Ernst Krenek

Ernst Krenek zählte in der Zwischenkriegszeit zu den erfolgreichsten und am kontroversesten diskutierten Künstlern: Der aus Wien gebürtige Komponist trat zu Beginn der 1920er als enfant terrible der Neuen Musik auf den Plan, wurde mit der (sogenannten) ‚Jazzoper‘ „Jonny spielt auf“ von 1927 schlagartig berühmt und in den 1930ern als „Reaktionär“ (nicht nur im Kompositorischen) skeptisch beäugt. Dass Krenek ein lohnender Fall für die Musik- und auch für die Literaturgeschichtsschreibung ist, darauf hat in den 1980ern als einer der ersten Wendelin Schmidt-Dengler mit Blick auf Libretti und Liedverse aus Kreneks Hand, seine – z.T. aus Kollaborationen erwachsenen – Kontakte etwa zu Franz Werfel, Oskar Kokoschka, Karl Kraus, Theodor Wiesengrund Adorno oder Joseph Roth sowie das umfängliche publizistische Oeuvre hingewiesen. An die 500 Texte konnte Krenek von 1924 bis 1938 in z.T. renommierten Organen wie den „Musikblättern des Anbruch“, der „Frankfurter Zeitung“ oder der „Wiener Zeitung“ zu Veröffentlichung bringen.

Von Rebecca Unterberger

Inhaltsverzeichnis

  1. Lehr- und Wanderjahre
  2. Kassel
  3. Weichenstellungen: Über „Selbstverständlichkeiten unserer Zeit“
  4. „outsider“ in Wien
  5. Kompositorische Reaktion?
  6. Schriftstellerischer Fortschritt
  7. „Von der Aufgabe, ein Österreicher zu sein“
  8. Ein Austriacus im Ständestaat
  9. „Plus oultre“: Krenek im Exil (ohne Ende)

1. Lehr- und Wanderjahre

Name: Ernst Krenek
geboren: 23. August 1900, zu Wien, damals Nieder-Österreich
wohnhaft: 623 Chino Canyon Road, Palm Springs, California, Vereinigte Staaten von Amerika
Staatsbürgerschaft: seit Januar 1945 amerikanischer Staatsbürger
Beruf: Komponist und Schriftsteller

Schon der Name gibt Probleme auf und ist ein beliebter Konversationsgegenstand. Original wird der Name Křenek ausgesprochen, was durch ein diakritisches Zeichen über dem r ausgedrückt wird (im Tschechischen háček, kleine Haken, genannt). Dieses Zeichen habe ich nach meiner Einwanderung nach Amerika aufgegeben, da es dort im Druck und auf Schreibmaschinen nicht erhältlich ist und die telephonische Erklärung, wie der ungebräuchliche Laut darzustellen ist, kostbare Zeit vergeudet. [Protokoll: 9]

Die Eckpunkte zur Vita, die 1980, so der Titel der hier zitierten Skizze, Von Krenek über Krenek zu Protokoll gegeben worden sind, verraten einen „bewegten“ Lebensweg, der den gebürtigen Wiener zu Beginn der 1920er Jahre zunächst nach Berlin geführt hat: 1920 ist der Komponist Franz Schreker dem Ruf des Musikreferenten im preußischen Kultusministerium, Leo Kestenberg, gefolgt, um an der Berliner Hochschule für Musik eine Studienklasse zu leiten – und ihm, als einer seiner Wiener Schüler, auch Ernst Krenek.

Diese Schreker’sche Studienklasse wurde in den Musikblättern des Anbruch zu Beginn der 1920er als „ein österreichisches Hauptquartier“ [MdA 1] an einem zu dieser Zeit für (nicht nur) musikalische Inkubationen zentralen Ort genannt: „Alles Reproduktive und Produktive“ dränge nämlich nach Berlin [MdA 2], wo etwa dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler zufolge „die Hoffnung auf das Neue“ eine Art „kategorische[r] Imperativ“ sei [MdA 3].

Von diesem Ambiente blieb auch Krenek nicht unberührt: Als er 1921 das konfliktreiche Lehrer-Schüler-Verhältnis durch Abgang aus der Schreker’schen Klasse – ohne Abschluss – beendete, wurde er aufgrund seiner frühen Instrumentalkompositionen bereits als eine Art „Antlitz“ der sogenannten Neuen Musik gehandelt. Insbesondere die Aufführung der Zweiten Symphonie im Rahmen des Tonkünstlerfests in Kassel 1923 hatte zu dieser Wahrnehmung beigetragen: Als Theodor Wiesengrund-Adorno knapp ein Jahrzehnt später an den „Musikerruhm“ des frühen Krenek erinnerte, war ihm der Höreindruck der Kasseler Aufführung noch „in allen Teilen gegenwärtig“ [MdA 4].

Die Teilhabe an Musikfestivals, wie u.a. auch an den Kammermusikaufführungen in Donaueschingen, verhalf Krenek zu Popularität und wichtigen Kontakten: Bei der von Hermann Scherchen geleiteten Frankfurter Aufführung seiner Ersten Symphonie im Dezember 1922 war unter den Zuhörern auch Werner Reinhart, ein finanzpotenter Mäzen aus Winterthur. 1924 finanzierte Reinhart dem jungen Komponisten dann einen Aufenthalt in der Schweiz: Krenek fand sich auf der „Drehscheibe zwischen zwei Kulturzentren, zwischen West und Ost“ [Sulzer: 134f.], wieder. Als Gast Reinharts traf Krenek auf Rainer Maria Rilke: Dokument dieser Bekanntschaft ist die Vertonung des Gedichtzyklus O Lacrimosa.

Nicht zuletzt durch die Paris-Abstecher war die Schweizer Zeit von Einfluss auf Kreneks musikalische Entwicklung. Unter dem Eindruck des französischen Kunstschaffens und in Auseinandersetzung v.a. mit der Ideenwelt Jean Cocteaus näherte Krenek sich dem Konzept einer „Gebrauchsmusik“ an: Er bemühte sich nunmehr um einen künstlerischen „Rapport zur Außenwelt“, d.h. um die Entbindung des Musikalischen aus der „Sphäre elitärer Hochkunst“ [Schmidt: 60 bzw. 64f.].

Mit seinen Bühnenwerken konnte Krenek Mitte der 1920er zudem (Achtungs-)Erfolge erzielen: 1924 wurde in Berlin die „Szenische Kantate“ Die Zwingburg uraufgeführt. Das von Krenek gemeinsam mit dem Berliner Kinderarzt Fritz Demuth aus- und von Franz Werfel überarbeitete Libretto hat das Scheitern einer Revolution zum Gegenstand – und Krenek zeitgenössisch den Ruf eines „kommenden ‚Toller[s] der Musik‘“ [MdA 5] eingetragen. Dass Ludwig Hoerth als Regisseur bei der Berliner Inszenierung die Farbe Rot für die beim Volkssturm auf die Zwingburg des Tyrannen entrollte Fahne wählte, trug das Seine dazu bei, dass die Krenek’sche Zwingburg von rechten Stimmen als „kommunistisches Propagandastück“ diffamiert wurde [Kiefer: 126f.]. Für die gleichfalls 1924 im Rahmen des Tonkünstlerfests des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in Frankfurt uraufgeführte „Komische Oper“ Der Sprung über den Schatten zeichnete Krenek erstmals alleinig als Librettist und Komponist in Personalunion verantwortlich.

2. Kassel

Zweifellos war auch Paul Bekkers „Idee einer gesellschaftsbildenden Macht der Musik“ von Einfluss auf Kreneks damalige ästhetische Erwägungen [vgl. Schmidt]. Bekker (1882-1937), der einflussreichste Musikkritiker der frühen Weimarer Republik, hatte in einem Vortrag über das jüngste Musikschaffen 1919 den Terminus Neue Musik erst geprägt, und sich dann v.a. auch für die Werke Kreneks stark gemacht: Er definierte dessen Kompositionen zum formalästhetischen Paradigma einer tatsächlich Neuen Musik [Unterberger: 63-67]. „But for good or ill, Krenek was now ticketed as an ultraprogressive, and his name was made“, so der Krenek-Biograf John L. Stewart über die Wirkmacht dieser musikpublizistischen Schützenhilfe [Stewart: 43].

Als Bekker 1925 zum Theaterintendanten in Kassel berufen wurde, rekrutierte er Krenek als seinen Assistenten. Dem bot sich bei der „Umwandlung des Hoftheaters zu einem Staatstheater“ [L. Kestenberg, zit. Eichhorn: 96] ein weites Betätigungsfeld: Krenek „werkte“ als Komponist von Bühnenmusiken, Korrepetitor, Dirigent und Autor von Beiträgen für die Theater-Programmhefte.

30 Programmheft-Beiträge sind in einer Bio-Bibliography von 1989 verzeichnet [Bowles: 121-125]. Der (nur spärlich überlieferte) Textpool umfasst „musikalische Anmerkungen […], einführende Bemerkungen zu den Opern und dergleichen mehr“ [IAZ: 571], etwa Künstlerporträts und Werkstattberichte eines Theaterassistenten.

Auch im Rundfunk trat Krenek damals erstmals in Erscheinung: Für die Kasseler Nebenstelle des Frankfurter Senders besorgte er „Musikausstattungen“ zu Sendungen und war zudem als Vortragender mit (zumindest) fünf eigens verfassten Radiovorträgen zu hören. Den für das Programm von Kassel, einer Nebenstelle des Frankfurter Senders, verantwortlichen Hans Flesch hatte Krenek 1922 in Donaueschingen kennengelernt. Auf Initiative Fleschs und Karl Blocks, des Leiters der Kasseler Sendestelle, wurde 1926 die zweite Aufführung der Oper Orpheus und Eurydike – der Text stammt von Oskar Kokoschka, die Musik von Krenek – gesendet. Zu dieser Zeit waren Übertragungen aus Oper und Konzertsaal noch eine Seltenheit. Die musikalische Leitung bei der Ausstrahlung oblag Krenek [vgl. MZ 2].

3. Weichenstellungen: Über „Selbstverständlichkeiten unserer Zeit“

Wie in Kreneks Lebenserinnerungen Im Atem der Zeit nachzulesen ist, hat Arnold Schönberg 1925 Anstoß an einem Vortrag des jungen Komponisten genommen und sich – zu Recht – als einen der darin attackierten „Ästheten“ erkannt. Mit Musik in der Gegenwart, vorgetragen im Rahmen eines Musik-Kongresses in Karlsruhe und dann im Jahrbuch 25 Jahre Neue Musik der Universal-Edition erschienen, sprach sich Krenek nämlich zugunsten der „Alltagsfunktion der Kunst im Sinn der damals gängigen Gebrauchsmusik“ aus [IAZ: 592f.]. Er votierte für eine dem Heute adäquate, Publikums-affine „Zweckkunst“. Die „absolute Musik der Gegenwart“ adressiere nämlich nur mehr „Gleichgebildete“, und habe damit den „Weg ins Esoterische und Selbstgenügsame“ eingeschlagen [JB: 48-50].

In seinem Plädoyer für (Zweck-)Orientierung an Publikumserwartungen bedachte Krenek auch das (ideale) Zeit-Theater: So wie in der antiken Tragödie durch Dramatisierung bekannter Fabeln oder auch bei Shakespeare „jede Komplikation des Sujets“ vermieden worden sei, müssen dafür „die Selbstverständlichkeiten unserer Zeit“ aufgesucht werden. „Typen, Tatsachen, Zustände und Gegebenheiten aller Art“, die „für das Leben möglichst umfassender Kreise der Gegenwart als bekannt und interessierend vorausgesetzt werden“ können, seien musikalisch „so einfach wie nur möglich“ zu fassen [JB: 55-57].

Damit sind wesentliche Charakteristika eines Musiktheaters benannt, das unter dem Schlagwort „Zeitoper“ in der Zwischenkriegszeit v.a. in Form von Kurt Weills und Bert Brechts Zusammenarbeit (Dreigroschenoper, UA 1928; Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, UA 1930) sowie Kreneks Jonny spielt auf überaus erfolgreich sein wird.

Die Uraufführung der Oper um den titelgebenden Jazzbandgeiger Jonny in Leipzig ist aus der Retrospektive als Meilenstein des Musiktheaters der 1920er Jahre einzuschätzen. Zeitgenössisch wirkte diese Inszenierung von 1927 (Regie: Walther Brügmann) rezeptionslenkend: Die „amerikanische Sphäre“ Jonnys wurde akzentuiert, auch durch den z.T. erstmalig auf einer Opernbühne eingesetzten medial-technischen Apparat, von Film und Projektionen [vgl. Wedel: 81-86].

Das geschah auf Kosten der eigentlich zentralen Künstlerfigur in der Oper, des (europäischen) Komponisten-Genies Max: Darüber jedenfalls mokierte sich Krenek auf Einladung des Kulturbunds in einem Vortrag gelegentlich der Wiener Erstaufführung im Jänner 1928, in dem er v.a. auch den Einsatz von Jazzmusik zu rechtfertigen suchte. Dieser Rückgriff auf eine der musikalischen ‚Selbstverständlichkeiten‘ der 1920er Jahre, die für ein tatsächliches Zeittheater zu berücksichtigen seien [vgl. Z: 24-26], sei nämlich zu Unrecht zur „Hauptquelle von Mißverständnissen“ geworden. Man habe ihn fälschlicherweise der Glorifizierung „eines kulturlosen Amerikanismus“ bezichtigt, weil er keine Entscheidung treffe im „geahnte[n] Konflikt“ zwischen den

Antithese[n]: Kultur und Barbarei, Tradition und Fessellosigkeit oder Hemmung und Freiheit oder Europa und Amerika oder Klassizismus und Jazzmusik oder Esoterik und Gemeinverständlichkeit oder Einsamkeit und Sozietät[.] [Z: 13-17]

Adressat von Kreneks Ausführungen war v.a. Julius Korngold, der einflussreiche Musikkritiker der Neuen Freien Presse, der in seinem Jonny-„Nachtreferat“ Kreneks „in Revue, Varieté, Kino, Detektivstück“ übergehende „Operette“ als Triumph des „Nigger[s]“ und somit der „Jazzkultur“ über „das Europa Beethovens“ erledigt hatte [NFP].

4. „outsider“ in Wien

Das Jahr 1928 wird in der Krenek-Forschung als Zäsur markiert: Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs kehrte Krenek nach Lehr- und Wanderjahren in Berlin, der Schweiz, Kassel (1925-27) und Wiesbaden zu Jahresbeginn 1928 nach Wien zurück.

Meret Forster, die sich mit dem publizistischen Œuvre des Wiener Dezenniums 1928-38 befasst hat, charakterisiert Krenek in ihrer Monografie als „virtuose[n] Unzeitgemäßen im Wien der Zwischenkriegszeit“. Changierend „zwischen musikalischem und literarischem Ausdrucksmedium sowie zwischen rechtem und linkem politischen Lager“, habe Krenek eine „intellektuelle Außenseiterposition“ gesucht, (auch) nach Vorbild des von ihm zum Idol stilisierten Karl Kraus [Forster: 11].

Zweifel an der Freiwilligkeit, mit der Krenek sich damals „außerhalb der kulturpolitisch bestehenden Lager“ positionierte, meldete Claudia Maurer Zenck bereits 1980 an: Das als konservativ berüchtigte Wien sei dem Jonny-Komponisten gegenüber ja „nicht besonders entgegenkommend eingestellt“ gewesen [MZ 1: 47f.]. Begrüßt wurde Krenek 1928 nämlich von einem

mit Hakenkreuzen verzierte[n] Plakat, mit dem die ‚Nationalsozialistische Arbeiterpartei Großdeutschlands‘ […] die Wiener Bevölkerung aufforderte, gegen die ‚jüdisch-negerische Besudelung unserer Staatsoper durch den tschechischen Halbjuden‘ Ernst Krenek zu demonstrieren[.] [ÖMZ]

Allen voran die Deutsch-Österreichische Tages-Zeitung rief mit hetzerischen Schlagzeilen auf die Barrikaden.

Ausgelöst durch die Jonny-Erstaufführung, tobte Anfang 1928 ein veritabler „Opernkrieg“ in Wien, der publizistisch sowohl „unter“ als auch „über“ dem Strich, sowohl in den Feuilleton- als auch in den Leitartikel-Ressorts, ausgefochten wurde. Den Christlichsozialen boten die Krenek’sche Oper und ein Gastspiel Josephine Bakers den (willkommenen) Anlass, um neuerdings eine parlamentarische Debatte über ein zensorisches „Schund und Schmutz“-Gesetz anzuregen. Der Kampf gegen die Wiener „Negerschande“ wurde als Kampf der konservativen (Seipel-)Regierung gegen das Rote Wien inszeniert [vgl. Unterberger: 176-182]. 

1928 jährte sich zudem Franz Schuberts Todestag zum hundertsten Mal, und zu Ehren des deutschen Liederfürsten wurde im Sommer das Sängerbundfest in Wien abgehalten. „[D]as Schubertjahr muß herhalten und der tote Schubert wird gegen den lebenden Krenek ausgespielt“: So resümierte Ernst Fischer den Jonny-Rummel im nur (mehr) vorgeblich „freiheitlichen Wien“ als kulturpolitische Causa [Fischer].

Krenek beteiligte sich ebenfalls an den Schubert-Feierlichkeiten: Im November 1928 hielt er zwei Vorträge über den „deutschen Liederfürsten“. Zum Beschluss eines Jahres, in dem der biedermeierliche Liedermeister gegen den Jazz aufspielenden Jonny ausgespielt worden war, vermochte der Jonny-Komponist mit diesen Vorträgen zu überraschen: Krenek legte ein „Bekenntnis zu Schubert“ (A. Schönberg), der für ihn den – für Gebrauchsmusik(er) typischen – „Rapport zur Außenwelt“ verkörperte, ab [vgl. Unterberger: 179]. Aber auch der Österreicher Krenek identifizierte sich mit Schubert: Das Referat, das im Rahmen eines internationalen Schubert-Kongresses gehalten wurde, ist als „früheste politische Stellungnahme“ [MZ 3: 68] von Krenek einzuschätzen. Er appellierte darin an seine Landsleute, Österreichs Kleinheit nicht zu bejammern, und erteilte somit großdeutschen Visionen eine klare Absage.

5. Kompositorische Reaktion?

„Meinen letzten Arbeiten wird häufig der Vorwurf der Banalität gemacht“: 1930 führte Krenek in der Berliner Zeitschrift Der Querschnitt Klage über Musikkritiker, die sich von jedem neuen Werk „sensationelle Entdeckungen von einer musikalischen Nordpolfahrt“ erwarten und somit das als „banal“ diskreditieren, „was nur die organische Fortführung wertbeständiger Gestaltungsmöglichkeiten sein will“ [Banalitäten].

Aus der Feder des (Erfolgs-)Komponisten der ersten „Jazzoper“ mag eine solche Polemik verwundern. Gleiches gilt für Werke, die Krenek dem Kassenschlager Jonny spielt auf unmittelbar nachfolgen hat lassen: Die „Philosophie“ des von Schubert inspirierten Liederzyklus Reisebuch aus den österreichischen Alpen (1929) hat er selbst rückblickend  als „naiv, um nicht zu sagen, primitiv und reaktionär“ [IAZ: 712] umrissen. Sein Fünftes Streichquartett hat die Universal-Edition, die Krenek verlegerisch betreute, den Memoiren zufolge zudem als ein weiteres „Zeichen dafür, daß ich mich vom Weg des vielversprechenden Geschäfts entfernte“, gedeutet: Diese Rückkehr „zur reinsten und offenbar unpraktischsten Form der Kammermusik“ habe nämlich stattgefunden, als vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise „Praktikabilität“ das Gebot der Stunde gewesen sei [IAZ: 753-755].

Gegen die Fetischisierung des „Gebrauchswertes“ von Musik, allgemeiner: gegen die aufkommende Kulturindustrie machte Krenek um 1930 aber auch publizistisch Front. „Warum sollte den Leuten nur das Bedürfnis nach Reemtsma-Zigaretten oder Palmolive-Seife beizubringen sein“, oder „daß sie politisch oder sozial oder sonstwie befreit sind oder noch befreit werden müssen“, warum nicht auch die Musik? Diese polemische Frage warf er unter dem Titel „Geist als Luxus“ im Anbruch auf [MdA 6].

1929 hatte Theodor Wiesengrund Adorno die Schriftleitung der (vormaligen) Musikblätter des Anbruch, des „Verlagsblatts“ der Universal-Edition, übernommen – mit dem Vorsatz, die Zeitschrift als Kampforgan für tatsächlich Neue Musik, d.h. die Zweite Wiener Schule um Arnold Schönberg, zu relaunchen. Vor diesem Hintergrund ist auch die von Adorno 1930 mit Krenek ausgetragene Kontroverse um (richtigen) Fortschritt in der zeitgenössischen Musik zu lesen. Höhepunkt der von einer ausführlichen Korrespondenz der beiden Kontrahenten begleiteten Debatte war eine Zwillingspublikation: Unter dem Titel Fortschritt und Reaktion verteidigte Krenek seine als „reaktionär“ inkriminierte „erneuerte Verwendung der Dur-Moll-Tonalität“ im Reisebuch als Einsicht, dass das „gute, alte und solide“ tonale System „vorläufig das vollkommenste Instrument“ sei. Nicht einem „unreflektierten Traditionalismus“ wollte er damit das Wort reden: Da eine „Erweiterung des harmonischen Horizontes und der klanglichen Vorstellungskraft“ so auch nicht abgelehnt werde, sei der gegen ihn gerichtete „Vorwurf der ‚Reaktion‘ wohl nicht ganz statthaft“ [MdA 7a]. „Fortschritt heißt nichts anderes als je und je das Material auf der fortgeschrittensten Stufe seiner geschichtlichen Dialektik ergreifen“, war zugleich unter dem Titel Reaktion und Fortschritt zu lesen: Nicht als subjektive Entscheidung, sondern als sich aus dem musikalischen Material ergebende Konsequenz argumentierte Adorno darin die Notwendigkeit einer atonalen Kompositionsweise [MdA 7b]. Das Fortschrittsverständnis Adornos schloss ein Nebeneinander tonalen und posttonalen Komponierens aus.

Durch Beiträge der beiden Kontrahenten für die Frankfurter Zeitung und die Essener Zeitschrift Der Scheinwerfer, ein Forum für neusachliche Debatten, entwickelte die Kontroverse eine über Wien hinausreichende Strahlkraft. Indem bei Krenek und Adorno zudem der „richtige“ Surrealismus-Begriff in Distanz zu neoklassizistischen Praxen in Musik, Literatur (A. Gide, J. Cocteau) und Bildender Kunst (G. de Chirico) zur Diskussion gestellt wurde, ist die Anbruch-Kontroverse als (heute kaum bekanntes) beachtenswertes Kapitel in den damaligen Avantgarde-Diskussionen einzuschätzen – nicht zuletzt eingedenk Kreneks damaliger Bekanntheit [vgl. Unterberger 2].

6. Schriftstellerischer Fortschritt

Vom Publikum für eine als Jazz- missverstandene Künstleroper „ungewollt bejubelt“, von konservativen Stimmen als „Kulturbolschewik“ diffamiert, und von der Avantgarde, v.a. auch dem Kreis um Schönberg, erst als „Erfolgjäger“, dann als „Reaktionär“ beargwöhnt [vgl. Schmidt 2: 124f.]: In dieser Situation fand sich Krenek um 1930 wieder.

Damals sei ihm „das musikalische Einmaleins ausgegangen“ (gewesen), hat er späterhin zu Protokoll gegeben: Dass das „Kritische Volksstück mit Musik“ Kehraus um St. Stephan, 1930 fertiggestellt, nicht zur Aufführungen gelangen konnte, trug das Seine dazu bei [LL]. Gustav Brecher mochte für Leipzig das (finanzielle) Risiko einer Inszenierung nicht tragen, erwartete sich „Skandale, insbesondere von Seiten der Studenten“ – in Anbetracht „der Problematik dieses Werkes“ [zit. UE: 629f.]. Diese ‚Problematik‘ hat Krenek rückblickend mit der im Kehraus-Projekt demonstrierten „Aggressivität gegen rechts und links, Jud‘ und Christ, Sozi und Nazi“ [Vorwort zu: PDV: 7f.] erläutert.

Laut der autobiografischen Skizze Literarischer Lebenslauf reagierte Krenek auf die kompositorische Krise mit der Intensivierung seiner schriftstellerischen Aktivitäten: Eine Einladung seines „Schweizer Freundes F.T. Gubler zur Mitarbeit am Feuilleton der Frankfurter Zeitung“ sei ihm damals „hochwillkommen“ gewesen, da er sich ohnehin mit dem Gedanken getragen habe, „lieber ein Schriftsteller zu werden“ [LL].

In der Frankfurter Zeitung, einer der maßgebenden liberalen Tageszeitungen der Weimarer Republik, brachte Krenek zwischen 1930 und 1933 rund 70 Beiträge zur Veröffentlichung. Durch seine Involviertheit in den Frankfurter Zeitung-Kosmos wurde er zudem (näher) mit Walter Benjamin, Joseph Roth und Ernst Bloch bekannt.

Dass ihm sein journalistisches Schaffen viel mehr als nur „Beiwerk“ zu dem kompositorischen Werk gewesen ist, darüber gibt u.a. der Briefwechsel mit dem Frankfurter Zeitung-Feuilletonleiter Gubler Auskunft. Seine „Begegnung mit der ‚Frankfurter Zeitung‘“ sah Krenek „in stetem Fluß begriffen“ [RM: 161f.], unterströmt von seinen Erfahrungen in und mit der Zeit der frühen 1930er Jahre. Für seine damalige ideologische Disposition fand er im Austausch mit Gubler die Formel „Radikalismus der Mitte“: ein „Radikalismus“, in dem sich laut Forster anti-liberalistische („gegen die ‚demokratische Fiktion der Ubiquität aller Werte‘“), anti-marxistische (etwa gegen eine „Vermassung der Kunst“), und „Anti-Blubo“-Sentiments liierten [Forster: 95].

„Ich wurde mir in zunehmendem Maß der offenkundigen, entsetzlichen Unzulänglichkeiten der bestehenden Ordnung bewußt“ [IAZ: 728f.], wird Krenek rückblickend zu seinem damaligen publizistischen Engagement feststellen. Als (sporadischer) Filmkritiker, in Rezensionen für das Frankfurter Zeitung-Literaturblatt zu AutorInnen wie z.B. Bert Brecht, Aldous Huxley, Marieluise Fleißer, Hugo von Hofmannsthal, Ernst Weiß, Alfred Döblin oder Joseph Roth, und mit feuilletonistischen Denkbildern prangerte er diese „Unzulänglichkeiten“ an.

In der Glosse Aus Gründen der Kontrolle etwa zeigt Krenek seiner Leserschaft 1931 ein Berliner Hotel aus der Ich-Perspektive eines Gastes, der sich in diesem „größten Hotel von Europa und Umgebung“ „wie eine Personnage aus einem Kafkaschen Roman“ fühlt: aufgerieben von bzw. in dem durch Technisierung (Express-Lifts z.B.) oktroyierten Hotelgetriebe. Er kann zunächst keine „psychischen Abwehrkräfte“ dagegen entwickeln, bringt aber nichtsdestotrotz beständig Unordnung in den amerikanisierten Hotelbetrieb. Aus Gründen der Kontrolle traktiert die Hoteldirektion ihre Gäste nämlich mit Prüfungen deren „Glaubens“ an die „Hotel-Vorsehung“: Der Gast scheitert daran kläglich, als er bei Ausfall des Lichtes in Umgehung der Meldehierarchien („Verkehrsbüreau – Aufsicht – Zentrale – technische Leitung“) direkt von einem Hotel-Boy eine Kerze verlangt. Die „individualistische Eigenbrötelei“ und die „subversive[n] Gelüste“ des Gastes unterlaufen die Hotel-Ordnung und gefährden somit nichts weniger als eine „Weltordnung“, gestützt auf „Disziplin und de[n] so segensreichen Geist der Unterwerfung“:

„Jedermann einmal im größten Hotel von Europa und Umgebung und es würde anders aussehen um die Ordnung in der deutschen Republik!“ [GU: 24-31]

7. „Von der Aufgabe, ein Österreicher zu sein“

Als „Gegenstoß gegen das Stilexperiment“ [zit. Grosch: 97] wurde die 1930 in Leipzig uraufgeführte Krenek’sche Orestie von zeitgenössischen Kritikern rubriziert. Krenek hatte sein Bühnenwerk Leben des Orest ja auch provokant mit der Gattungsbezeichnung „Große Oper“ versehen und damit in die Traditionslinie der französischen Grand Opéra des 19. Jahrhunderts gestellt. Zudem lief ein antikes Sujet zur (Hoch-)Zeit der Zeitopern, die die unmittelbare Gegenwart auf die Bühnen brachten, den (Publikums-)Erwartungen zuwider [vgl. Grosch: 80f.]. Laut eines im Anbruch veröffentlichten Werkstattberichts war „Zeitkolorit“ für Krenek aber ohnedies nicht das Primäre: Leben des Orest „steht und fällt“ mit der „geographische[n] Antithese von Nord- und Südland“ [MdA 8].

Eine aktualisierte Fassung dieser Antithese – Deutschland vs. Frankreich – begegnet auffallend oft auch in den publizistischen Arbeiten aus dieser Zeit: ‚Den Deutschen‘ im Kontrast zu ‚den Romanen‘ lastete Krenek die Sündenfälle der Moderne – Nivellierung, Rationalisierung, Mechanisierung, Monotonisierung und Entgeistigung –, gepaart mit politischer Präponderanz, an [vgl. Unterberger: 339].

Vor dieser Folie des ‚Deutschen‘ konstruierte Krenek sein Ideal von Österreich, mit dem er „nichts Politisches, das an eine bestimmte Gebiets- oder Staatsordnung gebunden wäre“, bezeichnet wissen wollte, sondern einen „in jeder Hinsicht typisch katholische[n]“, dem „Weltkreis lateinischer Humanität“ (und nicht der „evangelischen Vormacht Preußen“) nahestehenden geistigen Habitus.

So ist es wohl begreiflich, daß Männer wie Nestroy und Grillparzer gegen den erwachenden Nationalismus der anderen Völker das schärfste Mißtrauen hegten, indem sie in ihm die Heraufkunft einer neuen Barbarei sahen. Sie sollten nur allzu recht behalten […]. Das Mittel freilich, das sie und andere empfahlen und das im großen und ganzen auch Anwendung fand, um die Katastrophe hintanzuhalten, half nur das befürchtete Ende schneller herbeiführen: die Stärkung der nunmehr betont deutschen Zentralmacht. Seitdem haben wir den Begriff des Deutschösterreichers, der in ständiger Opposition gegen die anderen österreichischen Nationen steht […]. Er hält sich nur noch für ein Übergangsstadium, eine Art von Larve […]. Dieser Gedankengang, heute offizielle Ideologie und geläufiger als das Vaterunser, ist eine der merkwürdigsten Abstraktionen, da er mit fast allen gewordenen Realitäten im Widerspruch steht[,]

so Krenek 1931 in dem Aufsatz Von der Aufgabe, ein Österreicher zu sein: Mit dieser in der Wiener Zeitschrift Die Freyung erschienenen Programmschrift rief er seine Landsleute zum „Wiederaufbau unseres Geisteslebens“ auf [GU: 13-23].

Indem Friedrich Achberger diese ‚Aufgabenstellung‘ – neben Beiträgen von Friedrich Schreyvogel, Hermann Bahr und Anton Wildgans – als einen der zwischenkriegszeitlich virulenten Österreich-Entwürfe analysiert hat, zählt der Text zu den prominenteren Schriften Kreneks. Laut Achberger erweist sich für Krenek die Aufgabe, ein Österreicher zu sein, als „nahezu unlösbar“: Österreich sei für Krenek ein nicht-realisiertes, nur annähernd und punktuell im Wien der Zeit 1750-1850 verwirklichtes Projekt gewesen. „Zu Recht sieht Krenek die äußeren Erscheinungsformen Österreichs seit dem 19. Jahrhundert nicht als Folgen aktiver politischer Setzungen, sondern als ‚Nebenprodukte ganz fernliegender Prozesse‘, selbstverständlich auch die Errichtung der Republik 1918“ [Achberger: 47-50].

Das Krenek’sche Engagement für Österreich, aber auch die Stoßrichtung gegen ‚das Deutsche‘ sollten sich durch die politischen Entwicklungen noch intensivieren: Vom Ständestaat erhoffte der – laut Selbstbezeichnung – „Austriacus“ sich dann die Realisation eines „neuen Österreich“ als Bollwerk gegen Nazi-Deutschland.

8. Ein Austriacus im Ständestaat

„Der Missionär, dem diese vollkommene Bekehrung […] zu verdanken ist, heißt Adolf Hitler“ [RM: 276f.]: Mit diesen Worten unterrichtete Krenek Gubler im April 1934 über seine Rückkehr zur katholischen Kirche. Dass er, seit Mai 1933 Mitglied der Vaterländischen Front, seine Hoffnung an den Christlichen Ständestaat heftete, geschah auch unter dem Einfluss Karl Kraus‘, der in der österreichischen Sozialdemokratie keine „echte österreichische Widerstandsbewegung gegen das sich im Nordwesten zusammenballende Unheil“ erkennen habe können [Kakanien].

Umso kämpferischer gab sich Krenek, etwa in seiner Funktion als Vorstandsmitglied der österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM): Die 1922 in Salzburg als eine Art „musikalischer Völkerbund“ gegründete Vereinigung hatte sich der Förderung zeitgenössischer Musik ungeachtet der politischen Überzeugung ihrer Urheber verschrieben. Dass die IGNM schließlich ihren (nach außen hin) unpolitischen Charakter ablegte, war ein Mitverdienst Kreneks, der den als „Gegen-IGNM“ gegründeten, der Reichsmusikkammer unterstellten „Ständigen Rat für die internationale Zusammenarbeit der Komponisten“ öffentlich, v.a. in seinen Beiträgen für die Zeitschrift 23, angriff [vgl. Haefeli: 136f. bzw. 144-146].

Auch im offiziellen Organ der neuen Regierung, in der Zeitschrift Der Christliche Ständestaat, war Krenek präsent: Insgesamt sechs Beiträge, darunter die Programmschrift Neue Kunst im neuen Staat (1934), konnten bis dato nachgewiesen werden.

Krenek wollte in einer an der Enzyklika Quadragesimo anno (1931) orientierten, dem „Ideal eines weltbürgerlichen Österreichertums“ verpflichteten (Kultur-)Politik auch ein ideales Substrat für avancierte Kunst erblicken [Maehder: 675]. Sein diesbezüglicher Optimismus schwand aber alsbald. Bereits zu Beginn des Jahres 1934 musste er klar sehen, dass der neuen Kunst im neuen (austrofaschistischen) Staat kaum Raum zu erobern war: Beauftragt von Staatsoperndirektor Clemens Krauss hatte Krenek mit Karl V. die weltweit erste abendfüllende Zwölftonoper ausgearbeitet. Das „Bühnenwerk mit Musik“ über den titelgebenden Habsburger, „dessen geheimnisvolle Figur einen Schatten jenes Universalreiches darstellte, das ich hinter dem grimmig-zärtlichen Umriß unserer kleinen Republik winken sah“ [Krenek, zit. Unterberger: 416], war als eine Art ständestaatliches Festspiel konzipiert. Das Werk wurde jedoch während der Probenphase aufgrund von Interventionen protonazistischer Kreise abgesetzt: ein „Etappensieg“ des Austrofaschismus [Henke: 138].

Neuerdings intensivierte Krenek seine schriftstellerische Arbeit, diesmal für die Wiener Zeitung. Das Dritte Reich schied für die Verwertung der kompositorischen wie journalistischen Werke des als „entartet“ Diffamierten aus: 1937 prangte der schwarze Jazzbandgeiger Jonny auf dem offiziellen Plakat zur NS-Ausstellung Entartete Kunst.

Bis 1938 erschienen in der Wiener Zeitung rund 160 Beiträge Kreneks, zu einem Gutteil Buchkritiken und Berichte über seine Reisen u.a. innerhalb Österreichs, in die Schweiz, nach Spanien sowie Großbritannien und schließlich, 1937/38, in die USA.

Als Rezensent zeigte Krenek sich v.a. bemüht, mit seinen Österreich-Ideen kompatible AutorInnen und Traditionslinien „aufzudecken“. Davon zeugen seine Ausführungen u.a. zu Franz Kafka oder Joseph Roth, einem seiner sporadischen Korrespondenzpartner. So definierte Krenek etwa als thematische Klammer zwischen den Romanen Radetzkymarsch und Tarabas und zugleich als österreichische Disposition des Dichters Roth ein „Verstoßensein“ aus der „Vaterwelt“ und die daraus resultierende „Sehnsucht nach dem in sie hineinprojizierten Komplex von Glanz und Würde“ [WZ 1].

Insbesondere der „innerösterreichischen“ Reiseschreibung merkbt man Kreneks zunehmende Resignation angesichts der politischen Entwicklungen an. 1934 noch gab sich der Wort-Ton-Dichter in Vorarlberg enthusiastisch über die dort allenthalben ausmachbaren „Kennzeichen einer mehr schweizerischen Mentalität“, als er der Wiener Leserschaft (bzw. ganz „Innerösterreich“) die Adaptierung dieses „starke[n] Trieb[s] zur individuellen Behauptung kleiner und kleinster Einheiten“ – (wohl) in Abgrenzung zu Deutschland („mechanisch-biologische Einheit“) – empfahl [WZ 2]. Alarmiert reagierte Krenek dann 1936 mit Blättern aus einem alpinen Tagebuch auf die kulturindustrielle Kolonisierung und (NS-)ideologische Aufladung der Provinz:

In den Alpen geht augenblicklich eine gewisse Gefahr von dem Ideal männlicher Schönheit aus, das jene Ufa-Helden eingeführt haben, die man mit ölglänzenden Gesichtern, das selbstverständlich tadellose Gebiß in unverwüstlicher Fröhlichkeit gefletscht, durch die Gletscherwelt von Neubabelsberg hupfen sieht. Möge es nicht so weit kommen, daß unter dem Einfluß dieser Vision der alpine Skilehrer zu einer Art bäurischem Eintänzer wird[.]

Angesichts des Vorwaltens des Blut-und-Boden-Kults gerade in seinen ‚Zauberbergen‘ warnte Krenek davor, „das ländliche Leben unbesehen als Domäne der Wahrhaftigkeit dem schlechthin als verlogen angesehenen städtischen Dasein entgegenzuhalten“ [WZ 3].

9. „Plus oultre“: Krenek im Exil (ohne Ende)

Brüssel. Katastrophenmeldungen aus Wien. Finis Austriae. Das Letzte und Äußerste. Innerlich vollkommen vorbereitet, leider nicht ebenso äußerlich. Tiefste Schmach und Finsternis. Andrerseits ein wenig so, als ob ein geliebter Kranker nach unausdenkbaren Qualen gestorben wäre, ausgelitten hätte. Obgleich die Leiden ja jetzt erst anfangen; aber das ist nicht mehr Österreich, das ist jener unwürdige Haufen tierischer Troglodyten, die es nicht besser gewollt und verdient haben, und ganz wenige, die sich nicht retten können. Alles jetzt konzentriert auf die eigene Rettung. Ein fieberhafter, unwirklicher Zustand beginnt. [AT: 52]

Das notierte Krenek am 11. März 1938 in sein Tagebuch, soeben von seiner ersten Reise in die USA zurückgekehrt. Offiziell war er mit seiner Bearbeitung der Oper L’incoronazione di Poppea (1642) von Claudio Monteverdi durch Amerika getourt. Bereits vor Antritt der Reise im Oktober 1937 hatte er aber seine Wiener Wohnung aufgelöst und die Universal-Edition dann auch im November von seinem Plan, „das nächste Jahr jedenfalls mit einem Immigrationsvisum hierherzureisen“, unterrichtet [UE: 836f.].

Nach dem Anschluss Österreichs war an eine Heimkehr nach Wien definitiv nicht mehr zu denken. Der Uraufführung von Karl V. blieb Krenek gleichfalls fern – aus Angst, dass auf dem Flug von London, wo er auf das Eintreffen eines Visums für seine deutsche Ehefrau Berta wartete, nach Prag die Maschine über deutschem Hoheitsgebiet zu einer Zwischenlandung gezwungen werden könnte. Karl V.

wurde 1938 am Deutschen Theater in Prag knapp vor dessen Torschluß uraufgeführt, während sein Autor, dem man während seiner Abwesenheit das Heimatland wegeskamotiert hatte, mit seinem fragwürdig gewordenen österreichischen Reisepaß über die Grenzen lavierte, um den Weg nach Amerika zu finden. Daraus ergab sich die Erzählung von den drei Mänteln, geschrieben in Hotelzimmern in Warschau und Helsinki und auf dem schwedischen Dampfer von Göteborg nach London[,] [Vorwort zu: PDV: 8f.]

so Krenek 1965 in dem Vorwort zur Sammlung Prosa–Dramen–Verse, in die nebst Libretti und Liedversen auch die Erzählung Die drei Mäntel des Anton K. Eingang gefunden hat: Im „Ursprungsland“ des Protagonisten haben „gewisse politische Vorgänge“ stattgefunden, die „in gewissem Sinn seiner Existenz ein Ende bereiteten“ [PDV13] und damit auch der Gültigkeit von K.s Reisepass, dem „einzig[en] Band“, das ihn noch „mit der Welt der Ordnung und Sicherheit verknüpfte“ [PDV21]. Es gelingt K. schließlich, auf einer kafkaesk anmutenden Jagd durch Amtsstuben in Besitz aller für die Ausstellung neuer Reisedokumente erforderlichen Papiere zu kommen. Um aber „einer mehr und mehr verkrachenden Ordnung“ nicht weitere „Vorwände“ zu liefern, „die sie brauchte, um an ihr Fortbestehen glauben zu machen“ [PDV56], zerreißt K. „[m]it langsamen, ruhigen Bewegungen […] das rettende Dokument, die Bestätigung über die Taten seines Urgroßvaters“ [PDV57]…

Ernst Krenek ist nach 1945 nicht in seine Heimat zurückgekehrt, und 1991 in Palm Springs verstorben. Mit einer auch dem zwischenkriegszeitlichen Schaffen gewidmeten Monografie hat Claudia Maurer Zenck 1980 die Formel „Exil ohne Ende“ für die Krenek-Forschung geprägt: Nach 1945 konnte Krenek keine mit den 1920ern vergleichbare klangräumliche Präsenz (mehr) erlangen [vgl. MZ 1]. Verstummt ist er aber nicht. Mehr als 240 musikalische Opera umfasst sein kompositorisches Gesamtwerk, dessen systematischer „Beforschung“ sich heute v.a. das Ernst Krenek-Institut Krems widmet: Bis dato sind auf dessen Initiative hin z.B. vier Bände der Reihe Ernst Krenek Studien erschienen. Damit reagiert man auf eine – gemessen an Kreneks (zwischenkriegszeitlichem) Renommee – doch unleugbare musikwissenschaftliche Marginalisierung des Komponisten [vgl. Taylor-Jay]. Was von den einen als möglicher Grund hierfür diskutiert wird – Kreneks zahlreiche musikalische „Sprachwechsel“ (C. Dahlhaus) –, führen die anderen als Spezifikum eines außergewöhnlichen Künstlers ins Treffen: 2008 z.B. hat Petra Preinfalk gelegentlich eines Krenek-Schwerpunkts der Bregenzer Festspiele dazu aufgerufen, das facettenreiche Gesamtwerk als eine Art „one-man-history of 20th-century-music“ zu begreifen [Preinfalk].


Literaturverzeichnis

Siglen/verwendete Literatur

  • [Achberger] _ Friedrich Achberger: Fluchtpunkt 1938. Essays zur österreichischen Literatur. Hg. von Gerhard Scheit. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1994 (= Antifaschistische Literatur und Exilliteratur; Bd. 12).
  • [AT] _ Ernst Krenek: Die amerikanischen Tagebücher 1937-1942. Dokumente aus dem Exil. Hg. von Claudia Maurer Zenck. Wien: Böhlau 1992 (= Stichwort Musikgeschichte).
  • [Banalitäten] _ Ernst Křenek: „Banalitäten“. In: Der Querschnitt 10 (1930), H. 4, S. 237f.
  • [Bowles] _ Garrett H. Bowles: Ernst Krenek. A Bio-Bibliography. New York-Westport/Conneticut-London: Greenwood Press 1989 (= Bio-Bibliographies in Music; Nr. 22).
  • [Eichhorn] _ Andreas Eichhorn: Paul Bekker. Facetten eines kritischen Geistes. Hildesheim: Georg Olms 2002 (= Studien und Materialien zur Musikwissenschaft; Bd. 29).
  • [Fischer] _ e[rnst] f[ischer]: Der Neger Jonny und das freiheitliche Wien. In: Arbeiterwille (14.1.1928), Nr. 14, S. 3f.
  • [Forster] _ Meret Forster: Reflexe kultureller Modernisierung. Ernst Kreneks Radikalismus der Mitte und der Einfluss von Karl Kraus 1928-1938. Frankfurt a.M.: Peter Lang 2004 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe I: Deutsche Sprache und Literatur; Bd./Vol. 1886).
  • [Grosch] _ Nils Grosch: Zeitoper, Stilpluralismus und Episches Theater in Ernst Kreneks Leben des Orest. In: Claudia Maurer Zenck (Hg.): „Der zauberhafte, aber schwierige Beruf des Opernschreibens“. Das Musiktheater Ernst Kreneks. Schliengen: Edition Argus 2006 (= Ernst Krenek Studien; Bd. 2), S. 77-112.
  • [GU] _ Ernst Krenek: Gedanken unterwegs. Dokumente einer Reise. Hg. von Friedrich Saathen. München: Albert Langen/Georg Müller 1959.
  • [Haefeli] _ Anton Haefeli: Die Emigranten und ihr Einfluß auf die Profilierung und Politisierung der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM). In: Horst Weber (Hg.): Musik in der Emigration 1933-1945. Verfolgung-Vertreibung-Rückwirkung. Stuttgart: Metzler 1994, S. 136-152.
  • [Henke] _ Matthias Henke: Kreneks Verhältnis zur Volksmusik in der Zeit des Ständestaats. In: Matthias Schmidt (Hg.): Echoes from Austria. Musik als Heimat. Ernst Krenek und das österreichische Volkslied im 20. Jahrhundert. Schliengen: Edition Argus 2007 (= Ernst Krenek Studien; Bd. 3), S. 137-145.
  • [IAZ] _ Ernst Krenek: Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne. Aus dem amerikanischen Englisch von Friedrich Saathen. Revidierte Übersetzung von Sabine Schulte. Hamburg: Hoffmann und Campe 21998.
  • [JB] _ Ders.: Musik in der Gegenwart. Vortrag, gehalten am 19. Oktober 1925 auf dem Kongress für Musikästhetik in Karlsruhe. In: Hans Heinsheimer/Paul Stefan (Hgg.): 25 Jahre Neue Musik. Jahrbuch 1926 der Universal-Edition. Buchschmuck von Carry Hauser. Wien-Leipzig-New York: Universal-Edition 1926, S. 43-59.
  • [Kakanien] _ Ders.: Von Kakanien zur Waldheimat. In: Das jüdische Echo 39 (1990), Nr. 1, S. 155f.
  • [Kiefer] _ Sebastian Kiefer: Das gute alte Wien und der häßliche Deutsche. Ernst Kreneks Berliner Jahre. In: Hartmut Grimm, Mathias Hansen, Ludwig Holtmeier (Hgg.): Wien-Berlin. Stationen einer kulturellen Beziehung. Saarbrücken: Pfau 2000, S. 125-142.
  • [LL] _ Ernst Krenek: Literarischer Lebenslauf. In: Jahrbuch des Wiener Goethe-Vereins 86-88 (1982-84), S. 7-20.
  • [Maehder] _ Jürgen Maehder: Ernst Křeneks Oper Karl V. und seine Interpretation der Habsburgermonarchie als „christkatholische Weltherrschaft“. In: Peter Csobádi/Gernot Gruber (Hgg.): Politische Mythen und nationale Identitäten im (Musik-)Theater. Vorträge und Gespräche des Salzburger Symposions 2001. Salzburg: Müller-Speiser 2003, S. 666-693.
  • [MZ 1] _ Claudia Maurer Zenck: Ernst Krenek – ein Komponist im Exil. Wien: Lafite 1980.
  • [MZ 2] _ Dies.: Die unaufhörliche Suada. Ernst Kreneks Erfahrungen mit dem Rundfunk 1925-1945. In: Nils Grosch (Hg.): Emigrierte Komponisten in der Medienlandschaft des Exil 1933-45. Stuttgart: M&P Verlag für Wissenschaft und Forschung 1998 (= Veröffentlichungen der Kurt-Weill-Gesellschaft Dessau; Bd. 2), S. 31-46.
  • [MZ 3] _ Dies.: Schubert und Krenek. In: Otto Kolleritsch (Hg.): „Dialekt ohne Erde …“ Franz Schubert und das 20. Jahrhundert. Wien: Universal Edition 1998 (= Studien zur Wertungsforschung; Bd. 34), S. 56-79.
  • [MdA 1] _ Adolf Weißmann: Österreichische Musikwoche in Berlin. In: Musikblätter des Anbruch 5 (1923), H. 6/7, S. 181-185.
  • [MdA 2] _ Ders.: Die Produktion. In: Musikblätter des Anbruch 3 (1921), H. 19/20, S. 352-357.
  • [MdA 3] _ Wilhelm Furtwängler: [o.T.]. In: Musikblätter des Anbruch 3 (1921), H. 19/20, S. 335.
  • [MdA 4] _ Theodor Wiesengrund-Adorno: Zur Deutung Křeneks. Aus einer Rundfunkrede. In: Anbruch 14 (1932), H. 2/3, S. 42 bzw. 44f.
  • [MdA 5] _ Eberhard Preußner: Ernst Křenek. In: Musikblätter des Anbruch 11 (1929), H. 4, S. 154-159.
  • [MdA 6] _ Ernst Krenek: Geist als Luxus. „Konzertbetrieb“. In: Anbruch 12 (1930), H. 9/10, S. 272f.
  • [MdA 7a] _ Ders.: Fortschritt und Reaktion. In: Anbruch 12 (1930), H. 6, S. 196-200.
  • [MdA 7b] _ Theodor Wiesengrund-Adorno: Reaktion und Fortschritt. In: Anbruch 12 (1930), H. 6, S. 191-195.
  • [MdA 8] _ Ernst Krenek: „Leben des Orest“. Lebendige Oper. In: Anbruch 12 (1930), H. 1, S. 1-4.
  • [NFP] _ Julius Korngold: Operntheater. In: Neue Freie Presse (1.1.1928), S. 1-5.
  • [ÖMZ] _ Ernst Krenek: [o.T.]. In: Österreichische Musikzeitschrift 43 (1988), H. 4, S. 183-186.
  • [PDV] _ Ders.: Prosa-Dramen-Verse. München-Wien: A. Langen/G. Müller 1965.
  • [Preinfalk] _ Petra Preinfalk: Macht und Musik und der Jahrhundertkomponist. Vorwort. In: Dorothée Schaeffer (Hg): Ernst Krenek. Programmheft Bregenzer Festspiel 2008. Dornbirn 2008, S. 7f.
  • [Protokoll] _ Ders.: Von Krenek über Krenek zu Protokoll gegeben [1980]. In: Otto Kolleritsch (Hg.): Ernst Krenek. Wien-Graz: Universal-Edition 1982 (= Studien zur Wertungsforschung; Bd. 15), S. 9-14.
  • [RM] _ Ders./Friedrich T. Gubler: Der hoffnungslose Radikalismus der Mitte. Briefwechsel 1928-1939. Mit einem Vorwort von Ernst Krenek, Artikeln aus der „Frankfurter Zeitung“ und zwei Bildern von Oskar Kokoschka. Hg. v. Claudia Maurer Zenck. Wien: Böhlau 1989.
  • [Stewart] _ John L. Stewart: Ernst Krenek. The Man and His Music. Berkeley-Los Angeles-Oxford: University of California Press 1991.
  • [Sulzer] _ Peter Sulzer: Zehn Komponisten um Werner Reinhart. Bd. 1: Ein Ausschnitt aus dem Wirkungskreis des Musikkollegiums Winterthur 1920-1950 Winterthur: Schönenberger 1979 (= 309. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur).
  • [Schmidt] _ Matthias Schmidt: Ernst Krenek, Paul Bekker und die „gesellschaftsbildende Macht“ der Oper. In: Musiktheorie 16 (2001), Nr. 1, S. 59-72.
  • [Schmidt 2] _ Ders.: „Begrenzte Unendlichkeit“. Zu Ernst Kreneks Schubert-Rezeption. In: Neues Musikwissenschaftliches Jahrbuch 4 (1995), S. 123-157.
  • [Taylor-Jay] _ Claire Taylor-Jay: The Composer’s Voice? Compositional Style and Criteria of Value in Weill, Krenek and Stravinsky. In: Journal of the Royal Musical Association 134 (2009), Nr. 1, S. 85-111.
  • [UE] _ Ernst Krenek: Briefwechsel mit der Universal-Edition (1921-1941). Hg. v. Claudia Maurer Zenck unter Mitarbeit von Rainer Nonnemann. Köln-Weimar-Wien: Böhlau 2010 [Teil I]/2012 [Teil II].
  • [Unterberger] _ Rebecca Unterberger: Zwischen den Kriegen, zwischen den Künsten. Ernst Krenek – „Beruf: Komponist und Schriftsteller.“ Diss. Univ. Klagenfurt 2015.
  • [Unterberger 2] _ Dies.: Ernst Krenek, Theodor Wiesengrund-Adorno und der „Begriff der Avantgarde, mit dem man in Deutschland heute nicht gern zu tun hat“. Dissonanzen zu: Fortschritt und Reaktion, (alt-)neuen Formen und dem Phänomen Surrealismus. In: Primus-Heinz Kucher (Hg.): Verdrängte Moderne – vergessene Avantgarde. Diskurskonstellationen zwischen Literatur, Theater, Kunst und Musik in Österreich 1918–1938. Göttingen: V&R unipress 2016, S. 137-170.
  • [Wedel] _ Michael Wedel: Aggregat der Avantgarde: Das Blumsche Musik-Chronometer zwischen Film, Konzertsaal und Bühne. In: Nils Grosch (Hg.): Aspekte des modernen Musiktheaters in der Weimarer Republik. Münster: Waxmann 2004, S. 73-100.
  • [WZ 1] _ Ernst Krenek: „Die verlorene Welt der Väter.“ In: Wiener Zeitung (24.9.1934), S. 6.
  • [WZ 2] _ Ders.: Im Vorarlberg. In: Wiener Zeitung (29.7.1934), [Sonntagsbeilage] S. 3f.
  • [WZ 3] _ Ders.: Blätter aus einem alpinen Tagebuch. IV. In: Wiener Zeitung (13.9.1936), [Sonntagsbeilage] S. 1f.