Perutz, Leo

geb. am 2.11.1882 in Prag – gest. am 25.8.1957 in Bad Ischl; Schriftsteller

Als Sohn einer jüdischen Textilfabrikantenfamilie in Prag aufgewachsen, besuchte P. zunächst die Piaristenschule in Prag, nach der Übersiedlung nach Wien zunächst das Erzherzog-Rainer-Gymnasium (ohne Abschluss), später eine Handelsakademie sowie Vorlesungen aus den Bereichen Mathematik und Wirtschaft an der Universität Wien. Ab 1907 arbeitete er als Versicherungsmathematiker in Wien und Triest. Parallel dazu begann P. nach dem Erscheinen erster literarischer Skizzen und Novellen ab 1906 größere literarische Projekte; zudem verkehrte er in der literarischen Gruppe „Freilicht“, der u.a. auch Richard A. Bermann angehörte, sowie mit Berthold Viertel und Ernst Weiß. 1915 debütierte er mit dem historischen Roman Die dritte Kugel als Autor. 1916 als Offizier an der galizischen Ostfront schwer verwundet, kehrte P. als Zensor für Kriegsgefangenenpost im Kriegspressequartier nach Wien zurück.

In der Ersten Republik sollte P. neben historischen und phantastischen Romanen vor allem mit in Wien angesiedelten Zeitromanen in Erscheinung treten. Seit Der Marques de Bolibar (1920, Vorabdruck in der Ztg. Der neue Tag 1919) von namhaften Kritikern wie Hermann Broch und Kurt Tucholsky unterstützt, stieg P. bald zum populären Publikumsautor auf; rezipiert wurde er jedoch auch von Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer, später auch von Jorge Luis Borges, der eine Übersetzung ausgewählter Werke ins Spanische unterstützte. Ende 1921 erschien im Feuilleton der Arbeiter-Zeitung der Roman Zwischen neun und neun in Fortsetzungen, den er wenig später dramatisierte. 1923 wurde das Stück in Hamburg uraufgeführt, kurz darauf wurde es auch im Deutschen Volkstheater in Wien gespielt. In diesen Jahren erschienen in rascher Abfolge Der Meister des jüngsten Tages (1923), Turlupin (1924) und Die Victor-Hugo-Bearbeitung Das Jahr der Guillotine (1925). Dem Vorwurf, P. sei ein Autor von Trivialliteratur, trat die Kritik wiederholt entgegen. Alfred Polgar schrieb 1924, P.s Werke „erquicken durch ihren Sauerstoffreichtum, befreien, klimatische Kur-Bücher, vom Uebel einer Zeit-Literatur, die ganz schwammig, form- und haltlos ist“ (Prager Tagblatt, 24.2.1924, S. 22), Carl von Ossietzky adelte ihn 1925 in Stefan Großmanns Zs. Tage-Buch als „Dichter“. Zu diesem Zeitpunkt war P. nicht nur erfolgreicher Autor, sondern auch schillernde Figur in der Wiener Literaturszene; Josef Kalmar berichtete 1925 im Tag von einer Prügelei P.s mit Otto Soyka im Café Herrenhof. P. stand u.a. mit Anton Kuh, Robert Musil, Alexander Roda Roda und Franz Werfel in Kontakt.

Neuerlich in Wien angesiedelt war die Kriegsheimkehrergeschichte Wohin rollst du, Äpfelchen…, die 1928 in der Berliner Illustrirten Zeitung abgedruckt wurde und im Ullstein-Verlag ein Verkaufserfolg wurde. Neben der Romanproduktion, wiederholt auch gemeinsam mit Paul Frank, widmete sich Perutz dem Theater, 1930 feierte Die Reise nach Preßburg ihre Premiere im Theater in der Josefsstadt.

Nach 1934 gehörte P. dem Bund Legitimistischer Jüdischer Frontsoldaten an, nach dem „Anschluss“ 1938 gelang P. die Ausreise nach Palästina, wo er in Tel Aviv ein zurückgezogenes Leben führte und die unabgeschlossenen Romanprojekte Nachts unter der steinernen Brücke und Der Judas des Leonardo vollendete. Eine endgültige Rückkehr nach Österreich trotz wiederholt geäußerten Unbehagens im jungen Israel blieb aus. P. starb bei einem Aufenthalt in Bad Ischl.


Weitere Werke

Der Kosak und die Nachtigall (1928, mit Paul Frank), Flammen auf San Domingo (1929), St. Petri-Schnee (1933), Der schwedische Reiter (1936)

Quellen und Dokumente

Zwischen neun und neun. In: Arbeiter-Zeitung, 20.11.1921, S. 9 bis 15.1.1922, S. 11, Wider den Cortez. In: Arbeiterwille, 28.6.1923, S. 4 bis 6.7.1923, S. 4, Turlupin. In: Prager Tagblatt, 15.2.1924, S. 11 bis 28.3.1924, S. 10, Geschichten aus dem Café „Herrenhof“. In: Linzer Tages-Post, 28.7.1925, S. 3, Flammen auf San Domingo. Nach Victor Hugos Roman „Bug-Jargal“. Illustrationen von Franz Plachy. In: Das Kleine Blatt, 9.6.1929, S. 19 bis 28.7.1929, S. 21.

Alfred Polgar: Der Erzähler Perutz. In: Prager Tagblatt, 24.2.1924, S. 22, Ernst E. Stein. Leo Perutz (Eine Betrachtung über den historischen Roman.) In: Arbeiter-Zeitung, 27.4.1925, S. 5, Fred Heller: Wiener Literatur-Café. In: Die Bühne (1927), H. 132, S. 17-19, „Wohin rollst du, Aepfelchen …?“ Roman von Leo Perutz In: Freiheit!, 12.9.1928, S. 7, M.H.: Leo Perutz bezichtigt Sowjetrußland des literarischen Diebstahls. Eine mißlungene Enquete der Bolschewiken. In: Neues Wiener Journal, 26.8.1930, S. 5, Hans Herrdegen: „Die Reise nach Preßburg“. Schauspiel von Leo Perutz. In: Neues Wiener Journal, 5.12.1930, S. 6.

Literatur

Bernd Auerochs: L. P. – ein moderner Klassiker der phantastischen Literatur. In: Zeitschrift für deutschsprachige Kultur & Literatur 25 (2016), S. 223-245, Tom Kindt (Hg.): L. P.‘ Romane. Von der Struktur zur Bedeutung (2007), Renate Heuer (Hg.): Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Bd. 17, 441-450 (2009), Hans-Harald Müller: L. P. Biographie (2007), Franziska Mayer: Unterhaltung vom “Dichter”. L.P.‘ Ullsteinroman „Wohin rollst du, Äpfelchen …“ In: Christine Haug (Hg.): Populäres Judentum. Medien, Debatten, Lesestoffe, S. 171-189 (2009), Magdolna Orosz: Krieg, Geschichte und Erinnerung bei Leo Perutz In: Rainer Hillenbrand (Hg.): Erinnerungskultur. Poetische, kulturelle und politische Erinnerungsphänomene in der deutschen Literatur, S. 163-175 (2015), Paula Wojcik, Elisabeth Johanna Koehn (Hg.): Schwellenräume – Schwellenzeiten in den Werken von Irène Némirowsky, L. P. und Bruno Schulz (2016).

Tom Kindt: Perutz, Leo. In: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 207-208 [Online verfügbar]. Alexander Peer: Der Schriftsteller Leo Perutz und das Kaffeehaus als Lebensmittelpunkt. In: profil, 21.8.2014.

(ME)