vielen Feldern der Tages- wie der Kulturpolitik
präsent. In diesen Funktionen führte er Verhandlungen mit dem nationalen und
z.T. schon nationalsozialistischen Lager und versuchte publizistisch
Vereinbarkeiten wie Grenzen zwischen der austrofaschistischen
Österreich-Ideologie und dem NS auszuloten bzw. festzuschreiben. 1937
war Z. vor allem auf der propagandistischen Front der zunehmenden
Infragestellung Österreichs gefordert; mehrere Reden gegen den Defaitismus
sowie gegen Saboteure des Dollfuß-Kurses (!) vor VF-Funktionären, die
zugleich die Schwäche der ständestaatl. Organisationsarbeit und des
austrofaschist. Kurses anzeigen, zeugen davon. Dabei griff Z. ausgiebig auf das
Medium Radio zurück, etwa in Form von sonntäglichen ‚Bundesappellen‘ der VF.
Im Zuge der letzten Regierungsumbildung am 16.2.1938 avancierte Z. vom
Staatssekr. zum Minister für die VF, womit Schuschnigg, wie die
Zeitungskommentatoren festhielten, die enge Verbundenheit zwischen der
Regierung und der VF auch nach außen hin signalisieren wollte. Z. war
dabei keineswegs ein parteifreier Minister. Seine letzte Radioansprache datiert
vom 9.3. 1938, gem. mit K. Schuschnigg; unmittelbar nach dem ›Anschluss‹
flüchtete Z. aus Österreich und traf über Ungarn, Jugoslawien und Italien im
Frühherbst in Paris ein. Dort versuchte er in kathol. Exilkreisen Fuß zu
fassen, veröffentlichte Die WahrheitBereits 1895 vom Kantor der sephardischen Gemeinde in Wien, Jakob Bauer, vor dem Hintergrund des anwachsenden Antisemiti... über Österreich(1938,
frz. Typoskr. 1939) und anlässl. des Jahrestages des Anschlusses im
konservat. Le Figaro auch einen Beitrag über das Ausbleiben
des Widerstands und bekannte sich dabei nachdrücklich zu Dollfuß. 1940 gelang
ihm die Flucht in die USA, wo er ab 1941 an der Fordham University
Politikwissenschaft unterrichtete und umstrittene Beziehungen zu O. v. Habsburg
und seinen Exilaktivitäten unterhielt. 1943 verstarb er infolge
eines Herzinfarkts.
Quellen und
Dokumente
Ein Kind ein Wunder.
In: Moderne Welt 16 (1934), H. 3, S. 12f., Das große VF-Werk
“Neues Leben”. In: Neues Wiener Journal, 2.7.1936, S. 3, Mondnachtlegende.
In: Die Bühne (1936), H. 424, S. 47, Gegen alle Saboteure des
Dollfuß-Kurses! Aktuelle Fragen der österreichischen Politik. In: Neues Wiener Journal, 9.4.1937, S. 3.
Anzeige zu: Die 7 Jungen aus Österreich. In: Anzeiger für den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel (1930), H. 22, S. 136, Ankündigung einer Lesung in der Volkshochschule Ottakring. In: Arbeiter-Zeitung, 31.10.1930, S. 11, Felix Braun: “Gelobt sei alle Kreatur.” In: Arbeiter-Zeitung, 14.6.1931, S. 30, Emil Arnold-Holm: Moderne österreichische Lyrik. Guido Zernattogeb. am 21.6.1903 in Treffen (Kärnten) – gest. am 8.2.1943 in New York; Schriftsteller, Politiker, Exilant Der Sohn ...: “Gelobt sei alle Kreatur”. Erika Mitterer: “Dank des Lebens”. In: Neues Wiener Journal, 5.9.1931, S. 6, Ein österreichischer Dichter. Gespräch mit Guido Zernatto. In: Neues Wiener Journal, 9.10.1934, S. 4, Erwin Rieger: Guido Zernatto. Eigenvorlesung am Sonntag, 12. Mai. In: Radio Wien (1935), H. 33, S. 5, Karikatur der Woche. In: Der Morgen, 6.7.1936, S. 7, Der Aufgabenkreis der neuen Minister. In: Neues Wiener Tagblatt, 17.2.1938, S. 1, Zwei bedeutende Reden. In: Gerechtigkeit, 10.3.1938, S. 5, Die Habsburgerumtriebe in Amerika. In: London Information of the Austrian Socialists in Great Britain (1943), H. 1, S. 2f.
Literatur
Otmar Drekonja:
Erinnerungen an Guido Zernatto. Unbekanntes aus der Schreibtischlade eines
Österreichers aus Kärnten. Klagenfurt 1981; Ders.: Guido Zernatto. In: J.M. Spalek,
J. Strelka (Hgg.): Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd.2: New York.
Bern 1989, 997-1009; Karlheinz Rossbacher: Dichtung und Politik bei Guido
Zernatto. In: F. Kadrnoska (Hg.): Aufbruch und Untergang. Österreichische
Kultur zwischen 1918 und 1938. Wien-München-Zürich 1981, 539-559; Ingeborg
Zimmer: Guido Zernatto, Leben und dichterisches Werk. Diss. Univ. Graz 1966,
Klagenfurt 1970, erw. Neuaufl. 1993; Daniela Strigl: ‚Fremdheiten‘.
Österreichische Lyrik der Zwischenkriegszeit: Jakob Haringer, Theodor
Kramer, Wilhelm Szabo, Guido Zernatto. In: P.-H. Kucher: Literatur und Kultur
der Zwischenkriegszeit. Bielefeld 2007, 179-193, bes. 189f.; Dies.:
Anspruchsvolle Armut? Zur Lyrik von Theodor Kramergeb. am 1.1.1897 in Niederhollabrunn - gest. am 3.4.1958 in Wien; Lyriker Der Sohn eines aus Mähren stammenden jü... und Guido Zernatto. In: Elke
Brüns (Hg.): Ökonomien der Armut Soziale Verhältnisse in der Literatur. München
u. a. 2008, 173-188; Johannes Sachslehner: Guido Zernatto. In: Killy
Literaturlexikon Bd. 12, Berlin-Boston 2011, 649-651.
(PHK)