Trebitsch, Siegfried

geb. am 21.12.1868 (nach anderen Quellen 1869) in Wien – gest. am 3 6.1956 in Zürich; Schriftsteller, Übersetzer, Publizist

Der Sohn, den Malvine T. in die Ehe mit Leopold T., einem bedeutenden Seidenfabrikanten der k.k. Monarchie u. begnadeten Schachspielers einbrachte, wuchs gemeinsam mit seinen Brüdern Heinrich, Rudolf, Oscar und Arthur zunächst im Umfeld der Handelstätigkeiten seinen Stiefvaters auf, der ihn auch, trotz jüd. Herkunft, areligiös prägte. 1903, im Zuge eines Reisejahres durch Westeuropa und Nordafrika, lernte Trebitsch G.B. Shaw kennen und offerierte sich ihm als Übersetzer seiner Stücke. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits durch novellist. Erz. in der Zs. Die Wage hervorgetreten sowie durch Übers. von Einaktern u. Possen von Georges Courtelin, u. a. dessen Boubonroche, das am Neuen Deutschen Theater in Prag 1902 seine Erstauff. erlebte. Für die Spielsaison 1902-3 erwarb das Raimundtheater die erste Shaw-Übersetzung von T.: das Schauspiel The Devils DiscipleDer Teufelskerl, das im Feb. 1903 aufgef. wurde. Mit der Übers. des Dramas Le Voile (1894), hervorgegangen aus dem symbolist. Roman Bruges-la-morte von Georges Rodenbach, erlebte T. unter dem Titel Die tote Stadt 1903 in Berlin zwar einen Misserfolg; daraus erwuchs aber eine freundschaftl. Zusammenarbeit mit dem Komponisten Erich W. Korngold, der es 1920 zu einer erfolgreichen lyr. Oper vertonte. Im selben Jahr kam noch das Schauspiel Candida in der Übers. von T. zur Aufführung, dem in den Folgejahren zahlreiche weitere nachfolgten. 1907 heiratete er die vermögende Witwe des russ. Großfürsten Antoinette Engalitscheff. Anlässl. der Verleihung des (mit H. Eulenberg geteilten) Preises für die beste Novelle des Jahres 1908 durch die Berliner Zs. Morgen berichtete das NWJ, dass T. bereits mehrere Bücher veröffentlicht habe, so z.B. Genesung u.a.m.

Aus: Österreichische Illustrierte
Zeitung, 10.4.1910, S. 20

Zwischen 1907 u. 1914 bewohnte er zugl. mit St. Zweig dessen Wiener Wohnung, wo ein gemeins. Arbeitsraum bestand. Im April 1908 kam es zur dt. Erstauff. von Shaws The Filanderer unter dem Titel Der Liebhaber im Dt. Volkstheater. 1909 ersch. im Merker ein Vorabdr. von Blanco Posnets Erweckung, die dann im März 1910 in Prag erstaufgeführt wurde. Im renomm. Insel Verlag erschien ebf. 1910 T.s. histor. Novelle Des Feldherrn erster Traum. Für sie erhielt er (zugleich mit: Fr. Adler, F. Salten, J. Wassermann) 1912 auch den Bauernfeldpreis. Das halbe Preisgeld (500 Kr.) ließ er dem Lyriker A. Petzold zukommen (Brief abgedr. in der AZ), die andere Hälfte übergab er der Berliner Kleiststiftung. Im Winterspielplan des (Hof)Burgtheaters war zudem sein Schauspiel Ein Muttersohn angekündigt, nachdem im März das Shaw-Stück Cäsar und Kleopatra in T.s. Übertragung zur Aufführung gelangt war. Im Sept. 1912 spielte das J. Strauß-Theater wiederum Fannys erstes Stück. Das Jahr 1913 stand schließlich neben weiterer Shaw-Präsenz im Zeichen eines Ehrenbeleidigungsprozesses, den sein Bruder Arthur, ein rabiater Antisemit, gegen ihn anstrengte u. verlor. Wenige Monate danach legte A. T. ein Büchlein unter dem Titel Der Fall Ferdinand Gregori und Siegfried Trebitsch in München vor während S.T. seither auch in Arbeiterbildungsvereinen mit Vorträgen bzw. Lesungen auftrat. 1914 war er auch in der von der Zs. Der Sturm (H. 198/1914) scharf kritisierten Zs. Der Turmhahn, hg. von K.H. Strobl, mit Beiträgen zu einer Form von Humor vertreten, den der Sturm als Anschlag auf die Kunst verurteilte; im Okt. 1914, bereits im Kriegspressequartier tätig, unterstützte er die Aktion Ansichtskarte Kriegsjahr 1914; in der Spielsaison 1914-15 des Dt. Volkstheaters kam T.s. Schauspiel Gefährliche Jahre zur Auff., das kritisch u. eher abfällig („ein Schreibtischtalent“) aufgenommen wurde. Für 1915-16 kündigten es zwei weitere Komödien Shaws sowie das Apollo-Theater Shaws Die große Katharina in der Bearb. von T. an. Diese Shaw-Präsenz hielt während der Kriegsjahre ungebrochen an, allein 1918 wurden vier Stücke in Wiener Theatern gespielt darunter Frau Warrens Gewerbe in den Kammerspielen mehr als 75 Mal.

1918 erschien auch T.s. erster Roman Spätes Licht bei S. Fischer. Auch 1919-20 war das Theaterprogramm vom Gespann Shaw-Trebitsch mitgeprägt, u.a. von Kapitän Braßbounds Bekehrung (Dt. Volkstheater), Candida und Pygmalion (Burgtheater), wo auch das eigene Stück Frau Gittas Sühne (1917, UA, Berlin) zur Auff. angenommen wurde u. 1921 auch von anderen österr. Theatern (z.B. in Klagenfurt), aber auch in Berlin mit Erfolg (T. „ein moderner Marlitt der Schaubühne“) übernommen wurde. Zudem veröff. er wieder einen Band Novellen Die Frau ohne Dienstag, die H. Menkes im NWJ besprach. T. befasste sich aber nicht nur mit Shaw u. dem Theater; anlässl. des Besuchs von Barbusse in Wien im Okt. 1921 veröffentl. er ein essayist. Bekenntnis zu dessen Kampf „gegen jede Gewalt“. 1920 nahm T. die tschech. Staatsbürgerschaft an, lebte aber weiterhin v.a. in Wien. Seine nächste eigene Komödie, Die Geliebte, kam im Dt. Volkstheater 1923 schlecht an, blieb aber mehrere Monate auf dem Spielplan, während seine Shaw-Übertragungen auf nahezu allen Theatern Erfolge feierten und oft länger als ein Jahr am Spielplan standen wie z.B. Der Arzt am Scheideweg oder Pygmalion. Im selben Jahr brachte die Zeitung Der Tag ab 7. September seinen Roman Das Haus am Abhang als Fortsetzungsroman zum Abdruck. Anlässl. der Auff. des Stücks Die heilige Johanna durch M. Reinhardt in Berlin nahm Shaw 1924 ausdrücklich den Übersetzer in Schutz; in Wien verantwortete die Insz. desselben Schauspiels Karlheinz Martin. 1925 druckte die Bühne ein Bekenntnis Shaws zu seinem Übersetzer Trebitsch ab, aus dem hervorgeht, dass T. ihm, Shaw, geholfen hätte, durch die Erfolge auf deutschsprach. Bühnen die erfahrene Geringschätzung des Londoner Publikums zu kompensieren. Ähnlich äußerte sich F. Salten 1926 zum Verhältnis zwischen Shaw und Trebitsch. 1927 setzte T. wieder mit einem Novellenbd. Der Geheilte (S. Fischer) nach, aus dem eine, Die Assistentin, zuvor in der NFP vorabgedruckt worden war. Ab Ende Okt. 1928 erschien in der NFP der Roman Renate Altwingen als Fortsetzungsroman; 1929 legte T. das Drama Kaiser Diokletian vor, das im Rahmen der Feier zum 60. Geburtstag, die ihm der PEN-Club im Dez. 1929 ausrichtete, zum Vortrag kam. In der begleitenden Rede würdigte es R. Specht als poetolog. Bekenntnis u. eindrucksvolle dramat. Leistung.

Aus: Neues Wiener Journal, 9.4.1927, S. 4

1930 konsolidierte sich die bereits seit Jahren existierende Zusammenarb. mit M. Reinhardt, der im Theater in der Josefstadt Shaws Kaiser von Amerika inszenierte, das in der konservat. Presse wie der Reichspost als demokratiekritisches Stück (miss)verstanden u. gefeiert wurde, während z.B. J. Bauer darin eine (bewusst) hintergründig „politische Extravaganz“ im Morgenerblickte. 1930 legte er einen die „Grenzbezirke der Seele“ explorierenden Roman, Mord im Nebel vor, der u.a. wegen einer „fast wissenschaftlichen Sachlichkeit“ (NWTBl.) interessiert aufgenommen wurde. 1930-33 kamen Shaws Werke in der Übers. von T. wiederholt auch im Radio als Radiostücke zur Aufführung, z.B. 1932 Die große Katharina in der Insz. von I. Schmith, 1933 der Einakter Die schwarze Dame der Sonette, insz. Von L. Unger oder die Komödie Messallianz. In den Debatten um den Fortbestand oder die Auflösung des Österr. PENnach der Spaltung in Ragusa/Dubrovnik war T. einer der Sonderberichterstatter in der Londoner Zentrale. Im Unterschied zu R. Neumann habe er dabei eine resignative Position bezogen, so der Bericht im NWJ.

Nach 1933 ging die Präsenz Shaws auf den Wiener Bühnen, die zuvor meist jährlich rund zehn Stücke auf allen Bühnen angeboten hatten, sichtbar aber nicht gänzlich zurück u. damit auch die Rolle T.s. als Vermittler des engl. Dramatikers. 1934 war gerade noch Helden als Neuinsz. in der Josefstadt angekündigt, 1935 die Komödie Eltern und Kinder in der Inszenierung von Heinrich Schnitzler im Dt. Volkstheater sowie eine Auff. des Pygmalion im Wiener Dialekt im Raimundtheater u. eine Radiofassung von Candida, – überhaupt das meistgespielten Stück Shaws nicht nur in Wien, sondern im deutschsprach. Raum zwischen 1918 und 1933. Im Jahr 1935 erschien der Roman Heimkehr zum Ich bereits im Exilverlag Reichner in Zürich, was anzeigt, dass T. in DL nicht mehr veröffentlichen konnte. 1936 kam es allerdings wieder zu einer (Welt)Uraufführung eines Shaw-Stücks in der Übers. von T. u. zwar von Die Millionärin am Akademietheater. 1937 legte er bei Beermann-Fischer (Wien) den Roman Der Verjüngte vor u. verhandelte in New York über Filmrechte an seinen Texten. Für den 15.3.1938 war eine Eigenlesung in Radio Wien angekündigt; T. flüchtete jedoch nach einer Polizeikontrolle und Requirierung seines Autos über Prag nach Paris, erhielt dort noch 1939 auch die französ. Staatsbürgerschaft u. emigrierte im Aug. 1940 in die Schweiz weiter, wo er bis zu seinem Tod lebte. Trebitsch gilt trotz mancher zeitgenöss. Kritik als wichtigster Shaw-Übersetzer ins Deutsche; die Shaw-Ausgabe bei Suhrkamp verwendet seine Übertragungen.


Werke

Das verkaufte Lächeln (1905); Maximum (Nov., 1931), Mein ist die Rache. Erz. (1934, letzter bei S. Fischer ersch. Bd.); Die Dritte. Geschichte eines Herzens (1936); Chronik eines Lebens (1951)

Quellen und Dokumente

Nachlass: Zentralbibliothek Zürich

Literatur

Samuel A. Weiss: Bernard Shaw’s Letters to Siegfried Trebitsch (1986); Barbara Pfeifer: A Dramatist for All Seasons: Bernhard Shaw in Vienna 1933-45. In: SHAW. The Annual of B. Shaw Studies, 2007, 105-117.

(PHK)