Die Wage

Eine Wiener Wochenschrift.

(1898-1925), Begr. u. Hg. von Rudolf Lothar (1898-1902, urspr. R. Spitzer), ferner von Ernst V. Zenker (1900-1902, 1910-1918), Rudolf Strauss (1903-4), Ludwig Karell (1905-8), Carl Schwabe (1912-1919), J. Ekstein (= E.K. Stein, 1919-20), Schiller Marmorek (1920-24)

Auflage: nicht bekannt.

Die Zs. darf als Kaderschmiede des modernen Journalismus im Österreich der Jahrhundertwende bezeichnet werden. Seit ihrer Gründung arbeiteten an ihr zentrale Gestalten des (polit.) zeitgenöss. Feuilletons, der Literatur- und Kunstkritik mit wie A. Colbert, J.J. David, K. Kraus, M. Schreier u.a.m. Mehrfach war die Zs. von Konfiskationen betroffen, beginnend bereits bei der 2. Ausgabe vom 8.10.1898. Seit 1902 war auch der renommierte Historiker E. V. Zenker Mithg. der Zs., welcher in der Folge mehrmals wechselte.

Ihre Ausrichtung war tendenziell linksliberal und sozialdemokratisch, sichtbar im Mitarbeiterstab sowie in der Aufmerksamkeit für sozialpolitische Fragen u. Berichten zur deutschen u. österr. Sozialdemokratie. Zum Ersten Weltkrieg bezog die Zs. eine im Rahmen ihrer Möglichkeiten krit. Position. 1915-20 war auch E. Hoeflich mit zahlr . Beiträgen in ihr vertreten, in H. 27/1918 veröffentlichte Hermann Broch unter dem Pseud. K.L. Hib eine Polemik gegen Erwin Hanslik. 1918-19, insbes. mit der Gründung der Ersten Republik u. den Debatten über das Verhältnis von Republik und Rätesystem vollzog die Zs. unter E.K. [Eck]Stein (Pseud.?) einen entschiedenen polit.-ideolog. Schwenk nach link; H. 22/1919 trug den Untertitel ›Revolutionäre Zeitschrift‹. So veröffentlichten in ihr austromarxist. Theoretiker wie Max Adler ebenso wie dem Aktivismus nahestehende Autoren, z.B. Alfons Wallis, Georg Kulka sowie Sympathisanten der KPÖ bzw. des Rätegedankens wie E.K. Stein selbst. Im Lauf des Jahres 1920 kam es zu einem Wechsel in der Redaktion und zu einer Neuausrichtung der Zs., die nun unter dem sozialdemokrat. Journalisten u. promov. Juristen Schiller Marmorek (1880-1943, ab 1927 Red. der Ztg. Das kleine Blatt) mit dem Untertitel Wirtschaft. Kunst. Wissen trug. Während der polit. Teil eine deutliche Akzentverschiebung weg von aktivistisch-revolutionären Proklamationen zu einer quasi neutralen Kommentierung von Zeitfragen, sichtbar in der vermehrten Präsenz von entspr. Fachexperten, vollzog, gewannen im Kultur- Kunst- u. Literaturteil Sympathisanten der Kulturpolitik des ›Roten Wien‹ an Gewicht wie der Kultredakteur Hanns Margulies (1889-1960), ferner Arthur Rössler und im Musikteil Exponenten, die auch in der Zs. der Universal Edition, den Musikblättern des Anbruchs, vertreten waren wie P. Stefan oder R. St. Hoffmann. Diese redakt. Zusammensetzung ermöglichte z.B. 1921 den Vorabdruck von einem Auszug aus E. Tollers in der Festungshaft angefertigten Szenenfolge Deutsche Revolution (H. 12/1921,138-141). Auch die Romanistin u. Kritikerin Helene Richter sammelte in der Zs. ihre ersten publizist. Erfahrungen (zunächst im Theaterfeuilleton); 1922 lieferte auch der aus Preßburg gebürtige, seit 1915 in den USA befindl. Schriftsteller u. Journalist J. Reményi Beiträge zur zeitgenöss. amerikan. Literatur seit W. Whitman bis in die GW (F. Harris, U. Sinclair, Th. Dreißer, R. Frost u.a.H. 19/1922,153-162); ferner trugen eine Reihe von Gastkommentatoren zu versch. Themen bei wie F. Herterich (Theater, Regiekunst), P. Elbogen (Kunst, Architektur), L. Hatvany und O. Jászi (Ungarn), J. Deutsch (Sozialdemokratie-Militarismus), H. v. Gerlach (Deutschland). Auch F. Brügel war ab 1922 regelmäßiger Mitarb. der Zs. Einen dezidierten Schwerpunkt bildeten zudem Diskussionen über Pazifismus (auch: Rollandismus), über die Rapallo-Konferenz u. die Beziehungen zwischen Deutschland u. Russland sowie Beiträge über versch. Manifestationen des Antisemitismus (z.B. an den Universitäten, H.33/1922,488-491; H.3/1923, 73-76). Zahlreiche Beiträge wiesen freilich auch Pseudonyme als Verf. aus, insbes. das Ps. Janus bzw. J. oder Marius. Die Jahrgänge 1923-24 ändern an der Grundausrichtung wenig; die Zeitschrift verfolgt konsequent einen sozialdemokr. eingefärbten pro-republikanischen und linksdemokrat. Kurs. Bes.  Akzente liegen auf der Kritik antisemit. Manifestationen, insbes. an der Wiener Universität, auf Debatten über (Anti)Militarismus u. Pazifismus, und sie bietet immer wieder neuen Stimmen Raum, z.B. B. Frei (u.a. mit einem G. Grosz-Porträt, H.4/1923, 124-25), M. Ermers, J. Kalmer (über Goya als ›Politische Kunst‹, H. 23/1923, 713-717), H. Rossi, E. Waldinger oder P. Hatvani (Erstdr. des Essays Der russische Mensch, H. 10/1923, 296-300).


Quellen und Dokumente

Digitalisat des Jahrgangs 1898.

Literatur

J. Jenkins: Edition und Kommentar zu K.L. Hib (Hermann Broch): Ein offiziöser Gschaftelhuber der Kultur“. In: Studia austriaca XXVII/2018, 5-17.

(PHK)