Tanzkultur – Tanzschulen

Seit der Jahrhundertwende hat der Tanz in der Literatur, Kunst und Musik der ›Wiener Moderne‹ zunehmend eine gewichtige Rolle gespielt. H. v. Hofmannsthal hat z.B. im Zuge seines Paris-Aufenthaltes im Jahr 1900 diese Dimension für seine sprachliche Arbeit entdeckt und begonnen, Pantomimen und Ballette, beginnend mit Der Triumph der Zeit, zu verfassen. Parallel zu seinen sprachskeptischen Überlegungen und programmatischen Reflexionen (z.B. dem bekannten Chandos-Brief) arbeitete er sich auch in die Tanzgeschichte ein; ein Niederschlag davon ist z.B. der Essay Furcht. Das Gespräch der Tänzerinnen (1907), das in einem fiktiven Dialog zweier Tänzerinnen im antiken Griechenland Ausdruckspotenziale sowie das Verhältnis von Tanz und Leben exploriert und als Kommentar zu bereits verfassten (Tanz)Pantomimen, aber auch für mystische, entgrenzende bzw. ekstatische Lebensentwürfe bzw. -dramen gelten kann (z.B. für: Elektra). Als ein weiterer Eckpunkt gilt seine Pantomime Das fremde Mädchen (1911, Filmversion 1913), die in enger Kooperation mit der damals bereits anerkannten Tänzerin Grete Wiesenthal zustande kam. Etwa zur selben Zeit brachte die Ballettabteilung der Wiener Hofoper weitere vielversprechende Talente hervor und zwar unter dem Tanzlehrer und Choreographen Carl B. Godlewski (1862-1949) wie z.B. Gertrud Bodenwieser. Große Resonanz hatten auch die Gastspiele der internat. Tanzstars der Moderne, allen voran von Isadora Duncan im März 1903 im Wiener Carltheater, sowie jenes von Ruth St. Denis 1908 im Ronacher, die zuvor schon in Berlin Max Reinhardt und Harry Graf Kessler beeindruckt hatte. Auch die Anstöße, die von Émile Jacques-Dalcroze ausgingen, der zeitwillig in Wien Musik studierte und 1911 in Hellerau (bei Dresden) die ›Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus‹ mitbegründete, waren in der Folgezeit über seine Schülerinnen und die Übersiedelung dieser Anstalt nach Laxenburg im Jahr 1925 von erheblicher Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund bildete sich um 1920 in Wien eine hochaktive Tanzszene aus, die in enger Verbindung mit dem Theater einerseits und neuen Formen öffentlicher Körperkultur-Arbeit andererseits eine Reihe von innovativen Tanzkonzepten entwickelte und maßgeblich an der zeitgenössischen Ausdruckstanz-Bewegung, weniger dagegen am Revue-Tanz, Teil hatte, diese mitgestaltete und daher auch für Tänzerinnen aus Deutschland (z.B. C. Bauroff) oder Osteuropa (z.B. M. Kosjera) in den 1920-30er Jahren zu einem attraktiven und produktiven Ort des Austausches sowie der Mitwirkung an verschiedenen künstlerischen Projekten, Schulen und öffentlichen Festveranstaltungen wurde. Zu erwähnen sind etwa die Mitwirkung von G. Geert anlässlich der Eröffnung der Raumbühne im Kontext des Int. Musik- und Theaterfestes der Stadt Wien (August 1924), die Mitwirkung der Tanzgruppe Bodenwieser an der Aufführung von Wedekinds Franziska im Dezember 1924; die Gründung der Duncan-Schule im Schloss Kleßheim bei Salzburg 1925, das skandalumwitterte Gastspiel von Josephine Baker im Februar-März 1928 in der Revue Schwarz auf Weiß im Johann Strauß-Theater oder die Mitwirkung von G. Geert, O. Schuschitzky unter der choreographischen Gesamtleitung von R. v. Laban beim Wiener Festzug der Gewerbe von 1929, ferner der Mitwirkung der Tanzgruppe Suschitzky beim 2. Internationalen Sozialistischen Jugendtreffen 1929 ebf. in Wien aber auch bei der (austrofaschistischen) Großveranstaltung Wien bleibt Wien (1935).

Folgende TanzkünstlerInnen prägten die Wiener Tanzszene zwischen 1918 und 1938:


Literatur

Gabriele Brandstetter: Der Traum vom anderen Tanz. Hofmannsthals Ästhetik des Schöpferischen im Dialog „Furcht“: in: Hugo von Hofmannsthal, Neue Wege der Forschung, Hg. von E. Dangel-Pelloquin, Darmstadt 2007, 41–61; Andrea Amort: Free Dance in Interwar Vienna. In: Deborah Holmes, Lisa Silverman (Hgg.): Interwar Vienna. Culture between Tradition and Modernity. New York 2009, 117-142; Roman Horak: Skandalfall Josephine Baker. Das Wiener Gastspiel der „Urwaldamazone“. In: W. Kos (Hg.): kampf um die stadt. Wien 2010, 206-213; Anton Holzer: Bilder von Bewegung. Tanzfotografie 1900-1920. In Fotogeschichte 130/2013; online: http://www.fotogeschichte.info/bisher-erschienen/hefte-ab-126/130/forschung-tanz-und-fotografie/; Rebecca Unterberger: Tanz. In: Diess.: 1928 – Dispositive. In: J. Bertschik, P.-H. Kucher, E. Polt-Heinzl (Hgg): 1928. Ein Jahr wird besichtigt. Wien 2014, 92-99; A. Holzer: Festgehaltene Bewegung. In: Wiener Zeitung, 20.12.2015; Gunhild Oberzaucher-Schüller:Das ererbte Körpergepäck des Simon Wachsmuth (2016), online unter: http://www.tanz.at/index.php/wiener-tanzgeschichten/1646-das-ererbte-koerpergepaeck-des-simon-wachsmuth; Gunhild Oberzaucher-Schüller: Wiener Tanzgeschichten (2017), online verfügbar unter: http://www.tanz.at/index.php/wiener-tanzgeschichten/1692-beim-suedtirolerplatz-das-wirken-der-suschitzky-frauen-i-2; Anita Pollak: Brodelnder Tanz am Rande des Abgrunds. In: wina; online: https://www.wina-magazin.at/brodelnder-tanz-am-rande-des-abgrunds/; Ausstellungshinweis: Alles tanzt. Komsos Wiener Tanzmoderne (3/2019-2/2010, TheaterMuseum, Wien): https://www.theatermuseum.at/fileadmin/content/tm/ausstellungen/2019/Alles_tanzt._Kosmos_Wiener_Tanzmoderne/TM_ALLES_TANZT_Pressetext.pdf

Quellen und Dokumente

Plakat zur Ausstellung Alles Tanzt (2019-20)

https://www.theatermuseum.at/onlinesammlung/detail/572021/ (Duncan-Gastauftritt 1903); Werbeanzeige: Schulen für Rhythmische Gymnastik u. Tanz, 1928 in: Der Tag, 7.1.1928, S. 7.

(PHK)