Tonfilm-Revue

auch: Tonfilm-Operette, Filmrevue

Mit der rasanten technischen und ästhetischen Entwicklung des (Stumm-), vor allem aber des frühen Tonfilms sahen sich nicht nur im deutschsprachigen Raum Regisseure, die zudem Erfahrungen als Bühnenregisseure hatten oder im Bereich der Kleinkunst bzw. des Revuetheaters tätig waren, herausgefordert, Möglichkeiten ästhetisch-medialer Verknüpfungen zwischen diesen Formen auszuloten und experimentell bzw. später auch kommerziell umzusetzen. Ein erster Versuch war auf der Wiener Kinomesse im Sept. 1921 zu sehen: der als Sensation angekündigte Tonfilmsketch Das grüne Licht, in dem ein Bühnensketch mit einer Reihe von Filmbildern kombiniert wurde, um die Zuseher durch Doppelungseffekte zu irritieren. Die Idee stammte von Alfred Deger (auch: Deutsch-German), Regie führte M. Neufeld; das Ronacher-Revuetheater nahm diesen Sketch im Februar 1922 ebenfalls in sein Programm auf. 1923 folgte eine ›Filmrevue‹ (FR) von C. M. Ziehrer unter dem Titel Märchen aus Alt-Wien, die Filmsequenzen mit Rezitationen, Solo- und Operettenvortrag verband, ein Genre, das v.a. den Unterhaltungsaspekt in den Vordergrund stellte. In der Folge wurden mehrere Filme in Wiener Kinos mit dem Attribut Filmrevue als besonders unterhaltsam beworben. Dies traf u.a. auf die sog. Deutschmeister-Filmrevue zu, in der Filmbilder mit Vorträgen und Tanzeinlagen abwechselten oder auf die FR Wien bleibt Wien der Sascha-Film mit Tanzeinlagen von G. Geert, die im Mai 1926 auf der Rolandbühne zu sehen war. In einem Bericht der Zs. Der Filmbote (FB) wurde zudem die These vertreten, dass in Pariser Kinos das Genre der Filmrevue besser angenommen werde, als jeder andere Film (FB, 17.6.1926, 5). 1927 wurde die „prachtvoll ausgestatte Filmrevue“ Die Frauen von Folies Bergéres angekündigt, in der sowohl Josephine Baker als auch die Tiller Girls auftraten (Kino-Journal 21.5.1927, 34), die im Juni bzw. im Sept. auch in anderen Städten, u.a. in Graz und Klagenfurt, zu sehen war (Grazer Tagbl., 14.6. 1927 bzw. Freie Stimmen, 30.9. 1927). Josephine Baker bildete auch den Mittelpunkt einer Revue, die parallel zu ihrem Wien-Gastpiel in Graz und Linz unter dem Titel Die Königin von Paris als FR in den Kino-Nachtprogrammen angeboten wurde (Grazer Tagbl. 22.3.1928, 10). Auch im Rahmen der Schubert-Zentenarfeiern 1928 kam eine spezielle Schubert-Filmrevue unter dem Titel Franz Schubert und seine Zeit zur Vorführung. Je mehr FR auf den Markt kamen, desto trivialer wurden die Stoffe, wie insbesondere die Filmkritiken im linken Lager anmerkten, z.B. auch die Rote Fahne anlässlich der FR Die Saxophon-Susi oder das Kleine Blatt über die „Schmutzfinkerei“ ….wenn »Götz« befiehlt. In einer von A. Rundt im Prager Tagblatt koordinierten Rundfrage über die Aussichten des Stummfilms äußerte sich u.a. B. Viertel zuversichtlich über das Entwicklungspotential der Filmoperette und der Filmrevue, weniger dagegen über den Tonfilm als reinen Tonfilm. Es ist immerhin auffällig, dass nicht wenige der frühen US-Tonfilme ab 1927/28 und der deutschsprachigen ab 1929 sich als (Ton)filmrevuen bezeichneten, d.h. Elemente von Bühnen- , Tanz- und Revueästhetik bzw. -Revuepraxis in die Filme aufnahmen, z.B. in den Tonfilmrevuen Apollo, Apollo, in der deutschen Adaption von Show Boat unter dem Titel Tanzbeine aus Hollywood oder in Der Jazzkönig. F. Porges, der die amerikanischen Vorlagen dieser Tonfilmrevuen eher distanziert betrachtet, lobt die deutsche Bearbeitung, etwa im Fall von Apollo, Apollo durch A. Berger und S. Bernfeld sowie filmtechnisch die Fototricks und choreographisch die Verbindung aus Film und Tanzeinlagen. Auch der renommierte Musikkritiker H. Heinsheimer attestierte in seinem durchaus skept. Beitrag Opernfilm? der Apollo-Revue (urspr. eine Fox-Revue), dass sie „kühn konstruiert“ gewesen wäre und führte sie neben der Liebesparade von E. Lubitsch als geradezu musterhafte an (Der Tag, 21.1.1931, 2). Auf große Resonanz stieß 1930 auch die Metro-Hollywood-Revue im Gartenbaukino; nur F. Rosenfeld konnte ihr trotz Stars wie Buster Keaton, Stan Laurel und Oliver Hardy, welche wenigstens „eine lustige Kabarettszene“ spielten, ihr wegen ihrer sentimentalen Lieder und kitschigen Romeo- und Julia Aufnahmen wenig abgewinnen (AZ, 27.4.1930, 18).

So rasant und vielversprechend der Aufstieg des Genres verlief, so rasch holte ihn die Krise und der nachfolgende Absturz, beginnend bereits 1931 wie ein Beitrag in der Ztg. Der Tag über den bevorstehenden Tod der Revue deutlich macht, ein: eine Umfrage der Zs. Mein Film mit angegebenen 9000 Rückmeldungen ergab zu Jahresbeginn 1932, dass nur mehr knapp 40% den Musikfilm und die Filmoperette präferierten, während sich gut 60%  für den (ernsten) Sprechfilm und den literarischen Film aussprachen. Die Tonfilmrevue schnitt bei dieser Umfrage am schlechtesten ab. Auch aus anderen Gründen traf die Produktion solcher Film-Revuen auf Schwierigkeiten, nämlich wegen der Devisenbeschränkung, die hier v.a. die österreichisch-deutsche Kooperation in der Film- und Theater-Produktion betraf (so auch ein Bericht im Abend vom 17.3.1932, 3). Wohl kündigten Fox und Universal für 1933 neue Tonfilmrevuen an, doch in den österr. Kinos bzw. auf den adaptierten Revuebühnen wurden in diesem Jahr keine weiteren Produktionen gezeigt. Ab 1934 erlebte allerdings das Genre der Tonfilmoperette, offenbar kompatibel mit der Kulturpolitik des Ständestaates (einschließlich seiner Toleranz für das Banale) eine neue Blüte; R. Stolz verkündete in einem Beitrag in Mein Film z.B., dass dieses Genre überhaupt „aus Wien stammt“. Kennzeichnend sei hierfür eine spezifische Musikalität und Komplexität, sichtbar z.B. in Frühlingsnächte in Nizza (mit dem Wr. Star-Schauspieler W. Forst), Polenblut, Schön ist es, geküßt zu werden u.ä.m. Diese Tendenz setzte sich auch 1935 und 1936 fort, etwa mit Tonfilmoperetten wie Komteß Stefanie, Zwei Herzen und ein Walzer (1935) oder Das Frauenparadies (1936), um danach allerdings völlig einzubrechen, denn 1937-38 wurden keine weiteren Werke dieses Genres in Österreich gedreht.


Literatur

Henry Porten: Vom Kinotopp zum Tonfilm. Dresden 1932; Thomas Koebner, Dorothe Ott (Hgg.): Musical- und Tanzfilm. = Reclams Filmgenres, Stuttgart 2014; Karin Ploog: …Als die Noten laufen lernten. Geschichte und Geschichten der U-Musik bis 1945. Bd. 1, Norderstedt 2015, 2. überarb. Ausg. 2019.

Quellen und Dokumente

Wiener Kino-Messe-Führer 1921. In: Kinowoche, H. 32/1921, S. 1; Das grüne Licht (Kurzkritik). In: NWJ, 10.11.1921, S. 7; Dass.: (Zeitungsplakat). In: NWJ, 14.9.1921, S. 11; Das grüne Licht (Ronacher-Programm). In: Neues 8 Uhr Blatt, 4.3.1922, S. 4; Märchen aus Alt-Wien (Plakat). In: Das Kino-Journal, 27.1.1923, S. 20; N.N.: Eine Deutschmeister-Film-Revue. In: Die Bühne, H. 66/1926, S. 46; Wien bleibt Wien (Rolandbühne, Kurzkritik). In: Der Tag, 11.5.1926, S. 8; F. Schubert und seine Zeit (Filmrevue-Plakat). In: Das Kino-Journal, 14.1.1928, S. 10; Die Saxophon-Susi (Kurzkritik). In: Die Rote Fahne, 6.1.1929, S. 6; …wenn „Götz“ befiehlt (Kurzkritik). In: Das kleine Blatt, 11.8.1929, S. 13; A. Rundt: Ist der stumme Film tot? (Rundfrage) In: Prager Tagblatt, 17.10.1929, S. 3; F. Porges: Tonfilmrevue im Apollo-Theater. In: Der Tag, 29.11.1929, S. 4; F. Cleve: Der Jazzkönig. In: NFP, 7.10.1930, S.9; H.O.H.: Tanzbeine aus Hollywoood (Fox-Parade). In: NWJ, 20.11.1930, S. 14; Metro-Hollywood-Revue; (Pressestimmen). In: Das Kino-Journal, 17.5.1930, S.11; Stirbt die Revue? In: Der Tag, 20.1.1931, S. 6; Tonfilmfortschritt und Publikumsgeschmack (Umfrage). In: Mein Film, H. 314/1932, S. 6-7; R. Stolz: Wiener Tonfilm-Operette. In: Mein Film, H. 448/1934, S. 5.

(PHK)