Mell, Max

geb. am 10.11.1882 in Marburg an der Drau (k.k. Österr.-Ungarn, heute: Maribor/ Slowenien) – gest. am 12.12.1971 in Wien; Schriftsteller, Kritiker

M., Sohn des Juristen Alexander Mell und seiner Ehefrau Marie Rocek, kam bereits 1886 nach Wien, wo er die Schulausbildung absolvierte, im Jahr 1900 maturierte, um danach an der Univ. Wien die Fächer Germanistik u. Kunstgeschichte zu studieren. Er promovierte 1905 mit einer Dissertation über Wilhelm Waiblinger. Ohne einer literarischen Gruppe anzugehören schloss er früh Freundschaften mit Felix Braun, Hugo v. Hofmannsthal, Anton Wildgans u.a. Bereits 1901 publiz. die Wiener Zeitung, dessen belletr. Beilage Wiener Abendpost M. ab 1903 als Mitarbeiter angehörte, sein erstes Gedicht (Das Fest der Träume), 1903 erschien in der angesehenen Wochenschrift Die Zeit die Erz. Die Geschichte des Gärtners und 1904 sein erstes Band Lateinische Erzählungen. Ihnen folgten zwischen 1906-1920 mehrere Novellen- u. Gedichtbde., darunter Die drei Grazien des Traumes bei Insel, die fünf sehr lyrische, der „literarischen Dekadenz“ (WZ, 23.5.1906) als typisch zugeordnete Texte enthielt und auch von F. Braun als „Edelsteine“ begrüßt wurden (NFP, 19.8.1906). Im selben Jahr 1906 war M. auch mit zwei Erz. in S. Jacobsohns angesehener Zs. Die Schaubühne vertreten. Seit März 1907 stand M. in briefl. Kontakt mit H.v. Hofmannsthal, woraus sich nach kurzer Zeit eine tiefe Freundschaft entwickelte. 1908 gelangte im Kunstschau Theater die Pantomime Die Tänzerin und die Marionette zur Aufführung; ihr entsprang auch ein Essay über Grete Wiesenthal. Sein erster Ged.Bd. Das bekränzte Jahr (1911) stieß auf breite Zustimmung. Den Weltkrieg begleitete M. mit patriot. Beiträgen, u.a. mit dem Vorspiel in Kriegszeiten anlässl. der Wiedereröffn. der Theatersaison an der Neuen Wiener Bühne im Sept. 1914, sowie mit Beiträgen in der von Hofmannsthal begr. Reihe Österreichische Bibliothek (1915f.) oder Schriftstellerporträts, z.B. über Stifter (1918). 1916-17 nahm er als Einjährig Freiwilliger in einer Artillerie-Einheit an den Kämpfen an der russ. Front teil, traf im August 1917 nahe Czernowitz auf den dt. Dichter Hans Carossa, mit dem er in eine Korrespondenzbeziehung eintrat. An Ruhr sowie einer Herzneurose erkrankt im Okt. 1917 erkrankt kam M. ins k.u.k. Reservespital Klagenfurt u. musste danach keinen weiteren Militärdienst leisten. So konnte er im Juli 1918 die Stelle eines Burgtheater- und Literaturreferenten beim Wiener Mittag annehmen.

Aus: Arbeiter-Zeitung, 9.7.1922, S. 6

Nach Kriegsende trat er 1919 häufiger mit Franz K. Ginzkey bei Leseabenden auf, kam mit dem Grazer Volkskunde-Prof. Viktor v. Geramb in näheren Kontakt, was seine Legenden- und Mysterienspiele maßgebl. inspirierte u. mit Das Kripperl von 1919 (veröff. 1921, 1932 UA als Radiospiel) zum Durchbruch sowie zur Profilierung als einer der maßgebl. U. repräsentativen kathol. Schriftsteller führte. 1921 veröffentl. er ferner die Idyllen artige und zugl. hart ans Tragische heranreichende Novelle in Versen Die Osterfeier, an der für Hofmannsthal, mit dem es persönlich wie briefl. zu einem intensiven wechselseitigen Austausch über die jeweiligen Werke kam, jeder „kleinste Zug bedeutungsvoll“ war. Im Zuge eines Gastspiels russischer Tänzer am Salzburger Stadttheater kam im August 1921 der bereits 1907 mit mäßiger Resonanz uraufgeführte „pikante Einakter“ Der Barbier von Beriac neuerlich zur Auff.; 1922 folgten in einer Miniaturbibl. zum Wiener Musik- u. Theaterleben, hg. von P. Stefan, ein Bd. über den Bühnenbildner Alfred Roller, aber auch das in der AZ abgedr. Feuilleton Der Brunnen, ein Auszug aus der Novelle Hans Hochgedacht und sein Weib. Im selben Jahr betätigte sich Mell auch als Hg. in der Sammlung deutscher Volksbücher des Wiener Rikola-Verlags (u.a. mit Das Buch von Dr. Joh. Faust) u. arbeitete an Hofmannsthals Deutsches Lesebuch mit. 1923 folgten die beiden Mysterienspiele Das Schutzengelspiel, das mit einiger Resonanz von den Grazer Bühnen in versch. Städten Österreichs aufgeführt wurde sowie Das Apostelspiel(Vorabdr. NFP), das 1924 im Theater in der Josefstadt durch M. Reinhardt inszeniert wurde u. 1925 auch am Programm der Salzbg. Festspiele stand; 1927 wurde dieses Genre durch Das Nachfolge Christi-Spiel zur Trilogie abgeschlossen. Im selben Jahr erhielt M. den Literaturpreis der Stadt Wien (zum zweiten Mal nach 1924), 1929, nach der u.a. von Auernheimer und D.J. Bach gefeierten Burgtheater-Auff. des Nachfolge Christi-Spiels, den renommierten Grillparzerpreis, was dem Stück zu regelm. Auff. in den Folgejahren verhalf. Im Zuge einer Radioauff. kam es auch zu einer Neuausg. des Schutzengelspiels. Am 1.2.1930 hielt M. zunächst einen vielbeachteten Hamlet-Vortrag im Kulturbund u. seine Mysterienspiele wurden an mehreren Theatern inszeniert, das Apostelspiel auch im Rahmen der Wiener religiösen Festspiele. Im selben Jahr legte M. auch wieder einen Ged. Bd. vor, dem u.a. F. Rosenfeld „hochachtbare Religiosität“ u. „ungewöhnliche Bilderfülle“ attestiere.

Aus: Neue Freie Presse, 16.9.1923, S. 1

1931 griff M. mit dem Drama Sieben gegen Theben (UA 1934, Burgtheater) ein schon bei Sophokles gestaltetes Thema der antiken Geschichte auf; trotz guter Verankerung im kathol.-konservativen Kultur- u. Literaturbetrieb und einer Festrede auf Goethe anlässlich der Veranstaltungen zum 100. Todestag im März 1932, wandte sich M. schrittweise völkisch-nationalem Denken und ab 1933 der NSDAP zu. Im April 1933 findet sich M. im Vorstand des Bundes deutscher Schriftsteller Österreichs, dessen Präs. Mirko Jelusich wurde: M. sei, so die AZ (28.4.1933) von der Nachfolge Christi zur „Nachfolge der Fememörder hinübergewechselt“. Als Folge der vom österr. P.E.N. mitunterzeichneten Resolution am Kongress von Ragusa/Dubrovnik (Mai 1933) verließ M. wie andere nationale Autoren den P.E.N. u. war auf der Liste der Unterstützer für A. Hitler zu finden. Zugleich begrüßte er 1934 gem. mit F. Werfel Schuschnigg in einer Huldigungsadresse (so Csokor am 20.8.1934 an F. Bruckner) u. machte Karriere im austrofasch. Ständestaat: bereits 1934 war er Vorsitzender der Jury für den Staatspreis, verkehrt im Kreis um Rudolf Henz und Hans Nüchtern (RAVAG); 1935 folgte das Spiel von den deutschen Ahnen; 1936 wurde er in die Beratungen zur Einrichtung einer österr. Schrifttumskammer durch Guido Zernatto mit einbezogen. 1937 erhielt M. den (NS)-Mozartpreis und war im Bekenntnisbuch österreichischer Dichter zum Anschluss vom März 1938 vertreten. Den 1940 gestellten Antrag auf Aufnahme in die NSDAP zog er zwar vor Ausstellung des Mitgliedsausweises wieder zurück; dennoch arbeitete er im Umfeld der NS-Literaturpolitik eifrig mit (u.a. mit dem Bd. Der Sänger von St. Stephanfür die Soldatenbücherei, 1944), was in den ersten Nachkriegsjahren, als M. wieder dem österr. P.E.N. beitrat und mit ehrenvollen Einladungen und Auszeichnungen bedacht wurde, für manche Irritation sorgte. Er kehrte in sein Metier märchenhafter, dramatisch-volkstümlicher und mysterienartiger Sujets zurück, betätigte sich als Herausgeber (Rosegger, Grillparzer) und verschloss sich jeder krit. Reflexion über seine vielfältigen wie auch problematischen kultur-ideologischen Verstrickungen.


Werke (Auswahl)

Morgenwege. Erzählungen und Legenden (1924); Die Prosa des jungen Hugo v. Hofmannsthal (Hg., 1930); Mein Bruder und ich. Den Erinnerungen eines alten Wieners nacherzählt (1935); Paradespiel in der Steiermark (1936); Das Donauweibchen. Erzählungen (1938); Steirische Heimat (1943), Der Nibelunge Not (1951); Ges. Werke in 4 Bdn. (1962).

Quellen und Dokumente

Das Fest der Träume. In: Beilage zur Wiener Abendpost, 31.12.1901, [zu Oskar Kokoschka] In: Der Sturm (1910), H. 19, S. 151, Adalbert Stifter. Zur fünfzigsten Wiederkehr seines Todestages. In: Neue Freie Presse, 30.1.1918, S. 1-3, Der Brunnen. In: Arbeiter-Zeitung, 9.7.1922, S. 6f.,

N.N.: Die drei Grazien des Traumes. In: Wiener Abendpost, 23.5.1906, S. 5, Hugo von Hofmannsthal: Ein schönes Buch [Rez. zu Die Osterfeier]. In: Neue Freie Presse, N.N.: Ein Dichter des Glaubens. In: Neue Freie Presse, 16.9.1923, S. 1-3, Raoul Auernheimer: M. M. im Burgtheater. „Das Nachfolge-Christi-Spiel“. In: Neue Freie Presse, 22.1.1928, S. 1f., David J. Bach: Kunst oder Tendenz. Das „Nachfolge-Christi-Spiel“ im Burgtheater. In: Arbeiter-Zeitung, 28.1.1928, S. 3, Paul Wertheimer: M. M. In: Radio Wien, 29.3.1929, S. 430f., Fritz Rosenfeld: Neue Gedichte. In: Arbeiter-Zeitung, 12.5.1930, S. 7, Ludwig Ullmann: Dem Dichter Max Mell! Schutzengelspiel im Burgtheater. In: Wiener Allgem. Zeitung, 23.9. 1932, S.5; Mell-Drama im Burgtheater. „Die Sieben gegen Theben“. In: Neues Wiener Tagblatt, 24.2.1934, S. 8.

Nachlass: Wienbibliothek.

Literatur

F. Aspetsberger: Literarisches Leben im Austrofaschismus (1980), K. Amann: P.E.N. Politik, Emigration, Nationalsozialismus (1984), J. Beniston: ‚Der Wiener Hofmannsthal‘: The Making of Max Mells ‚Das Apostelspiel‘. In: Mod. Language Review 2 (2009), 472-498.

Christoph Binder: M., M. In: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 17-19 [Online verfügbar]

(PHK)