Polak, Ernst

bis 1938 auch Pollak, geb. am 4.8.1886 in Jitschin (heute Jičin, Tschechien) – gest. am 21.9.1947 in London; Literaturkritiker, Essayist, Literaturagent

Der Sohn eines zweisprachigen jüdischen Edelstein-Kaufmanns und einer deutschsprach. Mutter wuchs zunächst in Jitschin auf, wo er die Volksschule und ein Jahr Gymnasium besucht. Danach kam er nach Prag ans k.k. Stephansgymn. , wechselte aber nach der Unterstufe in die Handelsschule, die er 1903 abschloss. 1906 trat P. als Fremdsprachenkorrespondent in die Prager Filiale der Österr. Länderbank ein. In Prag frequentierte er das berühmte Café Arco, wo er im Kreis von W. Haas die zeitgenöss. jungen Prager Schriftsteller M. Brod, die Brüder Janowitz, P. Kornfeld, F. Werfel sowie auch F. Kafka kennenlernte. Seine ersten Veröffentlichungen erschienen 1911-12 in den von Haas hg. (früh)express. ›Herder-Blätter‹. 1916 lernte er Milena Ješenska kennen; die beiden heirateten im März 1918 und übersiedelten, auf Druck von M.s. Vater, nach Wien. Dort arbeitete P. als Devisenhändler für die Länderbank u. verbrachte viel Zeit im Café Herrenhof, wo er sich mit F. Blei, H. Broch, M. Dubrović, G. Kaus, F. Torberg u.a. befreundete und mit „messerscharfer Rede den Dunst zerteilte (so A. Kuh). Nach zahlreichen Affären P.s aber auch Milenas (u.a. mit H. Broch) trennten sich Ende 1923 die Ehepartner, die Ehe selbst wurde 1924 geschieden, Milena kehrte nach Prag zurück. 1925 ließ sich P. pensionieren, holte die Matura 1928 nach u. begann an der Univ. Wien ein Studium der Philosophie. Dabei hörte er u.a. K. Bühler, R. Carnap u. vor allem M. Schlick, bei dem er 1932 mit einer Arbeit über bzw. gegen Husserls Phänomenologie promovierte (u. sich dabei u.a. auf L. Wittgenstein bezog), was ihn Bekanntschaften im Umfeld des Wiener Kreises eintrug. U.a. war er mit Schlicks Assistenten, dem Mathematiker u. Philosophen F. Waismann befreundet, den er später auch im engl. Exil treffen wird.

Zwischen 1927 u. 1931 veröff. er mehrere literaturkrit. Essays in der Zs. Die Literarische Welt, die sich neuen Schriftstellern zuwandten wie z.B. I. Cankar, A. Huxley, A. Gide, Lernet-Holenia oder I. Svevo. Ferner arbeitete P. insbes. mit Werfel u. Broch an einigen ihrer Werken lektorierend zusammen, z.B. an der Schlafwandler-Trilogie u. vermittelte Verlagskontakte. 1934 unterstützte P. die Grd. des Robert Musil Fonds; 1935 bis 1938 lebte er mit der ungar. Klavierlehrerin Ilona Voorm zusammen. Nach dem Anschluss vom März 1938 flüchtete P. nach Prag u. musste dieses im Zuge der drohenden Okkupationsgefahr auch bald verlassen. Ausgestattet mit einer Einladung des Londoner P.E.N. sowie dem Status eines Korrespondenten der tschech. Kulturzeitung Přitomnost gelang P. am 25.11. 1938 die Ausreise u. Ankunft in London. Dort traf er bald auf H. Spiel, die er vom Cafè Herrenhof her kannte, u. knüpfte bzw. griff seine Kontakte zu deutschsprach. Exilverlagen auf (Bermann Fischer, Allert de Lange, Humanitas), aber auch zu englischsprachigen. U.a. vermittelte er Romanmanuskripte von P. Frischauer u. F. Torberg sowie die Autobiographie von Alma Mahler Werfel weiter. Im Sept. 1940 wurde seine Wohnung durch einen dt. Bombenangriff vernichtet, zahlr. Manuskr. u. Briefe gingen, wie bereits im März 1938, verloren. Er übersiedelte daraufhin nach Oxford, nahm wieder Philosophiestudien bei Waismann auf u. heiratete 1944 Delphine Reynolds. Ende 1945 nahm Dubrović, vermutl. über Vermittlung von H. Spiel oder J. Kalmer, Kontakt mit Polak auf, der erfreut reagierte („sei ein zweiter Broch!“, Brief, 1.9.1946) u. sich ernsthaft mit Gedanken einer dann doch nicht zustande gekommenen Remigration befasste.


Quellen und Dokumente

Anton Kuh: „Central“ und „Herrenhof“. Winke für einen Kulturhistoriker. In: Neues Wiener Journal, 26.6.1927, S. 12.

Nachlass: Deutsches Literaturarchiv Marbach

Literatur

H. Binder: Ernst Polak – Literat ohne Werk. Zu den Kaffeehauszirkeln in Prag und Wien. In: F. Martini, W. Müller-Seidel, B. Zeller (Hgg.): Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 23. 1979, 366-415; P.-H. Kucher: Zur Vielfalt und Spezifik Erster Briefe des österreichischen Exils. Kontaktaufnahmen von Exilanten (Angel, Bernfeld, Engel, Kramer, Polak, Zur Mühlen) zu literarischen Netzwerkern und Freunden (Basil, Dubrović, Fontana, Matejka). In: Ders. u.a. (Hgg.): Erste Briefe/First Letters aus dem Exil 1945-1950. München 2011, 32-62, hier 38-40; P.M. Lützeler: Hermann Broch. Eine Biographie. Frankfurt/M. 2011, 72.

Eintrag in ÖBL 1815-1950, Bd. 8 (Lfg. 37, 1980), S. 167.

(PHK)