Geb. 2.10. 1864 in Brünn/Brno (k.k. Österreich-Ungarn, heute: Tschechische Republik), gest. 21. 6. 1935 in Wien. Bühnenbildner, Grafiker, Maler, Plakatkünstler.

Der spätere Mitbegründer der Salzburger Festspiele

Materialien und Quellen:

Plakat für die Ausstellung der Secession 1903: hier.

Manfred Wagner: Alfred Roller in seiner Zeit. Salzburg-Wien: Residenz 1996; Hugo von Hofmannsthal/ Alfred Roller/ Richard Strauss: „Mit dir keine Oper zu lang…“ Briefwechsel. Hg. und kommentiert von Ursula Renner und Christiane Mühlegger-Henhapel. Salzburg: Benevento2021.

(PHK, in Vorbereitung)

geb. am 24.1.1889 in Graz – gest. am 7.12.1964 in Wien; Journalist, Kritiker, Schriftsteller

Aus: Das Kleine Blatt, 14.2.1932, S. 21.

R. wurde als Sohn des an der Universität Graz als Physiologe wirkenden Alexander Rollett geboren und besuchte nach mäßigen Noten in der Untermittelschule in Graz das Obergymnasium in Pettau (heute: Ptuj). Nach der Matura studierte R. trotz schwacher Schulleistungen im Sprachunterricht Germanistik und Klassische Philologie in Graz und Prag. Nach der Promotion in Graz Ende 1912 wurde R. Mitarbeiter an August Sauers Grillparzer-Ausgabe in Wien; 1923-25 sollte er mit Sauer im Auftrag der Stadt Wien eine Sammlung der Werke Grillparzers herausgeben. Im Mai 1913 erhielt R. einen Redakteursposten bei der von Karl Glossy geleiteten Oesterreichischen Rundschau. Im Krieg geriet R. in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst Anfang 1921 nach Wien zurückkehrte. Mithilfe Glossys erlangte R. einen Posten bei der amtlichen Wiener Zeitung und fungierte zunächst zudem als Korrespondent mehrerer kroatischer Zeitungen. 1928-31 war R. Leiter der Zs. Der Komödiant des österreichischen Bühnenvereins und 1928-33 Korrespondent der Münchner Zeitung. Anfang 1938 wurde er Leiter der Volkszeitung. Ab 1935 bzw. 1946 war R. Herausgeber der Neuen Österreichischen Biographie (Band 8) und der Reihe Ewiges Wort.

Nachhaltige Bedeutung sollte R. als Redakteur der Wiener Zeitung in den Jahren 1921-38 und 1945-64 erlangen, für dessen Feuilleton er zunächst unter der Führung Otto Stoeßls und ab 1935 als Leiter überwiegend Literatur- und Theaterkritiken sowie literaturgeschichtliche Essays verfasste. Wohlwollend von Karl Kraus, den er in Eduard Castles Deutsch-österreichischer Literaturgeschichte beschrieb, rezipiert, orientierte sich R. anhaltend an der russischen Literatur (vgl. u.a. zu Tairoffs Moskauer Künstlertheater am 18.6.1925, zu Tschechow am 15.7.1926 sowie zu Dostojewski am 8.2.1931), während er dem deutschen Expressionismus gegenüber, etwa Georg Kaiser gegenüber, anlässlich der Inszenierung von Brand im Opernhaus, zunächst eine reservierte Haltung einnahm (8.1.1925). R. rezipierte auch das Musik- und Theaterfest der Stadt Wien 1924 und besprach Paul Frischauers Drama Im Dunkel, realisiert auf der Raumbühne Friedrich Kieslers. Weitgehend unbeachtet blieben dagegen R.s eigene literarische Versuche. Vor allem in der Wiener Zeitung und der Volkszeitung, aber auch in anderen Medien erschienen Feuilletons sowie kürzere und längere Prosatexte wie die Erzählungen Von anderer Art und  Gartengasse, die 1929 bzw. 1932 in Fortsetzungen im sozialdemokratischen Kleinen Blatt zum Abdruck gelangten. Unveröffentlicht blieben die Mitte der Zwanzigerjahre entstandenen Dramen Heimaterde und Die sündige Welt (nach der Musik Fritz Cecerles) sowie der Roman Angela.

Bereits 1933/34 trat R. in Artikeln („Es ist das Gebot der Klugheit für alle österreichischen Bühnen, das auszunützen, was die deutschen, teils freiwillig, teils unter Druck, den künstlichen Kern ihres Bestehens verleugnend, aufgegeben haben.“ – 30.7.1933) wie auch mit Wandzeitungen aktiv gegen den Nationalsozialismus auf; am 10. Juni 1938 wurde er inhaftiert und nach Dachau deportiert. Im Frühjahr 1940 kehrte er nach Wien zurück und wurde mit einem Publikationsverbot belegt. 1945 schloss R. sich wieder der Wiener Zeitung an, gründete mit Viktor Matejka und Leopold Liegler die Kraus-Gesellschaft und wurde Präsident des Verbandes demokratischer Schriftsteller und Journalisten Österreichs. 1946 fungierte R. als Cheflektor des Zsolnay-Verlags und war 1946-1948 literarischer Leiter der Wiener Dependance des Ullstein-Verlags. 1948 führte er die Proteste gegen die (Wieder-)Veröffentlichung Josef Nadlers Literaturgeschichte Österreichs an.

Aus: Wiener Zeitung, 15.5.1928, S. 40.

Werke

Gedruckte Referate: Die Österreichische Gegenwartsliteratur (1946), Der Schriftsteller in der Demokratie (1947), Die schöne Literatur und ihre Widersacher von heute (1948), Festschrift 250 Jahre Wiener Zeitung, darin: Der Theaterkritiker und sein Amt (1953)

Quellen und Dokumente

Arthur Schnitzler. In: Wiener Zeitung, 13.5.1922, S. 2f., Alfons Petzold [Nachruf]. In: Wiener Zeitung, 30.1.1923, S. 3f., Rudolf Hans Bartsch. In: Wiener Zeitung, 10.2.1923, S. 3, Stefan George. In: Wiener Zeitung, 19.5.1923, S. 3f., W.U.R. Ein utopistisches Kollektivdrama. In: Wiener Zeitung, 11.10. 1923, S.1-2; Premiere auf der Raumbühne. In: Wiener Zeitung, 4.10.1924, S. 5, Musik- und Theaterfest 1924. „Der Knecht“ von Richard Billinger. Uraufführung im großen Konzerthaussaale. In: Wiener Zeitung, 15.10.1924, S. 4, Aus vierzig Jahren Feuilleton. Die Literatur und ihre Betrachtung in der „Wiener Zeitung“ 1888 bis 1928. In: Wiener Zeitung, 15.5.1928, S. 40-44, Fontanes Gegenwart. Zu seinem 30. Todestag am 20. September. In: Wiener Zeitung, 20.9.1928, S. 1f., Graz. Der Glückwunsch eines Abtrünnigen. In: Wiener Zeitung, 29.9.1928, S. 4-6, „Komödie“. „Oktobertag.“ Von Georg Kaiser. In: Wiener Zeitung, 30.11.1928, S. 9Peter Altenberg. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages. In: Wiener Zeitung, 8.1.1929, S. 1f., Von anderer Art. In: Das Kleine Blatt, 11.8.1929, S. 15 bis 26.8.1929, S. 9, Gartengasse. In: Das Kleine Blatt, 14.2.1932, S. 21 bis 29.2.1932, S. 5, Rußlandbücher aus Vergangenheit und Gegenwart. In: Wiener Zeitung, 9.11.1932, S. 1-3Rudolf Brunngraber. In: Wort in der Zeit 6 (1960), H. 3, S. 7-15.

Literatur

Karin-Heidi Hackenberg: Der Kritiker, Journalist und Schriftsteller Edwin Rollett. Ein Beitrag zur Wiener Theaterkritik im 20. Jahrhundert (1985).

(ME)

Geb. 3.11.1906 in Wien, gest. bzw. ermordet am 4.4.1944 im KZ Auschwitz. Violinistin; Leiterin des Frauenorchesters in Auschwitz-Birkenau.

Alma Rosé wurde in eine hochmusikalische Familie geboren; ihr Vater Arnold (geb. als A. J. Rosenblum in Iasy) avancierte nach seiner Übersiedelung nach Wien und dem Studium der Musik zum Konzertmeister der Hofoper und danach der Wiener Philharmoniker, gründete das renommierte Rosé-Quartett u. leitete die Uraufführung der Verklärte[n] Nacht von A. Schönberg, der zugleich Almas Onkel war. Unterricht erhielt sie von ihrem Vater sowie von O. Sevčik [1852-1934] und galt als eine der großen Begabungen jener Zeit. Ihr Debüt im Großen Musikvereinssaal am 17.12.1926 bestätigte dies nicht nur, sondern geriet zu einem Triumph. Zehn Tage zuvor war sie bereits erfolgreich in Prag mit dem Violinkonzert von Tschaikowski in Erscheinung getreten (Prager Tgbl., 9.12.1926,5). Sie wurde ins Ensemble der Symphoniker aufgenommen und ab 1927 war sie daher auch in zahlreichen Radioübertragungen von Konzerten der Wiener Philharmoniker und der Symphoniker zu hören. Daneben trat sie gelegentlich in Revue-Musikprogrammen im Theater auf, z.B. im Dez. 1927 in der sog. Zeitungsrevue Hoppla wir lieben u.a. neben A. Berg u. G. Werbezirk im Theater an der Wien, und anschließend in der großen Revue Alles aus Liebe von K. Farkas. Mit dieser Revue absolvierte sie im April-Mai 1928 eine Tournee nach Leipzig und Hamburg, blieb aber auch im Wiener Konzertbetrieb weiterhin sehr aktiv. Ende Nov. 1928 lernte sie den tschechischen Violinisten Váša Příhoda [1900-1960] kennen, der zu den Stars der Zunft zählte und heiratete ihn 1930. In den nachfolgenden Jahren ist sie mit ihm oft auf Tourneen in verschiedenen europäischen Ländern, um Gastauftritte zu bestreiten. In Österreich selbst bleibt sie durch Radiokonzerte, z.T. mit ihrem Vater, z.T. als Solistin, präsent sowie durch einige Gastauftritte, so z.B. am 14.2. 1930 mit H. Loewe im Großen Konzerthaussaal (Wien), am 15.10. 1931 in der Grazer Urania oder im Februar 1932 im Ronacher sowie bei den Solistenkonzerten im Musikvereinssaal.

1933 gründete sie, aus Prag nach Wien zurückgekehrt, das Damenensemble ›Wiener Walzermädeln‹, in dem bis zu fünfzehn Musikerinnen mit einem künstlerisch hochwertigen Unterhaltungs- bzw. Kammermusikprogramm mitwirkten bzw. auftraten. Ihre Tournee in zahlreiche europäische Städte Ende 1933 wurde zu einem internationalen Ereignis; selbst im bereits nationalsozialistischen Berlin fand ihr Auftritt, „Kammermusik in höchster Vollendung“ (B.Z./NWJ, 8.10.1933), begeisterte Resonanz. In Wien trat sie zudem im Renz-Varieté im September 1933 mit solchem Erfolg auf, dass die Ravag bereits am 7.9. 1933 sie in ihr Programm aufnahm. 1935 spielte Rosé mit ihrem Orchester auch auf der Bühne bei Filmvorführungen, z.B. im April im Apollo-Kino zum Film Hundert Tage (mit G. Gründgens), 1936 mit dem Quartett ihres Vaters bei den Salzburger Festspielen sowie 1937-38 in Städten wie Baden, Klagenfurt, Linz oder Villach. Bereits im Juni 1938 wird Rosés Wiener Mädeln-Orchester aufgelöst, die Flucht ins Exil unabwendbar. Diese gelingt erst im März 1939 nach London, wo sie sofort im Austrian Center aktiv wird und wohin sie ihren Vater nachholen kann. Die schwierige finanzielle Situation bewog sie, Ende 1939 ein Engagement in Den Haag anzunehmen; nach dem Überfall auf die Niederlande durch die Nazis im Frühjahr 1940 versucht sie, vergeblich, in die USA oder nach Großbritannien zu entkommen, auch eine Scheinehe mit einem Holländer gibt ihr nicht die nötige Sicherheit. Ein letzter Fluchtversuch in die Schweiz endet im Jänner 1943 am Bahnhof von Dijon, und Alma Rosé wurde wenige Monate danach nach Auschwitz deportiert. Dort überlebte sie zunächst die Selektion an der Rampe, wurde als die Violinistin Rosé erkannt und durfte danach das sog. Frauenorchester von Auschwitz aufbauen, wodurch sie ihr eigenes (Über)Leben sowie das der mitwirkenden Frauen eine Zeit lang sichern konnte. Die genauen Umstände ihres Todes nach einem hohen Fieber sind bis heute ungeklärt, klar ist, dass mit ihr eine der bedeutendsten Violinistinnen des 20. Jahrhunderts (sie spielte vor ihrer Flucht eine G.B. Guadagnini-Geige; Nowotny, 65), viel zu früh verstummt ist, zum Verstummen gebracht wurde. Im Haus der Geschichte (Wien) wurde an A. Rosé im Rahmen der Ausstellung „Nur die Geigen sind geblieben“ (Jänner-Mai 2019), kuratiert von Michaela Raggam-Blesch, erinnert.

Literatur:

Anita Lasker-Wallfisch: Ihr sollt die Wahrheit erben. Breslau – Auschwitz – Bergen-Belsen. (Bonn 1997); Richard Newman: Alma Rosé. Wien 1906 – Auschwitz 1944. (Bonn 2003); Ingrid Nowotny: Alma Rosé: Nur die Geigen sind geblieben – Soll es bei diesen resignativen Worten bleiben? In: David. Jüdische Kulturzeitschrift Nr. 122/2019, 62-65. Karin Kirchmayr: Alma Rosé. Die Dirigentin von Auschwitz. In: Der Standard, 20.1.2019. Ausstellungsbericht zu „Nur die Geigen sind geblieben“: OeAW.

Dokumente und Quellen:

Eintrag bei: Wien Geschichte; Fembio; Exilarte.at; hr-inforadio (27.1.2017); Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen.

D’Ora: Alma Rosé (Foto). In: Die Bühne, H. 112/1926, S. 21; P. Stf [Stefan]: A. Rosé spielt. In: Die Stunde, 18.12.1926, S. 8; H. Kanner: Über Rosés Debut. In: Der Morgen, 20.12.1926, S. 8; N.N.: Die Stadttheater-Revue auf Tournee. In: Der Tag, 26.3.1928, S. 3; a.r.: Zwei Sängerinnen und eine Geigerin. In: Der Tag, 16.2.1930, S. 3; p.p[isk]: Solistenkonzert. In: AZ, 21.2.1932, S. 9; (Kurz)Bericht über Konzert der Wiener Walzermädeln in Berlin. In: NWJ, 8.10.1933, S. 27; H.: Zwölf Wiener Walzermädeln auf Reisen. In: NWJ, 8.8.1934, S.7-8; N.N.: Rosé-Quartett. In: Salzburger Volksblatt, 31.8.1936, S. 8; Gastspiel-Ankündigung. In: Linzer Volksblatt, 30.4.1937, S. 7; La vie autrichienne à Londres. A. Rosé im Austrian Center. In: Nouvelles d’Autriche, H. 6-7/1939, S.219.

(PHK)

geb. am 5.12.1902 in Wien – gest. am 27.12.1987 in Sussex (GB); Journalist, Film- und Literaturkritiker

Ps.: Friedrich Feld

Das Porträtmodul von Primus-Heinz Kucher finden Sie hier.

F. R. wurde als erster von drei Söhnen des ursprünglich aus dem slowak.- ungar. Gajary/Gajar gebürtigen Rabbiners Dr. Moritz Rosenfeld und der aus Berlin kommenden Margarete Casparius in Wien geboren und wuchs zunächst im 2. Bezirk (Leopoldstadt) auf. Nach erfolgreicher Matura im Juli 1921 begann er ein Studium der Deutschen Philologie an der Universität Wien, insbesondere bei Eduard Castle, das er aber 1926 aufgibt. Bereits 1922 verfasste Rosenfeld den Großteil der literaturkritischen Beiträge für die sozialdemokratische Monatszeitschrift Bildungsarbeit, meist Sammelbesprechungen quer durch die europäische Literatur, wobei er sich rasch auch als Kenner der französischen und russischen Literatur profilierte und seit 1924 Beiträge mit programmatischen Charakter, etwa Anleitungen Literatur-Vorträgen (z.B. zu Alfons Petzold in den Zss Die Bildungsarbeit (Nr.1/1924) sowie Der Kampf, H.1/1924), verfasste. 1923 trat R. in die Kulturredaktion der Arbeiter-Zeitung ein, wo er auf zwei prominente Förderer, Theoretiker und Praktiker der Kulturpolitik des Roten Wien zählen konnte: auf David Josef Bach sowie auf Otto Koenig. Neben der Literaturkritik begann Rosenfeld ab 1925 in der AZ sich mit dem Film auseinanderzusetzen und avancierte alsbald zum führenden Theoretiker und Kritiker einer proletarischen Filmkunst bzw. Filmpraxis mit seinen über 200 Beiträgen. Dies erfolgte vor dem Hintergrund, dass Wien Anfang der 1920er Jahre rund 170 Kinos mit über 70.000 Plätzen aufwies und das Kino zu einem Phänomen der Massen- und Unterhaltungskultur avanciert war, auf die es zu reagieren galt, insbesondere auf die Trivialisierungstendenz durch die Filmindustrie. Einen Verbündeten fand R. dabei auch in Béla Balázs , der seit 1922-1925 im linksliberalen Der Tag eine ständige Filmrubrik – Der Filmreporter – unterhielt und der wohl prominenteste Filmtheoretiker jener Jahre war, sowie in Leo Lania . R.s. Augenmerk galt dem künstlerisch anspruchsvollen und der sozialdemokrat. Kulturpolitik entgegenkommenden Film: Volksbildung und potentielle Adaption des neuen Mediums für den Klassenkampf an Stelle des Konsums industriell gefertigter Kitsch-Produktion, wobei sein Interessensfeld auch die internationalen Entwicklungen und Leistungen (Chaplin, Clair, Duvivier, Eisenstein, Iribe, Kinugasa, Lang, Pudowkin u.a.) einbezieht. 1926 beschließt der Parteivorstand die Zusammenfassung sozialdemokratisch geführter Kinos zu einer eigenen Gesellschaft: der Kiba, die ihrerseits seit 1928 rasch expandiert, kommerzielle Züge annimmt und deshalb von R. zunehmend und konsequent kritisiert wird. Parallel zur Filmkritik und programm. Filmessays wie z.B. Der Arbeiter und der Film (1929) in der AZ , in der Bildungsarbeit, im Kampf und in der Zs. Die Unzufriedene beteiligt sich R. auch an der einsetzenden Diskussion über den proletar. Sprechchor bzw. Formen des Agitprop-Theaters und verfasst Sprechchor-Texte, z.B. Kerker (1925) oder Die Stunde der Verbrüderung (1928). Zu Beginn der 1930er Jahre wendet sich R. verstärkt literarischen Arbeiten zu, einerseits zu Novellen und legendenartige Erzählungen, die u.a. chinesische (Märchen)Stoffe aufgreifen, wie z.B. der Bd. Aufruhr des Herzens (1932), andererseits Kinderbüchern wie Tirilin reist um die Welt (1929). Und er legt auch seinen wohl wichtigsten Roman Die goldene Galeere (1930) vor, einen „Roman aus der Filmindustrie“ (Untertitel), der die Mechanismen der kapitalistischen Unterhaltungsindustrie und ihrer Indoktrination insbes. junger Schauspieler zum Thema hat, aber auch eine alternative proletar.- künstlerische Vision entwirft, die an Walter Ruttmann und seine Filmarbeit erinnert und den aus Sicht R.s. „schönsten Tonfilm“ Das Lied vom Leben von Alexis Granowski vorweg denkt. Bereits im Februar 1932 verf. R. eine scharfe Kritik an der zunehmend im Geist des NS agierenden UFA am Beispiel des Historienfilms Flötenkonzert von Sansoucci, das den Revanchekrieg gegen Frankreich propagierte, im Oktober 1932 eine Kritik an der Entpolitisierung des Rundfunks unter dem Titel Der Rundfunk und das gute Gewissen.

Im Februar 1934, kurz nach Übernahme der Feuilletonredaktion in der AZ, sah sich R. als exponierter Intellektueller der Sozialdemokratie gezwungen, in die Tschechoslowakei zu flüchten, wo er in Prag als Korrespondent verschiedener Zeitungen bis zu seiner Emigration nach Großbritannien im August 1939 wirkte und nebenher Romane für Zeitungsabdrucke schrieb, z.B. Die Brücke nach Ypsilon (1935), der es sogar zu einer tschechischen Buchveröffentlichung brachte, oder Gelegenheitsarbeiten, u.a. für die Prager Paramount-Niederlassung, übernahm. R. tritt in London dem Austrian Labour Club bei und versucht nach seiner mehrmonatigen Internierung 1940 auf der Isle of Man wieder publizistisch in der Exilpresse Fuß zu fassen, muss sich aber auch mit Fabrikarbeit durchschlagen. Für die überparteil. ausgerichtete Die Zeitung verf. er zwischen 1942 und 1944 Porträts von Regisseuren und SchauspielerInnen, u.a. über G. Garbo, M. Dietrich, E. Stroheim, Lubitsch oder einen Nachruf auf C. Mayer, dem Drehbuchautor epochaler Filme wie Das Cabinet des Dr. Caligari oder Sunrise, für die BBC ist er 1944-46 im Abhördienst und für das Österreich-Programm tätig. Ende 1945 nimmt R. mit O, Koenig in Wien Kontakt auf und beginnt für die AZ wieder Beiträge zu schreiben, 1946 erhält er eine Redaktionsstelle bei Reuters; das verspätete Angebot durch Oscar Pollak, in die Redaktion der AZ zurückzukehren, nimmt R., seit 1947 britischer Staatsbürger, nicht an. Die Beziehung zur AZ verschlechtert sich in den Folgejahren und führt 1954 zum Bruch. Unter dem Pseudonym Friedrich Feld beginnt in den 1950er Jahren seine letzte große Karriere: die eines Kinder- und Jugendbuchautors mit über 200 Texten, von denen zahlreiche international erfolgreich waren wie z.B. 1414 geht auf Reisen (1948) oder Der Regenbogen fährt nach Madagaskar (1950) sowie als Hörspielautor mit über eintausend Sendungen quer durch die europäischen Radiostationen.


Werke

Mitanobu. Eine Legende (1929), Die Toten klagen an (Sprechchor, 1930), Der Goldfasan. DreiLegenden (1933), Chinesische Legenden (1934), Der fliegende Igel (1953), Der Papagei von Isfahan (1960), Der ungeduldige Ibrahim (1962), Ein großer Tag für Annabell (1979); Johanna.Roman (ED 1924, Salzburger Wacht; 2020 Buchausgabe)

Quellen und Dokumente

Kinokultur. In: AZ, 1.1.1925, S. 23f., Die Welt des Films. Dreißig Jahre Kino. In: AZ, 15.8.1926, S. 20, Der Arbeiter und der Film. Vortrag, gehalten am 30. Jänner 1929 im Wiener Radio (Arbeiterkammerstunde). In: Bildungsarbeit XVI (1929), H. 2, S. 17-21, Der Tonfilm. In: Bildungsarbeit XVI (1929), H. 10, S. 134-136.

Literatur

Brigitte Mayr/Michael Omasta (Hg.): Fritz Rosenfeld, Filmkritiker. Wien 2007; Richard Bamberger: Friedrich Feld. In: Ders.: Der österreichische Jugendschriftsteller und sein Werk. Wien 1995, S. 32-39, P.-H. Kucher: F. R./Friedrich Feld – ein Fallbeispiel von Literatur- und Filmkritik, von Kulturprogrammatik und schriftstellerischer Praxis im Roten Wien. In: Konstantin Kaiser et al. (Hg.):Rote Tränen. Die Zerstörung der Arbeiterkultur durch Faschismus und Nationalsozialismus, 83-100 (2017).

(PHK)

geb. am 13.5.1884 in Koryčany (Koritschan, Österreich-Ungarn; heute: Tschechische Republik) – ermordet vermutl. im August 1944 im KZ Auschwitz; Feuilletonist, Kritiker, Schriftsteller, Regisseur, Dramaturg, Schauspieler

Nach erfolgreich absolvierter Matura am Gymnasium in Ungarisch Hradiste, übersiedelte O. Rosenfeld (OR) nach Wien, wo er 1902 ein Studium der Kunstgeschichte und Philologie begann, Theodor Herzl kennenlernte und für Zeitungen u. Zeitschriften, zunächst für das Znaimer Wochenblatt, dann aber auch für die bedeutende Jhdt.-Wende Zs. Die Zeit, Feuilletons zu schreiben begann. Nach der Promotion (Thema: Philipp Otto Runge in der Romantik) im Jahre 1907 (5.7.) widmete er sich ausschließlich seinen literarischen, publizistischen und künstlerischen Interessen. Um 1908 begründete OR zusammen mit Egon Brecher, Hugo Zuckermann und Leo Goldhammer ein jüdisches Ensemble, das im Intimen Theater in der Praterstraße 34 angesiedelt war, um anspruchsvolle jüdische Stücke aus versch. Sprachen auf Deutsch zu inszenieren. In diesem Ensemble wirkte er als Regisseur und Dramaturg, aber auch als Schauspieler mit. 1910 trat er mit einer ersten Lesung (Novellen und Skizzen) in der Jüdischen Lesehalle der Wiener Hochschüler in Erscheinung, traf jedoch auf harsche Einwendungen beim Kritiker der Jüdischen Volksstimme. Dennoch wurde er für den nächsten Lesetermin, gem. mit H. Zuckermann u. Th. Reik wieder eingeladen, offenbar auch deshalb, weil bereits im Juli 1910 sein Roman Die vierte Galerie erschienen und (kontrovers) besprochen worden war. Ab 1911 veröffentlichte er seine Feuilletons u. Erzählungen auch im Pester Lloyd sowie im Merker. 1912 wirkte er u.a. an Leseabenden des Wiener Schriftstellervereins Die Scholle mit, 1913 folgte die Ernennung zum Ltn. d. Reserve, 1915 zum Oberltn. Unter dem Eindruck des Krieges, den er aktiv in einem Infanterieregiment mitmachte, verstärkten sich auch seine zionistischen Interessen. Ersten publizistischen Niederschlag fanden diese in einem Artikel mit dem Titel Balkanzionismus, ferner in der Mitarbeit an der Zs. Esra sowie an der Wiener Morgenzeitung (ab 1919).

1920 erschien der Novellenbd. Tage und Nächte, der ob seiner Eindringlichkeit und prägnanten Sprache („vom Schicksal zerzauste Menschen…“) auf positive Aufnahme stieß und „nordischen Erzählern“ zur Seite gestellt wurde. 1923 veröffentlichte OR gelegentlich in der Wage sowie ab 1924 auch im NWJ, während in der Morgenzeitung 1924-25 die Kunstkritik überwog (u.a. Russische Moderne, Französische Impressionisten oder Einzelausstellungen). Dabei besprach er u.a. das literarische wie zeichnerische Werk von Uriel Birnbaum oder die deutsche Uraufführung des Dybuk auf der Rolandbühne, an der er ein Verwandeln der „jüdischen Bühnendichtung in mißverstandenes Tairoff-Theater“ kritisierte. Im April-Mai 1925 unternahm er eine Bulgarienreise, über die er anschließend Vorträge hielt und Feuilletons verfasste. Tief beeindruckt zeigt sich OR von der Jüd. Volksbühne in der Praterstraße, die (1926) mit einfachen Mitteln und Liedern der aus Kiew gebürtigen Hilda Dulitzkaja (1892-1953) ein rührendes Programm vorzulegen imstande sei. 1927 traf er offenbar L. Pirandello u. veröffentlichte hierzu einen Beitrag über die Zukunft des Theaters. Im selben Jahr übertrug OR den Golem von H. Leivick (1888-1958) aus dem Jiddischen ins Deutsche für eine geplante Bühnenaufführung in den Kammerspielen. 1929 trat er als Leiter der Künstlergruppe ›Die jüdische Harfe‹ in den Künstlerspielen (Theater Reklame) in Erscheinung und wurde Mitarbeiter, dann Redakteur der jüd. Wochenschrift Die neue Welt. Im Zuge des Gastauftritts der Wilnaer Truppe (1930) entwickelte OR gemeinsam mit A. Stein die Idee einer ständigen jüdischen Bühne für dieses Ensemble in Wien, die sich allerdings nicht realisierte. In den Folgejahren bot er Kurse zu Kunstfragen an und erhielt 1932 die Einladung, das Kunstmuseum in Tel Aviv zu reorganisieren, ein Projekt, das, wie viele zu jener Zeit, letztlich nicht umgesetzt wurde. Oskar Rosenfelds Aktionsradius schränkte sich aufgrund der sich ändernden politischen Rahmenbedingungen vielmehr zunehmend ein. 1933 trat er im Zusammenhang mit der ersten deutschsprach. Aufführung von O. Dymows Der Sänger seiner Trauer im Wiener Volksbildungshaus Stöbergasse (5. Bez.) wieder an die ÖffeDer Abendt (Der Abend, 20.11.1933). Bis 1937 war er wohl noch als Vortragender zu kunsthistorischen Themen tätig oder wirkte an Veranstaltungen der Jüdischen Künstlerbühne mit, so 1937 anlässl. ihres 10-jährigen Bestehens. Gemeinsam mit Meisels bereitete er für sie eine jiddische Fassung des Stücks Die Sendung Semaels von Arnold Zweig vor, über dessen Aufführung jedoch nichts bekannt ist. Noch am Tage des Anschlusses (12. März 1938) flüchtete er mit seiner Ehefrau Henriette nach Prag, wo er weiterhin publizistisch tätig blieb und zwar mit Texten bis 1940-1941, welche im Jüdischen Nachrichtenblatt veröffentlicht wurden. Seinen letzten Bericht verfasste OR am 25. April 1941, etwa sieben Monate vor der Deportation in das Ghetto Litzmannstadt/Lodz. Im August 1944 wurde er von dort nach Auschwitz deportiert und vermutlich sofort ermordet.


Weitere Werke

Mendl Ruhig. Eine Erzählung aus dem mährischen Gettoleben (Erz., 1914); Tage und Nächte (Novellen, 1920); Ewige Mutter (Pantomime, 1927, unveröff.) Wozu noch Welt? Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz, hrsg. von Hanno Loewy (1994; engl. Ausgabe: In the Beginning was the Ghetto. 890 Days in Lodz. 2002)

Literatur

Josef FrOskar Rosenfeldar Rosenfeld – 50 Jahre, in: Die neue Welt, H. 164, 17. 5. 1935, S. 2; Sascha. Feuchert: Oskar Rosenfeld und Oskar Singer. Zwei Autoren des Lodzer Gettos. Frankfurt/M. 2004;

Quellen und Dokumente

Eintrag bei: Wikipedia; Literarischer Abend. (Lesung) In: Jüdische Volksstimme, 9.11.1910, S. 3; r.w.: Die vierte Galerie (Bespr.). In: Wiener Zeitung, 6.7.1910, S. 24; O.R.: Balkanzionismus. In: Wiener Morgenzeitung, 4.5.1919, S. 3-4; N.N.: Tage und Nächte (Bespr.). In: Der Montag, 4.10.1920, S. 5; O.R.: Kunstausstellungen (bei Würthle). In: Wiener Morgenzeitung, 9.2.1924, S. 7; O.R.: Kunstausstellungen. Neue russische Kunst. In: Wiener Morgenzeitung, 20.2.1924, S. 7; O.R.: Uriel Birnbaum. In: Wiener Morgenzeitung. 8.6.1924, S. 4; O.R.: Oskar Kokoschka. Ausstellung in der Neuen Galerie. In: Wiener Morgenzeitung, 13.7. 1924, S. 12; O.R.: Eine jüdische Kleinkunstbühne. „Die gildene Pawe“. In: Wiener Morgenzeitung, 9.12.1924, S. 4-5; O.R.: Weib und Weibchen. In: NWJ, 14.12.1924, S, 20-21; O.R.: Der Dybuk. Deutsche Uraufführung an der Rolandbühne. In: Wiener Morgenzeitung, 3.3.1925, S. 3-4; Im Reich des Zaren von Tirnowo. In: Der Tag, 19.4.1925, S. 4;jüdische Volksbühne Volksbühne in der Praterstraße. In: Wiener Morgenzeitung, 3.2.1926, S.3; Luigi Pirandello über die Zukunft des Theaters. Gespräch O.R. mit dem Dichter. In: Der Tag, 8.1.1927, S. 6; Eine stänidge jüdische Bühne der Wilnaer in Wien. In: Der Tag, 11.3.1930, S. 7; Kunstmuseum Tel Aviv. In: Der Tag, 11.9.1932, S. 11; Scholem Alechem-Abend (Ankündigung). In: Die Stimme, 5.1.1937, S.3; H. Marulies über A. Zweigs Die Sendung Semaels (jidd. Bearb. durch O.R.). In: Der Tag, 5.5.1937, S. 8.

(PHK)

Geb. als Jacques R. am 20. 7. 1885 in Wien, gest./ermordet Ende August 1942 oder knapp danach im KZ Auschwitz. Dramaturg, Regisseur, Theaterwissenschaftler.

Nach philosophischen Studien an der Technischen Hochschule Wien (1902-1906) sowie an den Univ. Wien u. Heidelberg (1907-12) besuchte Rosenthal auch die Schauspielschule an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien und erwarb seit 1911-12 Erfahrungen als Dramaturg, zunächst in Mannheim, ab 1913 dann am Deutschen Volkstheater in Wien (bis 1929).

Materialien und Quellen:

Eintrag auf ÖBL;

Schriften u. Werke:

Die Wanderbühne (1922), Zwei Reden von der Not des dt. Theaters ( = Flugschriften des Dürerbundes 203), 1926, Theater im Aufruhr (1932),

(PHK, in preparation)

Geb. 21.8.1897 in Wien, gest. 11.12.1948 in London.

Komponist, (Musik)Kritiker, Exilant

(in Vorbereitung)

Geb. 29.5.1891 in Wien, gest. 25.10. 1985 in Old Tappan/New Jersey (USA); Schriftstellerin, Dramatikerin, Exilantin

Vgl. Eintrag Dr. Hedwig Rossi bei Theodor Kramer-Gesellschaft (Exenberger-Archiv)

geb. am 2.9.1894 in Brody (Galizien, Österreich-Ungarn) – gest. am 27.5.1939 in Paris; Schriftsteller, Kritiker, Essayist

Ps.: Josephus

J.R. wurde in eine jüdische Familie geboren; sein Vater, orthodox chassidischer Ausrichtung u. Getreidehändler, erkrankte bereits früh und lebte von der Familie getrennt auf dem Bauernhof eines Wunderrabbis, eine später mystifizierte Absenz, die R.s. Kindheit und die Situation seiner Mutter nachhaltig belastete. Nach dem Besuch des k.k. Gymnasiums in Brody immatrikulierte sich R. 1913 an der Univ. Lemberg, wo er bei seinem Onkel u. Vormund (S. Grübel) wohnte, um Germanistik u. Philosophie zu studieren u. sich bald mit Spannungen zwischen polnischen u. ruthenischen Studierenden sowie der jüdischen Frage konfrontiert zu sehen. Im Sept. 1913 nahm R. am 11. Zionistenkongress in Wien teil, wou.a. der Beschluss zur Grd. der Hebräischen Universität in Jerusalem fiel, was sein Interesse an Fragen der jüd. Identität, ihren kult. u. polit. Perspektiven zeigt u. seinen Studienwechsel 1914 nach Wien mitbestimmte. Nach anfänglich pazifist. Haltung zum Weltkrieg meldete sich R. gemeinsam mit seinem Jugendfreund Józef Wittlin 1916 als Einjährig-Freiwilliger u. wurde 1917 nach Lemberg versetzt, wo er v.a. im militär. Pressedienst tätig war, den Krieg also in der Etappe kennengelernt hat. Nach seiner Entlassung aus dem Militär Ende 1918 u. der Rückkehr nach Wien versuchte der staatenlos gewordene R. impublizist. Feld Fuß zu fassen, noch vor Kriegsende durch Mitarb. an den von Benno Karpeles gegründeten Zs. Der Friede u. ab April 1919 an der Ztg. Der Neue Tag (mit rund 140 Beiträgen) sowie, mitwenigen, aber interess. Beitr., an der Filmwelt.

Nach Einstellung des Neuen Tag übersiedelt R. nach Berlin, wo er nach Problemen mit der Aufenthaltserlaubnis zuerst Mitarb. der Neuen Berliner Zeitung wird, in der seine Berichte über den polnisch-russischen Krieg von 1920 erscheinen, dann des renomm. linksliberalen Berliner Börsen-Courier (1921-22), dessen Chefred. der aus Prag gebürtige Emil Faktor war. In dieser Phase verstärkt sich seine Sympathie für den Sozialismus, – doch der ›rote‹ Roth, der für den Vorwärts, die Arbeiter Zeitung (AZ), aber auch das Wiener Neue 8 Uhr Blatt und das Prager Tagblatt schreibt, wechselt mit 1.1.1923 zur linksliberal profilierten Frankfurter Zeitung (FZ). Zwischen Okt. und Nov. 1923 erscheint in der Wiener AZ sein Feuilletonroman Das Spinnennetz; die letzte Folge am 6.11.1923 spielt visionär auf den Hitler-Putschversuch in München vom 9.11.1923 an. Im März 1922 heiratet R. Friederike (Friedl) Reichler, die 1926 an Schizophrenie erkrankt. Durch die Aufnahme in den FZ-Kreis, die Freundschaft mit Redakteuren und Kollegen wie Benno Reifenberg, Bernard von Brentano und Soma Morgenstern, avanciert R. zu einem der Starjournalisten in der zeitgenöss. Medienlandschaft, obwohl er 1925 im Feuilleton Die weißen Städte sich als „Journalist aus Verzweiflung“ einführt. Zugleich gelingen ihm mit Hotel Savoy und Die Rebellion (1924) zwei Romane, die ihn auch als Schriftsteller positionieren. 1924 datiert zudem seine Mitwirkung anden satir.-polit. Ztg. Lachen links und Der Drache, für die R. beißende Analysen über den Zustand der Weimarer Republik verfasst. 1925 ist er an der Gründung der ›Gruppe 1925‹ rund um Rudolf Leonhard und Alfred Döblin beteiligt und wird im Mai 1925 zum Paris-Korrespondenten der F.Z. Diese Frankreicherfahrung zählt R. zu den sehr beglückenden seiner Karriere, sie war aber von Konkurrenzneid und Intrigen überschattet; 1926 wird er nämlich von F. Sieburg abgelöst, ins Rhein-Ruhrgebiet und anschließend nach Russland/Moskau entsendet, wo er aufmerksam die veränderten und sich ändernden Verhältnisse registriert. Bereits in Paris entstehen Teile des programmat. Essays Juden auf Wanderschaft (1927 in der von Leo Lania begr. Reihe Berichte aus der Wirklichkeit publ.) u.a. kleinere literar. Texte, in Russland die Idee zu Flucht ohne Ende (1927), ein Roman, der R. als wichtigen Autor der Neuen Sachlichkeit etabliert. Mit diesem Roman verdichtet sich eine Erfahrung, die R.s. Charaktere fortan kennzeichnet: eine tiefe Fremdheit u. Desorientierung, die seine Figuren destabilisieren, verbunden mit einer Absage an „psychologische Konsequenz“ und damit an die Unverwechselbarkeit des einzelnen Individuums, was, so N. Brandeis in Rechts und Links (1929), zu pluralen Identitäten führe: „Nein, man war nicht einer […] Je mehr Gelegenheiten das Leben gab, desto mehr Wesen entlockte es uns.“ 1928 ist R. neuerlich in Polen u. danach in Italien, um über den Faschismus zu schreiben, was in der Redaktion der FZ umstritten ist u. zu Spannungen führt, weil nur wenige seiner Berichte veröffentlicht werden.

Im März 1929 wechselt R., u.a. aus finanz. Gründen, zu den konservativeren, die völkischen Kräfte unterstützenden Münchner Neueste Nachrichten, was ihm harsche Kritik eintrug u. Mitte 1930 wieder zu einer Verständigung mit der F.Z. führt,in der sein Roman Hiob noch vor der Buchausgabe bei seinem neuen Verlag Kiepenheuer erscheinen kann, der in der Folge auch internat. auf Resonanz u. Erfolg stößt. In dieser hochproduktiven Phase entstehen weitere Projekte, u.a. Der stumme Prophet, vertieft sich die Freundschaft zu Stefan Zweig; zugleich ist sie von der Tragödie der Einweisung Friedls in psychiatr. Kliniken (seit Dez. 1933 Am Steinhof /Wien) u. der späteren Trennung geprägt u. belastet. In permanenter Geldnot pendelt R. 1930 bis 1933 zw. Deutschland u. Frankreich, verstrickt sich auch in erot. Abenteuer; trotzdem gelingt ihm 1932 eines seiner Hauptwerke: Radetzkymarsch.

Nach der Machtergreifung durch den NS verlässt R. DL Richtung Paris, wo er sich mit anderen Exilanten einzurichten versucht u. in schwierigen Verhältnissen für das Neue Tage-Buch, das Pariser Tagblatt,aber auch für konservat. österr. Blätter wie z.B. Der Christliche Ständestaat schreibt. Über Hermann Kesten u. Kurt Langhoff kann R. bei Querido und de Lange in Amsterdam neue Verlage finden, wo in rascher Folge Stationschef Fallermayer (1933) bzw. Tarabas (1934) erscheinen. 1936 lernt R. in Ostende Irmgard Keun kennen, die beiden werden ein Paar u. leben bis 1938 in Paris zusammen. Trotz zunehmender Alkohol-Probleme, pessimistischer Feuilletons, überzogener Erwartungen an eine legitimistische Restauration im Zuge seiner Wien- und Budapest-Reisen 1937-38 gelingen R. beachtliche Erzählungen u. Romane, z.B. Das falsche Gewicht (1937), die von ihm lange verzögerte Die Geschichte von der 1002. Nacht (1938), Die Kapuzinergruft (1938) und schließlich 1939 Die Legende vom Heiligen Trinker (1939). Am 23.5.1939 erfährt R. vom Freitod Ernst Tollers, bespricht diesen mit seinem Freund Soma Morgenstern u. bricht daraufhin zusammen. Vier Tage danach, am 27.5.1939, verstirbt R. im Hôspital Necker.


Werke

Der blinde Spiegel (1925); Zipper und sein Vater (1928); Triumph der Schönheit/Die Büste des Kaisers (beide Novellen, 1934); Die hundert Tage (1935); Leviathan (1940); Drei Sensationen und zwei Katastrophen. Feuilletons zur Welt des Kinos. Hg. u. kommentiert von Helmut Peschina u. Rainer-Joachim Siegel (2014).

Quellen und Dokumente

Rundgang um die Siegessäule. In: Prager Tagblatt, 17.3.1921, S. 4, Das neue Heim. In: Prager Tagblatt, 19.7.1921, S. 6, “Professor Einstein liest…”. In: Prager Tagblatt, 22.6.1922, S. 6, Das Spinnennetz. In: AZ, 7.10.1923, S. 17, Die Lage der Juden in Sowjetrußland. In: Arbeiterwille, 26.6.1927, S. 7f.

(Teil)Nachlass: Deutsches Literaturarchiv Marbach bzw. Leo Baeck Institute, Center for Jewish History:

Literatur

Daniel R. Bitouh: Ästhetik der Marginalität im Werk von Joseph Roth (Tübingen 2016); Stéphane Pesnel, Erika Tunner, Heinz Lunzer, Victoria Lunzer-Talos (Hg): J. Roth – Städtebilder. Zur Poetik, Philologie und Interpretation von Stadtdarstellungen aus den 1920er und 1930er Jahren (Berlin 2016); Wilhelm v. Sternburg: Joseph Roth. Eine Biographie (Köln 2009). Webauftritt der Internationalen J. Roth-Gesellschaft inklusive eines Verzeichnisses neuerer Forschungsliteratur (2010-2015). Roth-Verfilmungen in der Übersicht

(PHK)

geb. am 5.12.1892 in Wien – gest. am 22.4.1919 in Debrecen/Ungarn; kommunistischer Revolutionär

L. R. wurde in einer jüdischen Arbeiterfamilie in Wien geboren und erlernte nach dem Besuch der Volks- und Bürgerschule in Wien den Beruf des Schriftsetzers. Mit 17 Jahren schloss sich R. kurzzeitig der jüdischen Arbeiterpartei Poale Zion („Arbeiter von Zion“, 1903-1934) an und engagierte sich in der Folge für den Anarchosyndikalismus, der vor dem Ersten Weltkrieg in Österreich rund 2000 Anhänger fand. R., seit 1910 polizeibekannt, dürfte maßgeblich am Wiener Druckerstreik 1913 mitgewirkt haben und wurde danach erstmals unter Arrest gestellt. Im Weltkrieg zunächst pazifistischer Aktivist und Wehrdienstverweigerer, wurde R. im Feld rasch schwer verwundet und diente frontuntauglich bis zur Desertion im Dezember 1917 in der Hilfsdienstkompanie des Infanterieregiments 49. In Wien trat er bei Treffen des Vereins Karl Marx um Friedrich AdlerMax Adler, Robert Danneberg und Therese Schlesinger auf und knüpfte enge Kontakte zu den Linksradikalen um Franz Koritschoner und Anna Ströhmer. Zugleich engagierte er sich im Verband Jugendlicher Arbeiter.

Am 30. Dezember 1917 wurde durch die Linksradikalen und Anhänger R.s der Arbeiterrat gegründet, dem später auch Johannes Wertheim und Egon Erwin Kisch beitraten. Im Rahmen des Jännerstreiks 1918 trat R. durch mehrere, teilweise mit Koritschoner verfasste Flugblätter in Erscheinung und entzog sich anders als Koritschoner, Wertheim, Friedrich Hexmann, Michael Kohn-Eber und andere zunächst der Verhaftung. R. wurde erst Mitte April 1918 in Ungarn gefasst und ausgeliefert. Am 30. Oktober 1918 aus der Wiener Haft entlassen, veröffentlichte er tags darauf ein Flugblatt, das zur Gründung der Roten Garde aufrief. In Verhandlungen mit Unterstaatssekretär Julius Deutsch erwirkte R. ihre Integration in die Volkswehr. Nach der Spaltung des auf politischen Druck hin sozialistisch dominierten Volkswehrbataillons (VB) übernahm R. als Soldatenrat das VB 41 und ließ seine Mitglieder auf die III. Kommunistische Internationale vereidigen. Die Gründung der KPDÖ im November 1918, die er bereits in Flugblättern im Jänner gefordert hatte, lehnte er wie Koritschoner wegen ideologischer Streitpunkte als verfrüht ab. Sie beide verbanden sich mit Wertheim, Kohn-Eber, Julius Dickmann und anderen zur Föderation revolutionärer Sozialisten „Internationale“ (FRSI), in deren Organ Der Freie Arbeiter R. publizierte. Die FRSI-Mitglieder traten ab Anfang 1919 sukzessive der KPDÖ bei, R., am ersten Parteitag im Februar noch Gastdelegierter, folgte ihnen im März. Bei den Wiener Trauerfeiern für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Jänner 1919 trat R. als Redner in Erscheinung.

Nach der Ausrufung der Räterepublik in Ungarn am 21. März 1919 mobilisierte R. 1.200 Freiwillige, die unter seiner Führung für Bela Kuns Räteungarn in den Krieg zogen. In einer Schlacht mit rumänischen Truppen nahe Debrecen wurde am 22. April von einer Kugel getroffen und tödlich verletzt. In Ungarn als revolutionärer Märtyrer verehrt und in Vámospércs begraben, kritisierte die Arbeiter-Zeitung die unklare Haltung des in den Krieg ziehenden Pazifisten.


Quellen und Dokumente

Leo Rothziegel: Der Syndikalismus in Deutschösterreich. In: Der freie Arbeiter 2 (1919), H. 10, S. 79, Egon Erwin Kisch: Der Kommunist Rothziegel gefallen. In: Der Neue Tag, 25. April 1919, S. 3. Wieder in: E. E. K.: Mein Leben für die Zeitung. 1906-1925. Journalistische Texte 1. Berlin, Weimar: Aufbau 1983, S. 306, N.N.: Für die Räterepublik. Die Kundgebung der Wiener Kommunisten. In: Die soziale Revolution, 26.3.1919, S. 3, N.N.: Der Heldentod Rothziegels. In: Arbeiter-Zeitung, 27.4.1919, S. 6, N.N.: Leo Rothziegel [Nachruf]. In: Die soziale Revolution, 30.4.1919, S. 3, Josef Silbernagel: Erlebnisse und Leiden der Wiener Rotgardisten in Ungarn. Rothziegels Ende. – Das Schicksal seines Bataillons. In: Arbeiter-Zeitung, 18.6.1919, S. 5f., Johannes Wertheim: Die Föderation revolutionärer Sozialisten „Internationale“. Eine Episode aus der österreichischen Arbeiterbewegung 1918/19. In: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung 12 (1926), S. 297-309, Franz Koritschoner: Aus der Zeit der ungarischen Rätemacht. In: Die Rote Fahne, 23.3.1928, S. 5.

Literatur

Hans Hautmann: Leo Rothziegel (1892-1919). Das Leben eines österreichischen Revolutionärs. In: Weg und Ziel 36 (1978), H. 7-8, S. 287-290, H. 9, S. 333-336, H. 10, S. 377-379; H. H.: Die Anfänge der linksradikalen Bewegung und der Kommunistischen Partei Deutschösterreichs 1916-1919. Wien: Europa-Verlag 1970 (= Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft für Geschichte der Arbeiterbewegung in Österreich, Bd. 7); H. H.: Die Revolutionäre. Der Formierungsprozess der Linksradikalen. (Österreich im Epochenjahr 1917, Teil 4). In: Mitteilungen der Alfred-Klahr-Gesellschaft 14 (2007), H. 4, S. 1-6; Peter Broucek, Hannes Steiner: Rothziegel, Leo. In: ÖBL 1815-1950.

(ME)