Der Blaue Vogel war ein deutsch-russisches Kleinkunst-Bühnenensemble, das sich in den 1920er Jahren zu einem der erfolgreichsten und langlebigsten Vertreter unter den europäischen Emigrantenkabaretts entwickelte.

Im Gefolge des Russischen Bürgerkrieges und der umfassenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Neuordnung im kommunistisch-sowjetischen Sinn flohen ab 1917 Hunderttausende – darunter eine Vielzahl Kulturschaffender – nach Westeuropa. Bevorzugte Ziele der EmigrantInnen waren – neben der Tschechoslowakei, die ihren auf der Flucht befindlichen „slawischen Brüdern“ ein umfassendes staatliches Hilfsprogramm zur Verfügung stellte –, besonders die pulsierenden Metropolen Paris und Berlin. In letzterer hatte sich zu Beginn der Zwanziger Jahre eine bedeutende russische Künstlerkolonie etabliert; Schätzungen gehen davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt etwa 400.000 RussInnen in Berlin lebten. Entsprechend entwickelte sich bald ein blühendes russisches Kulturleben: Neben einem beachtenswerten Verlagswesen und einer lebendigen Musikszene waren vor allem die Kleinkunstbühnen von Bedeutung, in denen dem westeuropäischen Publikum eine gänzlich neue Form des Kabaretts geboten wurde, die schließlich weltweit Bekanntheit erlangen sollte.

Zu diesen Kabarettbühnen zählte auch Der Blaue Vogel, 1917 noch in Moskau von dem aus Odessa stammenden Regisseur, Schauspieler und Autor Jascha Južnyj gegründet und seit 1921 in einem kleinen Theater in Berlin-Schöneberg untergebracht. Der Name war eine Anspielung auf das aus der Feder von Maurice Maeterlinck stammende Märchen „Der blaue Vogel“, das die Sinnsuche und das Streben nach Glück thematisiert. 

Ebenso wie das nach Paris emigrierte russische Kabarett Die Fledermaus (La Chauve-Souris) unter der Leitung von Nikita Baliev verfolgte auch Južnyjs Der Blaue Vogel durch ein neuartiges „multi-mediales Zusammenspiel der Künste“ (Lesák, S. 151) die Idee des Gesamtkunstwerks, das durch „inniges Zusammenarbeiten von Maler, Musiker, Schauspieler, Regisseur und dem Genius des guten Geschmacks“ (Járosy, Cabaret, S. 3-11) erreicht werden sollte. Mit diesem Erfolgsrezept avancierte die Truppe mit Južnyj als Conférencier innerhalb kurzer Zeit zum wichtigsten Vertreter des russischen Emigrantentheaters und bot seinem internationalen Publikum ein Potpourri aus russischer Volkskunst und westeuropäischen Kunstformen. Im Mittelpunkt des in seinem Darstellungsstil expressionistisch dominierten Programms standen mehrsprachig vorgetragene, teils naive, dabei aber durchwegs anspruchsvolle Sketches, die sich mit der Populärkultur und mondänen Elementen des westlichen Lebensstils auseinandersetzten, vor allem aber mit bilderbuchartig gestalteten Stoffen aus der Welt des russischen Volksmärchens. Ausgespart blieben dagegen sozialkritische oder politische Themen. Flankiert wurden die szenischen Darbietungen von musikalischen, häufig von Gesang untermalten Elementen, die den Bogen von klassischen Stücken bis hin zu Volksmusikweisen spannten.

Zentral für den Erfolg der russischen Kleinkunstbühnen im Allgemeinen und ihres Vorreiters Der Blaue Vogel im Besonderen waren darüber hinaus die Szenengestaltungen, die sich mit Stilrichtungen wie Suprematismus oder Rayonismus der bereits im vorrevolutionären Russland entstandenen Spielarten westeuropäischer Kunstströmungen wie Expressionismus und Kubismus bedienten und maßgeblich von der Malerin Natalija Gontscharowa und Bühnenbildnern wie A. Chudjakow beeinflusst und (mit)gestaltet wurden. Indem die Szenengestalter das verstörend Abstrakte der Avantgarde durch Elemente der farbenfrohen russischen Volksmalerei ins Dekorativ-Gefällige, ja beinahe Exotische kehrten, konnten die neuen Kunststile aus Russland einem breiteren Publikum in Westeuropa zugänglich gemacht und gleichzeitig als Wiedererkennungsmerkmal genutzt werden. A. Polgar erblickte in diesen dekorativen Bühnengestaltungen „eine mit allem geistigen Comfort der Neuzeit ausgestattete Puppenstube“.

Im Rahmen seiner Auslandstournee gastierte Der Blaue Vogel im Dezember 1922 erstmals in den Wiener Kammerspielen, wurde vom Publikum frenetisch gefeiert und das Programm von Kritikern als Reise ins „Reich der Phantasie und des Humors“ bejubelt (NFP, 20.12.1922, S. 9). Dabei fand neben dem herausragenden Bühnenbild besonders der Deutsch radebrechende, humorige Conférencier Južnyj lobende Erwähnung. Vertreter der österreichischen Theaters- und Literaturszene wie etwa Béla Balázs erhofften sich durch Gaststpiele wie diese wichtige Impulse für die Belebung des österreichischen Kabaretts.

Bis 1930 folgten beinahe jährlich weitere Auftritte des Blauen Vogel in Wien – unter anderem auch am Deutschen Volkstheater – doch beklagten Kritiker zunehmend den Verlust des typisch russischen Charakters: „Man fühlt deutlich, dass der jahrelange Aufenthalt in der Fremde, die Losreiszung vom russischen Mutterboden dieser Kleinkunst die besten Säfte entzogen haben.” (WMZ, 5.10.1924, S. 11). Für Robert Musil, der für die Prager Presse schrieb, blieb Der Blaue Vogel dennoch qualitativ herausragend unter den vielen russischen Kleinkunst-Bühnen, die als dessen Ableger entstanden waren: „Genau genommen, hält sich auf diesem dünn gespannten Seil nur der Blaue Vogel, die führende der drei russischen Kleinkunstbühnen, die sich in Berlin aufgetan haben und als Gäste auch nach Wien gekommen sind; die beiden andern, das „Karusell“ und die „Russische Kleinkunst“, fallen gelegentlich dies- oder jenseits herunter.“ (Musil, Kritik, 23.3.1923). Diverse Versuche von russischen Exilbühnen, dauerhaft in Wien Fuß zu fassen, scheiterten. Nach 1930 setzte die Gastspieltätigkeit russischer Theatergruppen völlig aus – eine Ausnahme bildete lediglich ein Auftritt des Blauen Vogelin der Schönbrunner Sommerarena 1936. Nach dem Tode Južnyjs löste sich die Truppe im Jahr 1938 auf.


Literatur

Barbara Lesák, Russische Theaterkunst 1910-1936. Bühnenbild- und Kostümentwürfe, Bühnenmodelle und Theaterphotographie aus der Sammlung des Österreichischen Theatermuseums, Wien 1993;Dies., „Entfesseltes Theater“ und „Blauer Vogel“. Gastspiele sowjetrussischer Theatergruppen und russischer Emigrantenbühnen im Wien der 1920er Jahre. In: P.-H. Kucher, R. Unterberger (Hg.), Rote Spuren. Zur Rezeption russischer Kunst und Literatur im Österreich der Zwischenkriegszeit 1918-1938, Frankfurt/Main, Wien u.a. 2017, im Druck; Britta Marzi, Theater im Westen – die Krefelder Bühne in Stadt, Region und Reich (1884-1944). Rahmen, Akteure, Programm und Räume des Theaters in der Provinz, Münster 2017; Liessner-Blomberg Elena, Cabaret „Der Blaue Vogel“. In: Fritz Mierau (Hg.), Russen in Berlin. Literatur, Malerei, Theater, Film, 1918-1933, Leipzig 1990Dies., Freunde des „Blauen Vogels“. In: Fritz Mierau (Hg.), Russen in Berlin. Literatur, Malerei, Theater, Film, 1918-1933, Leipzig 1990; Wolf Oschlies, „Eine mit allem geistigen Comfort der Neuzeit ausgestattete Puppenstube“. In: Eurasisches Magazin [Online verfügbar]

Quellen und Dokumente

Friedrich Járosy, Vom Cabaret. In: Der Blaue Vogel, Programmheft, Berlin o. J.,  3-11; A. Polgar, Der blaue Vogel. In: Der Tag, 3.12.1922, S. 7; „Der blaue Vogel“. Eine jüdische Kleinkunstbühne in Wien. In: Wiener Morgenzeitung, 5.10.1924, S. 11; Felix Salten, „Der blaue Vogel“. In: NFP, 3.12.1922,  S. 1-3; „Der blaue Vogel“. In: NFP, 20.12.1922, S. 9; Ernst Decsey, Der blaue Vogel. In: Neues Wiener Tagblatt, 2.12.1922, S. 2f; Leopold Jacobson, Es kam ein Vogel geflogen … In:  Neues Wiener Journal, 2.12.1922, S. 3f; B. Wolfgang, E. Göndör, Der blaue Vogel: Zeichnung, Gedicht. In: Die Muskete, 10.12.1922, S. 6; Kurt Tucholsky, Der blaue Vogel. In: Gesammelte Werke in zehn Bänden, Bd. 3, Hamburg 1975, 149-151 [Online verfügbar].

(MK)


Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und Literatur. (1918-19; Reprintausg. 1975)

Die im Januar 1918 begründete, von Benno Karpeles herausgeg. und als verantwortl. Redakteur vom 26.1. 1918 bis zum 22. August 1919 durch 83 Ausgaben hindurch erschienene Zs. verstand sich von Beginn an als kritisches, pazifistisch orientiertes Sprachrohr gegen den Krieg, als „aus dem Geist der Empörung gegen das Bestehende“ gerichtete Plattform. Sie orientierte sich an den Ideen der bürgerl. Revolution von 1848 u. hoffte daraus eine „Verjüngung des Staates“ auf der Grundlage der „inneren Freiheit“, so R. Charmatz in Märzgedanken (15.3.1918),  mit dem Ziel der Begründung „einer neuen Weltordnung“, die dezidiert antinational sein müsse, herbeizuführen. Der Umfang eines Heftes betrug 24 Seiten; die Redaktionsadresse lautete: Wien, I, Renngasse 13.

Für den literarischen Teil zeichnete Alfred Polgar hauptverantwortlich, dem es gelang zahlreiche, bereits prominente wie auch jüngere Schriftsteller (z.B. G. Fröschel, H. Janowitz, A. Kuh, A. Wallis) zu bewegen, Texte für die Zs. bereit zu  stellen bzw. zu verfassen. Zu den bereits Etablierten zählten etwa Franz Blei, E. E. Kisch, A. P. Gütersloh, R. Müller, R. Musil, E. A. Rheinhardt, O. Soyka, K. Tschuppik, B. Viertel, E. Weiß oder F. Werfel, aber auch internationale Namen wie H. Barbusse, A. Gide, M. Gorki, Th. Mann, J. Wassermann oder H.G. Wells, um nur die vielleicht bekanntesten zu erwähnen. Polgar beschrieb die Anforderung an eine „gute Zeitschrift“ in H. 2/1918 dergestalt, dass sie „vor allem eine Zeit-Schrift sein müsse. Eine Art Uhr, die die politische, soziale, literarische Stunde schlägt“.

Der Großteil der Debatten-Beiträge bis zum Nov. 1918 konzentrierte sich auf die künftige Gestalt des Staates, die durchaus kontrovers und schillernd erschien, jedoch zumindest in einem Punkt große Übereinstimmung aufwies und zwar in jenem der Ablehnung des Status quo, der deutsch-zentralistischen Habsburgermonarchie. Sie reichten von Repliken auf bzw. Varianten einer mitteleuropäischen Wirtschafts- und Staatenunion bis hin zur Umgestaltung in einen demokratisch-föderalistischen Bundesstaat, dem die einzelnen Völker frei beitraten (mit Austrittsoption), aber auch hin zu einem neutralen Kleinstaat oder zur Anschlussoption der deutschsprachigen Territorien an das Deutsche Reich bzw. eine Deutsche Republik. Aber auch noch kurz vor Kriegsende wurden gelegentlich imperialistische Visionen (z.B. Kolonien, austropolnische Lösung ) zu Papier gebracht. K. Tschuppik verfasst im Okt. 1918 unter dem Ps. Kajetan eine Rede an die Totengräber; R. A. Bermann/A. Höllriegel diagnostizierte schon am 11.10. 1918 in einem Beitrag über das Selbstbestimmungsrecht und die Sprachenkarte mögliche künftige Nationalitätenkonflikte (z.B. in der Tschechoslowakei), welche durch die Zerschlagung der Gesamtmonarchie in manchen Nachfolgestaaten entstehen könnten.

Nach der Republikgründung bot sich die Zs. auch als Plattform für kontroverse Beiträge zur sog. Anschluss-Debatte an wiewohl die Redaktion sich zu einer grundsätzlichen Anschlussgegnerschaft bekannte. Der Aktivist R. Müller bezweifelt auch schon im Jänner 1919 eine demokratische, postrevolutionäre Wende in Deutschland und konstatierte vielmehr eine Kontinuität zur militarisierten Wilhelminischen Reichsidee, weshalb „der gefährliche deutsche Nationalismus […] Österreich nicht betören“ dürfe, eine Position, die recht ähnlich auch der deutsche Expressionist und Friede-Mitarbeiter Karl Otten vertrat. Konträr dazu R. Musil, der in seinem ebf. in der Zs. erstveröffentl.  Essay Buridans Österreicher  den abwägenden Österreicher eher auf Richtung Großdeutschland einschwor. Auch in der Schuldfrage und der bald aufbrechenden Revanche-Überlegungen positionierte sich der Friede eindeutig: zu einem Bekenntnis zu ihr – „der ungeheuren Schuld muß ungeheure Sühne entsprechen“ (K. Tschuppik, 6.12.1918) und der „gellende Schrei nach Revanche“ angesichts des sog. Diktats von St. Germain dürfe nicht „ jedes Wort der Vernunft“ übertönen. A. Loos schließlich veröffentlichte in der Zs. seinen programmat. Essay Der Staat und die Kunst, in dem er die Forderung nach Einrichtung eines Kunstamtes forderte; einen weiteren Schwerpunkt bildete die Diskussion der ‚jüdischen‘ Frage angesichts aufkeimenden Antisemitismus u. Pogromhintergrund in den Nachkriegskonfrontationen in Polen oder der Polarisierungen im Hinblick auf Assimilations- und Zionismus-Debatten, an denen sich u.a. M. Brod, B. Viertel oder R. Weltsch beteiligten. Auch in Bezug auf die zeitgenöss. (spezif. Wiener) Expressionismus-Debatte (mit seiner Anbindung an den Aktivismus) war die Zs. ein wichtiges Publikationsforum mit Beiträgen von M. Brod, K. Edschmid, A. P. Gütersloh, J. Gumperz oder P. Hatvani.


Literatur

K. Amann: Staatsfiktionen. Bilder eines künftigen Österreich in der Wiener Wochenschrift Der Friede (1918/19); in: ders.: Die Dichter und die Politik. Essays zur österreichischen Literatur nach 1918, S. 15-30 (1992), A. A. Wallas: Der Friede. In: Ders.: Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich. Analytische Bibliographie und Register. Bd. 1, S. 34-38 (1995).

Eintrag bei austria-forum.org.

(PHK)

Gegründet im Okt. 1907, Wien bis H. 12/1933; ab H. 1/1934 vereinigt mit der Zs. Tribüne bis Mai 1938, Brünn/Brno; danach bis H. 10/1940 (Juni) als Der sozialistische Kampf mit dem Zusatztitel Journal Antihitlerien in Paris erschien. Umfang: 32-36 Seiten bis 1934, 1934-40: 48 Seiten, 1939-40 vierzehntägig erschienen.

Die Zs. wurde nach dem Wahlerfolg von 1907 als programmat.-theoret. MonatsZs. der SDAPÖ in Wien gegründet. Als Hgg. zeichneten O. Bauer, J. Braun u. K. Renner, ab 1912 auch F. Adler; V. Adler verf. das Geleitwort zur ersten Ausgabe, die Redaktion lag in den Händen von O. Bauer. Von den ersten Heften (Nov. 1907) an publ. im Kampf namhafte Stimmen der Partei wie z.B. F. Austerlitz, A. Braun, J. Deutsch, K. Kautsky, E. Pernerstorfer, A. Popp, K. Renner, Therese Schlesinger oder M. Winter, aber auch Vertr. der nichtdeutschsprach. Sozialdemokratien wie z.B. A. Němec, A. Daszynsky oder Publizisten wie St. Großmann. Noch vor 1914 stießen D. J. Bach, M. Adler, O. Koenig und J. L. Stern zum Kreis der regelmäßigen Mitarbeiter hinzu. Die Auflage belief sich auf rund 4000 Ex. Während des Ersten Weltkriegs akzentuierte Friedrich Adler die Zs. zum Sprachrohr der Linken gegen den Krieg, nach seinem Attentat auf Ministerpräs. Stürghk im Okt. 1916 u. der nachfolgenden Verhaftung übernahmen bis 1918 Wilhelm Ellenbogen, 1918-19 Helene Bauer,[no-lexicon][/no-lexicon] Julius Braunthal und Oscar Pollak die Verantwortung für die Zs.. Das November- u. Dezember-Heft 1918 war dem Kriegsende u. den grundlegend veränderten staatlichen, aber auch sozial-polit. u. parteiinternen Verhältnissen gewidmet, ferner Perspektiven für, aber auch dem Kampf um den neuen Staat, z.B. durch M. Adler. Das Aprilheft 1919 befasste sich schwerpunktmäßig vor dem Hintergrund der revolut. Versuche in Deutschland, Österr. u. Ungarn mit dem Thema des Rätesystems. Daneben kamen aber auch literar. Texte, z.B. J.L. Sterns kriegskrit. Erz. Bilial zum Abdruck oder weiterhin Beitr. zur Lage der Arbeiterbewegung in den Nachfolgestaaten, insbes. in der Tschechoslowakei.

1921-22 fanden Diskussionen über die gescheiterten Räterepubliken, u.a. mit mehreren Beitr. zu Rosa Luxemburg, die soziale Lage in Österreich und, in Form zunehmender Abgrenzung, die Rolle des Bolschewismus statt. Ein deutlicher Wendepunkt hin zur negativen Gesamteinschätzung Sowjet-Russlands war mit dem Essay Moskau in Okzident und Orient von J. Braunthal (H.1/1923) gegeben. Seit Anfang der 1920er Jahre traten in den Kreis der regelmäßigen Mitarbeiter u.a. ein: Sigmund Kunfi, 1918-19 Minister in der republikan. wie in der Räteregierung (internat. Politik, Ungarn), Otto Neurath (Sozialpolitik), Fritz Rosenfeld (Literatur- u. Filmkritik), Emil Strauß (Nationalökonomie, Tschech. Arbeiterbewegung), Paul Szende (Soziologie, Ungarn), Therese Schlesinger (Strategie, Frauenfragen) und Oskar Trebitsch (Sozialismus) ab 1924 dann auch Jacques Hannak (Sport, Kameradschaftsbez. Zionismus). 1923 positionierte sich der Kampf durch Oscar Pollak offen für K. Kraus, was 1925 z.T. wieder zurückgenommen wurde. In diesen Jahren wurde auch die Rubrik Bücherschau systematisch ausgebaut. 1925 stießen Fritz Brügel (Literatur) u. Paul A. Pisk (Musik-Soziologie), 1926 Käthe Leichter (Soziologie, Gewerkschaftsfragen), Siegfried Bernfeld (Psychologie/Psychoanalyse) u. Hans Tietze (Kunst) zum MitarbeiterInnen-Kreis, womit der Kampf ein breites themat. Spektrum auch moderner kulturell-politischer Tendenzen thematisierte u. positionierte. Seit dem Sept.-Heft 1926 wurde das neue Linzer Programm intensiv diskutiert u. kommentiert, utopische wie realpolitische Perspektiven dabei herausstreichend. 1927 stand auch der Kampf im Zeichen der Konsequenzen des Justizpalast-Demonstration u. -Brandes sowie der innenpolit Radikalisierung, wobei die Disk. von S. Kunfi eröffnet wurde. Im selben Jahr kam auch Ernst Fischer mit dem Essay Wandlungen des russischen Geistes anlässl. des Erinnerungsheftes an die Okt.-Revolution von 1917 erstmals im Kampf zu Wort. Ein weiteres Schwerpunktthema des Jahres waren Fragen der Ehe und Mutterschaft. 1929 skizzierte F. Adler provokant Thesen zur Frage Was täte ein Lenin heute zur Rettung der russischen Revolution?, während die Zs. zum New Yorker Börsenkrach u. zur daraus resultierenden internat. Wirtschaftskrise selbst 1930 noch nicht programmat. Stellung bezog; der erste Beitr. erschien erst in H.3/1931, verf. von Helene Bauer, zeitgleich mit F. Brügel erstem programm. Beitrag zur NS-Ideologie.

Trotz fortbest. Interesses an der internat. Politik begann sich ab 1930 der Akzent auf die Rechtsradikalisierung in DL u. Ö. zu verlagern, unter Einschluss des wachsenden Antisemitismus aber auch zionist. Projekte. 1932-33 wiederum kehrte die Sowjetunion im Zuge der Durchsetzung der stalinist. Politik, aber auch versch. Bilanzierungsversuche u. Russland-Bücher wieder stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit, etwa durch programm. Reflexionen von M. Adler oder eine sehr positive Besprechung über erzielte Fortschritte in der Frauen- u. Geschlechterfrage durch Th. Schlesinger, ausgehend vom breit diskutierten Buch von Fannina Halle, das im selben Jahr erschienen war. Im Wendejahr 1933 diskutieren die bekannten Protagonisten Strategien sowohl zur Krise bzw. auf die sich anbahnende Katastrophe hin als auch Perspektiven der Revolutionierung (O. Pollak z.B.); u.a. wird O. Bauers Vorschlag eines Nichtangriffspakts zwischen Sozialdemokratie u. Kommunismus kommentiert, begleitet auch von einer Debatte über das Verhältnis von Demokratie und Diktatur (K. Kautsky), der moralischen Legitimität gewaltbereiten Widerstands sowie von Überlegungen zur Normalisierung des Verhältnisses zur Sowjetunion, wogegen z.B. F. Adler vehement auftrat. Die Machtübernahme des NS stand schließlich im Mittelpkt. des Mai-Heftes 1933, wobei die Analysen grundsätzlich richtig waren, aber die Tragweite doch zu unterschätzen schienen. Unter den Wenigen, die vor Fehleinschätzungen (z.B. Vertrauen in die Kraft der Drohung setzen) warnte, war z.B. K. Leichter, die von „fatalem Optimismus“ sprach, dass sich die geschwächten Arbeiterbewegungen dem NS bzw. Faschismus erfolgreich entgegenstellen könnten. Im Dez. 1933 erschien die letzte Ausgabe des Kampf in Österreich; nach der Niederschlagung des Aufstandes vom 12. Februar 1934 wurde auch der Sitz der Red. nach Brünn (lt. Impressum eigentl. Teplitz/Schönau) verlegt. Von dort aus erschien die Zs. ab Mai 1934 wieder monatl. bis Mai 1938 u. zwar sogar in erweitertem Umfang von 48 Seiten/Ausg. aber reduz. Auflage. Während die erste Exilnr. im Zeichen der polem. Abgrenzung zur tendenziös empfundenen sowjet. Berichterstattung über den Februaraufstand stand, legte O. Bauer bereits im Sept. 1934 den Versuch einer Neubewertung von Revolutionsaussichten in Ö nach dem prognotiz. Zusammenbruch des NS wie des österr. Faschismus vor, die zwar von luzider Schärfe in der Argumentation, aber zugl. von völliger Fehleinschätzung der internat. günstigen Rahmenbed. für den NS zeugen.


Quellen und Dokumente

Engelbert Pernetstorfer: Die Kunst und die Arbeiter. In: Der Kampf (1907), H. 1, S. 38-41, Statt des Weltkongresses – Weltkrieg. In: Der Kampf 7 (1914), H. 11-12, S. 481f., Friedrich Austerlitz: Der deutsch-österreichische Staat. In: Der Kampf 11 (1918), H. 11, S. 713-718, Adelheid Popp: Die Frau im neuen Staat. In: Der Kampf 11 (1918), H. 11, S. 729-732, Max Adler: Der Krieg ist aus, der Kampf beginnt. In: Der Kampf 11 (1918), H. 12, S. 776-785, Julius Braunthal: Moskau im Okzident und Orient. In: Der Kampf 16 (1923), H. 1, S. 9-22, Oskar Pollak: Ein Künstler und Kämpfer [zu Karl Kraus]. In: Der Kampf 16 (1923), H. 1, S. 31-36, Max Adler: Zur Diskussion des neuen Parteiprogramms. In: Der Kampf 19 (1926), H. 11, S. 490-498, Friedrich Adler: Zum Streit über die Definition von Demokratie. In: Der Kampf 19 (1926), H. 12, S. 518-525, Subskriptionseinladung zur Lenin-Ausgabe. In: Der Kampf 20 (1927), H. 6, S. 295, Sigmund Kunfi: Der 15. Juli und seine Lehren. In: Der Kampf 20 (1927), H. 8, S. 345-352, Otto Leichter: Der Austromarxismus und der 15. Juli. In: Der Kampf 20 (1927), H. 9, S. 393-407, Friedrich Adler: Was täte ein Lenin heute zur Rettung der sowjetischen Revolution. In: Der Kampf 22 (1929), H. 2, S. 57-60, Fritz Brügel: Nationalsozialistische Ideologie. In: Der Kampf 24 (1931), H. 3, S. 105-117, Helene Bauer: Zur Weltwirtschaftskrise. In: Der Kampf 24 (1931), H. 3, S. 117-124, Therese Schlesinger: Mann und Frau in der Sowjetrepublik. In: Der Kampf 25 (1932), H. 12, S. 518-523, Oscar Pollak: Was tun? In: Der Kampf 26 (1933), H. 2, S. 41-45, Karl Kautsky: Demokratie und Diktatur. In: Der Kampf 26 (1933), H. 2, S. 45-58, Käthe Leichter: Die beste Abwehr. In: Der Kampf 26 (1933), H. 11, S. 446-452.

Nach der Vereinigung mit der Tribüne Otto Bauer: Zur Einführung. In: Der Kampf 1 (1934), H. 1, S. 1f., O. B.: Voraussetzungen der Revolution. In: Der Kampf 1 (1934), H. 5, S. 161-167.

(PHK)

Österreichische Zeitung für Musik und Theater (1909-1922)

Kultur- und Musikzeitschrift, die 1909 begründet wurde, deren erste Nr. am 10.10.1909 erschien u. sich der „entschieden fortschrittlichen Richtung“, so das Geleitwort, zugehörig sah. Erster Chefredakteur war Richard Specht, gemeinsam mit Richard Batka; im Mitarbeiterkreis von Beginn an dabei waren einerseits wichtige Musikkritiker und Komponisten wie z.B., Hugo Botstiber, Franz Dubitzky, Emil Lucka, Arnold Schönberg oder Bruno Walter und Egon Wellesz, ab 1916-17 auch Rudolf St. Hoffmann, Adolph Kohut, Josef Reitler und A.F. Seligman, Kultur- und Literaturkritiker wie Anton Bettelheim, Hugo Fleischer, Egon Friedell, Ludwig Hevesi, Stefan Hock, Siegfried Trebitsch und Schriftsteller wie Max Brod, Johannes Schlaf, oder Stefan Zweig. Ab 1914 zählten Paul Czinner, Albert Ehrenstein, Therese Rie-Andro, Josef Reitler, Egon Wellesz, Alexander Zemlinsky zum Kreis der regelm. Mitarbeiter. Seit 1915 führte die Zs. auch eine Rubrik mit Buchbesprechungen, in der ab 1917/18 die wichtigsten zeitgenössischen Neuerscheinungen, u.a. auch aus dem Umfeld des Expressionismus, besprochen wurden. Unter den Rezensenten ab 1916/17 finden sich Namen wie L. Andro, W.v. Molo, H. Natonek, E. A. Rheinhardt, H. Wolf u.a. 1918 wurde die Rubrik Theaterkritik ausgebaut, an der u.a. O.M. Fontana oder Herbert Ihering mit Berichten über Berliner Theateraufführungen mitwirkten oder F.Th. Csokor Regiefragen erörterte. 1918 setzte sich Johannes Schlaf in einem mehrteiligen Beitrag, der sich auch als Replik auf einen H. Walden-Beitrag in der Zs. der Berliner Volksbühne verstand, krit. mit zeitgenöss. Formen des Expressionismus auseinander. Unter den Buchbespr. sei z.B. auf jene zu H. Manns Die Armen durch H. Natonek u. H. Wolf hingewiesen sowie auf jene zu E. Weiß.

Obwohl die Zs. keinen Kriegspatriotismus gepflogen u. kriegskrit. (expressionist) Autoren besprochen hat bzw. unter ihren Mitarb. waren, stand sie dem Zusammenbruch von 1918 eher skeptisch bis ratlos gegenüber, in einigen Fällen wie beim national orientierten J. Schlaf auch zutiefst irritiert, wie ein Beitr. unter dem programmat. Titel Schuld? nahelegt. 1919 schwenkte die Zs. schrittweise auf eine aktivist. Position ein, wie z.B. ein Beitrag von A. Golfar, Verf. der Erz. Gier (E.P. Tal) zeigt, demzufolge Geist/Kunst „sozial wirken“ müsse. Ab der Okt.Nr. 1919 zeigt sich eine verstärkte Präsenz von Kritikern, die zugl. in der Kulturpolitik der Sozialdemokr. prominente Positionen innehatten wie z.B. D.J. Bach, begleitet u.a. von einer Aufmerksamkeit für Neue Musik u. Arbeitersymphoniekonzerte. Bach zeichnete 1921 auch für ein Sonderheft für den Komponisten Julius Bittner (2/1921) verantwortlich. Ab 1920 finden sich auch mehrere Beitr. zur mod. Plastik u. Malerei, u.a. durch Anton Hanak aber auch R. Schaukal (zu A. Kolig). Aufschlussreich auch das Spektrum der Buchbesprechungen 1920: zu M. Delle Grazies Eines Lebens Sterne, H. Fleschs Balthasar Tipho, R. Müllers Inselmädchen, E. Lasker-Schülers Gesammelte Gedichte, S. Trebitschs Die Frau ohne Dienstag oder M. Wieds Bewegung, ergänzt um Aufführungsbespr. zu K. Schönherr (Kindertragödie), G. Kaiser (Brand im Opernhaus) u. E. Weiß (Tanja), sämtl. von O.M. Fontana gezeichnet. 1921-22 brachte die Zs. ebf. zahlreiche Neuerscheinungen u. themat. Akzente, z.B. über W.E. Korngold oder L.W. Rochowanski (Tanz und Film), um dann, vermutl. im Zuge der sich zuspitzenden Inflation, nach dem letzten Heft vom 1.3.1922 ihr Erscheinen einzustellen.


Quellen und Dokumente

Digitalisat der Jahrgänge 1909 bis 1922: Univ. of Michigan

Inhaltsverzeichnis der Nr. 1 (1909), Johannes Schlaf: Expressionismus. In: Der Merker (1918), Nr. 1, Gedächtnisfeier für Frank Wedekind. In: Der Merker (1918), Nr. 2, Rez. zu: Ernst Weiß: Tiere in Ketten. In: Der Merker (1918), Nr. 4, Johannes Schlaf: Schuld? In: Der Merker (1919), Nr. 1, A. Golfar: Revolution. In: Der Merker (1919), Nr. 2, Franz Theodor Csokor: Expressionismus als Regieproblem. In: Der Merker (1919), Nr. 4,  Oskar Maurus Fontana: „Tanja“. Drama von Ernst Weiß. In: Der Merker (1920), Nr. 1, Inhaltsverzeichnis von Der Merker (1922).

Literatur

Eintrag in musiklexikon.at.

(PHK)

Der Morgen war ein von Carl Colbert und Maximilian Schreier 1910 gegründetes liberales Montagsblatt. Zunächst in Ergänzung zum Morgen gründete Colbert 1915 die Tageszeitung Der Abend, die rasch eigenständige, signifikant linke Positionen einnehmen sollte. Der Morgen vertrat konsequent liberale Positionen und wandte sich kritisch gegen die klerikale Politik der Christlich-Sozialen, blieb häufig aber auch in kritischer Distanz zum Sozialismus. In der ersten Ausgabe wurde die Programmatik wie folgt definiert: „‚Der Morgen‘ blickt nach vorwärts in ein fortgeschrittenes, wahrhaft modernes Oesterreich. In einem solchen will er der Vorkämpfer des erwerbenden demokratischen Bürgertums sein […].“ (Der Morgen, 24.1.1910, S. 1)

Aus: Der Morgen, 24.1.1910, S. 1

Chefredakteure des Morgen waren in den Anfangsjahren Karl Reinberger, Karl Blaschek, Rudolf Blaschek, später Hugo Bettauer (2. Mai 1922 bis 17. April 1925), Rudolf Kalmar (20. Juli bis 5. Oktober 1925) sowie Herausgeber Schreier selbst (2. Juni 1919 bis 24. April 1922; 30. März 1925 bis 13. Juli 1925; 12. Oktober 1925 bis 1938). Ab der Gründung des Tag, der ebenfalls von Schreier unterstützt von Siegmund Bosel ins Leben gerufen wurde, diente der Morgen als montägige Ergänzung des täglich erscheinenden Blattes. Die letzte Nummer des Morgen erschien am 7. März 1938 wenige Tage vor dem „Anschluss“.

Für das Feuilleton des Morgen waren u.a. Richard Charmatz, Hugo BettauerJohann Ferch, Richard Guttmann, Hedwig Kanner, Emil Kolberg, Heinrich Leoster, vereinzelt auch Else Feldmann, Anton Kuh oder Kurt Sonnenfeld tätig.


Quellen und Dokumente

N.N.: Unser Morgen! In: Der Morgen, 24.1.1910, S. 1, Maximilian Schreier: „und so weiter“. Am zehnten Geburtstag des „Morgen“. In: Der Morgen, 26.1.1920, S. 5,

Auf litkult1920er.aau.at abrufbar: Auswahlbibliographie der Jahre 1918-1927

Literatur

Eintrag bei geschichtewiki.wiki.gv.at.

(ME)

Mit einem Nachruf auf das Fremden-Blatt und unter programmatischem Titel, jedoch ohne deklaratorischen Einstieg erschien am 23. März 1919 in Wien erstmals die Tageszeitung Der Neue Tag. Geleitet wurde sie von Benno Karpeles (1868-1938), der zuvor bereits Anfang 1918 die pazifistische Wochenschrift Der Friede ins Leben gerufen hatte. Karpeles gab als Devise aus, „im Dienste der Republik, der Demokratie, der sozialen Reform, der Erneuerung unseres öffentlichen Lebens den Kampf [zu] führen“ (zit. n. Amann 1992, S. 17). Karpeles setzte dabei vorwiegend auf jene Autoren, die bereits für den bis August 1919 erscheinenden Frieden schrieben: Karl Tschuppik wurde Chef vom Dienst und politischer Redakteur, das Feuilleton leitete Alfred Polgar. Schon die erste Ausgabe umfasste Texte von Arnold Höllriegel, Anton Kuh (Klein-Wien und Groß-Stockerau), Robert Musil (Die Affeninsel) und Alfred Polgar, u.a. auch Stefan Großmann, Hugo von Hofmannsthal, Egon Erwin Kisch, der, persönlich in finanzieller Bedrängnis, für sein Engagement für Karpeles‘ Blatt die Rote Garde verlassen hatte, Rudolf Olden, Hans Tietze, Walter Tschuppik, Fritz von Unruh und Egon Wellesz traten als Beiträger in Erscheinung. So kennzeichnete das republikanisch ausgerichtete Blatt ein umfängliches Feuilleton, das Theaterkritiken ebenso umfasste wie die Rubrik Wiener Symptome, für die v.a. Höllriegel und der junge Joseph Roth, der als Feuilletonist und Reporter von Polgar gefördert wurde, schrieben. Als Fortsetzungsromane wurden Die Erleuchtung von Henri Barbusse und Der Marqués de Bolibar von Leo Perutz abgedruckt.

Deutlich positionierte sich das Blatt gegen den Krieg, etwa im Leitartikel anlässlich des fünften Jahrestags der Kriegserklärung an Serbien. Im ungezeichneten Nachruf auf Moriz Benedikt, Chefredakteur der Neuen Freien Presse (NFP), kam es ebenso zur deutlichen Abrechnung; die fehlgeleitete Saat der NFP sei demnach im Weltkrieg und dem Zusammenbruch der Monarchie aufgegangen. War der früher bedeutende sozialdemokratische Genossenschaftsfunktionär Karpeles nach dem Tod Victor Adlers aus der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ausgetreten, lieferte er sich auch mit der Arbeiter-Zeitung (AZ) mediale Auseinandersetzungen (z.B. Was die „Arbeiter-Zeitung“ erzählt, Der Neue Tag, 10.9.1919, S. 1), die im Neuen Tag pointiert als „Verleumdungshysterie“ seitens der AZ apostrophiert (Der Neue Tag, 28.11.1919, S. 2) und von der konservativen Presse mit antisemitischem Unterton kommentiert wurde.

Am 17. April 1920 legte Karpeles die Funktion des Chefredakteurs zurück, an seine Stelle trat interimistisch Julius Szeps, der zuvor bereits das Fremden-Blatt geleitet hatte. Bereits Ende April erfolgte die Einstellung des Blattes, da, so die redaktionelle Mitteilung, „weder die Anerkennung, die unser Blatt gefunden hat, noch auch die warme Sympathie unseres zahlreichen Leserpublikums“ (Der Neue Tag, 30.4.1920, S. 1) ausreiche, um in wirtschaftlich schwierigen Zeiten weiter zu bestehen. Aus der angekündigten Unterbrechung des Erscheinens, das mit den gestiegenen Betriebskosten und Papiermangel zu erklären ist, sollte die endgültige Einstellung werden. Karpeles zog sich in der Folge aus der Zeitungsbranche zurück und engagierte sich fortan im Transportunternehmen seines Vaters in Wien und Berlin.


Quellen und Dokumente

Stefan Großmann: Aus einem Viktor Adler-Roman. In: Der Neue Tag, 10.8.1919, S. 4f., Arnold Höllriegel: Die Uhr. In: Der Neue Tag, 30.3.1919, S. 5, Hugo von Hofmannsthal: Deutsche Festspiele zu Salzburg. In: Der Neue Tag, 21.9.1919, S. 5f., Arnold Höllriegel: Pariser Erlebnis. In: Der Neue Tag, 14.12.1919, S. 5, Rudolf Kayser: Die neuen Dichter in die neue Schule. In: Der Neue Tag, 23.3.1919, S. 4, Anton Kuh: Klein-Wien und Groß-Stockerau. In: Der Neue Tag, 23.3.1919, S. 4, Hanns Margulies: Fahrt in den Frühling. In: Der Neue Tag, 11.4.1920, S. 7, Robert Musil: Die Affeninsel. In: Der Neue Tag, 23.3.1919, S. 8, N.N.: Moriz Benedikt. In: Der Neue Tag, 19.3.1920, S. 3f., Leo Perutz: Der Marqués de Bolibar [Fortsetzungsroman]. In: Der Neue Tag, 12.10.1919, S. 11, Alfred Polgar: Grabrede auf einen Humor. In: Der Neue Tag, 30.3.1919, S. 8, Alfred Polgar: Der Künstler braucht das. In: Der Neue Tag, 6.7.1919, S. 6, Alfred Polgar: Der Hase. In: Der Neue Tag, 1.1.1920, S. 3, Joseph Roth: Kaffeehausfrühling. In: Der Neue Tag, 25.5.1919, S. 4f., Joseph Roth: Papier. In: Der Neue Tag, 19.10.1919, S. 6, Joseph Roth: Das Antlitz der Zeit. In: Der Neue Tag, 1.1.1920, S. 4f., Hans Tietze: Die Demokratie und die Künstler. In: Der Neue Tag, 28.3.1919, S. 5, Walter Tschuppik: Diplomat und Tippmamsell. In: Der Neue Tag, 29.3.1919, S. 2.

Des Herrn Karpeles neue Pläne. In: Arbeiter-Zeitung, 10.9.1919, S. 3, Zwischen Austerlitz und Karpeles. In: Reichspost, 11.9.1919, S. 3, Ein Juden-Duell. In: Freiheit!, 20.9.1919, S. 5, Herr Karpeles auf der Geldsuche. In: Arbeiter-Zeitung, 23.9.1919, S. 4, Kola und Karpeles. In: Arbeiter-Zeitung, 19.10.1919, S. 4.

Literatur

Klaus Amann: Staatsfiktionen. Bilder eines künftigen Österreich in der Wiener Wochenschrift Der Friede (1918/1919). In: K. A.: Die Dichter und die Politik. Essays zur österreichischen Literatur nach 1918, S. 15-30 (1992), Gabriella Pelloni: Spazieren in Nachkriegswirren. Joseph Roth als Chronist des Wiener Lebens 1919/20 (in vergleichender Perspektive zu Francis Wolf-Cirian). In: Primus-Heinz Kucher, Julia Bertschik (Hg.): „baustelle kultur“. Diskurslagen in der österreichischen Literatur 1918-1933/38, S.103-122 (2011).

(ME)

von Hugo von Hofmannsthal

Hugo von Hofmannsthal, der den Krieg nur vom Kriegspressequartier kannte, schreibt in seinem Stück Der Schwierige (ersch. 1921) besonders intensiv am Mythos der Kameradschaft aus gemeinsam überstandener Todesangst.

[…] draußen, da haben wir uns miteinander angefreundet. Weißt du, er ist ein so völlig anständiger Mensch. […] wir haben das letzte Stückl Brot miteinander geteilt. Brave Menschen hats draußen viele gegeben, aber ich habe nie einen gesehen, der vis-à-vis dem Tod sich eine solche Ruhe bewahrt hätte, beinahe ein Art Behaglichkeit. (DS., 15)

Das sagt Baron Kari über Graf Hechingen, mit dessen Frau er ein Verhältnis hat, und Kari kommt mit großer Hartnäckigkeit immer wieder auf das „draußen“ zurück, wo er „begreifen gelernt habe: daß in den Gesichtern der Menschen etwas geschrieben steht“ (DS, 75). Karis Schwester macht sich mitunter ein wenig lustig über seine Arbeit am Mythos von „da draußen“. „Und dann hab ich gedacht, du hast dir draußen das viele Nachdenken ein bißl abgewöhnt“ (DS, 107), sagt sie zu ihm, als er sich nicht entscheiden will, ob er nun auf die Soiree gehen wird oder nicht. Karis Kriegserlebnisse müssen wiederholt als Entschuldigung für inadäquates Sozialverhalten herhalten, immer wieder sind es „die Nerven seit der Geschichte“ (DS 79).

Der Krieg hat in den Diskursen über die „Nerven“ einen deutlichen Geschlechterwechsel gebracht, um 1900 war der Verweis auf „die Nerven“ noch nahezu ausschließlich Frauen zugeordnet.


Literatur

DS = Hugo von Hofmannsthal: Der Schwierige. Der Unbestechliche. Zwei Lustspiele. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1974, S. 5–108

(EPH)

war das offizielle Organ des Kulturbunds in Wien, von dem insg. nur 3 Hefte in den Jahren 1922-23 erscheinen sollten. Als Redakteure zeichneten Kurt Frieberger, Robert Müller u. Friedrich Schreyvogl (H.1) bzw. K.A. Rohan (H. 2-3) verantwortlich. Die Zeitschrift erschien im Verlag Wiener Literarische Anstalt, in dessen Räumlichkeiten (Krotenthallergasse 2) bis 1925 auch das [no-lexicon]Kulturbund[/no-lexicon]-Sekretariat untergebracht war.

Entsprechend der (vorgeblich) überpolitisch-pluralistischen, „übernationalen“ [no-lexicon]Kulturbund[/no-lexicon]-Programmatik war auch D.Z. eine „Plattform heterogener ästhetischer und gesellschaftspolitischer Konzeptionen“ (Wallas), und versammelte Beiträge sowohl zu wirt., polit., soz. Problemfeldern der Nachkriegszeit (in weltanschaulicher Nähe zur Darmstädter „Schule der Weisheit“ von Hermann Graf v. Keyserling) als auch zu kunstwiss. Diskussionen (u.a. zu express. Kunst und atonaler Musik). Neben der Partizipation an der express. Literaturbewegung etwa durch Abdruck  v. Aphorismen Albert Paris Güterslohs und einer Passage aus Friebergers Drama Irdische Freifaltigkeit präsentierte D.Z. v.a. neuromant. lit. Texte u.a. v. Felix Braun, F.K. Ginzkey, Joseph Gregor, Alfons Petzold, Erika Rheinsch u. Stefan Zweig. Das Hauptgewicht lag auf essayistischen Beiträgen aus der Feder d. Kulturbund-Gründungsmitglieder; aber auch F. Braun, Hans Ewald Heller, Max Pirker, Oskar A.H. Schmitz u. Thomas Mann (mit dem urspr. in der Neuen Rundschau veröffentlichten Essay Von deutscher Republik) kamen in D.Z. zu Wort. Für das dritte (u. letzte), der schwedischen Kunst und Literatur gewidmete Heft arbeitete [no-lexicon]Rohan[/no-lexicon] mit dem schwed. Maler u. Schriftsteller Ernst Norlind zusammen; die Beiträge darin stammen u.a. v. dem Psychiater Poul Carl Bjerre sowie den Schriftstellern Ragnar Jändel, Ellen Karolina Sophie Key u. Selma Lägerlöf.

Inhaltsübersicht:
  • Der Zeitgeist 1 (Juli 1922), H. 1: Karl Anton Rohan: Das kommende Europa. – Friedrich Hardtmuth: Politik, Wirtschaft oder Moral? – Robert Müller: Individualismus und Millionität. – Oscar A.H. Schmitz: Die falsch gestellte Judenfrage. – Fortunat Schubert-Soldern: Das Wesen des Stils und seine Wandlungen. – Erich Wolfgang Korngold: Erste Manuskriptseite aus dem neuen Streichquartett in A-Dur. – Friedrich Schreyvogl: Das Problem der Form. – Franz Karl Ginzkey: Aus meinem Tagebuch. – Kurt Frieberger: Aus der mythischen Tragödie „Irdische Dreifaltigkeit“. – Alfons Petzold: Der Pilgrim. – Felix Braun: Auf den Tod eines Gelehrten. Max Dvořák + zum Gedächtnis. – Victor Frisch: Die Zeit wird kommen. Originalradierung. – E.W.K.: Musik im Zeitgeist. – Hans Ewald Heller: Musik von heute. – F. Heigl: Die verkehrs- und volkswirtschaftliche Bedeutung der Großschiffahrtsstraße Rhein-Main-Donau. – Friedrich Kronseder: Neueste religiöse katholische Literatur. – Kurt Frieberger: Erich von Kahler. – Friedrich Schreyvogl: Othmar Spann. – Friedrich Schreyvogl: Wilhelm Bauer. – Fr. Schr.: Adam Müller. – R.M.: Coudenhove. – R.M.: Thomas Mann. – R.M.: Wilhelm Hausenstein. – R.M.: Josef Gregor. – R.M.: Alfred Neumann. – R.M.: Kasimir Edschmid. – Friedrich Hardtmuth: Cuno Hofer. – R.M.: Otto Flake. – N.N.: Mitteilungen des Kulturbundes.
  • Der Zeitgeist 1 (Dez. 1922), H. 2: Karl Anton Rohan: Revolution, Schule der Weisheit, Kulturbund. – Thomas Mann: Von deutscher Republik. – Oscar A.H. Schmitz: Führerschaft und Magie. – Friedrich Hardtmuth: Fascismus und Genossenschaft. – Felix Braun: Wien und die Länder. – Stefan Zweig: Der Fakir. Aus einem Zyklus lyrischer Statuen „Die Herren des Lebens“. – Victor Frisch: Auguste Rodin. – Joseph Gregor: Der Duft. – Albert Paris Gütersloh: Worte für V… – Max Pirker: Hugo von Hofmannsthal. Ein Versuch. – Erika Rheinsch: Geheimes. – J.L. Groysbeck: Ackerbeetkultur. – Oscar A.H. Schmitz: Die Herbsttagung der Weisheitsschule in Darmstadt. – N.N.: Bericht des Sekretariats. – N.N.: Was will der Kulturbund?
  • Der Zeitgeist 1 (1923), H. 3: Karl Anton Rohan: Schwedisches Heft. – Poul Bjerre: Die Heiligkeitsgebote. – Ernst Norlind: Der Bussard. Federzeichnung. – Ragnar Jändel: Die Erneuerung der Kultur. – Ellen Key: Zwei Menschen. – Gerhard Henning: Porzellanplastiken. – Selma Lagerlöf: Judas. Russische Volkssage. – Hans Larsson: Gedanken. – Gerhard Henning: Der Handkuß. Porzellanplastik. – Ernst Norlind: Der Emigrant in London. – N.N.: Hald und Gate. Glasgegenstände. – N.N.: Altschwedische Tänze und Reigen. – Karl Anton Rohan: Die Tätigkeit des Kulturbundes.

Literatur

Armin Wallas: Der Zeitgeist. In: Ders.: Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich. Analytische Bibliographie und Register. Bd. 1: Analytische Bibliographie. München-New Providence-London-Paris: K.G. Saur 1995, S. 75-77 bzw. 449-452. – Murray Hall: Wiener Literarische Anstalt. Online unter: http://verlagsgeschichte.murrayhall.com/?page_id=653 (Stand: Nov. 2015).

(RU)

1919-1930

(in Vorbereitung)

Deutschvölkischer, antisemitisch ausgerichteter Geheimbund, der z.T. von geflüchteten Angehörigen deutscher Freikorps im Umfeld des Kapp-Putsches in Wien in den 1920er Jahren aufgebaut wurde und insbesondere an der Universität für Gewaltexzesse gegen jüdische und sozialdemokratische Studierende und Lehrende verantwortlich war, allen voran am Terror gegen den Leiter des I. Anatomischen Instituts, Prof. Julius Tandler.

Literatur und Materialien:

Bericht der AZ, 8.11.1929, S. 2-3. (Heimwehrüberfall/Die Terrorgarde des Antimarxismus)

K. Taschwer: Terrror gegen das Anatomische Institut von Julius Tandler 1920-1934: Hier.

(PHK, work in progress)