Perutz, Leo
geb. am 2.11.1882 in Prag – gest. am 25.8.1957 in Bad Ischl; Schriftsteller
Als Sohn einer jüdischen Textilfabrikantenfamilie in Prag aufgewachsen, besuchte P. zunächst die Piaristenschule in Prag, nach der Übersiedlung nach Wien zunächst das Erzherzog-Rainer-Gymnasium (ohne Abschluss), später eine Handelsakademie sowie Vorlesungen aus den Bereichen Mathematik und Wirtschaft an der Universität Wien. Ab 1907 arbeitete er als Versicherungsmathematiker in Wien und Triest. Parallel dazu begann P. nach dem Erscheinen erster literarischer Skizzen und Novellen ab 1906 größere literarische Projekte; zudem verkehrte er in der literarischen Gruppe „Freilicht“, der u.a. auch Richard A. Bermanneigentlich Richard A. Bermann, geb. am 27.4.1883 in Wien - gest. am 9.9.1939 in Saratoga Springs, New York; Journalist, ... angehörte, sowie mit Berthold Viertelgeb. am 28.6.1885 in Wien – gest. am 24.9.1953 in Wien; Schriftsteller, Kritiker, Dramaturg, Theater- und Filmreg... und Ernst Weiß. 1915 debütierte er mit dem historischen Roman Die dritte Kugel als Autor. 1916 als Offizier an der galizischen Ostfront schwer verwundet, kehrte P. als Zensor für Kriegsgefangenenpost im Kriegspressequartier nach Wien zurück.
In der Ersten Republik sollte P. neben historischen und phantastischen Romanen vor allem mit in Wien angesiedelten Zeitromanen in Erscheinung treten. Seit Der Marques de Bolibar (1920, Vorabdruck in der Ztg. Der neue TagAus: Der Neue Tag, 23.3.1919, S. 1 Mit einem Nachruf auf das Fremden-Blatt und unter programmatischem Titel, jedoch ohne... 1919) von namhaften Kritikern wie Hermann Brochgeb. am 1.11.1886 in Wien - gest. am 30.5.1951 in New Haven CT, USA; Schriftsteller, Kritiker, Industrieller, Exilant D... und Kurt Tucholsky unterstützt, stieg P. bald zum populären Publikumsautor auf; rezipiert wurde er jedoch auch von Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer, später auch von Jorge Luis Borges, der eine Übersetzung ausgewählter Werke ins Spanische unterstützte. Ende 1921 erschien im Feuilleton der Arbeiter-ZeitungGegr. 1889, verboten 1934, illegal 1934-1938, 1938 verboten, neugegr. 1945, eingestellt 1991 Aus: Arbeiter-Zeitung, 12.... der Roman Zwischen neun und neun in Fortsetzungen, den er wenig später dramatisierte. 1923 wurde das Stück in Hamburg uraufgeführt, kurz darauf wurde es auch im Deutschen Volkstheater in Wien gespielt. In diesen Jahren erschienen in rascher Abfolge Der Meister des jüngsten Tages (1923), Turlupin (1924) und Die Victor-Hugo-Bearbeitung Das Jahr der Guillotine (1925). Dem Vorwurf, P. sei ein Autor von Trivialliteratur, trat die Kritik wiederholt entgegen. Alfred Polgareigentlich Alfred Polak, geb. am 17.10.1873 in Wien – gest. am 24.5.1955 in Zürich; Schriftsteller, Kritiker, Überse... schrieb 1924, P.s Werke „erquicken durch ihren Sauerstoffreichtum, befreien, klimatische Kur-Bücher, vom Uebel einer Zeit-Literatur, die ganz schwammig, form- und haltlos ist“ (Prager Tagblatt, 24.2.1924, S. 22), Carl von Ossietzky adelte ihn 1925 in Stefan Großmanns Zs. Tage-Buch als „Dichter“. Zu diesem Zeitpunkt war P. nicht nur erfolgreicher Autor, sondern auch schillernde Figur in der Wiener Literaturszene; Josef Kalmar berichtete 1925 im Tag von einer Prügelei P.s mit Otto Soykageb. am 9.5.1881 in Wien – gest. am 2.12.1955 in Wien; Schriftsteller Nach dem frühen Tod seines Vaters, einem jüdis... im Café Herrenhof. P. stand u.a. mit Anton Kuhgeb. am 12.7.1890 in Wien – gest. am 18.1.1941 in New York; Journalist, Schriftsteller, Redner Ps.: Frater Antoni..., Robert Musilgeb. am 6.11.1880 in Klagenfurt – gest. am 15.4.1942 in Genf; Schriftsteller, Essayist, Wissenschaftler, Theaterkritik..., Alexander Roda Rodaeigentlich Alexander Rosenfeld, geb. am 13.4.1872 in Zdenci (Österreich-Ungarn/Kroatien) – gest. am 20.8.1945 in New ... und Franz Werfeleigentlich Franz Viktor Werfel, geb. am 10.9.1890 in Prag – gest. 26.8.1945 in Beverly Hills, USA; Schriftsteller... in Kontakt.
Neuerlich in Wien angesiedelt war die Kriegsheimkehrergeschichte Wohin rollst du, Äpfelchen…, die 1928 in der Berliner Illustrirten Zeitung abgedruckt wurde und im Ullstein-Verlag ein Verkaufserfolg wurde. Neben der Romanproduktion, wiederholt auch gemeinsam mit Paul Frank, widmete sich Perutz dem Theater, 1930 feierte Die Reise nach Preßburg ihre Premiere im Theater in der Josefsstadt.
Nach 1934 gehörte P. dem Bund Legitimistischer Jüdischer Frontsoldaten an, nach dem „Anschluss“ 1938 gelang P. die Ausreise nach Palästina, wo er in Tel Aviv ein zurückgezogenes Leben führte und die unabgeschlossenen Romanprojekte Nachts unter der steinernen Brücke und Der Judas des Leonardo vollendete. Eine endgültige Rückkehr nach Österreich trotz wiederholt geäußerten Unbehagens im jungen Israel blieb aus. P. starb bei einem Aufenthalt in Bad Ischl.
Weitere Werke
Der Kosak und die Nachtigall (1928, mit Paul Frank), Flammen auf San Domingo (1929), St. Petri-Schnee (1933), Der schwedische Reiter (1936)
Quellen und Dokumente
Zwischen neun und neun. In: Arbeiter-Zeitung, 20.11.1921, S. 9 bis 15.1.1922, S. 11, Wider den Cortez. In: Arbeiterwille, 28.6.1923, S. 4 bis 6.7.1923, S. 4, Turlupin. In: Prager Tagblatt, 15.2.1924, S. 11 bis 28.3.1924, S. 10, Geschichten aus dem Café „Herrenhof“. In: Linzer Tages-Post, 28.7.1925, S. 3, Flammen auf San Domingo. Nach Victor Hugos Roman „Bug-Jargal“. Illustrationen von Franz Plachy. In: Das Kleine Blatt, 9.6.1929, S. 19 bis 28.7.1929, S. 21.
Alfred Polgar: Der Erzähler Perutz. In: Prager Tagblatt, 24.2.1924, S. 22, Ernst E. Stein. Leo Perutz (Eine Betrachtung über den historischen Roman.) In: Arbeiter-Zeitung, 27.4.1925, S. 5, Fred Heller: Wiener Literatur-Café. In: Die Bühne (1927), H. 132, S. 17-19, „Wohin rollst du, Aepfelchen …?“ Roman von Leo Perutz In: Freiheit!, 12.9.1928, S. 7, M.H.: Leo Perutz bezichtigt Sowjetrußland des literarischen Diebstahls. Eine mißlungene Enquete der Bolschewiken. In: Neues Wiener Journal, 26.8.1930, S. 5, Hans Herrdegen: „Die Reise nach Preßburg“. Schauspiel von Leo Perutz. In: Neues Wiener Journal, 5.12.1930, S. 6.
Literatur
Bernd Auerochs: L. P. – ein moderner Klassiker der phantastischen Literatur. In: Zeitschrift für deutschsprachige Kultur & Literatur 25 (2016), S. 223-245, Tom Kindt (Hg.): L. P.‘ Romane. Von der Struktur zur Bedeutung (2007), Renate Heuer (Hg.): Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Bd. 17, 441-450 (2009), Hans-Harald Müller: L. P. Biographie (2007), Franziska Mayer: Unterhaltung vom “Dichter”. L.P.‘ Ullsteinroman „Wohin rollst du, Äpfelchen …“ In: Christine Haug (Hg.): Populäres Judentum. Medien, Debatten, Lesestoffe, S. 171-189 (2009), Magdolna Orosz: Krieg, Geschichte und Erinnerung bei Leo Perutz In: Rainer Hillenbrand (Hg.): Erinnerungskultur. Poetische, kulturelle und politische Erinnerungsphänomene in der deutschen Literatur, S. 163-175 (2015), Paula Wojcik, Elisabeth Johanna Koehn (Hg.): Schwellenräume – Schwellenzeiten in den Werken von Irène Némirowsky, L. P. und Bruno Schulz (2016).
Tom Kindt: Perutz, Leogeb. am 2.11.1882 in Prag – gest. am 25.8.1957 in Bad Ischl; Schriftsteller Als Sohn einer jüdischen Textilfabri.... In: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 207-208 [Online verfügbar]. Alexander Peer: Der Schriftsteller Leo Perutz und das Kaffeehaus als Lebensmittelpunkt. In: profil, 21.8.2014.
(ME)