Hermynia Zur Mühlen

Hermynia Zur Mühlen (1883-1951) trat nach 1918 zunächst als Übersetzerin aus dem Russischen, in den 1920er Jahren verstärkt auch des Amerikanischen/Englischen, insbesondere von Upton Sinclair, in Erscheinung und widmete sich, im Umfeld der KPD-Literaturpolitik sehr früh auch dem Genre des proletarischen Kinderbuchs sowie des Märchens. Das vorliegende Modul zeichnet diese Werkbiographie an mehreren Schnittstellen von ästhetischer und politischer Arbeit nach. Es legt den Akzent zudem auf eine Werkgruppe, die bislang eher im Abseits gestanden war: auf die unter dem Pseudonym Lawrence H. Desberry zwischen 1922 in Zeitungen wie als eigenständige Bücher veröffentlichte Kriminalromane, die zugleich auch politische Analysen und Botschaften transportierten. Den Abschluss bilden die autobiographischen Romane zwischen 1929 und 1933, die zugleich ihren Ablöseprozess von der KPD und ihre Annäherung an das (sozialdemokratische) ‚Rote Wien‘ begleitet haben.

Von Jörg Thunecke | Juni 2018

Inhaltsverzeichnis

  1. Leben und Werk – ein Überblick
  2. Übersetzungen
  3. Märchen
  4. Frühe Romane
  5. Frühe Erzählungen
  6. Kriminalromane
  7. Autobiografische Romane
  8. Schlussbemerkung

Ich möchte auch einmal eine Geschichte erzählen, die kein Märchen ist, sondern die lauterste Wahrheit; doch fürchte ich, ihr werdet sie nicht glauben. Es war einmal ein großes Reich, in dem lebten zwei Nationen, die eine hatte ein herr­liches Dasein, alles Gute und Schöne dieser Er­de gehörte ihr, sie konnte alle ihre Wünsche verwirklichen, und was das Seltsame dabei war: alle die köstlichen Spei­sen, die schönen Kleider, die prächtigen Häuser, die Reit- und Fahr­pferde, die Automobile kosten diesen Leuten nichts – denn die andere Nation bezahlt sie. Wie reich muß aber erst die andere Nation sein, wenn sie all dies bezahlen kann? Wie gut muß es ihr gehen? Schaut euch die Dinge etwas genauer an. Die andere Nation lebt in elenden Kellerlöchern, in Dachkammern. in vollge­pferch­ten Löchern. Sie sieht Fleisch nur aus der Fer­ne, auf ihren Tisch kommt kein Bra­ten, ihre Frauen und Kinder gehen in Lumpen gehüllt, in ihr durchge­schuftetes, abgehetztes Leben kommt keine Freude. Und dennoch zahlt sie für al­les, was die Glücklichen genießen. Ihr lacht mich aus; diese Erzählung sei ein dummes, un­glaubliches Märchen. Hört weiter. Wenn im erstklassigen Hotel nach einem großen Festmahl der Gastgeber gelassen Millionen von Mark be­zahlt, so bezahlt nicht er sie, sondern die Ar­beiter, die in seiner Fabrik schuften, denen er, wo er kann, Löhne verkürzt und denen er den Achtstundentag rauben will, auf daß er noch besser leben könne. Was die Reichen dieser Erde ge­nießen, bezahlt ihr, ihr, das Proletariat aller Länder, ihr Hungernden, die ihr im Sommer in der heißen Stadt keucht, die ihr im Winter halb erfriert. Wahrlich, ihr seid großmütig – oder ge­hört hier ein anderes, weniger höfliches Wort her? Ihr seht, diese Geschichte ist kein Mär­chen. Märchenhaft daran bloß ist eure Geduld, nur die Langmut, mit der ihr noch immer alles bezahlt. (Zur Mühlen: ‚Wer zahlt?‘)


1. Leben und Werk – ein Überblick

Hermine Isabella Gräfin Folliot de Crenneville-Poutet wurde 1883 in Wien als Kind wohl­habender, aristokratischer, am kaiserlichen Hof verkehrender Eltern ge­boren; 1951 verstarb sie nördlich von London, verarmt, vereinsamt und von Krankheit gezeichnet. Das war der dra­ma­tische soziale Abstieg der Schrift­stel­lerin und Übersetzerin in etwas über 67 Jahren. Am 12. Dezember 2018 jährt sich ihr Geburtstag zum 135. Mal. (Thunecke [2001])

Als Tochter eines Diplomaten im Dienst der k.u.k. Monarchie wurde ihr ei­ne standes­gemäße Erziehung zuteil, inklusive Bildungsreisen durch drei Kon­ti­nente und dem damit ver­bundenen Erwerb verschiedener Fremdsprachen.1 Im Herbst 1907 lernte sie in Meran (Süd­tirol)2 den livländischen Großgrundbesitzer Victor von zur Mühlen (1879-1950) kennen, einen typischen Krautjunker, den sie im Juni 1908 heiratete und dessen russische Nationalität an­nahm, um an­schlie­ßend zum Protestantismus überzutreten. Die Familie von zur Mühlen be­­­­saß in Eigstfer, Kirchspiel Pillistfer im Bezirk Dorpat dem heutigen Tartu (Est­­land, damals Teil des Zarenreiches) , in einer gottverlassenen Gegend, ein Gut, dessen Lebensstil der gebildeten und vielseitig interessierten Hermynia auf die Dauer unerträglich wurde. Nach zwei Fehlge­bur­ten begann sie zu kränkeln und begab sich im Herbst 1913 zur Kur nach Da­vos in der Schweiz. Sie nutz­te die­se Gelegenheit, um sich nach sechsjähriger Ehe von ihrem Gemahl zu tren­­nen und sich später auch von ihm scheiden zu lassen. Aus Protest gegen die an­­­schlie­ßende Behandlung durch die livländische Verwandtschaft änderte sie au­ßer­dem ihren Namen und nannte sich von da an Hermynia Zur Mühlen.3

Im zweiten Jahr ihres sechsjährigen Kuraufenthalts in Davos (1913-18) lern­te sie den aus Wien gebürtigen Juden Stefan Isidor Klein (1889-1960) ken­nen, der in Ungarn aufge­wach­sen war und seinen Lebensunterhalt mit Über­set­zungen aus dem Ungarischen bestritt.4 1919 verließen sie gemeinsam Davos und ließen sich in Frankfurt a.M. nieder, wo sie bis 1933 lebten. Hier be­gann Zur Mühlens Karriere als Schriftstellerin und Übersetzerin, wobei ihre Schrif­­­ten während dieses Zeitabschnitts in wachsendem Maße ihre damalige revolutio­nä­re Einstellung widerspiegelten (sie trat 1919 der KPD bei, der sie bis Ende 1932 treu blieb). Sie machte sich dabei insbesondere einen Namen als links­gerichtete Kinderbuchautorin berühmt wurde der Band Was Peterchens Freunde erzäh­len (1921) und tat sich außerdem mit Übersetzungen po­li­tischer Literatur, ins­besondere vieler Romane des amerikanischen Er­folgsschriftstellers Upton Sin­clair (1878-1968) im Malik Verlag, hervor. Als überzeugte So­zialistin verfolgte sie in ihren schriftstellerischen Arbeiten während der 1920er und frühen 1930er Jahren meist direkte politische Ziele, so etwa in Erzählun­gen wie Schupomann Karl Müller (1924). Auch setz­te sie sich bereits früh so etwa in Der Tempel (1922) für Ver­ände­run­gen in der gesell­schaftlichen Stellung von Frauen ein.5 Die Wiener Jahre von 1933 bis 1938 die Autorin und ihr Le­bens­gefährte ver­ließen Deutschland be­reits im März 1933 standen ganz im Zei­chen ihres rast­losen Einsatzes gegen den wachsenden Einfluss der Natio­nal­­sozia­li­sten in Öster­reich. Deutlichstes Zeug­­nis dafür war ihr 1935 er­schie­nener Roman Un­­sere Töch­ter, die Nazinen.

          Nach dem ‚Anschlussʽ Österreichs im März 1938 floh das Paar nach Pie­šťany, einem Kurort  in der Nähe von Bratislava / Preßburg (Mähren; heute Teil der Slowakei), wo es Mit­te 1938 hei­ra­tete. Die Besetzung der Rest-Tschechos­lo­wa­kei durch das Dritte Reich war dann Ende Mai 1939 Anlass zur erneuten Emigration. Diese Flucht führte letztendlich über fünf Län­der nach England, wo das Paar am 19. Juni 1939 eintraf.  Hier wohnte es abge­sehen von einer kurzen In­ternie­rung im Spätsommer 1939 in London und nahm lebhaft am kulturellen Le­ben des deutschsprachigen Exils in der britischen Hauptstadt teil. Nach Kriegs­­ende, im Frühjahr 1948, bezog es dann eine Miets­wohnung in Radlett (Hertford­shi­re), nördlich von Lon­don. Für Hermynia Zur Mühlen war das die letz­te Station einer langen, von Flucht ge­präg­ten Irrfahrt: sie starb dort am 20. März 1951 und wur­de auf dem örtlichen Friedhof be­erdigt. Ihr Ehemann, Stefan Klein, ver­schied am 6. Oktober 1960 im nahegelegenen St. Al­bans. Der Nach­lass der Au­­to­­rin wurde offenbar als Müll entsorgt (Frakele, 373-83).

Trotz beachtlicher schriftstellerischer Leistungen während der 1920er und frü­hen 1930er Jahre, die u.a. geprägt waren durch ihre Auseinandersetzung mit der KPD, gelang Her­mynia Zur Mühlen der eigentliche literarische Durchbruch erst während ihres fünfjähri­gen Auf­enthalts in Wien zur Zeit des Ständestaates. Die Werke dieser Schaffensperiode zeich­neten sich durch den Kampf gegen den deut­schen Faschismus aus, der u.a. Ausdruck fand in einem Brief an den Stuttgarter En­gelhorn Verlag vom 19. Oktober 1933. Dieses Schreiben, das am 26. Ok­tober in der Wiener Arbeiter-Zeitung veröffentlicht wurde, hatte zur Folge, dass ihre zuletzt in Deutschland erschienenen Bücher wie Ende und Anfang (1929) und Das Rie­sen­rad (1932) dort nicht länger vertrieben werden duften, Vorabdrucke in  deut­­­schen Zeitungen und Zeit­schrif­ten eingestellt wurden und ihre sämt­lichen bis­­herigen Schriften auf der ‚Liste des schäd­lichen und unerwünsch­ten Schrift­tumsʽ landeten (Altner [1997], 139-40).

Höhepunkt ihres Kampfes gegen den deutschen Faschismus war dabei das bereits er­wähnte Werk Unsere Töchter, die Nazinen, einer der wenigen zeit­ge­nössischen Berichte über Nazi-Deutschland in Romanform, worin ein relativ wahrheitsgetreues Bild über die dortigen Verhältnisse vermittelt ward.6 Der Ro­man wurde aufgrund von Protesten des deutschen Ge­sand­ten in Wien, Franz von Papen, verboten und am 13, Februar 1936 beschlagnahmt. Streng genom­men handelt es sich bei Unsere Töchter, die Nazinen jedoch nicht um einen Exil­ro­man. Dazu zählen eigentlich erst jene Werke der Autorin, die sie wäh­rend ih­res ein­jährigen Aufent­haltes in der Tschechoslowakei und den sich daran an­schließen­den zwölf Jahren in England schrieb, insbesondere die beiden noch vorhande­nen Teile einer ‚Österreich-Trilogieʽ (1935 /1943),7 welche dem be­rühm­ten Roman-Zyklus’ The Forsyte Saga (1906/21) des eng­li­­schen Nobel­preis­­trägers John Galsworthy (1867-1933)8 ab Mitte der 1920er Jahre auch auf Deutsch beim Wiener Zsolnay Verlag vorliegend nachempfunden war.

Nach einer Reihe von Neuauflagen ihrer Werke während des ersten Jahr­­­­zehnts nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere in der DDR, wurde es dann zunächst still um Hermy­nia Zur Mühlen, und erst seit den 1990er Jahren haben  Neu­auflagen bzw. –veröffentlichun­gen so etwa von Als der Fremde kam (1994), Ewi­ges Schattenspiel (1996), Fahrt ins Licht (1999), Unsere Töchter die Nazi­nen (2000), Vierzehn Nothelfer sowie Nebenglück (beide 2002) dazu bei­ge­tragen, dass einige der bedeutenderen Werke der Autorin wieder im Buch­handel greifbar sind. Zudem hat Manfred Altner 1997 eine Biographie der streit­baren Auto­rin herausgebracht, und 2009 erschien eine erste Monographie über Teile des Werkes Her­my­nia Zur Mühlens von der englischen Kritikerin Ailsa Wal­lace. Ferner werden in abseh­barer Zukunft die Ergebnissen eines Her­mynia Zur Mühlen-Symposiums, das bereits 2008 in Wien stattfand,9 in einem Sammel­band er­schei­nen.10

2. Übersetzungen

Hermynia Zur Mühlen begann ihre literarische Karriere als Übersetzerin: 1918 über­trug sie den Roman Иго войны des russischen Schriftstellers Leonid An­­dre­jew (1871-1919) ins Deutsche (Das Joch des Krieges11), gefolgt  wäh­rend eines Zeitraumes von mehr als drei Jahrzehnten von zahlreichen Werken in meh­reren eu­ro­päischen Sprachen, von Autoren wie Francis André (1897-1976), Claude Aveline (1901-92), Nathan Asch (1902-64), Alex­an­der Bogda­noff (1873-1928), John Cour­nos (1881-1966), Floyd Dell (1887-1969), Max East­man (1883-1969), Edna Fer­ber (1885-1968), John Gals­worthy (1867-1933), Douglas Gold­ring (1887-1960), Henri Guil­beaux (1884-1938), Joseph Herges­heimer (1880-1954), Jero­me K. Jerome (1859-1927), Ha­rold Ni­col­son (1886-1968), Pierre Pascal (1890-1983), Ernest Poole (1880-1950), Rin­guet (d.i. Phi­lippe Panneton) (1895-1960), Kenneth Roberts (1885-1957), Des­mond Shaw (1877-1960), Nevile Shute (1899-1960), Hugh Walpole (1884-1941), Is­rael Zangwil (1864-1926).12 Beson­dere Verdienste hat sich Zur Mühlen jedoch um Upton Sinclair (1878-1968) erworben,13 der durch ihre Über­setzung sei­ner Roma­ne und Dramen „als der pro­le­tarische Schriftsteller Ame­­ri­kas schlechthin und als Amerikas bekanntester So­zialist in Deutschland galt“. (Altner [1997], 75) Die Verbindung zwi­schen Upton Sinclair und dem Berliner Ma­­lik Ver­lag kam 1921 durch Zur Müh­lens Übersetzung des Ro­mans 100 Prozent zu­stan­de (s. Altner [1997], 70), nach­dem sie bereits  früher zwei wichtige Werke des Ameri­kaners für ande­re Ver­lage über­­tra­gen hatte (König Kohle [1918] so­wie Jimmie Higgins [1919]).14 Zur Mühlens Über­setzungs­arbeiten für den Ma­lik Verlag, dessen poli­tisches En­ga­ge­ment an der Seite der KPD  ihrer da­ma­li­gen ideolo­gi­schen Über­zeugung ent­sprach und wo ab 1921 auch etliche ihrer Kunst­­mär­chen er­schienen (s.u.), erstreckten sich von 1919 bis 1928 (vgl. Schulz). Während die­ses Zeit­raumes über­trug sie allein vier­und­zwan­zig Titel Up­ton Sin­clairs,15 war eigentlich seine Ent­deckerin in der Weimarer Zeit und Ini­tia­to­rin ei­ner groß­angelegten Aus­­gabe seiner Ge­sam­­mel­­ten Werke auf Deutsch. Aller­dings kam es im Zusam­men­hang mit der Über­tra­gung von Sin­­­clairs Roman Oil (Petro­leum [1927]) zwi­schen der Übersetzerin einerseits und Autor / Ver­lag (in der Person Wie­land Herzfeldes [1896-1988]) an­derer­seits zu Reibereien,16 die dann im Zuge der Über­tragung von Boston (1929)17 zum Zerwürfnis führ­ten. Weder für Up­­­­ton Sinclair noch Wie­land Herz­felde waren die Umstände dieses Streits ein Ruh­mes­blatt, wie der Ver­öffent­lichung des Brief­wechsels zwischen Über­setzerin und Autor ent­­­­­nommen werden kann. Für Zur Mühlen war es jedenfalls eine höchst schmerz­liche Er­fahrung, denn sie muss­te er­ken­nen, dass nach der Um­wandlung des Malik Ver­lages in eine Ak­tien­ge­sellschaft (1925), in der Herz­felde lediglich An­ge­stellter war, die finanzielle Ab­­hän­gigkeit des Ver­lags­lei­ters Auswirkungen auf das Verlagsprogramm hatte.18 Up­­­ton Sin­clair für sei­ne Per­son erlag mut­maß­lich den Ein­flüsterungen neidi­scher Kolle­gen,19 die das große Ge­schäft mit dem Werk des Amerikaners wit­ter­ten. Das kal­t­schnäuziges Verhalten gegen­über seiner jahrelangen Für­spre­che­­­rin bewies man­­geln­­de Grö­­­ße (Brief vom 9. De­zem­ber 1927),20 und einmal schrieb er ihr sogar: „where I had to decide between personal gra­­ti­tude and the interest of the books, the books ought to come first.” (zitiert bei Rösler, 26)

3. Märchen

Abgesehen von Dutzenden von Übersetzungen während der 1920er Jahre hat Hermy­nia Zur Mühlen innerhalb eines Jahrzehnts (1921-1930) nicht weni­ger als 29 Kunstmärchen verfasst und sich damit ein zweites Stand­bein als Schriftstellerin geschaffen.21 Den Anfang mach­te eine Sammlung von sechs Mär­­chen unter dem Titel Was Peterchens Freunde erzählen (1921),  die sie mehr als fast alle ihre späteren Werke berühmt machten (Lévêque, 55-56). Ihr Weg „von der nachschaffenden Übersetzerin zur freischaffenden Schrift­stellerin“ (Altner [1997], 91) hatte sich allerdings bereits 1919 angedeutet, als sie für die Bres­lau­er Zeit­schrift Die Erde den Beitrag ‚Junge-Mädchen-Lite­raturʽ ver­faßte, worin sie sich er­ei­ferte:

Reißt das Unkraut aus, das üppig aufwuchernd die zarten Seelenpflanze [d.h. junge Mädchen; JT] zu ersticken droht, gebt ihr Sonne und Luft und gesunde, veredelnde Nahrung; macht einen Menschen aus dem jungen Ding, das noch jedem Einfluß zugänglich ist. Dann könnt ihr auf Söhne hoffen, die den Helden der Backfischbücher verdrängen: auf freie, starke Men­schen, Erbauer einer freien, brüderlichen Welt. (Zur Mühlen: ‚Junge-Mädchen-Literaturʽ, 474)

und womit sie implizit andeutete, dass Kinder eine spezielle Rolle im Eman­­­zi­pations­pro­zess ein­­nehmen, da sie noch nicht von Ideologien und Vor­urteilen korrumpiert worden sind.

Abb. 1: Was Peterchens Freunde erzählen, Cover

Zur Mühlens einschlägige schriftstellerische Tätigkeit nahm also ihren An­fang mit der Märchensammlung Was Peterchens Freunde erzählen – mit Illu­­stratio­nen von George Grosz (1893-1959) –, 1921 im Malik-Verlag erschie­nen.22 Es folg­­ten in den darauf folgenden Jah­ren Märchen (1922),23 Ali, der Tep­pich­we­ber (1923),24 Das Schloß der Wahrheit (1924),25 Der Muezzin (1927), Die Söhne der Aischa (1927), Said der Träumer (1927), sowie Es war einmal … und es wird sein (1930).26 Nicht alle Mär­chen-Bände wurden beim Malik-Verlag veröffentlicht, sondern mehr als die Hälfte bei der mit der KPD affi­li­ierten Vereinigung Internationaler Verlags­an­stalten (VIVA) in Berlin. Als Illustratoren traten außer George Grosz Be­rühmt­heiten wie John Heartfield (1891-1968), Karl Holtz (1899-1978) und Hein­rich Vogeler (1872-1942) in Er­scheinung, was diese Ausgaben zu Sammler­rari­täten macht.

Märchen nahmen somit für Zur Mühlen zunehmend die Rolle „des Be­wußt­­machens der Lage und der Motivation zur Selbstbefreiung des Men­schen“ (Altner [19979, 92) ein, und sie „handhabte das Märchen als Mittel der Wirklichkeits­er­kun­dung und Selbst­erfahrung ihrer Le­ser“. Dabei ist „[e]in Anknüpfen an gat­tungs­spezifische Merkmale des herkömmlichen Volks­märchens“ unverkennbar, und die Autorin verzichtet keineswegs „auf Elemente des phan­tastisch-wun­der­­baren Erzählens“, indem sie u.a. häufig Anthro­po­morphismen verwendete (Alt­ner [1997], S. 95). Sie mag sich dabei insbesondere auch an den bahn­brechenden Schriften Ed­win Hoernles (1883-1952) ori­en­tiert haben, der damals als der Bildungsexperte der KPD galt27 und sich mit Schriften wie So­zia­listische Jugenderziehung und so­zia­listische Ju­gend­bewegung (1919), Die Arbeit in den kommunistischen Kin­dergruppen (1923) und Die Grundfragen der proletarischen Erziehung (1929) her­vorgetan hatte. Eine Passage aus der Arbeit in den kommu­nistischen Kinder­grup­pen mag Zur Mühlen sich dabei anlässlich ihres eigenen Märchen-Schrei­be­ns besonders zu Herzen genommen haben:28 „Überhaupt müssen wir wieder lernen Ge­schich­ten zu er­zäh­len, phantastische, kunstlose Geschichten, wie sie in der vorkapita­li­stischen Zeit in den Spinn­­stu­ben der Bauern und in den Hand­wer­­kerwohnungen gehört wurden“, schrieb Hoern­­le dort, um fortzufahren:

Hier spiegelt sich das Denken und Sinnen der Massen am einfachsten und deshalb am klar­sten. Der Kapitalismus mit seiner Zerstörung der Familie und seiner Mechanisierung des ar­bei­tenden Menschen hat diese alte ‚Volkskunstʽ des Märchenerzählens vernichtet. Das Prole­ta­riat wird die neuen Märchen, in denen sich sein Kampf, sein Leben, seine Ideale spiegeln in demselben Maße schaffen, als es wieder Zeit gewinnt, Mensch zu sein, und an Stelle der zer­brochenen al­ten neue Erziehungsgemeinschaften aufbaut. Es hat keinen Sinn, darüber zu kla­gen, daß wir keine passenden Märchen für unsere Kinder haben. Berufsdichter werden sie nicht schaffen, Märchen entstehen nicht am Schreibtisch. Das wirkliche Märchen entsteht un­bewußt, kollektiv, im Laufe längerer Zeitabschnitte, und die Arbeit des Dichters besteht höch­­stens darin, den vorhandenen Stoff zu glätten und zu runden. Das neue proletarische und industrielle Märchen wird kommen, sobald das Proletariat eine Stätte geschaffen hat, in der wie­der Märchen nicht vorgelesen, sondern erzählt, nicht nacherzählt, sondern im Erzählen ge­­­dichtet werden.29

Dementsprechend beherrschten Märchen – insbesondere in den frühen 1920er Jahren – die proletarische Jugendliteraturszene,30 und es lässt sich während die­ses Zeitabschnitts eine „be­wußte Politisierung“ der Kinderliteratur aus­ma­chen.31

Inhaltlich zeichneten sich somit die in den frühen 1920er Jahre ent­stan­­de­nen Kunst­­­­mär­chen Zur Mühlens zunächst durch sozialistische, jedoch meist ziemlich kindlich orientierte Themen aus (vgl. dazu Was Peter­chens Freun­­de er­zäh­len [1921], Mär­chen [1922] sowie Ali, der Teppichweber [1923]).32 Aller­dings fand dann ab Mitte des Jahr­zehnts – mit der Hinwendung der Autorin zum Kom­­­mu­­nis­mus – the­­ma­tisch ein Umschwung in ihrem Mär­chenwerk statt,33 der sich deutlich in Der Muezzin, Die Söhne des Aischa und Said der Träu­mer (alle 1927) sowie in ihrem letzten Märchen, Die rote Fahne (1930), abzeich­ne­te. Denn diese letzten vier Märchen der Autorin richteten sich auch an Erwachsene und sind durch ihre betonte ‚Inter­na­tio­na­li­tätʽ cha­rak­te­ri­siert, gleich­wohl sich eine derartige Ent­wick­lung be­reits in einigen der Mär­chen von Das Schloß der Wahrheit (1924) nachweisen läßt.34

4. Frühe Romane

Parallel zu ihren zahlreichen Übersetzungen und Kunstmärchen hat Her­my­nia Zur Müh­len wäh­rend einer intensiven Schaffensperiode von et­was über einem Dutzend Jahren zu­dem vier Romane35 sowie zahlreiche Erzäh­lungen36 verfasst, ferner – teils unter den Pseudony­men wie Lawrence H. Des­ber­ry und Traugott Lehmann – neun Kriminalromane.37

Quasi zeitgleich mit der Entstehung von Was Peterchens Freunde erzählen ver­öf­fent­lichte Zur Müh­len 1922 den Roman Der Tempel, worin das Schicksal eines jüdischen Wai­senknaben in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg geschildert wird und feministische Tö­ne anklingen, die an den 1932/33 erschiene­nen Ro­man Mar­chese Assunto hei­ra­tet nicht für Geld! erinnern.

Bei diesem ersten Roman Zur Mühlens, erschienen 1922 bei der Ver­­einigung Internationaler Verlagsanstalten, handelte es sich um eine Art von Rahmener­zäh­lung, deren Handlung sich von den Pogromen der frühen 1880er Jahre im zaristischen Russ­­land bis zum Spartakus-Aufstand in Berlin im Januar 1919 spannt. Protagonist ist ein jü­di­scher Wai­sen­knabe namens Moi­sche, der in St. Petersburg von einer Edelhure namens Nad­ja Sklowski aus Mit­leid nach dem Tod von dessen Groß­mutter aufgenommen und vier Jahre unter­halten wird, bis sie elendig an Tu­ber­kulose stirbt. Als Bettler wird der sieben­jäh­rige Jun­ge dann auf dem Newski-Prospekt, der Prachtstraße im Zentrum St. Peters­burgs, von einer be­rühm­ten deutschen Sängerin aufge­grif­fen und ihrer Familie in einer ost­preu­ßi­schen Klein­stadt an der Weichsel zur Pflege übergeben, während sie selbst sich auf Tour­­nee in Amerika begibt (und wenig später stirbt). In dieser Familie eines patriotischen Gym­­nasial­lehrers na­mens Wil­helm Sel­der, sowie seiner vier Kinder, Ilse, Friedrich, Gustav und Le­ne, wächst der sieben­jäh­rige Knabe nach inzwischen  zwei Namensänderun­gen (in Russland hieß er Ivan, in Deutsch­land Johannes), auf. Nach einem Hand­lungssprung ent­wickelt sich zwi­schen Jo­hannes und Lene, der jüngsten Tochter des Hauses, sowie Anatol, dem Sohn eines jüdischen Buch­händlers, eine enge Freundschaft. Die drei schlie­­­ßen einen ‚Ge­heim­bund‘ und lesen subversive Schriften.38 Suk­zessive zie­hen später Ana­tol und Johannes nach Ber­lin, und auch Lene brennt durch und schließt sich in Berlin einer Gruppe von Sozialisten an (Ana­tol, Johannes, Kerner, sowie zwei Russen, Savin und Boris Is­­­ralew39, Frau von Reuter, eine Engländerin, so­wie Abraham Löw, ein Rab­biner), zu de­nen letztendlich auch der welt­frem­­de Gelehrte Gustav Selder und die Ita­lie­nerin Gioia von Stramwitz, nach ihrer Schei­dung von einem ostpreußischen Grafen, sto­ßen.40 Die Gruppe glaubt illu­so­risch an das Weltproleta­riat, was u.a. in Forderungen Anatol Silber­blatts Aus­druck findet und die ganze Reich­weite von Zur Mühlens agita­to­rischer Posi­tion zu Beginn der 1920er erkennen lässt: „Seit Jahrzehnten“, so der Erzähler des Ro­mans, „wurde Propa­gan­da getrie­ben, wurden Versammlungen abgehal­ten, die Masse aufgeklärt“:

Und dennoch waren die Armen heute elender, die Entrechteten geknechteter denn je. In den Hän­den der Wenigen lag das Schicksal der Vielen; der Reichtum des Landes floß nicht, ein gesegneter Strom, durch die Schichten, sondern lastete als erdrückende Bürde auf darbenden, abgearbeiteten Leibern. Der in Jahrhunderten errungene Fortschritt war kaum zu bemerken. Ging dies derart weiter, so würden Generation um Generation geopfert, ehe das Reich der Ge­­rechtigkeit kam. Was aber konnte an Stelle der Propaganda durch das Wort gesetzt wer­den? (Der Tempel, 71-72)

Denn selbst ‚Propaganda durch die Tat‘, wie sie in Russland von Sasonow und Ka­lja­jew befürwortet wurde,41 war letztendlich vergeblich. Nur eine echte Re­vo­lu­­tion konnte da Ab­hilfe schaffen, wie Johannes anhand einer Ge­wit­ter-Me­ta­pher blitzartig klar stellte (Der Tempel, 72-73). Die Gruppenmitglieder waren ferner der Mei­nung, dass im Kriegsfall ein weltweiter General­streik des internationalen Pro­le­tariats, sowie die Verweigerung von Krediten, krie­ge­rische Aus­­einander­setzun­gen ver­hin­dern würden. In der Folge wird dann von den Balkan­kriegen 1912/13 be­richtet und geschildert, wie das Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914 auf Erz­­herzog Franz Ferdinand, den Thronfolger Österreich-Ungarns, zum Ausbruch des Ersten Welt­­krieges führte, wie der französischen Sozialistenführer, Jean Jau­rès am 31. Juli 1914 er­mor­det wurde, wie Anatol Silberblatt – inzwischen mit Le­ne Selder verehelicht – anlässlich ei­ner aufrührerischen Rede verhaftet und der Sozialistenführer Karl Liebknecht unter ähn­­­lichen Umständen 1915 zu zwei­einhalb Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Anschließend be­rich­tet der Ro­man dann vom Ausbruch der russischen Revolution im Februar 1917, vom En­de der Herr­schaft der Romanows, von die Entstehung einer russischen Räte­republik, vom Frie­densvertrag von Brest-Litowsk Anfang März 1918,42 vom ‚Ver­rat‘ der No­vember-Re­vo­lution durch die deut­­schen Mehrheitssozialisten,43 bis hin zum Spartakus-Aufstand im Januar 1919,44 bei dem Johannes, der Held des Romans, bei Straßenkämpfen ums Leben kommt, nicht ohne zuvor eine Vision vom Neubau des Tempels zu erleben, von dem ihm be­reits sei­ne russisch-jüdische Großmutter im ‚Prolog‘ des Romans erzählt hatte (Der Tempel, 151-52 bzw. 3-5.).

Die Kritik schenkte diesem Roman allerdings – trotz der ausge­spro­chen ideo­logischen Ausrichtung der Autorin – nur sehr wenig Beachtung: Wallace erwähnte ihn z.B. nur bei­läu­fig (Wallace, S. 42), und Altner meinte pau­scha­lisierend, das Werke mache deutlich, „daß Hermy­nias Anti­kriegshaltung sie zur Befürwor­te­rin der Revolution gemacht hat.“ (Altner [1997], 108)

Ferner er­schien 1922 der Roman Licht, angesiedelt im oberschlesisches Kohlere­vier, wäh­rend eines Zeitraumes von fast einem halben Jahrhundert – von der Gründung des Kai­ser­­reiches 1871 bis zu dessen Ende im November 1918 –, der die Le­bens­geschichte von Andreas Merz verfolgt: von seiner Geburt unter Tage und sei­ner Ar­beit im Stollen als Kind,45 über die Auswanderung seiner Mutter Lina Merz, über seine Existenz bei verschiedenen Zieh­­eltern, sei­ne Bekanntschaft mit Paul Löhr, einem sozialistischen Agitator, seine Freund­schaft mit der So­­­zia­li­stin Martha Tussek, einen ersten, fehlge­schlage­nen Berg­arbeiter­streik, seine Ehe mit Ruth Steinberg, einen zweiten, diesmal erfolg­rei­chen Streik, den Aus­bruch der Ersten Welt­kriegs, die Einberufung seines älte­sten Sohnes Ernst, des­sen Fahnenflucht, Ver­haf­­tung und stand­rechtliche Erschie­ßung, die Tötung eines mit der Staatsgewalt kollaborie­ren­­den Pfarrers, den an­schlie­ßende Prozess und die lebenslängliche Zuchthausstrafe, bis letzt­endlich zur Be­freiung aus dem Gefängnis durch die siegreiche Arbeiterschaft im Zu­ge der revo­lutionären Er­eig­nisse gegen Ende 191846 und zu seiner Rückkehr ins Kohle­revier, dessen Grubenbesitzer in­zwischen enteignet worden sind und wo am Schacht­eingang eine rote Fah­ne weht.

Durchgehend verwendet die Autorin in diesem – zumindest am Ende – uto­pisch an­mu­tenden Werk gegensätzliche Metaphern von Dunkelheit und Licht,47 und es ist daher nur pas­send, dass der den Roman abschließende Satz lautet: „Ein al­ter Mann sah das Licht“ (Licht, 165). Zwar stimmt, dass es sich hier – wie Altner be­tont – um „eine erschütternde Anklage so­zialen Leids“ handelt (Altner [1997],108). Es ist je­doch erheblich zu kurz gegriffen, die­ses Werk einfach mit dem Be­griff ‚Berg­ar­beitermilieuʽ (Altner) abzustempeln, was besonders deut­lich anlässlich Merz’ Grü­­be­leien während seiner langen Jahre in Einzelhaft wird, die ihn fol­gende Schluss­folge­rung ziehen lassen:

Langsam, allmählich, nach Klarheit ringend, fand er die Antwort auf diese Fragen. Wir haben uns von den Reformern narren, uns mit Gnadenbrocken abspeisen lassen, die der kapita­li­sti­sche Staat uns zuwarf. Haben gewähnt, der Kampf des Geistes genüge, um die Welt zu er­obern. Die anderen waren klüger, wußten stets, der Geist allein vermöge nichts zu erreichen, müsse durch Gewalt durchgesetzt werden. […] zwischen den beiden Welten, zwischen Pro­letariat und Bürgertum gibt es keine Versöhnung […]. Will der Arbeiter sein Recht erlangen, so muß er herrschen, muß, wenn es Not tut, die andern unterdrücken […]. Die Führer, die Par­tei, die von einem friedlichen Sieg sprachen, waren Toren oder Betrüger. Hatten jetzt, im Au­gen­blick der Not, schmählich versagt. Eine neue Partei muß entstehen, die den letzten Rest bürgerlicher Vorurteile von sich wirft, die wahre Partei der Masse, die revolutionäre Partei. (Licht, 148)

Diese Passage macht deutlich, dass Zur Mühlen auch in Licht klassen­kämp­ferisch agier­te, was sich z.B. in Paul Löhrs Forderung: „Jede Partei, die bloß mit der Reform arbeitet, ver­sinkt un­fehlbar in der Bürgerlichkeit […]. Die Par­tei des Proletariats muß revolutionär sein, muß als höchstes Ziel die Herr­schaft des Proletariats anstreben“ (Licht, 124), widerspiegelt. Hier­mit wurde der in den 1890er Jah­ren von Eduard Bernstein verfochtene Revisionismus innerhalb des SPD von der Autorin klar ver­­worfen.

5. Frühe Erzählungen
Abb. 2: Der Deutschvölkische, Cover

Laut Altner war Zur Mühlen in diesen frühen Romanen gezielt der Kind­heits­thematik nachge­gangen, da sie er­kannt hatte, „daß sich die soziale Kritik am nachhaltigsten an Bei­spie­­len aus dem Leben der hilfs- und schutzbe­dürfti­gen Mitglieder der mensch­lichen Ge­mein­­schaft ge­stal­ten ließ.“ (Altner [1997], 109) Gegen Mitte des Jahrzehnts veröffentlichte Zur Müh­len des­halb außer­dem vier Kurzgeschichten – Schupomann Karl Müller, Der Deutsch­völkische, Kleine Leu­te und Lina – so­wie unter dem Titel Der rote Heiland eine Sammlung von achtzehn Er­zäh­lun­gen. Die Erzählung Schupo­mann Karl Müllerthematisiert den Wan­­del ei­nes biederen Staats­dieners und Ordnungshüter zum Sympathisanten streiken­der Me­tallarbeiter, was der Au­to­rin im Februar 1926 eine Anklage we­gen Hoch­ver­rats beim Reichsgericht in Leipzig ein­brachte, die allerdings nie­der­­­ge­schla­gen werden konnte (vgl. Altner [1997], 114-15). Der Pro­tagonist von Zur Müh­lens Kurzgeschichte, Sohn eines Pedells am örtlichen Gymnasium, dessen Lebensführung vom Motto ‚Vor allem muß Ordnung sein‘ bestimmt worden war, zeichnete sich bereits früh­zeitig durch Pedanterie aus und schätzt auch als proletarischer Arbeiter Ord­nung über al­les. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde er jedoch arbeitslos, muss­te hungern und verarmte völlig. Um sich und seine alte Mutter am Leben zu erhalten, nahm er schließlich eine Stelle bei der Schutzpolizei an und ward ab dem Zeitpunkt bei der Arbeiterschaft als soge­nann­ter ‚Grü­ner‘ verschrien. Seine Mutter, eine alteingefleischte Sozialistin, versuchte ihn von der Falsch­heit seiner Handlung zu überzeugen; es gelang ihr jedoch erst, als man Karl Müller zwang, Anton Schröder, seinen alten Freund und Kollegen, der inzwischen der KPD beige­treten war, zu verhaften. Als er, völlig verstört, der Mutter seine Schandtat ge­stand, gab diese ihm zu ver­stehen: „ ‚Diese fremden Menschen haben dich gekauft, […] nicht nur deine Kraft, auch dein Gewissen‘,“ (Schupomann, 27) um dann aufgrund ihres Sohnes Einwands, die Kom­mu­nisten seien doch Ruhe­stö­rer und Verbrecher, fortzufahren:

Sie [d.h. die Kommunisten: JT] wollen, daß die Reichen nicht mehr die Armen kaufen und als Werkzeug gegen ihre eigenen Brüder verwenden können, sie wollen, daß jeder, der ar­bei­tet, auch leben könne, sie wollen Arbeit für alle. (Schupomann, 28)

Als sich bei Karl Müller diese Einsicht durchsetzte, kam er sich wie ein Schuft vor, woll­te sein übles Verhalten gegenüber den ehemaligen Kameraden wiedergutmachen; und als er er­fuhr, dass diese von ihrem Arbeitgeber ausgesperrt worden waren und eine Demonstration stattfinden würde, setzte er diesen Entschluss in die Tat um. Am darauffolgenden Tag konnte er dann in der örtlichen Presse lesen:

Als der Zug am Dom vorbeikam, trat der Schupomann Karl M. aus der Reihe und schloß sich den Demonstranten an. Bei seiner Verhaftung zeigte sich, daß der ehrlose und pflicht­ver­gessene Beamte seine Waffen den Demonstranten gegeben hatte.“ (Schupomann 30)

Auch in der Erzählung Der Deutsch­völ­ki­sche geht es um eine Wandlung: Wilhelm Meier, ein Spätheimkehrer aus eng­lischer Gefangen­schaft entwickelt sich nämlich während der ersten Nach­kriegs­jahre zunächst zum Anti­semiten, Franzosen-, Sozialisten- und Kommunisten­has­ser, wird Mit­glie­der der ‚Deutschvölkischen Partei‘ und lässt sich von sei­nem Arbeit­geber, einem Herrn von Lübke – der ihn für einen „ehr­lichen Idio­ten“ (Der Deutschvölkische, S. 21) hält –, als Spit­zel ge­gen die Kommunisten anwerben. Im Laufe der Zeit vollzieht sich jedoch durch den intensiven Kon­takt mit zwei KPD-Mitgliedern bei ihm eine Wand­lung, und er kämpft sich zu der Einsicht durch:

Wenn diese Leute [die Deutschvölkischen; JT] ‚Deutschland‘ sagen, so meinen sie nicht mein Deutsch­land. Für sie bedeutet das Vaterland ein Land, wo sie sich ungehindert auf Ko­sten der anderen bereichern, wo sie die Herren sein, die Menschen ausbeuten und knechten können. Das sind keine Patrioten, Patrioten sind jene, die ihr Land frei und gerecht sehen wol­len. Nicht die paar reichen Leute an der Spitze, nicht die paar dummen rohen Studenten sind Deutschland, die Masse ist es, das Proletariat.“ (Der Deutschvölkische, 36)

Meier wird anschließend Mitglied der KPD und hasste von nun an die Deutsch­völki­schen „eben­­so glühend und leidenschaftlich, wie er früher Franzosen, Ju­den und Kommunisten ge­haßt hatte“; denn ihm war deutlich geworden, dass diese die wahren Feinde waren: „alles ist ihnen Waffe im Kampf gegen das Proleta­riat […], und arme, leichtgläubige, vaterlands­lieben­de Nar­ren […] [köderten sie] mit patriotischen Lügen und [machten sie] ihren gemeinen Zwe­cken dienst­bar.“ (Der Deutschvölkische, 41) Als ihm klar wird, dass er unabsichtlich eine Geheim­sitzung der Kom­­mu­nisten verraten hat und die Deutschvölkischen einen bewaffneten Überfalls auf deren Ver­sammlungsbüro planen, gelingt es ihm, diese im allerletzten Mo­ment zu warnen, um dann al­ler­dings von rechten Meuchel­mör­dern er­schossen zu werden. Es ist also nicht so – wie von Altner behauptet –, dass Meier erst im letz­ten Au­genblick sein prole­ta­risches Gewissen ent­deckt und sich für die Ar­beiter­klasse op­fert, sondern es handelt sich um ein Solidaritäts­be­kenntnis, das sich ganz allmählich entwickelt und in der Rettungsaktion seinen Höhe­punkt er­reicht (vgl. Altner [1997], 110-11).

Abb. 3: Kleine Leute, Cover

Die Erzählung Kleine Leute spielt dagegen 1922-23 in einem klein­­bürger­lichen Berlin-Mi­­lieu: Martha Grammel, die Tochter eines sozial­de­mo­kra­ti­schen Flick­schu­­sters, heiratet den Schnittwaren­händ­ler Josef Huber, der im Um­feld der katholischen Zen­­trumspartei beheimatet ist. Auf dem Höhepunkt der Inflationszeit droht dem Kaufmann der Existenzverlust, er verliert den Gla­u­ben an Gott und gibt seiner Frau zu ver­stehen: „ ‚Weißt Du, wir haben irgendwo Feind, mächtige Feinde‘ “, denn:

Anders kann es gar nicht sein. Aber wo sind sie? Wer sind sie? […] Nur den Betrügern geht es gut. Die ehrlichen Menschen kön­nen verrecken. Aber wer ist es, der uns ins Elend stößt? Sind wir denn ganz hilflos, ganz ver­loren? (Kleine Leute, 25)

Als das Kurzwarengeschäft Hubers knapp vor dem Bankrott steht, tritt seine Schwiegermutter der KPD bei, ja selbst Hubers Ehefrau Martha wird Kommu­ni­stin.48 Letztendlich lässt sich auch Josef Huber überreden, an einer KPD-Ver­samm­lung teilzunehmen, um einer russischen Bolschewistin ­zu­zuhören, die ihn dermaßen beeindruckt, dass er selbst in der anschließenden Diskussion das Wort ergreift und –  man wird an spätere Desberry- und Leh­­mann-Romane erinnert (s.u.)  – eine bewegte Rede hält, im Rahmen derer er den Werk­­tä­ti­gen zu­ruft:

Meine Herren Genossen. Ihr müßt mit uns kleinen Leuten Geduld haben. Wir wissen wenig von Politik und müssen vie­le eingetrichterte Lügen vergessen, eher wir die Wahrheit zu er­kennen vermögen. Eines aber muß und wird jedem Menschen […] klar sein: jene Staatsge­walt, die unsere Kinder vor Hun­ger und Elend bewahrt, ist die richtige. Für sie muß man kämpfen, für sie alles opfern […]. (Kleine Leute, 42)

Mit anderen Worten – so das Fazit der Autorin –, nur der Schul­terschluss mit dem Proletariat kann das Da­sein des Kleinbürgertums än­dern (vgl. Altner [1997], 111); und letztendlich ist dann auch die Solidarität der örtlichen Arbeiterschaft existenzrettend für Hu­ber. Das aus bäuer­lichem Milieu stam­men­de ju­gendliche Dienstmäd­chen Lina, in der gleichnamigen Kurzge­schichte, sieht sich im Dienst verschie­de­ner groß­­städ­ti­scher ‚Herrschaftenʽ im Laufe fast eines Jahr­zehnts wieder­holt Schi­ka­nen aus­­gesetzt, an denen sie schließlich – durch Selbst­mord – zu­grunde geht, nach­­­dem ihr Bruder – für den sie sich geopfert hatte – als Soldat im Wel­t­krieg ge­­fal­len war.

Neben diesen vier ‚Propaganda-Erzählungenʽ49 ragt während dieses Zeit­ab­schnitts ins­be­sondere der Erzählband Der rote Heiland heraus,50 bei dem es sich um achtzehn Kurz­ge­schichten handelt, in denen Zur Mühlen Unterhaltung politisch zum Einsatz zu brin­gen suchte, oft jedoch der Agi­tation den Vorzug vor künstlerischen Ansprüchen gab.51 Diese Er­zäh­lungen wa­­­­­ren also zu­meist „[f]ür den Tag geschrieben“ und „gingen mehr von einem journa­li­stischen als ästh­e­ti­schen Funktionsverständnis aus“ (Altner [1997], 109), gleich­wohl Ger­trud Alexander, Chefredak­teurin der (Berliner) Roten Fah­­ne, wo etliche von Zur Mühlens Novellen erstveröffentlicht wur­den, durch­aus auf künstleri­scher Qua­­lität bestand.52 Diese Tat­sache spie­­gelt sich äs­the­tisch auch darin wider, dass zumindest einige Er­zählungen dieses Bänd­­­chens ein Drei-Phasen-Ablauf ­kenn­zeich­net – bzw. eine derarti­ge Ent­wick­lung im Ansatz deutlich wird –, im Rahmen des­sen „[d]ie Zer­­störung der ur­sprüng­lichen ge­sell­schaftlichen Harmonie durch eine Klassen­ge­sellschaft mit Ausbeu­tungs­cha­rak­ter, die durch einen revolutio­nären Akt […] auf­ge­­ho­ben [wird] und so die ur­sprüng­liche Gesellschaftsverfassung wieder neu begrün­det wer­den kann“. (Steffen, 42)

Abb. 4: Der rote Heiland, Cover

Der rote Hei­­land erschien 1924 in Leipzig.53 Allerdings wurden einige der da­rin ent­haltenen Er­­­­zäh­lun­gen bereits zu einem früheren Zeitpunkt in Zeit­schrif­­ten veröffentlicht, so et­wa die Antikriegsgeschichte ‚Der fremde Gottʽ 1919 in der von Walther Rilla heraus­ge­gebenen Bres­lauer Zeitschrift Die Er­de;54 etliche andere er­schienen in der Roten Fahne, so et­wa 1922 ‚Der Tod des Boris Ossi­powitsch Luninʽ, ‚Der rote Heilandʽ‚ ‚Die schwarze Mau­erʽ, ‚Der Auf­satzʽ so­wie ‚Die Man­gelʽ, ferner 1922 im Grazer Arbeiterwille ‚Der Garten des Grau­ensʽ so­wie 1924 ‚Der Traum­händlerʽ; wieder andere er­schie­­nen kurz nach der Buchver­öffentlichung in den von Arthur Wolf herausgegebenen Pro­letarischen Heim­stunden (im sel­ben Leipziger Ver­lag Die Wölfe, wo auch der Sammel­band selbst er­schienen war).

Altner hat zwar behauptet, die Novellensammlung Der rote Hei­land setze sich auf nach­­­ex­pressionistische Weise „mit den Greueln des Krie­ges“55 – gemeint ist der Er­ste Welt­krieg – aus­einander. Das ist allerdings eine gro­be Vereinfachung; denn von den acht­zehn Er­zäh­­­­lun­­gen – ob alle auch wirk­lich ‚novellistischeʽ Kriterien aufweisen, sei da­hin­ge­stellt – han­deln nur fünf direkt vom Krieg oder kriegerischen Auswirkungen auf das Zi­vil­leben, nämlich Die schwarze Mauer, Der Garten des Grauens, Der fremde Gott, Der Hoch­­­verräter und Ge­ständnis (in­direkt könnte man ferner noch Unter einer Brücke hin­zurechnen). Die rest­lichen dreizehn Er­zählungen klagen alle soziale Missstände ziviler Art an, wo­bei vier die­­ser Ge­schichten im zaristischen Russ­land spielen (Das Un­ge­heuer, Eine Dorf­geschich­te, Der Tod des Boris Ossi­powitsch Lunin und Der Fluß). Drei weitere be­fassen sich mit Hei­land-Figu­ren (Die Berufung, Heilands Tod und die Titelgeschichte des Ban­des, Der rote Hei­land, worin sich Anklänge an das Kapitel ‚Der Großinquisitorʽ in Do­sto­jews­kis Ro­man Die Brüder Kara­ma­sow [1880/81] nachweisen lassen56). Alt­ner kom­men­tiert diese ‚Propaganda-Erzählungenʽ Zur Müh­lens von Mitte der 1920er Jahre folgen­der­ma­ßen:

Diese kleinen Geschichten, für den Tag geschrieben, zeigten die sozialen Klassen und ihre Ver­­­­treter nicht von einem abstrakten Klassenbegriff aus, sondern nach ihrem jeweiligen, kon­kreten, vom Menschen erlebbaren Handlungen und Verhaltensweisen. Hermynias Auffas­sung vom Menschen umschloß ein waches Mitgefühl für den alltäglichen Anspruch eines je­den Men­schen auf Würde, Gerechtigkeit und Glück. Und dieses galt es zu verteidigen gegen Ego­ismus, Menschenverachtung und Arroganz. (Altner [1997], 113)

Hermynia Zur Mühlen sah sich damals in knapp zwei Dutzend ‚Propaga­n­da-Er­zählungenʽ mit zwei Hauptfragen proletarischer Kunst kon­fron­tiert, denen sie sich stellte, näm­lich: „welche Rolle das bürgerliche Erbe für eine pro­­­le­tarische und revolutionäre Literatur spiele und an welches Erbe genau die Ar­beiter­klas­se an­knüp­fen könne; und wie ihre […] ei­gene Literatur aussehen mü­s­se […].“ (Fähnders [1977],  59.) Bei­des waren zen­trale Anliegen hinsichtlich der Kon­zeption sozia­li­stischer Literatur, wobei – wie Katar­zyna Šliwińska betonte – der Schrift­­­stel­lerin die Funktion zufiel, Organisator ihrer Klas­se zu sein, d.h. ihr „in der so­zia­listischen Auf­bauphase eine Rolle zugewiesen [wur­de], die nach den Vor­stel­lun­­gen der Ini­tia­toren proleta­rischer Literaturbewegung in der Wei­ma­rer Re­pu­blik auch die Funktion von Li­te­ratur unter den noch kapitalistischen Verhält­nis­sen beschreiben soll­te: die Konso­li­die­rung des Klassen­be­­wußtseins.“ (Šliwińska, 6.) Trotz ge­wisser Einschrän­kun­gen, insbe­son­dere was die künst­le­ri­sche Qua­li­tät anbe­langt, ist  Zur Mühlen dieser Auf­­­gabe durchaus gerecht ge­­worden.

6. Kriminalromane

Vergleichsweise wenig kritisches Interesse wurden den Kriminalromanen der Schrift­stellerin bisher zuteil,57 einerseits wohl aufgrund der Tatsache, dass sie sich bei den fünf Des­­berry-Werken hinter einem Pseudonym ver­steckte und es stets hieß: „aus dem amerikani­schen Manuskript übertragen von Hermynia Zur Müh­len“,58 andererseits sicher auch, weil die Roma­ne – sowohl im Original als auch in allen Nachdrucken – schwer zugängig sind und zu bib­liophilen Rari­täten zäh­len. Die­se Tatsache wiederum hatte zur Folge, dass sich zahl­reiche Fehl- und Vor­urteile in die Diskussion eingeschlichen haben.

Abb. 5: Der blaue Strahl, Cover

Bei Der blaue Strahl (BS, 1922), Zur Mühlens erstem Krimi – 1924 auch im Linzer Tagblatt als Fortsetzungsoman veröffentlicht (später in der Wie­ner Zeitschrift Der Kuckuck unter dem Titel Das Geheimnis der Car­diff-Werke neuabgedruckt) –, handelt es sich um einen utopischen De­tektivroman, in welchem der irische Journalist Bri­an O’Keefe, Protagonist von vier der fünf Des­berry-Werke eingeführt wird (vgl. dazu Humer 21-36.). Die Handlung spielt in London – spätere Krimis der Autorin spie­len sowohl in den USA, der Karibik, Ita­lien und Deutschland –, wobei es sich um den Doppelmord an einem ge­wis­senlosen Millionär namens Henry Cardiff und einem korrupten Polizeikommissar namens Lock handelt, die bei­de auf mysteriöse Weise ums Leben kommen. Der Täter – wie sich schließlich herausstellt – ist der Laborleiter von Cardiffs Unternehmen, ein irischer Erfin­der namens John Hay alias John McKennan, der sich aus patrio­ti­schen Gründen am ebenfalls aus Irland stam­menden Firmenchef rächen wollte, weil dieser 1916, wäh­rend des Osterauf­stands (‚Easter Ris­ingʽ) in Dublin, den Ver­such militan­ter irischer Republikaner, die Unab­hängigkeit Irlands von Großbri­tan­­­nien ge­waltsam zu erzwingen, seine Mitstreiter verraten hat­te.59 Gleich­wohl es sich in letzter Instanz um die Aufklärung zweier Ver­bre­chens mittels einer To­des­strahlen produzierenden Maschine han­delt, liegt die Betonung– wie auch bei den meisten anderen Krimis Zur Mühlens – doch auf der politischen Botschaft, im vorliegenden Fall auf Zur Mühlens Be­für­wor­tung der Be­frei­ung eines Landes von imperialistischen Unter­drü­ckern und Ausbeutern, wie fol­gendem Zitat ent­nommen werden kann:

Es kamen für Irland die schwarzen Jahre. […] Das englische Volk, die Masse, weiß nicht, was sich dort ereignet hat. Die Irländer wurden wie wilde Tiere behandelt, die Grausamkeit un­serer Unterdrücker kannte keine Grenzen. Die besten Männer, die edelsten Frauen fielen einer sinnlosen Tyrannei zum Opfer. Die Verzweiflung warf ihren schwarzen Mantel über die un­selige Insel. […] Etliche von uns beschlossen, Dublin-Castle in die Luft zu sprengen. Das wä­re Rache für einige unserer Besten gewesen und zugleich eine Warnung für die Hen­ker. (BS, 188)

Aus Rache für den Verrat hatte Hay dann nachträglich die Todes­ma­schine entwickelt, nicht bloß zur Befreiung seines Landes, sondern aller Länder, muss­te dann jedoch feststellen – da Car­diff Hays Erfin­dung mitten im Er­sten Weltkrieg der britischen Regierung an­geboten hatte –, dass seine Wun­der­waffe, die ja eigentlich zur Befreiung seines Heimat­landes An­wen­­dung fin­den soll­te, als Massenvernichtungswaffe (‚weapon of mass de­struc­tionʽ) auf dem europäi­schen Kriegsschauplatz Verwendung finden würde: „Die Macht“, so wurde ihm klar,

die der Menschheit hätte dienen sollen, würde nun für den Massenmord verwendet werden, die Wundermacht, die Gott in meine Händen gegeben hatte, sollte Unschuldige an der Front hin­metzeln. Meine ärgsten Ängste bewahrheiteten sich. Meine Hand, die die Menschheit be­freien, die eine bessere Welt hätte aufbauen wollen, würde nun Millionen Menschen den Tod brin­­gen, Trauer und Elend in die Heime schleudern. Ich mußte handeln. (BS, 197)

Hays letzte Handlung bestand dann darin, sich und die Maschine in die Luft zu sprengen und gleichzeitig alle Pläne zu vernichten.

In An den Ufern des Hudson (1925), Zur Mühlens zweitem Desberry-Krimi – als Fort­setzungsroman auch unter dem Titel Fememord in Newyork in der Wiener Zeitschrift Das klei­ne Blatt abgedruckt – wechselt der Ort der Hand­­lung von Europa in die USA,60 wo später zwei weitere ihrer Krimi ange­siedelt wurden (vgl. Humer, 36-46). Es handelt sich hierbei um eine De­­tektivgeschichte, die – was in der bisherigen Sekundärliteratur kaum Erwähnung gefun­den hat (vgl. Wallace, 67-73) – Rassis­mus in den Vereinigten Staaten während der Nach­kriegszeit Zielscheibe war: Henry Word,61 der Haupttäter und – ähnlich Henry Cardiff in Der blaue Strahl – Mil­lionär, ist gleichzeitig Anführer (‚grand dragonʽ) des östlichen Be­zirks (‚realmʽ) des Ku-Klux-Klan (KKK)62, eines rassistischen und gewalt­täti­gen, vor allem in den Südstaaten der USA aktiven Geheimbundes. Der im Groß­raum New York angesiedelte KKK-Ableger hat es sich zum Ziel gemacht, Ne­ger, Juden und Iren unschädlich zu machen; und zu diesem Zweck hat Dr. Brath­ford (‚hy­draʽ) eine Klinik am Ufer des Oberlaufs des Hudson-Flusses ein­gerichtet, wo Ange­hö­rige der drei oben erwähnten Bevölkerungsgruppen mit Ge­sundheitsproblemen hin­gelockt und ermordet wurden. Im Zuge ihrer ‚Reini­gungs­ak­ti­o­nenʽ hat die KKK auch John Rawley, ein prominentes Mitglied des US-Kon­gresses beiseite gebracht (sowie dazu beige­tragen, dass ein schwarzer Ak­tivist, Ben Towers, gelyncht wurde), was Raw­ley besten Freund, Harvey Word, Sohn des KKK-Führers, mit Unterstützung eines jüdischen Einwan­de­rers, Samuel Kat­z­enstein, veranlasst, den Mord aufzuklären, was letztendlich auch ge­lingt. Auf­grund der thematischen Ausrichtung dieses Krimis, d.h. seines betonten Anti­rassis­mus, reicht es des­halb nicht – wie Wallace meint (S. 72) –, le­diglich die sozialrevolutionären Aspekte, die sicher auch vorhanden sind, zu be­tonen. Viel deutlicher wird nämlich die eigent­liche Bot­schaft von An den Ufern des Hudson in Harvey Words Erkenntnis – angesichts der Anwei­sun­gen seines Vater an die KKK-Mitglieder bei einem geheimen Treffen des Bundes in des­sen New Yor­ker Stadtvilla –, dass dort das Motto ‚Amerika den Amerikanernʽ ge­predigt ward:63

Hier wurde das alte amerikanische Ideal, Freiheit Gleichheit, Gastfreundschaft für jene, die in der alten Heimat keinen Platz fanden, in den Kot getreten. […]‚Amerika den Amerikanernʽ, das bedeutete: das herrliche Land, das einst vor einem Jahrhundert den Weg zur Freiheit ge­wie­sen, das im Sezessionskriege das Recht der Freiheit für die elendsten, unterdrücktesten Ge­­schöpfe, für die Sklaven, erkämpft hatte, ausgeliefert den Trusts, den Großkrämern, den In­dustrie­baro­nen, den Börsenbriganten. Wer ihnen in den Weg trat, ihre Pläne störte, wurde er­barmungslos weggefegt, einerlei – hierin waren diese Leute international – ob er Ausländer oder Amerikaner ist. Sie hatten ihre Heere, die amerikanische Legion – die für sie Büttel­dien­ste verrichtet, Un­lieb­same beseitigt, verschleppt oder tötet. Und täglich strömten dem Ku-Klux-Klan neue Mit­glieder zu,64 es fruchtete nichts, daß die vor der anwachsenden Macht er­­schreckte Regierung die Zugehörigkeit zu dieser Vereinigung mit schweren Strafen belegte, denn die Führer ver­fügen über alle Propagandamittel: Presse, Kirche, Schule, verfügten über un­­gezählte Millionen. (An den Ufern des Hudson, 155-56)

 Harvey wurde zudem klar, was das Motto ‚Amerika den Ameri­ka­nernʽ außerdem be­­in­haltete:

Die schlechtesten Elemente des Auslandes, die Ruhestörer, die in der eigenen Heimat nicht ge­duldet werden, überfluten die Vereinigten Staaten. Sie wühlen und hetzen, und unsere Ar­bei­­ter schenken ihnen Glauben, werden unzufrieden. Ihre gefährlichen Lehren verbreiten sich wie ein Präriefeuer, sie zerstören die Ordnung, sie gefährden den Besitz. Der irische katho­li­sche Pfaffe predigt von der Kanzel herab Götzendienst und Auflehnung, der Jude entheiligt durch seinen ätzenden Spott im Herzen des Volkes die höchsten Güter, kämpft gegen den Pa­tri­otismus. Die erhabene Aufgabe des Ku-Klux-Klan ist es, unser Land von Juden, Irländern, Ka­tholiken und Negern zu säubern – und auch von inländischen Roten. (An den Ufern des Hud­son,156)

Derartige Aussagen klingen unheimlich modern, und ihr Echo, eingedenk des zeit­genössi­schen Wie­deraufblühens des weltweiten Nationalismus, insbesondere unter Donald Trump in den USA, zeigt, wie weit­­blickend Hermynia Zur Mühlen war, indem sie revolutionäre Maß­nahmen zwecks gesellschaftlicher Ände­rungen befürwortete (vgl. Wallace, 72).

Abb. 6: EJUS, Cover

Abgesehen vom Romanende, das auf einer abgelegenen Inselgruppe in der Karibik spielt, sind die Vereinigten Staaten erneut Handlungsort von Zur Müh­lens drittem Desberry-Krimi, EJUS (1925), der noch im selben Jahr wie  An den Ufern des Hudson erschien (vgl. Hu­­mer, 46-52 u. Wallace, 73-79). Hier werden die Protagonisten der beiden vor­hergehenden Romane zusammengeführt, der iri­sche Journalist und Hobby­detektiv Brian O’Keefe und der Psy­choanalytiker Harvey Word. Gemeinsam ver­­­­suchen sie das geheimnisvolle Verschwinden und gleichsam mysteriöse Wie­­­­derauftauchen von John Manninger, einem Erfinder wie John McKennan, zu ergründen, wo­bei Word ums Leben kommt. Manninger Sen., der Vater von Fred Manninger – seinerseits mit Harvey Word befreundet – war der Entwickler eines Verjüngungs­mittels, für teures Geld erhältlich unter dem Markennamen ‚EJUSʽ (eine Abkürzung für ‚Ewige Ju­­gend und Schön­heitʽ), dessen chemische Formel, noch bevor es ohne Gesundheitsschäden hergestellt werden konnte, von dem kriminellen Haupttäter des Ro­mans, Henry Bright, Eben­bild von Car­diff und Word, gestohlen und auf einer einsamen Insel in Mas­sen­pro­duktion fabrik­mäßig produ­ziert wurde, wodurch er – sowie seine Ehefrau Delia – ein enormen Vermögen aufhäufen konn­te. Die Schat­ten­seite dieses Reichtums war jedoch die hochgradig gesundheits­schädi­gen­de Herstellungsmethode des Verjün­gungs­mittels, aufgrund derer die zwangs­wei­se auf eine ab­gelegene karibische In­sel verfrachteten und dort versklavten Arbeiter in­nerhalb kurzer Zeit zu Zom­bies wurden. Auch John Manninger war von Bright auf diese Hölleninsel – da­her der Titel der Neuauflage des Romans, Insel der Verdammnis – geschafft worden. Es ge­lang ihm jedoch – gleichwohl sein Gedächtnis unter der Einwir­kung der bei der Produktion von ‚Ejusʽ freigesetzten giftigen Dämpfe be­reits stark gelitten hatte – zu entkommen und wurde nach seiner Entdeckung in Cen­tral Park von O’Keefe und dessen amerikanischen Helfes­hel­fer Tom­my An­der­son, einem ehe­maligen Taschendieb, nach North Dakota auf eine ent­lege­ne Farm zu seiner eigenen Sicherheit ‚entführtʽ. Damit teilt sich die Hand­lung des Romans vor­über­ge­hend in zwei Stränge. Denn auch dort, im Norden der USA, führen Bauern, allesamt Mitglieder der ‚Federated Farmers’ Labor Partyʽ, einen schein­bar aussichtslosen Kampf ge­gen Großgrund­besitzer und Wucherer. Stell­ver­tre­tend für diesen Kampf ist Daisy Smith, die in Zur Mühlens Desberry-Kri­mis wiederum in einer Reihe kämpferischer Frauenfiguren steht: Winifred Car­diff (in Der blaue Strahl), Grace Mathers (in An den Ufern des Hudson) sowie Ethel Bright, Tochter des verbrecherischen Millionäre, sowie Mariposa, Widerstands­kämp­ferin auf der Karibik-Insel, im vorliegenden Roman.65 O’Keefe, dem ei­gent­lichen Pro­tagonisten, gelingt es letztendlich, mit Hilfe von Tommy An­der­son,66 die versklavten Insel­arbeiter zu befreien, wobei Henry Bright und seine Aufseher ums Leben kommen. In der Nacht vor dem von O’Keefe organisier­ten Aufstand der Inselbewohner hält der Journalist in einem abge­lege­nen Stein­bruch eine mitreißende, aufrührerische Rede, die das gan­ze Aus­maß von Zur Müh­­lens revolutionärer Ziel­richtung in EJUS erkennen lässt:

Nicht Rache, Freunde, sondern Gerechtigkeit. Wir werden über die Mörder zu Gericht sit­zen, ein Urteil fällen. Und dies ist erst der Beginn. […] Nicht nur dieses herrliche Stück Erde, das wie zur Lust und Freude der Menschen geschaffen wurde, ist durch die Habgier und die verbrecherische Selbstsucht eines Einzelnen in eine Hölleninsel verwandelt worden, nein, die ganze Welt in ihrer Schönheit und ihren Glücksmöglichkeiten für alle wurde durch das kapi­ta­­listische System und dessen Verfechter und Nutznießer zur Höllenwelt für die ausgebeu­te­ten Massen. […] Aber der Morgenwind, der vom Osten weht, zerstreut allmähliche diese gif­ti­gen Dämpfe, tote Gehirne erwachen zum Leben, blicklose Augen lernen sehen, gekrümmte Rücken recken sich hoch, erschlaffte Hände greifen nach Waffen. Das Weltgericht naht. Frü­her lebten die Proletarier alle wie auf einer einsamen Insel, abgeschnitten voneinander, hilflos zur Ohnmacht verdammt, aber heute trägt das Schiff, von dessen Mast die rote Fahne weht, ih­nen voneinander Botschaft zu, Botschaft von siegreichen Kämpfen, Botschaft auch von Nie­­­der­lagen, die wieder gutgemacht werden müssen. Die proletarische Welt ist eins im Stre­ben, im Ziel: sobald die Massen es wollen, werden sie die Feinde schlagen, werden, freilich, unter unsäg­li­chen Mühen, aber zielsicher aus der Höllenwelt die freie, gerechte, schön­heits­reiche Welt der Werktätigen schaffen!“ (EJUS, 163-64)

Ähnlich wie in etlichen ihrer späteren Märchen – so z.B. in Die Söhne des Aischa (1927) – hielt die Autorin somit also den gewalttäti­gen Aufstand der Unter­drück­ten gegen ihre Unter­drü­cker ausdrücklich für legitim (vgl. Wallace, 79). Und Wallace hat­te in diesem Fall sicher Recht, als sie der Mei­nung Ausdruck verlieh, Zur Müh­­len habe in diesem Krimi ihrer Leserschaft eine politi­sche Lehre erteilen wol­len (ebd., 78).

Abenteuer in Florenz (1926),67 Zur Mühlens vierter Desberry-Krimi (vgl. Humer,  52-58), ist bei wei­tem der schwächste ihrer neun Detektivromane.68 Ein Großteil der Hand­lung ist  im fa­schi­stische Italien angesiedelt – lediglich der An­fang und das Ende spielen in Eng­land (Abenteuer in Florenz, Kpt. 1 & 2, 10-29 & Kpt. 15 & 16,154-89) –, aber das Lokalkolorit bleibt so diffus, dass es sich statt Florenz auch um irgend­eine andere italienische Groß­stadt handeln könnte. Es geht in diesem Werk um den Mord an dem Arbeiterführer An­tonio Ter­metta69 und die Rettung seiner Schwester Gulia, wobei die Auf­klärungs­arbeit einmal mehr von Brian O’Keefe alias Harry Brand und seinem Helfer Tommy Anderson alias James Cartwright geleistet wird. Aber auch eine neue weibliche Figur, die Schau­spielerin Diana Desford – die im ab­schlie­ßend fünften Desberry-Krimi eine wesentliche Rolle spielen sollte – wird hier ein­ge­führt. Ferner tritt Winifred Cardiff erneut in Er­schei­nung, die wesentlich dazu bei­trägt, dass die Geiselnahme des in London ansässigen ausländischen Verbin­dungs­manns der italienischen Faschisten erfolgreich ab­läuft. Ihre und Dianas kämpferische Hal­tung erinnert somit einmal mehr an Frauen ähn­lichen Kalibers in früherer Desberry-Krimis, wie etwa Grace Ma­thers und Daisy Smith. Hin­ter­grund der Romanhandlung ist eine Strafaktion der floren­ti­ni­schen Faschisten gegen die dor­­tige kommunistische Arbeiterschaft, or­gani­siert vom örtlichen Faschistenboss, Cagli, mit Unterstützung eines Spitzels na­mens Roberto Dia. Gleichzeitig findet ein geheimer Kongress europäi­scher Faschisten statt, an dem auch ein deutscher Repräsentant, Graf von Seckin­gen, teilnimmt.70 Wie im Plot des fast zeitgleich ent­standenen Krimis Die weiße Pest sind auch hier Vertreter der extremen Rechten Zielscheibe von Zur Mühlens Kri­tik, suchen diese nämlich die wenigen ver­blieben­en de­mo­kratischen Ein­richtungen im faschi­sti­schen Italien – so etwa faire Ge­richts­verfahren – zu un­ter­graben. Und in dem Sinne verkündet die Autorin auch hier – wie in den vorhergehenden Desberry-Krimis – ihre revolutionäre Bot­schaft, wobei sie sich Ma­ria Termetta als Sprachrohr be­dient, die in ihrem Schlussplädoyer den faschi­sti­schen Gegnern u.a. folgende Worte ent­gegen schleu­derte:

Nun bin ich auf zehn Jahre zur Ohnmacht verdammt, aber an meiner Stelle werden bessere Kämp­fer treten, gezeugt und getragen von der Bewegung, die für den klassenbewußten Pro­letarier alles bedeutet, Hoffnung, Zukunft, Gewißheit. […] So nehme ich Abschied von euch, Ge­nossen […]. Ihr werdet den Sieg erringen. ich weiß es bestimmt und hoffe selbst noch den Tag zu schauen, da über unserer Stadt und allen Städten der Welt die rote Fahne wehen wird, das Zeichen der Freiheit. Und auch von euch, meine Herren Richter und Geschworenen, nehme ich Abschied […]. Ich zürne euch nicht […]. Ihr seid die Spreu auf den Weg geweht, auf dem die Kämpfer für eine unsterbliche Sache dem Sieg entgegenschreiten. Euer der Tod und der Niedergang, unser das strahlende Morgenlicht des endgültigen Sieges!“ (Abenteuer in Florenz, 189)

Der die Desberry-Serie abschließende Krimi Hermynia Zur Mühlens, Im Scha­t­ten des elektrischen Stuhls (SES), erschien erst 1929, drei Jahre nach Aben­teuer in Florenz (vgl. Humer, 58-65 u. Wallace, 91-96); denn die Autorin war während des Zeitabschnitte 1926-29 inten­siv mit Überset­zungs­arbeiten beschäftigt und übertrug u.a. vier Werke Upton Sinclairs (Prä­si­dent der USA [1927], Pe­tro­leum [1927], Singende Gal­gen­vögel [1927] sowie Die goldne Kette [1928]), Romane, die zugleich auf ihre eigenen Erzählun­gen während dieser Jah­re ab­färb­ten.71 Der Krimi spielt nach Ende des Er­sten Welt­­krieges in Fullersville, einem Ort nahe Miami, OH,72 und handelt von ei­nem Ar­beits­kampf zwischen dem Fabrikanten Calvin Fuller und seiner vom IWW or­ga­nisierten Be­leg­­schaft,73 die der Enkel des Fabrikgründers nach allen Regeln der Kunst aus­beutet:

Alle Arbeiter, die irgendwie „verdächtig“ [d.h. Kommunisten; JT] waren, wurden kurzerhand auf die Straße geworfen. Löhne wurden herabgesetzt, der Elfstundentag wurde wieder ein­ge­führt, wem es nicht paßt, der soll sich anderswo Arbeit suchen. (SES, 27)

Die eigentliche Detektivgeschichte beginnt allerdings erst gegen Mitte des Romans, als der jün­gere Bru­der des Fabrikbesitzers, Jack Fuller, der die Arbeiterschaft un­ter­­stützte, ermordet und ein Ar­beiter, David Gorden, der Tat beschuldigt wird. Der nach Gordons Verurteilung or­ganisierte Generalstreik der Arbeiter­schaft, der einer­seits sämtliche Fabriken in Fullersville still­legt, an­dererseits von Ful­ler mit Aus­sperrung beantwortet wird, erinnert an Upton Sin­clairs Roman King Coal (1914), den Zur Mühlen 1918 als ersten über­setzt und der einen be­rüchtigten Bergarbeiterstreik in Colorado zum An­lass hatte.74 Zwecks Auf­klä­rung des Mor­­des und um Gordon vor der Exekution auf dem elektrischen Stuhl in Columbus, OH zu bewahren,75 versammelt Zur Müh­len quasi das gesamte Repertoire ihrer vorhergehenden vier Des­­berry-Kri­mis: Brian O’Keefe (Repor­ter beim ‚Stern der Freiheitʽ), Tommy Anderson (an­geblich ein ‚Pin­kertonʽ-Agent), Di­a­na Desford (unter dem Decknamen Diana Lang­trey schein­bare die Geliebte Calvin Fullers), deren Zusammenarbeit – sogar der für Fuller arbei­ten­de Spitzel Michael Car­digan schließt sich ihnen an – es letztendlich gelingt, den wahren Täter, nämlich den Fa­brik­besitzer Calvin Fuller selbst, zu überführen.76

Anlässlich des Prozesses gegen David Gordon zieht Zur Mühlen einmal mehr sämt­liche Register ihrer klassenkämpferischen Anklage, wenn sie z.B. mit beißender Ironie aus­führ­lich das Plädoyer des Staatsanwaltes wiedergibt und damit Erinnerungen an den Justiz­skandal um Sacco und Vanzetti wachrief, die wegen angeblicher Beteiligung an ei­nem Raub­mord, 1921 in einem umstritte­nen Prozess schuldig gesprochen und im Au­gust 1927 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden, ein Fehl­urteil, das Upton Sinclair in sei­­nem Roman Boston (1928) thematisierte.77 Der Staatsanwalt, als Vertreter der korrupten örtlichen Justiz, appelliert folgender­ma­ßen an den Pa­triotismus der Geschworenen:

Amerika ist das Land der Freiheit, das allen seinen Bürgern […] unbegrenzte Möglichkeiten bie­­tet. […] Amerika ist das Land des Wohlstandes, des Fortschritts, das Land der Gerech­tig­keit und der Gleichheit. Bei uns gibt es nicht, wie im verseuchten, sterbenden Europa, eine ari­stokratische Herrscherkaste, mit erblichen Rechten und Privilegien. Hier gilt nur der Mensch. Amerika ist die Mutter der Verfolgten. Mit fast unbedachter Großmut hat unser Land allen, die über das Meer kamen, die Arme geöffnet, ihnen Freiheit, Gleichheit und un­be­grenzte Möglichkeiten geschenkt

um dann fortzufahren:

Aber was tun diese undankbaren Kinder einer gütigen Nährmutter? Sie wühlen im Dun­keln, sie verhetzen schlichte, vertrauensselige Menschen, sie wollen die Industrie lahmlegen, wol­len in unserem Vaterland ein blutiges, mörderisches Chaos schaffen wie in Rußland. […] Dieser Mann, […] ein amerikanischer Staatsbürger […], hat es, von Irrlehren der Roten ver­führt, nicht verschmäht, sich dem Abschaum der Menschheit anzuschließen, dem unwissen­den, bös­­artigen, ausländischen Gesindel, dem nichts heilig ist, nicht einmal Privatbesitz.“ (SES, 165-66)

Dem hält allerdings der Verteidiger des Angeklagten, Mike Rosenfeld, in sei­nem Schluss­plä­doyer ent­ge­gen:

Es stimmt, daß in Amerika wie in allen kapitalistischen Ländern Leben und Sicherheit un­zäh­liger Kinder täglich, stündlich bedroht werden, aber nicht von uns Roten, sondern von dem mörderischen System. […] Und nun frage ich Sie, meine Herren Geschworenen, sind die Men­schen, die diese Bedingungen ändern, die den Kindern der Armen ein menschenwürdiges Da­sein erkämpfen wollen, wirklich Verbrecher oder verblendete Wahnsinnige? Kann man ei­nem Manne, dessen ganzes Leben Rechtschaffenheit, Fleiß und Hingabe war, einen Mord zu­trauen, nur weil er die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems erkannt hat und es än­dern will?“ (SES, 169 u. 171)

Symptomatisch für Zur Mühlens entschiedene politische Einstellung gegen Ende der 1930er Jahre sind zudem David Gordens Äußerungen in der Todes­zelle  seinem Anwalt gegen­über, de­nen gerade nicht entnommen werden kann – wie Wal­lace meinte –, dass sie bereits 1929 ge­­gen offiziellen ideologischen An­sichten der KPD opponierte und eine weniger starre Ein­stellung gegenüber der SPD befür­wor­tete (Im Schatten des elektrischen Stuhls, 169 u. 171): „Ich bin nicht allein in der Zelle“, teilt er Mi­ke Rosenfeld mit:

wenn mein nächtlicher Kampf mit dem Grauen beginnt, bin ich nicht verlassen, Gestalten kommen, Hände strecken sich mir helfend entgegen. Ich sehe die Genossen, die in der ganzen Welt Opfer des Klassenkampfes geworden sind. Sie kommen aus ihren Gräbern im blut­be­fleckten weißen Ungarn, aus den Folterkam­mern Rumäniens, Bulgariens, aus den Kerkern der deutschen Republik. Schlichte, einfache Seelen, die nur eines kannten, die Befreiung des Proletariats. Und sie sprechen zu mir, sagen: ‚wir sind tot, aber das Volk lebt, und seine Sache ist unsterblichʽ. Die Gefangenen sagen: ‚wir leiden im Kerker, aber draußen in der Freiheit schmiedet das Weltproletariat die Waffe, die unsere Fesseln zerschlagen wird.ʽ Und Tote und Lebendige sprechen: ‚auch du gehörst zu uns, David Gordon. Sei unser würdigʽ.“ (SES, 209)

Typisch für Zur Mühlens klassenkämpferische Einstellung gegen Ende der 1920er Jahre ist ferner der Titel des den Krimi Im Schatten des elektrischen Stuhls abschlie­ßenden Kapitels: ‚Dem Morgen entgegenʽ, wo der Erzähler verkündet: „Der erste Sieg war errungen und wahr­haftig, es war kein kleiner Sieg! […] Frei­lich würde es noch harte, erbitterte Kämpfe geben; aber eine Masse, die einmal den Sieg er­rungen hat, weiß, daß sie wieder siegen kann, siegen wird.“ (Im Schatten des elektrischen Stuhls, S. 244) Und in die gleiche Kerbe – ähnlich Ma­ria Termettas Rede in Abenteuer in Florenz, O’Kee­fes in EJUS und Dr. Birnbaums in Die weiße Pest – schlägt David Gordons An­sprache nach seiner triumphalen Freilassung,78 die der Erzähler folgender­ma­ßen kom­men­­tiert:

Der Frühlingssturm fing die Stimmen auf und trug sie weiter. Sie schienen seine Kraft zu stei­­­gern. Ungestüm rüttelte er an dem Gefängnis, an den großen Banken und Geschäfts­häu­sern von Fullersville, so daß ihre Fenster klirrten und ihre Mauern zu wanken begannen. Er trug den Schwur der Arbeiter auf seinen Flügeln durch das ganze Land, peitschte den Ozean auf, daß seine Wellen das Ufer überschwemmten, ein Sinnbild der gewaltigen, unauf­halt­sa­men Flut, die die alte Welt fortschwemmen wird. (SES, 251)

          Auf dem Höhepunkt seines Erfolges als Verfasser von fünf Kriminal­romanen verab­schiedete sich Lawrence H. Desberry nach sieben Jahren von sei­ner Leserschaft, welche über diese Entwicklung ziemlich bestürzt gewesen sein muss; denn im Frühjahr teilte Ludwig Foerster in Die neue Bücherschau (ebd., 284-85) mit, dass der Autor ge­storben sei. Allerdings war Zur Mühlens Schaffen als Autorin von Krimi­nal­romanen damit noch nicht beendet, sondern es folgten drei weitere Werke, deren Hand­lung jedoch ausschließlich im Deutschland der Weimarer Repub­lik spielt, sowie ein letz­ter, der in Italien angesiedelt war.

Bei Die weiße Pest (WP, 1926), publiziert unter dem Pseudonym Traugott Leh­­mann,79 han­delt es sich einen – im Vergleich zu den fünf Dresberry-Roma­nen – mehrsträngigen und wesentlichen komplexeren Politkrimi,80 dessen Hand­­lung vom Ausland (England, USA, Italien) ins Inland (Berlin) ver­lagert wur­­de,81 allerdings wohl weniger, wie Wallace mein­te, weil es Zur Müh­lens deutschsprachiger Leserschaft schwer fiel, die Bedeutung der dor­tigen so­zio­­politischen Verhältnisse richtig einzuschätzen und auf inländische zu über­tra­gen, sondern eher, um nach dem ‚Todeʽ Desberrys einen neuen Anfang zu ma­­chen.

Die Handlung spielt – nach dem Scheitern eines konter­re­vo­lutionären Um­sturzversuches (vermutlich des Kapp-Putsches im März 1920)  – vor dem Hinter­grund der sogenannten ‚Schwar­zen Reichswehrʽ, einer illegalen, pa­ra­militä­ri­schen Organisation, die es sich zur Auf­­gabe gemacht hat­te, einerseits den ‚inneren Feindʽ zu bekämpfen, anderer­seits Vorbereitungen für einen künftigen Krieg gegen äußere Feinde zu tref­­fen (vgl. Sauer). In Zur Mühlens Roman-Version werden vom Berliner Zweig der ‚Schwar­ze Reichs­wehr‘ unter Führung von Oberleutnant Gustav von Sanden mit Hilfe einer Gruppe von Voll­streckern Fememorde verübt,82 wobei sich die Handlanger dieser Bewe­gung aus allen Gesellschafts­krei­sen zusammen­set­zen.83 Fer­­ner arbeiten diese Berliner Ex­tremisten eng zusam­men mit der ungari­schen Baronin Ilona von Szenti­ván­yi, einer Kontakt­person der Deutsch­völ­ki­schen zum ‚Er­wachenden Ungarn‘,84 eine Frau, die offenbar den Mör­dern des Zen­trumspolitikers Matthias Erzberger im August 1921 Flucht­­hilfe ge­leistet hat­te (WP, 71).

Der Detektivteil des Romans handelt von der gewaltsamen Entführung Georg Dres­des, eines Bauern, der sich einst den Hakenkreuzlern angeschlossen hatte, sich jedoch, nach­dem er sich von diesen gelöst hatte, angeblich Be­la­stungs­­material gegen die ‚Schwarze Reichs­wehr‘ versteckt hielt und – nach seinem Sinneswandel – auf mysteriöse Weise ver­schwunden war (WP, 117 u. 122). Die Nach­for­schun­gen werden geleitet von Dr. Birnbaum, einem kom­mu­nisti­schen, jüdi­schen Rechts­anwalt, dem es letztendlich, unter Mithilfe zahl­rei­cher KPD-Mit­glieder, gelingt, den Fall aufzuklären. Die Einzelheiten dieser Ent­­hül­lungs­geschichte sind ziem­lich involviert und können hier aus Platz­grün­den nicht im Detail geschildert werden.85 Es sei jedoch erwähnt, dass – ähn­lich wie in Abenteuer in Florenz – auch in diesem Krimi eine Ge­heimsitzung der Völki­schen und der ‚Schwarzen Reichswehr‘ auf dem abgelegenen Schloss eines Grafen Rowentleh in Mecklenburg stattfindet,86 an der etliche prominente Po­li­tiker und Militärs teil­nehmen und womit der Höhepunkt des Romans er­reicht wird.

          Wie bereits in etlichen Desberry-Krimis zeigt sich auch in diesem Ro­­man zum Ab­schluss – anlässlich einer längeren, öffentlichen Ansprache Dr. Birn­baums – einmal mehr Zur Mühlens klassenkämpferische Ein­stellung, womit deutlich wird, dass es sich auch bei diesem Roman um mehr als nur ‚sozialistische Unterhaltungsliteraturʽ (Alt­ner) han­delt: „ ‚In frü­heren Jahrhun­der­ten […]‘ “, so verkündete der Rechts­anwalt, „ ‚pfleg­­ten auf große Krie­ge Seu­­chen zu folgen, die verheerend im gan­zen Land wüteten‘.“

Die schwarze Pest raffte damals Opfer um Opfer dahin. Auch auf den imperialistischen Welt­­­krieg folgte eine Seuche: die weiße Pest. Sie hat Ungarn und Spanien verheert, wütet in Po­len und Italien und auf dem Balkan. Auch Deutschland blieb nicht von ihr verschont. […] Wißt ihr aber auch, was dieser Seuchenherd ist […]? Der Erreger der weißen Pest […] ist das kapita­listische System! Solange es besteht ist eine Gesundung des Landes unmöglich […]. Ein­zig und allein die Flamme der Tat, einzig und allein die Zerstörung des Seuchenherdes ver­­mag die ver­hängnisvolle Krankheit aus der Welt zu schaffen. […] Ein Land in Europa ist seu­chenfrei, ein Land in Europa befindet sich […] in voller Genesung. Dorthin blickt, wenn euch die Größe der Aufgabe erschreckt. [Z]ögert nicht zu lange, vereinigt euch, geht gemein­sam vor, kämpft, besiegt die weiße Pest!“ (WP, 192-95)

          Bei den drei letzten Kriminalromanen Hermynia Zur Mühlens, ver­öffent­lichte unter ih­­rem eigenen Namen, handelt es sich nur in zwei Fällen – Schloß Bärenburg (1929) und Mar­chese Assunto heiratet nicht für Geld! (1932/33) – um Erzählungen mit sozio­po­li­ti­schem Hintergrund, wohingegen man es bei Die Jagd nach Welle X … Ein Radio-Kri­minal­roman (1933) mit einer reinen Detektivgeschichte zu tun hat, ohne jedwede politischen In­hal­te.

Schloß Bä­renburg (Humer, 80-82) schildert den Le­bensweg eines deut­schen Ein­wan­­derers, Jona­than B. Ziegner, in den USA, der es durch regelmäßige Börsen­spe­ku­­la­­tionen auf Baisse an der New Yorker Wall­street zum Multimillionär ge­bracht hatte und alles, was mit Bären zu tun hat, hochschätzt. An seinem Lebens­abend kehrte er kurz­fristig in die alte Heimat zu­rück und erwarb, unweit von Frank­furt a.M., ein abgelegenes Schloss namens ‚Bärenburgʽ, das er te­stamen­ta­risch – unter ge­wissen Auflagen – seinen ent­fern­ten Erben vermachte. Nach sei­nem To­de er­öffnete der Testament­svoll­strecker, Dr. Alfred Rosenfeld den ver­sam­­melten sechs Nachfah­ren – später stößt noch ein Siebter hinzu – die Kon­di­tio­nen, unter de­nen diesen je­weils $4 Millionen zu­stehen würden. Kernpunkt dieser Auflagen besteht da­rin, dass die Nef­fen und Nichten – Franz Ziegner, Ma­jor a.D., und seine Frau Hil­degard; Gustav Zieg­ner, ein Krä­mer aus Sachsen, und seine Frau Amalia;  John Ziegner, ein Ame­ri­kaner, und seine Frau Lou; Dr. Theobald Ziegner, ein Gelehrter; Frl. Daniela Zieg­­ner; Lilian Stevenson, eine Eng­länderin; sowie Benno Ziegner, ein Groß­wild­jäger aus Afrika – zusammen auf dem Schloss le­­ben müssen und dieses erst verlassen dürfen, wenn entweder einer von ihnen stirbt oder frei­­willig auszieht. Wie nicht an­ders zu erwarten führen diese Bedin­gungen relativ schnell zu allen mög­­­lichen Rei­bereien unter den Beteiligten, wobei ei­ni­ge der Bewohner aktiv ver­su­chen, ihre Mitbe­wohner zum vor­zeitigen Auszug zu bewegen. Ohne hier auf alle da­raus re­sul­­tie­renden Kom­pli­ka­tionen einzugehen, liegt die Beto­nung des Ro­mans – seit John Zieg­ners Entdeckung, dass sein Frau Lou, trotz wei­ßer Hautfarbe, negroider Ab­­stam­mung ist – auf Rassen­proble­matik; denn es stellt sich her­aus, dass Lous Mann ein Rassenfanatiker und Mitglied des Ku-Klux-Klan ist und sich in den Süd­staaten einmal sogar an einem Lynchmord beteiligt hatte. Im Laufe der fort­schrei­tenden Handlung wird John Ziegner dann er­mordet, und es bleibt Benno und Lilian Ziegner vorbe­halten, detektivisch den Schuldi­gen zu ent­lar­ven, wo­bei sich letzt­end­lich her­aus­stellt, dass Lou Ziegner die Tä­terin war, die ihren Mann im Af­fekt getötet hatte, als dieser drohte, ihr noch ung­eborenes Kind umzu­bringen. Aller­dings wird der Mord Dr. Theobald Zieg­ner, einem Hoch­stapler, angelastet, dem es jedoch gelingt, recht­zeitig zu ent­kom­men. Das Schloss erbt schließlich die Krä­merfamilie aus Chem­nitz, womit auch der einzige politi­sche As­pekt des Ro­mans, die Fahnenfrage – Gustav Zie­g­ner ist Repu­bli­kaner und möch­te eine schwarz­­rotgoldene Flagge hissen, was ihm vorher vom Monarchist Franz Ziegner ver­wehrt wor­den war – gelöst wird.

Mit Schloß Bären­burg, so der Gesamteindruck, gelang ein relativ spannender, gleichwohl etwas seichter Krimi, bei dem vorwiegend die Wieder­herstellung des familiären Zusam­men­­halts wichtig ist (Humer, 82). Sein einziges ernst­haf­tes Thema ist darüber hinaus die Rassenfrage ist, um die dann die eigent­liche Detektiv­ge­schichte kreist.

Von ganz anderem Kaliber ist hingegen Mar­chese Assunto heiratet nicht für Geld! (1932/33), ein zweisträngiges Werk, in dem Zur Mühlen einen mo­der­nen Frauen­ro­man mit ei­nem Politkrimi kombinierte (Humer, 82-84) und der in der Wiener sozialdemokratischen Zeitschrift Der Kuckuck erstmals zum Abdruck kam. Die Handlung spielt – nach kurzen ein­lei­tenden Episoden in Berlin, Paris und Palermo – 1931 auf einer winzigen Insel im Tyr­rhe­ni­schen Meer namens Theonisi, d.h. Insel der Göt­ter. Ein ver­armter, sizilianischer Aristokrat, der Marchese Car­me­lo Assun­to, hei­ra­tet He­lene Rhoden, eine reiche deutsche Erbin, „hübsch, etwas unper­sönlich, kalt, geschlechtslos, wie so viele junge Mädchen der Nachkriegs­gene­ration, schlank wie ein Knabe“ (Kpt. 1). Zeitgeschichtlicher Hintergrund ist der Kon­flikt zwi­schen dem faschi­stische Regime Mussolinis und einer 1929 grün­de­­ten anti­faschistischen italienischen Wider­stands­­be­we­gung, der ‚Giu­sti­zia e Liber­tà‘, welcher sich auf Sizilien große Teile der Bevölkerung – u.a. auch die Aristokratie – ange­schlossen hatten, so etwa ein Cousin des Mar­chese, der Con­te Guido. Mus­so­lini bekämpfte diese Bewegung bis es ihm gelang, sie in die Bedeu­tungs­losigkeit zu­rückzu­drän­gen. Auf dem Höhe­punkt der Romanhandlung schickt die sizi­li­a­nische Regionalregierung per Flugzeug einen regi­metreuen Leut­nant auf die abge­lege­ne In­sel, um Be­­lastungs­material gegen den Conte Guido habhaft zu werden, dem die Depor­tation auf die Pontinischen Inseln im Tyrrhenischen Meer drohte, wo sich damals das wichtigste Konzentrationslager des fa­schistischen Regimes für po­­li­ti­sche Geg­­ner befand. Der Soldat kommt jedoch auf mysteriöse Weise ums Leben, weshalb sich der Ro­man ab Kapitel 10 mit der Aufklärung des angeblichen Verbrechens be­schäf­tigt, wo­ran vor allem Conte Benedetto, ein Onkel des Marchese, sowie eine Halb­schwester He­le­nes, Nina Rhoden, beteiligt sind.

Parallel zu dieser Detektivgeschichte87 schildert die Autorin das Ehe­drama zwi­­schen Car­melo Assunto und Helene Rhoden; denn für letztere zählt lediglich Geld: sie hat sich im Grund ihren Mann, eine sarazenische Schönheit, ge­kauft, möch­te  ihr gewohntes lu­­xu­riöses, Leben weiterführen und kann sich nur schwer den örtlichen Verhältnissen an­passen. Auch  zeichnet sie sich durch Nai­vi­tät aus und zeigt an­fänglich wenig Verständnis für die  politischen Verhältnis­se im faschisti­schen Ita­lien:

Es wurde geschrien und gelacht und getobt, die Zeitungen schrieben lange Artikel, die ein­ander widersprachen, die Rechtsradikalen brachten Linksradikale um und umgekehrt – und schließ­lich blieb dann doch immer alles beim Alten, schließlich geschah dann doch immer das, was die Wirtschaftsführer wollten. Daheim war auch nie von Politik die Rede gewesen […]. Aber hier spielte diese dumme Po­litik ins tägliche Leben hinein; aus irgendeinem Grun­de fand He­lene das vulgär; vornehme Men­­schen kümmern sich doch nicht um so etwas. (Kpt. 7)

Ihre Einstellung ändert sich jedoch allmählich im Zuge der behördlichen Ermittlungen über Leutnant Carneros Tod und infolge der Verhaftung ihres Mannes sowie des Conte Gui­do:

Jetzt sitzen Menschen im Theater und lassen sich durch eine erdachte Tragödie erschüt­tern und wissen nicht, wie viele wahre, wirkliche Tragödien sich in dieser Stunde abspielen. Jetzt tanzen Menschen in hellerleuchteten Tanzdielen, eine barbarische Musik tönt grell durch den Raum, und die Menschen lachen. Jetzt grübeln Politiker über neue Schachzüge, neue Aus­wege. Jetzt sitzen Menschen in einer engen Stube, hungrig, verzweifelt und fragen: wovon wer­den wir leben? Jetzt stöhnen Kranke in ihren Betten und sehnen den Morgen und die Ge­nesung herbei, und in Spitälern wird vor ein Bett ein Wandschirm gestellt, damit ein Mensch ohne Zuschauer sterben kann. Es war, als ob vor ihren Augen ein Schleier gerissen wäre, sie sah die Welt, sah das Grauen der Welt, das Toben der Welt, sah die Ferne und nicht die große Flügeltür, hinter der Car­melo verschwunden war. (Kpt. 11)

Und letztendlich ringt sich Helene zu der Erkenntnis durch:

Auch ich bin aus meiner Bahn geschleudert […]. Aus dem sicheren All­tagsleben, dem Ei­ner­lei des Reichtums. Es gibt Stunden, da das Geld keine Rettung bedeutet, keinen festen Halt.  Es gibt Stunden, da wir hilflos sind wie ein neugeborenes Tier, wir su­chen nach einer Stütze, nach Hilfe, aber niemand kann sie uns geben, niemand – außer wir selbst. Wir müssen in uns die Kraft finden, sonst sind wir verloren. (Kpt. 11)

Das angebliche ‚Verbrechenʽ wird schließlich aufgeklärt: es handelte sich lediglich um einen Unglücksfall; die Terrasse hatte nämlich, so aufgrund wissen­schaft­licher Un­ter­su­chun­gen, wie große Teile der Insel einen vul­ka­nischen Untergrund – der Strom­boli ist nicht weit entfernt –, und zu ge­wissen Ta­ges­zeiten stiegen giftige, tödliche Dämpfe aus der Erde hoch (Kpt. 17). Am Ende ver­söhnen sich die Eheleute, und der Roman mündet in ein Happy End (Kpt. 18).88 das allmähliche Zusammenfinden Car­me­los und Ele­nas“.]

Die Jagd nach Welle X … Ein Radio-Kriminalroman (1933) ist Her­mynia Zur Müh­lens letzter Detektivroman, entstanden, als sie Deutsch­land bereits verlassen hatte und in ihre öster­reichische Heimat zurückgekehrt war. Es han­­delt sich daher – ähnlich dem 1935 in Wien ver­öf­fentlichte Ro­man Unsere Töchter, die Nazinen – um kein Exil­do­kument, wie des Öf­te­ren be­hauptet,89 und es fehlen zu­dem jedwede politischen Aspekte.90

Ein Pfarrer aus einem abgelegenen Gebirgsdorf stattet seinem Neffen, dem Redakteur Erich Schap, einen alljährlichen Besuch in München ab. Als er mit dessen Radio spielt, hört er zufällig die Schlussworte einer Rede und glaubt die Stimme des Spre­chers zu erkennen; denn vor geraumer Zeit hatte ein Mann im Beichtstuhl des Pfarrers den Mord an drei Per­so­nen angekündigt, um an deren Besitztum zu gelangen. Der Pfarrer setzt, durch den Radio­vortrag an die Stim­me er­in­nert, nunmehr sämtliche Hebel in Bewegung, um den poten­tiellen Mör­der aus­findig zu machen und dessen geplanten Morde zu ver­hin­dern. Sein Neffe setzt ihn deshalb mit Hugo Brand in Verbindung, einen Hans­dampf in allen Gas­sen, der es sich zur Le­bensaufgabe gemacht hat, die Sorgen mög­lichst vieler Mit­men­schen zu lindern. Ge­mein­sam machen Brand und der Pfar­rer sich so­dann daran, aus­findig zu machen, wessen Stimme es gewesen sein könnte, die der Geist­liche kürz­lich er­neut im Radio gehört hatte. Und nach Ausschluss anderer Ver­däch­tiger kon­zen­trieren sich die Ermittlungen des Hobby­detektivs Brand schließlich auf zwei Ärz­te: den in Breslau ansässigen Dr. Mühlmann sowie den in Mün­chen prak­tizie­renden Dr. Scholz, beides hervorragende Mediziner aus ärmlichen Ver­hält­nissen, die sich unter Einsatz des Vermögens ihrer jeweiligen Gattin zu anerkannten Ko­­ryphäen hocharbeiten konnten. Ohne hier auf Einzel­heiten ein­gehen zu kön­nen, sei ver­merkt, dass es Brand und dem Pfarrer gelingt, den Täter zu über­füh­ren und zwei weitere Mor­de zu verhindern, wobei von Interesse sein dürfte – da das Thema ‚fake newsʽ heutzutage in aller Munde ist –, dass Brand – unter Hin­weis auf das damals relativ neue Massen­medium Radio – dem Wunsch Ausdruck verleiht, dieses seinerseits, statt für kriminelle, zukünftig für wohl­tätige Zwe­cke nutzen zu können: „ ‚Auch ich‘,“ meint er „ ‚möchte durch das Radio eine Botschaft senden, eine Botschaft an die ganze Welt: gebt nicht zu, daß Not und Elend die Menschen zu Verbrechern machen‘.“ (Die Jagd nach Welle X, 74)

7. Autobiografische Romane

Hatte sich Zur Mühlen 1929 also im letzten Desberry-Krimi, Im Scha­t­ten des elek­tri­schen Stuhls, noch sehr klassenkämpferisch gezeigt, so machte sich wäh­rend des Zeit­ab­schnitts 1929 bis 1933 eine allmählich Entfremdung vom Kom­­­mu­nis­mus bemerkbar, und die Autorin ver­fasste in diesen drei Jahren ledig­lich ihre Auto­­biographie Ende und Anfang (1929) sowie zwei autobiographische Ro­mane: Das Riesenrad (1932) und Reise durch ein Leben (1933).

Obwohl sich erste Zweifel am Kommunismus bereits in ihrem ‚Lebens­buchʽ91 abzu­zeichnen begannen, die dann letztendlich 1932 zum Bruch mit der KPD und wahrscheinlich sogar zu ihrem Austritt aus dem BPRS führten, lag das Hauptaugen­merk in En­de und An­fang trotzdem noch auf Zur Mühlens Be­kennt­nis zum Sozialismus (Wallace, S. 138), eine Entwick­lung, die, selbst nachdem sie dem Kommu­nis­mus den Rücken ge­kehrt hatte, nicht abriss und die gegen Mitte der 1930er Jahre im ‚Volksfrontʽ-Ge­dan­kens ihres Hauptwerk, Unsere Töchter, die Nazi­nen (1935), Ausdruck fand (Wallace, S. 95). Da Ailsa Wallace Ende und Anfang in ihrer Mo­no­graphie ein gan­zes Ka­pitel gewidmet hat (Wallace, 131-54; vgl. auch Altner [1997], 124-29), soll an dieser Stelle lediglich auf zwei autobio­gra­phische Ro­ma­ne Zur Mühlens aus den frühen 1930er Jahren ein­ge­gan­gen werden, und dabei speziell auf Reise durch ein Le­ben, weil sich hierin ihre Abwen­dung vom Kommunismus be­son­ders gut nach­vollziehen lässt.92

Dieser dreiteilige Roman schildert den Lebensweg einer Aristokratin, der Grä­fin Eri­ka von Rautenberg,93 von ihrer behüteten Jugend auf dem An­wesen der Groß­mut­ter in Öster­reich – ähnlich Hermynia Zur Mühlens Kindheit in Gmun­den –, über die Ehe mit und Tren­nung von Dr. Georg Stein­bach, einem bürger­lichen deutschen Rechts­anwalt aus Mainz, bis zu ihrer späteren Rück­­­kehr. Dabei liegt die Betonung dieses fiktionalen, jedoch in vieler Hin­sicht autobio­graphi­schen Berichts über eine junge Frau ins­be­­sondere auf zwei Aspe­k­ten: einerseits dem Anti-Kriegsthema, an­der­erseits auf der Ab­kehr der Protagonistin vom Kom­­­munismus.

          Der Erste Weltkrieg, den die Protagonistin teils in Vitznau am Vierwald­städ­ter­see in der neutralen Schweiz erlebte und der ihrem Cousin und einstigen Lieb­haber, dem Grafen Nicki von Gaschin, den Heldentod be­scherte, spielt in Reise durch ein Leben eine zentrale Rolle, indem darin die pazifi­st­i­sche Ein­stellung der Autorin ein Echo findet (RL, 295ff.). Die Hand­lung erstreckt sich von der Vorkriegs­zeit – teils präzise datiert –, während der Erika in der internatio­nalen Presse die all­ge­meine Kriegs­hetzerei verfolgt, über die Kriegs­jahre, die sie in Zürich verbrachte und die für sie auf ein einziges „gigan­tisch[s] Wa­rum“ (RL, 310) hinausliefen, bis in die Nachkriegszeit. Die Prob­le­matik von Erikas Existenz am Ende dieses Zeitabschnitts thema­ti­siert Zur Müh­len in zwei Ge­sprächen im Schlüssel­kapitel ‚Die andere Weltʽ (RL, 319-28): einerseits mit Betty, einer ehemaligen Freundin der Protago­ni­stin – vor­mals ver­ehe­licht mit einem ältlichen adeligen Gesandten und nun ver­­witwet –, an­de­rerseits mit einer rus­sischen Kom­mu­nistin, Marsa Ale­xan­drowna. Wäh­rend Betty ihre ein­stige Bekannte in die gehobenen Gesell­schaft zurückholen und zu die­sem Zweck mit einem Grafen Gregopulos ver­kup­pelt möchte, durchschaut die Rus­sin die Lebensproblematik Erikas, deren ‚Halb­heitʽ, und sagt ihr auf den Kopf zu: „ ‚Ich fürchte, […] Sie werden immer zwi­schen zwei Welten lebenʽ.“ (RL, 323) Es ist in dem Streitgespräch mit der Russin, dass sich Erikas Abkehr vom Kom­munismus – und damit die damalige Hal­tung der Autorin – besonders deutlich nachvollziehen lässt. Denn während Erika wei­ter­hin den Tod Ni­ckis beklagt, betont die Kom­munistin: „ ‚Wir haben keine Zeit, um [um] Einzelne zu trau­ern. Der Mensch, das Ich, ist nichts, die Sache, das Wir, ist allesʽ “ (RL, 324), um dann an­­schlie­ßend den – wie sie meint – fehlgeleiten Idealismus ihrer aristokratischen Be­kann­ten zu verurteilen:

Ich weiß. Sie möchten hinter einer wehenden Fahne herlaufen und Ihr Leben aufs Spiel set­zen. Sie täten es auch, davon bin ich überzeugt. Aber die tägliche [politische] Kleinarbeit, die er­müdet und langweilt, das ist nichts für Sie. Und gerade darauf kommt es an. (RL, 325)

Gerade damit bringt Mafsa Alexandrowna jedoch die ideo­logische Problematik Her­mynia Zur Mühlens zu Beginn der 1930er Jahre auf den Punkt; denn fast alle ihre während der 1920er Jah­re entstandenen Märchen, Erzählungen und Kri­­mi­nalromane sind genau von die­sem Idea­lismus durchtränkt, wohingegen die politi­sche Praxis der KPD, vor allem während der Endzeit der Weimarer Re­publik, ihr nicht besonders behagt zu haben scheint. 

Den Bericht über Zur Mühlens Werke zwischen Ende des 1. Weltkrieges und dem En­de der Weimarer Republik abschließend soll jetzt noch kurz auf ihren anderen auto­biogra­phi­schen Roman, Das Riesenrad, eingegan­gen werden, der ein Jahr vor Reise durch ein Le­ben erschienen war. Bei diesem Werk Zur Mühlens – noch in Deutschland pub­liziert, aber dann verboten – han­­delt sich um eine Art von Bildungsroman, in dessen Zen­trum die Komtesse Ma­rie-Made­leine von Finkenfeld steht, einem kränkelnden, aristokratischen Back­­fisch, die – ähnlich der Autorin selber – nach dem Tode ihrer Großmutter bei zwei Tan­ten auf einem Gut in Österreich aufgewachsen war. Die Handlung dürf­te um Mitte der 1920er spielen, auf jeden Fall nach Mitte 1924, da an einer Stelle der im Juni dieses Jahres von Fa­schi­sten ermordete italienische Sozia­li­sten­­füh­rer Giacomo Matteotti Erwähnung findet, wo­mit die Diktatur Mus­so­li­nis einge­läu­tet wurde.94 Madeleines Vater, Graf Josef von Finken­feld, k.u.k. Di­plo­mat im Ruhestand, reist mit seiner Tochter nach Cannes, wo er und seine ent­­frem­de­te Ehefrau we­gen des angeschla­ge­nen Gesundheitszustandes ihrer Toch­ter den Win­­ter und das Frühjahr verbringen. Während eines halben Jahres an der fran­­zö­si­schen Ri­vie­ra lernt das weltfremde, in einer Klosterschule aufge­wach­sene vierzehnjäh­rige Mädchen das ‚Leben‘ in all seinen Schat­tierungen kennen und wird allmäh­lich auch vertraut mit den ge­sellschaftlichen Ver­hält­nissen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, denen ihr Vater folgender­maßen Ausdruck ver­lieh: „ ‚Die Aristokra­ten sterben aus, aber sie sterben nicht; sie leben als Bürger wei­ter‘.“ (RR, 33) Generell spiegelt dieser Roman – dessen Plot im Vergleich zu fast allen vor­angegangenen Wer­ken Zur Mühlens bei weitem nicht so agitatorisch wirkt95  – das Auf und Ab des Lebens wider, welches in Tante Tutzis Metapher vom ‚Riesen­rad‘ seinen Nie­der­schlag findet:

[…] das Leben ist ein bißchen wie das Riesenrad [im Wiener Prater; JT]. Einmal ist man oben und kann der ganzen Welt auf den Kopf spucken, dann dreht sich das Rad, und man ist wieder unten, und alle treten auf einem herum. (RR, 70)

Insgesamt hatte Wallace hinsichtlich dieser beiden autobiographischen Werke Zur Mühlens somit sicher recht, als sie betonte, dass diese relativ wenig ge­mein­sam haben mit früheren so­zial­kritischen Romanen wie etwa Licht (1922) – ein Werk, das übrigens von der Kritikerin in ih­rer Abhandlung nicht berück­sichtigt wurde:

Although both novels portray critically a society in transformation and the waning im­port­ance of the aristocracy they are not driven by a call for revolution and the dictatorship of the pro­letariat. (Wallace, 119-20)

8. Schlussbemerkung

Es handelt sich hierbei also – wie bereits oben erwähnt – um ein deutliches Zeichen der wan­delnden politischen Einstellung der Autorin zu Beginn der 1930er Jahre. Bis zu diesem Zeit­punkt traf auf Hermynia Zur Mühlen allerdings zweifelsohne genau das zu, was sie bereits 1919 an dem belgischen Maler Franz Masereel (1889-1972) gelobt hatte: dass dieser nämlich zu je­nen Künstlern gehöre, „denen Kunst gleichbedeutend mit so­zia­ler Verpflichtung ist“. (Zur Müh­len: ‚Franz Maseereel‘, 351) Und in diesem Sinn sei abschließend – leicht gekürzt – ihre Kurzge­schich­te ‚Die Treppe‘ zi­tiert, da dort genau diese Einstellung Widerhall findet:

Wir sind die Treppen, verbinden das Oben und Unten, das Hohe und Tiefe. Viele Füße treten auf uns, viele Schritte fallen auf uns nieder, leichte und schwere, frische und müde. Zarte Schu­he huschen über uns, schwere, abgenützte Stiefel stapfen auf unseren Steinen. […] Wenn die Schatten fallen, kehren die Schritte zurück. Auf den weichen Teppichen leicht und be­schwingt, auf den Steinen schleppend, erschöpft. Die Stufen, auf denen Teppiche liegen, füh­ren in schöne Räume, wo herrlich gedeckte Tische harren, dort rasten die Reichen – vom Nichts­tun. Die Steinstufen führen in kalte, enge Stuben, dort harrt der Arbeitsmüden neue Arbeit, kärgliches Essen, und in der Ecke lauert die Sorge. Wir sind die Treppen, verbinden das Oben und Unten, das Hohe und Tiefe. Einmal kommt der Tag, da der arbeitsmüde Fuß auf den Teppichen stehen bleibt, da der Arbeitserschöpfte, rastfordernd in die schönen Ge­mächer dringt; da der Hunger sich an den gedeckten Tisch setzt. Einmal kommt der Tag, da ein neuer Simson, dessen Hand aus Millionen Händen, dessen Kraft aus Millionen Kräften be­steht, die Säulen des Baus nie­derreißt, das Oben in Unten, das Hoch in Tief verwandelt. Dann werden beschwingte Füße der Freien über uns schreiten, dem Glück entgegen. (Zur Mühlen: ‚Das Lied der Treppen‘, 1)


Literaturverzeichnis

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  • Thunecke, Jörg,: ‚Die rote Gräfin klagt an: Anmerkungen zu Texten aus Hermynia Zur Mühlens Sammelband Der rote Heiland (1924), in Blumesberger, Susanne / Thunecke, Jörg (Hg.): Beiträge zu Leben und Werk Hermynia Zur Mühlens in der Zwi­­­schenkriegszeit (Wien: Praesens Verlag 2019; in Vorbereitung).
  • Reitz, Barbara: ‚Verzeichnis der Übersetzungen Stefan Isidor Kleinsʽ, in: „Hoch­ach­tungs­voll Ihr ergebener Diener …?“ Spannungsfeld Übersetzer-Autor-Kommunikation in der Zeit des Ersten Welt­­kriegs. (MA-Arbeit Wien: 2016;  online unter: http://othes.univie.ac.at/45017/1/47065.pdf ), Anhang, S. 122.
  • Wallace Ailsa,: Hermynia Zur Mühlen – The Guises of Socialist Fiction (Oxford: OUP 2009).
  • Zipes, Jack (Hg.): Fairy Tales and Fables from Weimar Days (Madison: Uni­ver­sity of Wisconsin Press 1989).

Siglenverzeichnis

  • BS: Der Blaue Strahl
  • RL: Reise durch ein Leben
  • RR: Das Riesenrad
  • SES: Im Schatten des elektrischen Stuhls
  • WP: Die weiße Pest

  1. Hermynia Zur Mühlens Großmutter mütterlicherseits (†1900) stammte aus englischen Adelskreisen und ver­mit­telte ihrer Enkelin Englisch als Muttersprachlerin.
  2. Hier entstanden die ersten beiden Kurzgeschichten Hermynia Zur Mühlens, die jeweils in der Meraner Zeitung veröffentlicht wurden (vgl. Hermance Duval: ‚Ein Märchenʽ, bzw. dies.: ‚Marokkoʽ).
  3. Aus diesem Grund schrieb sie das Wort ‚zurʽ in Zukunft mit einem großen Anfangsbuchstaben.
  4. Vgl. dazu Stefan Kleins Übersetzungen, so etwa von Szucsich: Silvanus Siebzehn Märchen aus dem Un­­ga­ri­schen sowie Illés: Rote Märchen Sechs Märchen aus dem Unga­ri­schen; s. auch Schlossers Online-Eintrag: ‚Stefan I. Kleinʽ; s. ferner ‚Stefan Isidor Klein: Bib­lio­graphie sei­ner Übersetzungenʽ, in Altner (1997), S. 247-50, so­wie Reitz: ‚Verzeichnis der Übersetzungen Stefan Isidor Kleinsʽ, S. 122.
  5. Vgl. hierzu u.a. die Rolle von Lene Selder in Der Tempel sowie auch die von Helene Rhoden und ihrer Halb­schwe­ster Nina in Zur Mühlens Roman Mar­chese Assunto heiratet nicht für Geld.
  6. Vorabdruck in der saarländischen Zeitung Deutsche Freiheit vom 20.6.1934 bis zum 16.8.1934.
  7. Der die Trilogie abschließende dritte Roman dessen angeblicher Titel Because We Are Patchwork lautete ist verschollen (vgl. dazu das Kapitel ‚Flickwerkʽ, in Reise durch ein Leben, S. 347-50)
  8. Nobelpreis 1932.
  9. Symposium: ‚Roter Adel und Hochverrat. Hermynia Zur Mühlen (1883-1951) und ihr Kampf um eine ge­sell­schaftsverändernde Literaturʽ, Wien, November 2008; vgl. dazu auch Blumesberger (Hg.): Handbuch der öster­reichi­schen Kinder- und Jugendbuchautorinnen Bd. 2, S. 1320-29.
  10. Vgl. Blumesberger / Thunecke (Hg.): Die rote Gräfin: Beiträge zu Leben und Werk Hermynia Zur Mühlens in der Zwi­­­schen­kriegszeit.
  11. Zürich: Rascher 1918.
  12. Vgl. dazu die Zusammenstellung bei Altner (1997), S. 221-24.
  13. Vgl. dazu Rösler: A Labor of Love. Übersetzung im Spannungsfeld von Politik und Ästhetik, insbes. das Kapitel ‚ „Com­mon work for a common cause“: Zusammenarbeit und Zerwürfnis‘ (S. 19-28).
  14. König Kohle (Zürich: Internationaler Verlag 1918) bzw. Jimmie Higgins (Potsdam: Kiepenheuer 1919).
  15. Laut Schulz (S. 50-74) übersetzte Zur Mühlen folgende Werke Upton Sinclairs: König Kohle (1918), Jim­my Higgins (1919), 100% (1921), Prinz Hagen (1921), Das Buch des Körpers (1922), Das Buch des Lebens (3 Tl; 1922), Der Liebe Pilgerfahrt (1922), Das Haus der Wunder (1922), Man nennt mich Zimmermann (1922), Skla­verei (1923), Der Parademarsch (1924), Der Fassadenkletterer (1924), Der Sumpf (1924), Samuel der Su­chen­de (1924), Der Industriebaron (1925), Der Rekrut (1925), Die Hölle (1925), Die Metropole (1925), Die Wechs­ler (1925), Nach der Sintflut (1925), Petroleum (1927), Prä­si­dent der U.S.A. (1927), Singende Gal­gen­vögel (1927), Die Goldne Kette (1928). Insgesamt publizierte der Malik Ver­lag zwischen 1921 und 1938 32 Ti­tel von Upton Sinclair.
  16. Hermynia Zur Mühlens letzte Übersetzung beim Malik Verlag war Upton Sinclairs Werk Mam­mon­art, dt. Die Goldne Kette (1928).
  17. Boston wurde letztendlich von Paul Baudisch (1899-1977) übersetzt.
  18. Laut Rösler (S. 21) war von ‚ideologischem Ausverkauft‘ die Rede.
  19. Man beschuldigte Hermynia Zur Mühlen u.a., Upton Sinclairs Werke ungenau und fehlerhaft übersetzt zu ha­ben.
  20. Vgl. dazu Grünzweig / Schulz (Hg.), S.68-69; s. ferner das Kapitel ‚Malikʽ in Altner (1997), S.70-90, dort insbes. S. 76-90.
  21. Vgl. dazu das Kapitel ‚Märchenʽ bei Altner (1997), S. 91-107; das Kapitel ‚Die Maerchenbuchautorin Hermy­nia Zur Muehlenʽ in Matt, S. 43-56; Plat­zer, insbes. Kapitel. V, S. 31-85; Steffen, S. 36-37 u. S. 40-42, so­wie das Ka­pitel ‚Happily Ever After …?ʽ in Wallace, S. 28-52.
  22. Gossman (in seiner Einleitung zu ‚The Red Countess‘, hier S. 62) meinte, dass für Hermynia Zur Mühlen Märchen-Veröffentlichungen „were (…) both a source of much needed income and a contribution to a cause (…).
  23. Zur Mühlens: Märchen, darin vier Mär­chen: ‚Der Rosenstockʽ, ‚Der Spatzʽ, ‚Der kleine graue Hundʽ u. ‚Wa­rum?ʽ; vgl. dazu auch das Kurzmärchen ‚Die Mauer‘, in: Die Rote Fahne (Wien), Jg. 5, Nr. 831 (27.1.1922), S. 2.
  24. Zur Mühlens: Ali, der Teppichweber, darin fünf Märchen: ‚Ali, der Tep­pich­weberʽ, ‚Der Störenfriedʽ, ‚Der Knechtʽ, ‚Die Brilleʽ u. ‚Aschenbrödelʽ.
  25. Zur Mühlens: Das Schloß der Wahrheit, darin zehn Märchen: ‚Der Zaunʽ, ‚Die Affen und die Peitscheʽ, ‚Das Schloß der Wahrheitʽ, ‚Die Bundesgenossinʽ, ‚Der Drosch­ken­gaulʽ, ‚Die Wundermauerʽ, ‚Der Besenʽ, ‚Nacht­ge­sichtʽ, ‚Die drei Freundeʽ u. ‚Die Brückeʽ.
  26. Zur Mühlens: Es war einmal … und es wird sein, darin ledig­lich ein neues Märchen: ‚Die rote Fahneʽ; in Die Schmiede der Zukunft wur­den lediglich bereits früher publizierte Märchen Zur Mühlens erneut abgedruckt.
  27. Laut Dolle-Weinkauff, S. 117 war Edwin Hoernle Mit­­glied des Reichsbildungsausschusses der KPD.
  28. Altner (1988, S. 18) schrieb dazu: „Ein wesentlicher Teil der massenpolitischen Arbeit der KPD bestand darin, die Jugend zu gewinnen und politisch aufzuklären. Die Kinder- und Jugendliteratur war ein wichtiges Mittel dazu.“
  29. Abgedruckt in Teil 2 (Die Arbeit in den kommunistischen Kindergruppen) des Sammelbandes der Arbeiten Edwin Hoernles (Grundfragen proletarischer Erziehung, S. 167-254, hier S. 223); Altner (1988, S.10) meinte da­zu: „Die Jugend für die Re­volution zu begeistern, erkannte er (Hoernle; JT) als historische Aufgabe, die den gesell­schaftlichen Fortschritt ver­bürgt.“
  30. Laut Dolle-Weinkauff (S. 113) erschienen allein bis 1925 an die zwanzig Märchenbände ver­schie­de­ner Autor­Innen.
  31. Ebd., S. 112; vgl. dazu auch das ‚Nachwort‘ in Die rote Fahne. Revolutionäre Märchen (S. 45), wo es u.a. heißt, Zur Mühlen habe in ihren Märchen versucht, „wesentliche Widersprüche der ka­pi­t­ali­stischen Gesellschaft sinnlich – und durch die Märchensituation verfremdet – darzustellen.“
  32. Vgl. dazu Thunecke: ‚ „Charming stories, full of fantasy and humor, yet with the firm undertone of pro­letarian life running through them“.ʽ, S. 73-97.
  33. Vgl. dazu Glattauer (S. 275-76): „Allen Mär­chen Zur Mühlens ist die Aussage gemeinsam, dass die Reichen die Macht, aber nicht das Recht haben. Man soll sie nicht als Autorität anerkennen und ihnen den Gehorsam ver­wie­gern. Das ist mit Gefahren und Schmerzen für den Einzelnen verbunden, aber Solidarität wird zum Ziel führen.“
  34. Das Schloß der Wahrheit, hier ins­bes.: ‚Der Zaunʽ, ‚Die Affen und die Peitscheʽ, ‚Das Schloß der Wahheitʽ, ‚Die Wundermauer‘  u. ‚Die Brü­ckeʽ.
  35. Der Tempel (1922), Licht (1922), Das Riesenrad (1932), Reise durch ein Leben (1933).
  36. Vier Erzählungen: Schupomann Karl Müller (1924), Der Deutsch­völkische (1924), Kleine Leute (1925) und Lina. Erzählung aus dem Leben eines Dienstmädchens (1926) sowie den Erählband Der rote Heiland (1924).
  37. Desberry: Der blaue Strahl (1922), An den Ufern des Hudson (1925), EJUS (1925), Abenteuer in Florenz (1926), Im Scha­t­ten des elektrischen Stuhls (1929); Lehmann: Die weiße Pest (1926); Zur Mühlen: Schloß Bärenburg (1929), Mar­chese Assunto heiratet nicht für Geld! (1932/33), Die Jagd nach Welle X … Ein Radio-Kriminalroman (1933).
  38. Sie lasen u.a. Das unterirdische Russland. Revolutionäre Porträts und Skizzen aus der Wirk­lichkeit (1884) von Sergei Michailowitsch Krawtschinski  (1851–1895), besser bekannt unter dem Kampf­namen Stepniak (‚Steppen­sohn‘), ein russischer Revolutionär, bekannt geworden durch die Ermordung des za­ri­stischen Polizeichefs von St. Petersburg 1878 (vgl. Der Tempel, S. 50).
  39. Letzter war vier Jahre in der Schlüsselburg (russisch ‚Shlisselburg‘) inhaftiert gewesen, einem notorischen zari­sti­schen Ge­fängnis auf einer Newa-Insel, östlich von St. Petersburg (vgl. ebd., S. 90).
  40. Die Lebensgeschichte Gioia von Stramwitz’ hat stark autobiographische Züge und erinnert an Hermynia Zur Mühlens eigene Ehe mit und Trennung von dem baltischen Baron Victor von zur Mühlen.
  41. Sergei Dmitrijewitsch Sasonow (1860–1927) war ein russischer Diplomat und Außenminister; Iwan Plato­no­witsch Kaljajew (1877-1905) war ein russischer Dichter, Terrorist und Mitglied der Sozialrevolutionäre. Er ver­üb­te 1905 ein Attentat auf den Großfürsten Sergei Alexandrowitsch Romanow und wurde dafür hingerichtet (vgl. Der Tempel, S. 72).
  42. Lenin und Trotzki finden hier Erwähnung (vgl. Der Tempel, ­S. 143).
  43. Einmal mehr ist Anatol Silberblatt Zur Mühlens Sprachrohr für die politischen Verhältnis zu Beginn der Weimarer Republik, indem er seinen Mitgenossen vorhält: „Ihr vergeßt immer wieder, wer heute die Macht an sich gerissen hat. Unbedeutende, verbürgerte Leute, die sich zum erstenmal groß und wichtig vorkommen. Die wer­den an der Macht festhalten, (…) werden mit der Bourgeoisie paktieren, mit dem Militär, alles tun, um an der Spitze zu bleiben.“ (Der Tempel, S. 140)
  44. Wenige Tage nach der Niederschlagung des Januaraufstands verhafteten Frei­korps­soldaten am 15. Ja­nuar 1919 die Führer des Spartakabundes, Karl Liebknecht (1871-1919) und Rosa Luxemburg (1871-1919) in Ber­lin und ermordeten sie.
  45. Vgl. dazu Rühl, insbes. das Kpt. ‚Die Barbarei der Kinderarbeitʽ (S. 270-95).
  46. Die siegreichen Arbeiten ziehen ‚Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, / Brüder, zum Lichte emporʽ singend zum Ge­­­­­­­fängnis, wobei es sich um die deutsche Nachdichtung des russischen Arbeiterliedes ‚Смело, товарищи, в ногу!ʽ (‚Tapfer, Genossen, im Gleichschrittʽ) handelt, das 1895/96 von Leonid Petrowitsch Radin im Moskauer Ta­ganka-Gefängnis gedichtet wurde. (vgl. Licht, S. 160) Allerdings handelt es sich hierbei um einen Ana­chro­nis­mus, da die deutsche Version des politischen Liedes ‚Brüder, zur Sonne, zur Freiheitʽ, eines der be­kann­­testen Lie­­­der der Arbeiterbewegung, erst 1920 von dem Dirigenten Hermann Scherchen, in Anlehnung an das russi­sche Re­volutionslied, komponiert wurde.
  47. Vgl. dazu auch die Licht- und Dunkel-Metaphorik in Zur Mühlens Hörspiel Der Scheiterhaufen (s. Kreuzer, S. 324).
  48. Interessanterweise zeichnet sich auch in dieser frühen Erzählung bereits eine ausgeprägte feministische Ten­denz ab; denn nicht die Männer sind hier die treibenden klassenkämpferischen Kräfte, sondern zudem drei Frau­en: Mar­tha Huber, ihre Schwiegermutter, Frau Grammel, sowie ihre Freundin Trude.
  49. Altner (1997), S. 109; s. dazu auch Steffen, S. 36-37 u. S. 40-42, sowie Zur Mühlens eigenen Kommentar in ‚Selbst­bio­gra­phieʽ, S. 184f.
  50. Vgl. dazu Thunecke: ‚Die rote Gräfin klagt an: Anmerkungen zu Texten aus Hermynia Zur Mühlens Sammel­band Der rote Heiland (1924), Vortrag im Rahmen eines Symposiums ‚Roter Adel und Hochverrat. Hermynia Zur Mühlen (1883-1951) und ihr Kampf um eine gesellschaftsverändernde Literaturʽ in Wien im November 2008 (s. Anm. 9).
  51. Vgl. dazu auch Zur Mühlens Kurzgeschichte ‚Die Räterepublik im Himmel‘, worin der Heilige Vater zwar das Programm und die Taktik des Heilands billigt, ihn jedoch für einen schlechten Organisator hält und deshalb Petrus’ Empfehlung akzeptiert, kürzlich ermordete Münch­ner Revolutionäre zu verwenden, um im Himmel eine Räte­republik zu errichten; s. dazu ferner Zur Mühlen: ‚Tod dem Bourgeois!‘, wo es abschließend heißt: „Darum: Tod und Vernichtung dem Bourgeois! Vor allem aber dem Bourgeois in uns selbst, dem gefähr­lichsten Helfeshelfer des anderen!“
  52. Fähnders / Karrenbrock schreiben dazu in ‚Proletarisch-re­vo­lu­tionäre Literatur und Ar­beiterdichtungʽ (S. 26): „Vor allem die einflußreiche Feuil­le­ton­redakteurin des KPD-Zentral­or­gans ‚Rote Fahneʽ Gertraud Alexander (1882-1967) sprach sich für das fortschrittliche Erbe aus. In der Kunst­lumpen-Auseinandersetzung warf sie den Kriti­kern des Erbes ‚Vandalismusʽ vor, und in ihren lite­raturkritischen Arbeiten empfahl sie, hier durchaus in der Tradition von Franz Mehring stehend, die Aneig­nung der deutschen Klassik (…).“; s. dazu auch den Kommentar in Fähnders / Rector (Hg.): L­i­te­ratur im Klassenkampf (S. 224): „1920-1924 maßgebliche Redakteurin des Feuil­letons der ‚Rote Fahneʽ, das seit Mitte 1920 regelmäßig erschien.“ Gertrud Alexander selbst schrieb in einem Beitrag der Roten Fahne im Jahre 1920 zum Thema ‚proletarisches Theaterʽ (was man auf andere literarische Be­­reiche ver­all­ge­meinern kann): „Der Name Theater aber verpflichtet zur Kunst, zu künstlerischer Leistung! (…) Kunst (ist) ei­ne zu heilige Sache, als daß sie ihren Namen für plattestes Propagandamachwerk herge­ben dürfte.“ (abge­druckt bei Fähnders / Rector, S. 208).
  53. Zur Mühlen: Der rote Heiland  (Leipzig: Die Wölfe, 1924); das Thema vom ‚roten Heilandʽ wird in Zur Mühlens Romans Licht (S. 118) vorweggenommen (s. dazu Der rote Heiland. Novellen von Her­my­nia Zur Mühlen).
  54. Vgl. dazu Die Erde 1 (1.7.1919), 13, S. 406-09.
  55. Altner (1997), S. 108; vgl. dazu neuerdings auch Wallace (S. 20-21), wo Der rote Heiland allerdings nicht spe­zifisch behandelt wird und le­dig­lich in der Biblio­gra­phie (S. 273) Er­­wähnung findet; das gilt übrigens auch von Zipes’ Einleitung in dem von ihm heraus­ge­geben Band Fairy Tales and Fables from Weimar Days, wo der obige Sam­melband leider ausgespart wurde.
  56. Dostojewskis Formulierung des Theodizee-Problems in der berühmten ‚Legende vom Großinquisi­torʽ in Die Brü­der Kara­ma­sow (1880) darf als eine der tiefgründigsten Auseinandersetzungen mit dieser Frage in der Li­te­ra­tur­ge­schich­­­­te gelten.
  57. Vgl. Humer: Hermynia Zur Mühlen: Die Kriminalromane; zum Genre s. Wal­laces Behauptung (S. 58-62), Des­berry sei dem Gros der europäischen De­tek­tivschriftsteller über­le­gen ge­wesen; s. ferner das relativ kurze Kapitel in Altners Biographie (S. 117-25).
  58. Außer den fünf Desberry-Krimis veröffentlichte Zur Mühlen unter diesem Pseudonym auch zumindest eine Kurzgeschichte, in der mit beißender Ironie die Prüderie einer amerikanischen Stadt in New England unter die Lu­­­pe genommen wird (vgl. dazu Lawrence H. Desberry: ‚Das Mysterium des Zensor‘, S. 6).
  59. In völliger Verkennung der genauen historischen Umstände behauptet Wallace: „With her va­gue un­der­stand­ing of Ireland as a country oppressed by England Zur Mühlen incorporates a critique of Eng­lish co­lo­nialism si­mi­lar to that which would later underpin her oriental Märchen.“ (S. 66)
  60. Wallaces Behauptung (S. 67), dass Zur Mühlens erster Krimi, Der blaue Strahl, ein großer Pub­li­kums­erfolg war, ist rezeptionsgeschichtlich nicht belegt und angesichts der Rarität dieses – und anderer – Des­ber­ry-Krimis auch nicht nachvollziehbar!
  61. Laut Humer (S. 45) repräsentiert Henry Words das kapitalistische Amerika, und an einigen Stellen des Romans entsteht der Eindruck, als seien die USA ein totalitärer Staat (vgl. dazu ein Jahrzehnt später den Roman von Sinclair Lewis: It Can’t Happen Here (1935) sowie Betz / Thunecke: ‚Sinclair Le­wis’s Cau­tio­nary Tale It Can’t Happen Here (1935). Against the Socio-Political Background in Germany and the USA in the 1930sʽ.
  62. Im Linzer Tagblatt erschien ab dem 11.9.1923 auch der Fortsetzungsroman Ku-Klux-Klan: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=tab&datum=19230911&seite=7&zoom=33
  63. Vgl. dazu neuerdings Churchwell: Behold, America: A History of America First and the American Dream.
  64. Laut Churchwell „(t)he Klan had an active presence in New York City and Long Island by 1927“ (S. 15), und anlässlich einer Memorial Day Parade im Stadtteil Queens Ende Mai 1927 wurde Fred Trump, Donald Trumps Va­ter, verhaftet (S. 309-10, Anm. 12).
  65. Eine ähnliche Frauenfigure gab es bereits in Der Tempel (1922) in der Person Lene Selders, und andere folg­ten in Aben­teuer in Florenz (1926) und in Im Schatten des elektrischen Stuhls (1929); Scheriau hat ei­ni­ge solcher Frauenfiguren in Die Entwicklung der Frauenbilder im Werk der Schriftstellerin Her­mynia Zur Müh­len untersucht (dort in dem Kpt. ‚Der Aktionsradius von Frauen in den Anfangswerken‘ (S. 52-63) u.a. drei Frauen im Roman Licht (1922), eine in der Erzählung Der Deutsch­völkische (1924) sowie etliche weitere in den Desberry-Krimis u. in Die weiße Pest).
  66. Laut Humer (S. 52) steht EJUS am Übergang zu einer Art von Detektivroman, worin die engen Gren­zen des Genre ge­sprengt wurden und sich die Protagonisten aufs internationale Parkett wagten.
  67. Lawrence H. Desberry: Abenteuer in Florenz (Berlin: Agis 1926), als Fortsetzungsroman wieder abgedruckt  in: Die rote Fahne (Wien), Jg. 10, Nr. 1-56, 1.1.1927-18.3.1927.
  68. Vgl. Wallace, S. 87-90; laut Humer (S. 53) handelt es sich bei Abenteuer in Florenz über weite Strecken um einen Spionageroman.
  69. Später wurde auch sein Bruder, Francesco Termetta, der die Führung der örtlichen Arbeiterschaft von seinem Bruder über­­­nommen hatte, ermordet.
  70. Anlässlich der Beratungen der faschistischen Repräsentanten verschiedener Ländern werden die Stoß­rich­tun­gen des internationalen Faschismus deutlich: nämlich Antikommunismus, Antisemitismus, Militärputsch, Dikta­tur sowie Restauration der Monarchie in einigen Staaten (vgl. Abenteuer in Florenz, S. 137-38).
  71. Vgl. dazu Wallace: „Of Zur Mühlen’s work Im Schatten des elektrischen Stuhls (1929) bears the most evi­dence of Sinclair’s influence.“ (S. 91) Hierfür spricht auch, daß der amerikanische Autor an einer Stelle des Romans namentlich erwähnt wird: „Die ‚gute Gesellschaftʽ von Fullersville hatte den Ehrgeiz, es Boston (…) gleich­­zutun und ein ‚Kulturzentrumʽ zu gründen. Aber worin bestand eigentlich diese Kultur? Die reichen Leute der Stadt kauften Gemälde berühmter moderner Maler, von denen sie nichts verstanden und die sie insgeheim für ab­scheu­lich hielten; sie schwärmten für Hergesheimer und Mencken, hatten deren Bücher in ihren Salons, re­deten viel von reiner Kunst und bekamen Tobsuchtsanfälle, wenn Upton Sinclairs Name erwähnt wurde.“ (Im Schatten des elektrischen Stuhls, S. 123)
  72. Der Roman spielt nicht in Miami, FL, wie Wallace behauptet, sondern in Miami im US-Staat Ohio.
  73. Die Gewerkschaft ‚Industrial Workers of the Worldʽ (IWW) wurde auf einem Kongress am 27. Juni 1905 in Chi­cago von Delegierten verschiedener Einzelgewerk­schaften, So­zia­listen, Anarchisten und militanten Arbeiter­führern gegründet, in Anwesenheit so bekannter Aktivisten wie Mary Harris ‚Motherʽ Jones und William Dud­ley ‚Big Billʽ Haywood. (vgl. dazu Dubofsky: We Shall Be All A History of the Industrial Workers of the World).
  74. Beim sogenannten ‚Colorado Coalfield Warʽ handelt es sich um einen Streik der Bergarbeiter im US-Bun­des­staat Colorado zwischen 1913 und 1914, dem tödlichsten Streik in der Geschichte der USA, der in dem so­ge­nann­ten ‚Lud­low Massacreʽ endete (vgl. dazu Andrews: Killing for Coal: America’s Deadliest La­bor).
  75. Upton Sinclair: Boston (1928), deutsche Übersetzung von Paul Baudisch (Berlin: Malik 1929).
  76. Vgl. dazu Im Schatten des elektrischen Stuhls, Kpt. 16: ‚Der Kampf um David Gordons Lebenʽ (S. 190-204).
  77. Deutsche Übersetzung: Boston. Die Geschichte von Sacco und Vancetti (Berlin: Malik 1929), allerdings nicht in der Übertragung Zur Mühlens.
  78. Darin heißt es u.a.: „Ihr habt gelernt, worauf es ankommt Aber glaubt nicht, daß nicht weitere, vielleicht noch erbittertere Kämpfe bevorstehen. Auch in diesen Kämpfen werdet ihr die gleichen Waffen verwenden müs­­sen: So­li­darität, unerschütterliche Entschlossenheit.“ (Im Schatten des elektrischen Stuhls, S. 250)
  79. Traugott Lehmann: Die weiße Pest (1926), scheinbar zuerst ab Mai 1926 als Fortsetzungs­ro­man abgedruckt in der Hamburger Volkszeitung; Zitate aus der von Alt­ner herausgegebenen Neuauf­lage Die weiße Pest (1987).
  80. Vgl. dazu  Humer (S. 72-78) sowie Wallace (S. 79-87).
  81. Vgl. dazu auch den Untertitel: Ein Roman aus Deutschlands Gegenwart.
  82. Vgl. dazu die spektakulären Enthüllung in ‚Die Vaterländischen Verbändeʽ, S. 257, sowie die Aussage des Auftragsmörders Hermann Klappner nach seiner Verhaftung (Die weiße Pest, S. 191); Zur Mühlen selber be­zeichnete Die weiße Pest als einen ‚Anti-Femeromanʽ (‚Eine Bio-Bibliographieʽ, S. 184f.).
  83. Bulle ist Abgeordneter einer Rechtspartei, Friedrich Fehlbosch Kleinbürger, Franz Bosching und der Chauf­feur Kra­­mowsky sind Arbeiter.
  84. Das ‚Erwachende Ungarn‘ (ungar. Ébredő Magyarok Egyesülete) war eine rassistische, antisemitische, rechts­radi­ka­le Vereinigung, gegründet im November 1918 von Gyula Gömbös (1886-1936).
  85. Vgl. dazu insbesondere den öffentlichen Skandal anlässlich der Flucht Dresdes aus einer Nervenheilanstalt, wo er, gegen seinen Willen, von Vertretern der ‚Schwarze Reichswehr‘ gefangen gehalten worden war (Die weiße Pest, S. 135-36.), so­wie seine politische Ansichten im Unterschlupf einer alten Genossin im Norden Berlin nach der Be­freiung (ebd., S. 146-48).
  86. Ebd., S. 168f.; unter den Teilnehmern dieser Geheimsitzung der ‚Schwarze Reichswehr‘ befanden sich inter­es­­­san­terweise zwei baltische Barone: Baron Wolff u. Herr von Manteuffel!
  87. Humer (S. 83) meinte, Mar­chese Assunto heiratet nicht für Geld! sei „ein Detektivroman ohne ein Kri­­­mi­nal­roman zu sein.“
  88. Laut Humer (S. 83) ist „(d)as eigentliche Thema (des Roman
  89. Aus diesem Grunde ist der Abdruck in Vierzehn Nothelfer, ein Band mit dem Untertitel Romane aus dem Exil, nur schwer nachvollziehbar; und auch Altners Kapitelüberschrift ‚Als Emi­grantin in der Heimatʽ in seiner Bio­graphie (1997, S. 130) klingt paradox; jedoch selbst Wallace (S. 158) bestand noch darauf, „that Au­­stria was a country of exile for Zur Mühlen.“
  90. Vietor-Engländers Hinweis (vgl. ‚Vorwortʽ, S. 9-18, dort S. 12), dass Zur Mühle in diesem Krimi Sei­­­ten­hiebe auf die Nazis ausgeteilt habe (vgl. Die Jagd nach Welle X, S. 111), ist völlig irreführend! Dies gilt auch für Humers Behauptung, Zur Mühlen verfolge in Die Jagd nach Welle X einen „antinationalsozialistischen Kurs“ (S. 84).
  91. So der Untertitel von Ende und Anfang.
  92. Hammel (S. 193-94) hat diesen wichtigen Aspekt völlig ignoriert.
  93. Ein Namen, den die Autorin ein Jahr später auch als Pseudonym verwendete (vgl. dazu Franziska Maria Rau­ten­berg: Das harmlose Thema Erzählung in: Deutsche Freiheit (Saar­brücken 1933).
  94. Das Riesenrad, S. 86 (anlässlich eines Besuches bei Professor Maffei in Genua).
  95. Laut Wallace (S. 118) „the novel’s subdued Socialist commitment facilitated (its) publication after the Se­cond World War“.