Sternberg, Julian

Geb. 8.11.1868 in Wien, gest. 28.6.1945 in Havanna (Cuba). Theater- und Literaturkritiker, Redakteur, Anwalt

Der Sohn eines Bankbeamten studierte nach Absolvierung des Gymnasiums ab 1887 Jus an der Universität Wien, wo er 1895 zum Dr. jur. promoviert wurde. Bereits um 1890 wurde Sternberg als Mitarbeiter verschiedener Zeitungen tätig wie z.B. des Wiener Tagblatts oder der Deutschen Zeitung. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft geriet er 1892 ins Visier einer antisemitischen Kampagne, die eigentl. vom nordbühm. Provinzblatt Warnsdorfer Volkszeitung unter dem Titel Die Macher der öffentlichen Meinung losgetreten und von mehreren anderen österr. Ztg. übernommen wurde (Linzer Volksblatt, Deutsches Volksblatt etc.). Seit Ende 1894 war er, nach dem Austritt aus der Dt. Zeitung, die im Juli von der antisemit. Dt. Volkszeitung übernommen wurde, für das Feuilleton des Organs der ‚Produktion‘ (Industrie), ›Die Arbeit‹, tätig. Ab 1898 engagiert sich Sternberg auch in der Journalisten- und Schriftstellervereinigung ›Concordia‹ und tritt in die Lokalredaktion der NFP ein. Ende 1901 war St. wegen eines von ihm in der Breslauer Ztg. veröffentlichten Wiener Briefs über das Stück Der neue Simson sowie damit verknüpfter Herausgeberallüren in einen Ehrenbeleidigungsprozess verwickelt, den Karl Kraus gegen ihn angestrengt hat; ihm folgten in den Jahren bis 1910 verschiedene andere Ehrenbeleidigungsscharmützel mit lokalen Persönlichkeiten. 1908 trat Sternberg aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus (Staudacher, 592); ab 1910 firmierte Sternberg im Herausgeber-Impressum der NFP. Während des Ersten Weltkrieges trat Sternberg nicht besonders in Erscheinung. Im April 1918 nahm er an der Gründungsversammlung des Deutsch-österreichischen Theatervereins teil, dessen Vorstand u.a. so unterschiedliche Persönlichkeiten wie D. J. Bach, W. Brecht, K. Glossy oder O. Kattan angehören sollten. Am 12. Nov. 1918 befand er sich just zu dem Zeitpunkt in den Redaktionsräumen, als die NFP kurzzeitig von der Roten Garde besetzt wurde, wovon er tags darauf im NWTBl. berichtete. Im Juni 1919 verehelichte sich Sternberg mit Blanche Schnitzer, geb. Paris. Seit 1921 (bis 1927) verf. Sternberg Literaturkritik in Form von zirka 200 Buchbesprechungen in der Rubrik ‚Bücher von denen man spricht‘, für die Zs. Moderne Welt. Er war damit ein wichtiger Kritiker und eröffnete seine Karriere mit einem Nachruf auf Th. Rittner oder Buchbesprechungen wie z.B. zur Traumpeitsche von O. Soyka oder Erzählungen von F. K. Ginzkey, 1922 des verqueren Revolutionsromans Die gelbe Fahne von L. Fischmann oder zu Büchern im Umfeld zeitgenöss. Okkultismus-Texte wie z.B. von Paul Busson und Gustav Meyrink. 1923 folgten u.a. die Besprechung von St. Zweigs Amok sowie des neuaufgel. Bd. Die Patrizierin von J. V. Widmann, ferner von F. Saltens „wundersam aufregendes […] Jugendbuch“ Bambi oder E. Lothars Irrlicht des Geistes; 1924 eine Reihe herausragender Texte wie z.B. H. Manns Novellenband Der Jüngling, Th. Manns Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, Turlupin von L. Perutz, J. Wassermanns Der Geist des Pilgers oder F. Werfels Verdi. Sternberg ließ sich aber auch G. Hirschfelds Das Blut der Messalina ein, das er den „Niederungen der Kolportage“ zurechnete, auf Ernst Kleins Romane, für ihn positive Überraschungen sowie auf L. Winders Hugo, der zwar Züge einer „krankhaften Erotik“ trage, aber dennoch eine „starke epische Verheißung“ sei. Unter den Büchern, die in der MW 1925 besprochen werden, ragen, so Sternberg, Schnitzlers Fräulein Else und Th. Manns Zauberberg heraus, ihnen nähert er sich respektvoll und bespricht sie zugleich treffend. Daneben galt seine Aufmerksamkeit, auch seine Kritik, Büchern von Roda-Roda, Paul Bourget, R. J. Kreutz oder den von R. Fülöp-Miller hg. Lebenserinnerungen der Witwe von F. Dostojewski, 1926 neben St. Zweigs Verwirrung der Gefühle, Th. Manns Unordnung und frühes Leid, J. Wassermanns Der Aufruhr um den Junker Ernst und F. Werfels Der Tod des Kleinbürgers wiederum auch Autoren wie Hans Adler, Oskar Jellinek oder Max Scheyer sowie, in krit. Distanz, H. Manns Mutter Marie, J. Galsworthy und seiner Fortsetzung der Forsyte-Saga, S. Lagerlöf oder P. Benoit. Im letzten Jahr seiner Tätigkeit als Literaturkritiker besprach er u.a. Neuerscheinungen von W. Angel, P. Busson, G. Fröschel, Roda-Roda, A. Schnitzler und L. Slezak. Nach dem Ende dieser Tätigkeit für die MW konzentrierte sich Sternberg vorwiegend auf Redaktionsarbeiten in der NFP, wobei er in zahlreiche Presseverfahren verwickelt war. U.a. denunzierte er 1927 den Republikanischen Schutzbund, Kontakte zum jugoslawischen Generalstab aufgenommen zu haben, wurde aber verurteilt, die Richtigstellung durch J. Deutsch zu veröffentlichen. 1930 engagierte er sich aber auch gegen die neue Preßgesetzvorlage (mit Ansätzen einer Vorzensur) durch die Regierung, was ihm Anerkennung über die versch. Lager hinweg, selbst seitens der Roten Fahne, eintrug. 1931 war Sternberg in den Wien-Besuch des Zeppelin-Luftschiffes involviert, den die NFP mitorganisiert hatte; darüber hinaus auch wieder in mehrere Presseverfahren. Eines der kurioseren Verfahren war jenes, das der zuständige Staatsanwalt im Zuge einer Beschlagnahmung gegen ihn einleitete, als Sternberg aus einschlägigen Quellen die dubiosen Kontakte und Putschvorbereitungen des Heimwehr-Majors Papst in einem Artikel anprangerte (s. Der Abend, 30.9.1932,4). Im Zuge der Einführung der sog. Notverordnung im März 1933, welche auch presserechtl. Einschränkungen zur Folge hatte, formulierte Sternberg namens der Concordia schriftl. einen scharfen Protest, der allerdings wirkungslos geblieben ist. 1934-35 trat er außer in seiner Funktion als verantwortl. Redakteur der NFP kaum mehr öffentlich in Erscheinung; 1936 berief ihn BK Schuschnigg in den sog. Standesstrafsenat für Pressewesen, dem F. Funder (Chefred. der Reichspost) vorstand; nach dem Anschluss wurde er aus der Redaktion entlassen und musste sich alsbald aufgr. seiner jüd. Familienherkunft um ein Ausreisevisum kümmern. Ein erster Versuch 1939 misslang, erst (vermutl.) im Sept. 1941 gelang ihm über Barcelona die Flucht nach Havanna.

Quellen und Dokumente:

Anna L. Staudacher: “…meldet den Austritt aus dem mosaischen Glauben…“ Frankfurt/M. u.a. 2009.http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_S/Sternberg_Julian_1868_1945.xml; J. Sternberg: Decadent. In: Die Arbeit, 30.12.1894, S. 7; Der neue Simson vor dem Bezirksgericht. In: Deutsches Volksblatt, 14.1.1901, S. 10; N.N.: Kurze Besetzung der Redaktion der NFP. In: Neues Wr. Tagblatt, 13.11.1918, S. 6; J. Sternberg (J.St.): Thaddäus Rittner. In: Moderne Welt H.3/1921-22, S. 19; J. St.: Otto Soyka: Die Traumpeitsche. In: Moderne Welt, H.5/1921-22, S. 10; J. St.: Zu St. Zweigs Amok. In: Moderne Welt, H. 9/1923, S. 28f.; Zu F. Saltens Bambi. In: Moderne Welt, H. 12/1923, S. 9; Zu E. Lothar: Irrlicht des Geistes. In: Moderne Welt, H.8/1923, S. 28; Drei Romane von E. Klein. In: Moderne Welt, H. 21/1924, S. 20f. Zu L. Perutz: Turlupin. In: Moderne Welt, H. /1924, S. 17; Zu L. Winders Hugo. Tragödie eines Knaben. In: Moderne Welt, H 6/1924, S. 18; . Sternberg: Zu Schnitzlers Fräulein Else und Th. Manns Zauberberg. In: Moderne Welt, H. /1925, S. 21; Zu Wassermanns Aufruhr des Junkers und Werfels Tod des Kleinbürgers. In: Moderne Welt, H.16/1926, S. 23f.; Die faschistische Pressdiktatur. In: Rote Fahne, 26.6.1930, S. 3; N.N.: Protestkundgebung gegen Pressegesetz. In: Der Tag, 26.6.1930, S. 4; Presseprozess gegen Putschisten Papst. In: Der Abend, 30.9.1932, S. 4.

(PHK)