1926 | Carl Zuckmayer: Der fröhliche Weinberg

Nachfolgend finden sich sechs Besprechungen zu Carl Zuckmayers Stück Der fröhliche Weinberg, das im Frühjahr 1926 im Raimundtheater aufgeführt wurde.

  1. Otto Koenig: Kunst und Wissen. Der fröhliche Weinberg
  2. Dr. M.: Theater und Kunst
  3. V. W.: „DER FRÖHLICHE WEINBERG“ oder: Die neue Gartenlaube. Zuckmayers Lustspiel am Raimund-Theater
  4. Felix Salten: „Der fröhliche Weinberg“
  5. Hans Brecka: Theater, Kunst und Musik. Raimundtheater
  6. Armin Friedmann: „Der fröhliche Weinberg.“

O. K.: Kunst und Wissen. Der fröhliche Weinberg.

Zur Erstaufführung im Raimund-Theater.

Das ist eine strotzend saftige und reichlich offenherzige Komödie, die Karl Zuckmayer um die Genußfreudigkeit des weinfröhlichen Rheinlandes, um Kriegervereinsfesttrunkenheit und Saustechen, um Liebeslust und allerlei Spießerei herumgeschrieben hat. Gewiß ist es eine satirische Komödie, und die Hiebe und Stiche, die da nach verschiedenen Seiten ausgeteilt werden, sitzen gut. In Berlin, wo auch die Sorte komischer „Saupreißen“ zu Hause sein soll, von denen einer im Stück durch einen kräftigen rheinischen Nebenbuhler nicht nur äußerst gründlich verprügelt und zum Fenster hinausgesteckt wird, sondern auch noch in der Besoffenheit auf dem Misthaufen übernachtet statt in der Liebeslaube, in Berlin wurde das Stück ohne Störung viele Male aufgeführt, in München aber, wo es zwar weniger Weinräusche, aber um so gesinnungstreuere Bierbegeisterung, sehr fein empfindende Kriegervereine und eine ganz und gar unbestechliche Polizei gibt, verstand man keinen Spaß und verbot die Fröhlichkeit der Rheinweinkonkurrenz, im rheinischen Heimatland selbst tut man allen Anschein nach etwas beleidigt. In Wien unterhielt sich das Publikum an all den Auslassungen und Ausgelassenheiten vorzüglich und lachte aus allen Rängen wie aus dem Parkett ehrlich belustigt in die eigentlich niemals frivolen, aber meist überaus natürlichen Szenen hinein. Von einigen sehr schwächlichen und schnell spurlos untergehenden Zischversuchen abgesehen, war es ein Bombenerfolg mit unzähligen Hervorrufen. Freilich hat die Spielleitung (Karlheinz Martin), die bedächtig eine lange Serie einem kurzen Theaterskandal vorzieht, dem Autor, der, so ganz nebenbei, verschiedenen . . .ismen empfindlich auf die Hühneraugen tritt, neben einigen ganz groben auch die feineren und boshafteren Spitzen abgebrochen, so daß die Lektüre zum Beispiel die Probe aus dem zweiten Akt, welche in der Sonntagsbeilage der Arbeiter-Zeitung vom 28. Februar abgedruckt war, von Zuckmayers Witz eine getreuere Anschauung vermittelt als die Vorstellung. Die Handlung des Stückes, eine Verlobungsgeschichte mit vorehelichen Verpflichtungen, ist sehr einfach, aber es entspringen ihr, mehr kann man wirklich nicht verlangen, in einer einzigen Nacht drei „perfekte“ und ein, eingetretener alkoholischer Hindernisse halber, unperfektes Brautpaar. Es geht sich also sehr gut aus, wiewohl es dem Autor nicht einfällt, für das weitere Eheglück der acht Glücks- und auch sonst Taumeligen einzustehen.

Daß die Darsteller mit dem rheinländischen Dialekt nichts anzufangen wissen und einfach frisch drauflosschwäbeln, tut nichts, daß Herr Sima den draufgängerischen, großmäuligen Preußen aus Burschenschaftlerzucht etwas versüdlicht, schadet wenig. Auch in dieser nicht ganz lokaltreuen Art war er ein netter Storch: schwarz, weiß und mit großem Schnabel. Hans Ziegler als Gunderloch, Kornelius Kirschner als rheinländischer Wirt, Walter Brandt als hitziger, treuherziger Gewaltkerl von Rheinschiffer boten vollsaftige Gestalten. Die frischen, natürlichen, liebesfreudigen, aber ganz und gar unkoketten Frauenbilder von Aenne Röttgen, Paula Wessely, Elisabeth Markus und auch das wieder anders geartete von Anna Höllering verdienen noch vor den andern in glücklicher Laune zusammenspielenden und zusammen raufenden Darstellern besondere Anerkennung. Es wurde in einer Wiener Lustspielpremiere schon lange nicht so herzlich, so ehrlich und so anhaltend gelacht wie bei den Bocksprüngen dieser satyrdramatischen Aufführung eines zwischen Wirtsleuten und Trinkern, pfahlbürgerlichen Helden, Weinhändlern und Weinreifenden lärmenden rheinischen Bacchusfestes.

In: Arbeiter-Zeitung, 18.3.1926, S. 8-9.

Dr. M.: Theater und Kunst.

Karl Zuckmayrs viel umstrittenes Lustspiel „Der fröhliche Weinberg“ in drei Akten und mehreren Notzuchtsakten hat nunmehr auch in Oesterreich seinen Einzug gehalten, aber nicht, trotz vieler Milderungen in Text und Darstellung, dem österreichischen Geschmack entsprochen. Es drängt sich bei Besprechung dieser Werke wieder die Frage auf, worin der Unterschied zwischen einem französischen, erotischen Schwank und einem deutschen Lustspiel besteht. Man sagt, wenn der Deutsche höflich wird, wird er grob. Wenn ein deutsches Lustspiel erotisch wird, wird es derb und ordinär. Davon macht das obige Lustspiel ausgiebigen Gebrauch, und zwar derart, daß es unappetitlich und widerlich wirkt. Das Stück ist ein trauriges Zeichen des geistigen und sittlichen Verfalls der Nachkriegszeit, die auch einmal überwunden werden wird. Schade um die glänzende Aufführung. Das ausgezeichnete Spiel des Herrn Sima, wohl einer der talentiertesten und wirkungsvollsten Komiker, der Herren Ziegler, Brand, Schreiber, Engel, der Damen Röttgen, einer verheißungsvollen Neuerscheinung, Wessely und Markus, konnten dem Stücke keine Hilfe und Durchschlagskraft verleihen. Diese unrühmliche Episode deutschen Schrifttums wird in einiger Zeit bald verschwunden sein.

In: Der Humorist, 1.4.1926, S. 2.

V. W.: „DER FRÖHLICHE WEINBERG“ oder: Die neue Gartenlaube. Zuckmayers Lustspiel am Raimund-Theater.

Holen wir ein wenig aus und stellen wir fest, daß a) Carl Zuckmayer für dieses Lustspiel den Kleist-Preis bekommen hat; b) daß „Der fröhliche Weinberg“ fast überall in Deutschland unter größtem Erfolg und Protest aufgeführt wurde und wird. Holen wir auch noch weiter aus und erinnern wir uns, daß derselbe Carl Zuckmayer früher sehr literarische Stücke geschrieben und vereinzelt zur Aufführung gebracht hat (Berlin, Staatstheater und Junge Bühne), ohne einen wesentlichen Erfolg zu erringen. Darnach müßte man annehmen, daß Zuckmayers neues Lustspiel sein dramatisches Gipfelwerk ist.

Mit berechtigter Neugier betritt man das Theater, in dem „Der fröhliche Weinberg“ aufgeführt wird. Man verspricht sich ein künstlerisches oder aber ein theatralisches Ereignis, dieses vielleicht in dem Sinne einer Kampfaufführung, die das Publikum in zwei Parteien spaltet. Diese und jene Erwartung blieb aber in Wien unbefriedigt. Weder bewies das Volksstück Carl Zuckmayers dichterischen Wert, noch auch schien es dem Wiener Publikum einer Demonstration, einer Auflehnung wert zu sein. Der Erfolg war ziemlich unbestritten – und so hätte man Grund, sich zu wundern, daß er dennoch groß war. Es war aber hauptsächlich ein Erfolg der Wiener Schauspieler, die das Stück, in der Richtung zur Posse hin, unter Martins Regie glänzend und unterhaltend spielten.

Der spaßigste von allen ist Sima, der einen preußischen Assessor sehr wirksam karikierte. Der Assessor in diesem Stück heißt Knuzius und ist Klärchen verlobt, der Tochter des rheinischen Weinbauern Jean Baptiste Gunderloch. Dieser ist ein echter Kauz, feucht-fröhlichen, offenen, geraden Lustspiel-Charakters, und hat sich in den Querkopf gesetzt, seine Tochter nur dem Manne zur Frau zu geben, der es bewiesen hat, daß er ein solcher ist. Der Assessor Knuzius scheint sich nicht zu bewähren, hingegen verspricht sich Klärchen vom Rheinschiffer Most das Kind, das sie ihrem Verlobten vorläufig nur einredet. Es ergeben sich allerlei komische Situationen, herbeigeführt durch den Umstand, daß der Assessor seiner Braut die andern Umstände glaubt und sie daraufhin mit schrecklich zarter Schonung behandelt, herbeigeführt durch den Rheinwein, der in den Charakterköpfen der Wirtshausbesucher sein Wesen treibt: der zweite Akt ist zur Gänze eine Keilerei in mehreren Szenen, die von zwei jüdischen Weinreisenden mitgemacht, vielmehr glossiert werden. Der dritte Akt ist wieder eitel Stimmung, Mondschein, Weinberg und . . . Gartenlaube.

Es ist sehr interessant zu beobachten, wie dieses viel verspottete Instrument deutscher Blaustrumpf-Romantik seinen Wiederaufbau feiert im Stück eines der jüngsten deutschen Dichter-Revolutionäre. Zuckmayer wird allerdings darauf hinweisen können, daß in seiner Gartenlaube nicht Süßholz geraspelt, sondern handfest geliebt wird. Aber ordentlich betrachtet, bedeutet dieser Unterschied keinen Gegensatz, sondern nur eben einen Unterschied im Grad des Gartenlaubengefühls: dieses aber triumphiert wieder. Und wie? wäre das vielleicht neuartig: zum Schluß des Stückes vier Paare Verlobter zu präsentieren? Es ist klar, daß Klärchen zu ihrem Hünen von Rheinschiffer kommt, aber auch Gunderloch findet in besagter Gartenlaube zur Schwester des Rheinschiffers, der Assessor entschädigt sich mit der Tochter eines Wirtshäuslers, und sogar der jüdische Weinreisende Hanesand erliebt sich eine Braut, die Tochter eines christlichen Weinhändlers, der den Schwiegersohn ohne Ansehung der Konfession mit offenen Armen empfängt. Und so sind alle Gegensätze versöhnt, und die Gartenlaube leuchtet, eine machina ex deo, friedlich im Mondenschein, und sein mildes Auge streichelt auch den Misthaufen, der sich als Antinomie der Gartenlaube, ihr gegenüber, nicht behaupten kann . . .

Das Publikum aber freut sich der vier Vermählungen und der Vermählung von Romantik und Naturalismus, es überschüttet die Darsteller des Raimund-Theaters mit Beifall, die das Rheinische so unverständlich, das Natürliche so verständlich wiedergaben . . .

In: Die Bühne, H. 72/1926, S. 25-26.

Felix Salten: „Der fröhliche Weinberg“.

Raimund-Theater. Krach und Erfolg.

Warum hat es in den meisten deutschen Städten mit dem „fröhlichen Weinberg“ solchen Krach abgesetzt? In Berlin freilich nicht. Aber in Süddeutschland so ziemlich überall. Dabei fand das mehr als zwanglos sich gebärdende Stück überall den größten Erfolg. Trotz Krach, Geschrei und Stinkbomben. Die Leute rennen hinein, unterhalten sich, sind dann entrüstet und machen Skandal.

Man sitzt also jetzt hier und wartet. Vergebens. Sie haben für die Wiener Aufführung die explosionsgefährlichen Stellen aus dem Dialog gestrichen.

Alle konnten sie aber doch nicht wegstreichen. Gewiß nicht. Auch die Handlung ist weder auszumerzen, noch zu mildern. Es bleibt der reiche Weinbauer; es bleibt seine schrullenhafte Bedingung, die Tochter nur demjenigen Manne zu verloben, der vorher mit ihr ein Kind hat. Es bleibt der kühle, preußische Couleurstudent, der sich in diesem Sinne wiederholt bemüht. Es bleibt die ungeniert vollblütige Tochter, die den Studenten nur für mangelhaft begabt erklärt und ihre Liebe dem baumstarken Rheinschiffer zuwendet. Es bleibt, auf offener Bühne, die Ligusterlaube, in die sich nacheinander verschiedene Paare zu einem Spiel zurückziehen, das an sich wohl vergnüglich, vielleicht sogar löblich sein mag, das aber ohne Eheband offiziell nur als Unzucht angesprochen wird.

All das ist explosionsfähig genug.

Dennoch hat es in Wien keinen Krach gegeben. Nur Lachstürme.

Schlucken oder stehen lassen.

Man soll ein Juxstück nicht ernst nehmen. Man soll auch nicht nachrechnen, wie viel dauernden künstlerischen und menschlichen Wert solch ein dreiaktiger Spaß aufweist. Das sind Dinge, die immer erst viel später entschieden werden, wie man unter anderen auch an Nestroy erfahren konnte. Entweder man hat sich unterhalten, dann darf man sich damit wohl zufrieden geben, oder man hat sich gelangweilt, nun, dann mag man sich über den verlorenen Abend an dem hochmütigen Gedanken trösten, besser, verwöhnter und anspruchsvoller zu sein, als das ganze, große Publikum. Hochmut ist ha immer ein Trost.

„Der fröhliche Weinberg“ ist wirklich fröhlich. Da ist rücksichtslose Aufrichtigkeit, ein kraftvoll gesunder Spaß, der an Rabelais erinnert, an Boccaccio und an den Freiherrn v. Grimmelshausen. Die Menschen sind darin gleich von Anfang an besoffen, von Liebe, von Herbstsonne und von Wein. Das kann einen belustigen oder kalt lassen. Aber eine Diskussion darüber bleibt unmöglich und ohne Sinn.

Ganz nebenbei: „Der fröhliche Weinberg“ mag ein Schwank sein oder eine Posse, oder ein possenhaftes Volksstück. Er ist alles mögliche und alles unmögliche, nur kein Lustspiel. Zwar wird das auf dem Zettel behauptet. Doch es stimmt nicht.

Spielleitung . . . Spielleute.

Es wird auch kein Lustspiel in Szene gesetzt, sondern man spielt hemdärmelig derben Scherz. Dann folgt der Regisseur Karlheinz Martin sehr richtig dem Weingeist Zuckmayers. Martin gelingt die ins Wilde, ans zügellos Orgiastische gesteigerte Fröhlichkeitsatmosphäre der drei Akte. Er verfehlt es aber, den Tumult deutlich werden zu lassen. Das bleibt jedoch die Aufgabe des Spielleiters: auf der Bühne mag ein Chaos herrschen, es muß derart geordnet und studiert sein, daß der Zuhörer jedes Wort oder mindestens jedes zweite Wort versteht. Man verstand leider minutenlang gar nichts. Auch die Rauferei zwischen dem Studenten und dem Rheinschiffer blieb ohne Einfalt, ein leeres Gezappel, und hätte doch ganz leicht mit zwingenden Ergötzlichkeiten ausgestattet werden können.

Als Student ist Herr Sima von einer Komik, deren beintrockene Charakterisierungsmanier zündend wirkt. Er war die stärkste Leistung an diesem Abend. Neben ihm die Beste: Elisabeth Markus, die das Vollblutwesen solch eines Freiluft- und Kernweibes mit Humor und mit Anmut glaubhaft echt heraus brachte. Auch Herr Ziegler als Weinhauer hatte fröhliche Echtheit. Ihn unterstützten Krones und Schreiber, die als behagliche Händler sehr lebendig waren: dann Rodenberg und Engel, die zwei karikierte Judenfiguren lustig verkörpern.

Walter Brandt ist hinreichend massig, mehr als hinreichend kolossal, langt aber als elementarer Liebhaber doch nur knapp zu. Freilich ist auch Anne Röttgen in der Rolle des erfahrenen Klärchen nicht naturhaft genug, scheint zu ernst und sieht aus, als müsse sie sich zu all dem Unband erst nötigen.

Fragen ohne Antwort.

Die Frage, warum es in so vielen Städten beim „fröhlichen Weinberg“ immer wieder Skandal gibt, erscheint nicht uninteressant. Man sagt mir, nur in katholischen Gegenden sei das Publikum entrüstet. Das wäre höchst sonderbar, wäre als Antwort doch vielen berechtigten Zweifeln ausgesetzt.

Es bleibt merkwürdig, daß die vielen französischen Schwänke mit all ihren parfümierten Obszönitäten ungehindert vorübergehen, während dieser deutsche Erdgeruch Anstoß erregt.

Sind die französischen Possen so wahr und ist dieser deutsche Schwank so verlogen, daß man jene duldet, bei diesem aber Krach schlägt?

Oder verhält sich die Sache umgekehrt. Läßt man die französischen Frivolitäten passieren, weil sie so verlogen sind, und erregt sich nur über den deutschen Spaß, weil er so viel Wahrheit erhält?

Will in Deutschland jetzt ein neuer Geist zu herrschen anfangen und vor jeder herzlich aufrichtigen Freiheit krawallieren? Dann wird dieser neue Geist sehr bald alle jungen, heiteren Geister von der Bühne verjagen und viele alte Lustigmacher mit dazu.

Noch sind wir nicht so weit.

Einstweilen hat sich das Wiener Publikum dem Urteil Berlins angeschlossen und das Stück von Karl Zuckmayer ohne Widerspruch mit sehr viel Beifall aufgenommen.

Ein bißchen Zischen am Schluß. Ein kleines bißchen. Aber das zählt nicht. Erst drei Akte lang brüllen vor Lachen und am Ende „pßst“ machen, das zählt nicht und gilt nicht.

In: Neue Freie Presse, 18.3.1926, S. 9.

B[recka].: Theater, Kunst und Musik. Raimundtheater.

Der junge Karl Zuckmayer beschloß, mit den himmelblauen Träumen der Dichter radikal aufzuräumen und nur so zu schreiben, wie das Leben wirklich ist, wenn es am gemeinsten ist. So entstand sein Lustspiel „Der fröhliche Weinberg“, das, noch ehe es aufgeführt war, mit dem Kleist-Preise ausgezeichnet wurde, weil hier, wie der Preisrichter Dr. Paul Fechter meinte, endlich der „Durchstoß zum Wirklichen“ gelungen sei. Die Herren, die zu Ehren des Dichters eines der keuschesten und reinsten Stücke, das die deutsche Bühne besitzt, des „Kätchens von Heilbronn“, einen Widmungspreis zu vergeben haben, scheinen zu glauben, daß dieser Kleist nicht richtig beerdigt wurde und sie also dafür zu sorgen haben, daß er sich im Grabe umdrehen müsse. Die Schmach, die ein junger deutscher, vielleicht nicht unbegabter Dichter seiner Muttersprache und seinem Volkstum mit diesem Stück antut, wird durch die Preiszuerkennung noch übertroffen. In drei Akten gebärdet sich Zuckmayer möglichst dionysisch. Er täuscht jene Besoffenheit vor, die als Entschuldigung für zügellosestes Tun und Reden gelten will. Um recht volkstümlich und echt zu sein, ist er möglichst ordinär, sein rüder Witz tobt sich in Unflätigkeiten aus, die wirklich nicht für schamhafte Ohren bestimmt sind. Es ist nicht möglich, den Inhalt dieses Stückes auch nur andeutungsweise wiederzugeben. Dabei soll für die Wiener Aufführung das Originalbuch ohnedies schon ein wenig „gemildert“ worden sein. Die Rheinländer, in deren Weinhängen das Stück spielt, haben sich für solche Verherrlichung ihrer Heimat schönstens bedankt. In Deutschland ist Herrn Zuckmayer überall, wo das Lustspiel aufgeführt wurde, ordentlich heimgeleuchtet worden, wohl weniger wegen der kleinen politischen Spitzen, die es enthält, als wegen der Verunglimpfung deutschen Wesens, deutscher Frauenehre. Auch in Wien wurden „Störungen befürchtet“. Aber die braven Wiener haben in dem Hause, das den Namen ihres Ferdinand Raimund trägt, das Urteil der famosen Preisrichter der Kleist-Stiftung mit vielem Beifall gehorsam bestätigt, denn bei uns wissen die Leute, was sich gehört.

In: Reichspost, 18.3.1926, S. 8.

Armin Friedmann: „Der fröhliche Weinberg.“

Erstaufführung im Raimundtheater am 17. März 1926.

Nun ist auch dieses neue deutsche Lustspiel, von dem schon so viel geredet und geschrieben wurde, bei uns erschienen. Noch unaufgeführt wurde das Buch 1925 mit dem Kleistpreis gekrönt. Auf den Brettern erreichten Karl Zuckmayers drei Akte in dem kritisch gestrengen Berlin einen geradezu unerhörten, seit Jahren nicht abgerissen ist. Als ob es eine Girl-Revue in ganz großer Aufmachung mit drei schlechten Witzen und dreihundert nackten Schlenkerbeinen gewesen wäre oder gar eine Massary-Operette! Allerdings ist dasselbe Stück auch in mehr als einer anderen deutschen Stadt auf den heftigsten Widerspruch und die gereizte Ablehnung höchlich entrüsteter Gemüter gestoßen. Bei uns in Wien wurde es, allen warnenden Unkenrufen zum Trotz, ein vergnüglicher, von verständnisvollem Beifall und schallendem Gelächter begleiteter Premierenabend. Nicht eine Stimme des Mißfallens, des Einspruches wurde laut. Gern ging man mit der gewagten Sache durch dick und dünn – jawohl! auch durch dünn. Diese bedingungslose, bedenkenfreie Übereinstimmung mit den künstlerischen Absichten des Dichters, mit seiner durchaus optimistischen, Welt und Leben heiter bejahenden Denkweise findet ihre plausible Erklärung darin, daß süddeutsches, unbeirrt wienerisches Fühlen und Denken in seiner gesunden anschaulichen, jedem nüchtern Abstrakten gründlich abholden Art dem heiteren Rheinländer mit offenen Armen entgegenkommt. Überall dort, wo ein guter Wein wächst, in Österreich, am Rhein und an der Mosel, auch in den französischen Geländen, ist der dort gedeihende Menschenschlag von einer herzensfröhlichen Sinnlichkeit erfüllt und durchdrungen. Ebenso rasch aufbrausend wie schnell wieder begütigt. In Zuckmayers „fröhlichen Weinberg“ ist ein deutscher Bacchus daheim, der, wie der griechische, seine Bacchanten und Bacchantinnen hat, die, von muckerischen Sittlichkeitsbegriffen völlig unberührt, zügel- und schrankenlos sich ihren primitiven Naturtrieben hingeben. Die moralischen Bedenken gegen solch hemmungsfreie, von keinen konventionellen Rücksichten eingedämmte orgiastische Sinnlichkeit sind dann die Angelegenheiten des Katzenjammers, die als beschauliche Fastenzeit auf den rauschenden Karneval der Lüste und Begierden folgen.

In diesem „fröhlichen Weinberg“ gemahnt so manches an unseres Anzengrubers „Kreuzelschreiber“: Ton und Tempo, der Duft von Erotik ohne Lüsternheit, der über dem Ganzen schwebt. Sogar die große Wirtshausschlacht ist da und dort: Stühle werden zu Wurfgeschossen, aufeinander getürmte Tische zu Barrikaden und der Stärkste behält mit dem letzten Hinauswurf triumphierend recht! Da wie dort. Und beiderseits waltet eine derbdeutsche Sinnlichkeit, die nicht um ihrer selbst willen da ist, sondern höherem Endzweck dient, der Fortdauer eines gesunden und kräftigen Menschenschlages. Der Faden des Lebens wird, nach Gottfried Kellers schönem Wort, weitergegeben und er führt von Geschlecht zu Geschlecht durch alle Wirrsale dieses Daseins. In diesem Sinne kann wohl auch das prüdeste Gemüt an Karl Zuckmayers deutscher Komödie kaum ein Ärgernis haben.

Spielt am Rhein. Unter lauter fröhlichen Menschen. Dort am Rhein, wo der Vater nicht mehr Johann Baptist, sondern von französischem Westwind angeweht Jean Baptiste heißt. Aber sein Töchterchen heißt doch nicht Claire sondern Klärchen. Er will das schöne Kind nur einem Manne geben, der seine Talente zur Vaterschaft bereits erwies. Eine höchst sonderbare Bedingung von grotesker Unwahrscheinlichkeit. Einen derartigen bürgerlichen Vater hat es nie gegeben, gibt es nicht, wird es auch nie geben. Denn das ist Sünde gegen den heiligen Geist der Natur, Sünde gegen die Ursatzungen der Gesellschaft; das rüttelt an den Fundamenten der Familie. Der Mann, der die Tochter schwängert, bekommt sie zur Frau? Die Sioux-Indianer, die Bescherähs im Feuerland, die Zulukaffern und die gelegentlichen Kannibalen des Bismarck-Archipelagus würden es als schwere Beleidigung empfinden, wollte man einem von ihren Vätern derartiges zumuten. Hier ist auf solcher Voraussetzung ein ganzes Lustspiel aufgerichtet. Keins von den schlechtesten. Im Gegenteil sogar: eins von den allerbesten. Man ersieht somit wieder, was man als selbstverständlich längst begriff, dass es in der Kunst doch nur immer auf das Wie und fast gar nicht auf das Was ankommt. Der […] absurde Einfall von der Probevaterschaft wäre in Friedrich Hebbels Tagebuch ganz gut denkbar. Er steht zwar nicht drin, könnte aber drinnen stehen. Hebbel hatte für derlei immer besondere Vorliebe. Hätte er den Einfall gehabt und nach seiner Weise lustspielmäßig ausgestaltet, dann wäre zweifellos viel subtile Gedanklichkeit und psychologische Tiefschürfung ins Werk gesetzt worden – Zuckmayer ist völlig naiv, resolut, naturburschenhaft. Er hat auch nicht einen einzigen Zug von Hebbelschem Denkdichten. Mit Anzengruber ist er verwandt, schon ward es angedeutet, und noch ein anderer Großer, Gerhart Hauptmann, grüßt gelegentlich freundnachbarlich herein. Seine munteren „Jungfern von Bischofsberg“ könnten Gevatterinnen stehen zu dem derben drallen Musenkindlein und der „Herr von Wehrhahn“ als erster der Gratulanten stramm mit zusammengeschlagenen Haken seinen Glückwunsch, das Monokel im Auge, nasal herunterschnattern.

Die Handlung ist spärlich – was man so im Theaterbetrieb „Handlung“ nennt. Es kommt mehr auf Menschheitsschilderung und Situationsausmalung an. Im zweiten Akt setzt der Motor fast ganz aus, um der aufgeregten Behaglichkeit einer breit angelegten, großen Wirtshausszene Raum zu geben. Jedes Theaterkind weiß, wie’s wird und kommen muß. Man sieht Weg und Ziel breit vor sich liegen. Gleichwohl versteht es der Dichter, unseren Anteil für seine Gestalten immer wieder neu aufzurütteln. Wo er satirisch wird, ist er ein Thomas Theodor Heine des Wortes, witziger Philisterkarikatur ist der Szene. Seine Welt schwebt nie im luftleeren Raum. Seine Sonne, die die Trauben an den Hängen reifen läßt, und sein Mond, der den Liebespaaren in die Flüsterlauben leuchtet, sind keine Theaterscheinwerfer, die der Herr Beleuchter dirigiert. Es ist deutsche Sonne und deutscher Mond – der gute deutsche Mond, der so stille geht und mild herniederlächelt auf alle Liebestorheiten dieser pudelnärrischen deutschen Welt.

Die Darstellung, die „Der fröhliche Weinberg“ im Raimundtheater fand – Inszenierung Karlheinz Martin – ist höchlichst zu loben. Sie gab mit voller Hand dem Werke, was des Werkes ist: Ton, Tempo, Breite und Fülle. Die sprachliche Schwierigkeit der uns fremden Dialektfärbung wurde überraschend glücklich überwunden. Der Tonfall, die melodische Kurve der Rede vom Mittelrhein, schmeichelte sich rasch in unser andere deutsche Klänge gewohntes Ohr.

Hans Ziegler war, obwohl er eigentlich noch etwas jugendlich ist für eine breite Väterrolle, ganz hervorragend in seiner beweglichen Frische, in seiner spitzbübischen Munterkeit, in seiner losgängerischen Liebeslust des Freiers mit weißem Haarschopf. Elisabeth Markus, so wie immer auch diesmal eine vorzügliche Schauspielerin, fand für die deutschderbe Sinnlichkeit des späten Mädchens, das mit beruhigter Sicherheit ihr Liebesglück herannahen weiß, die richtigen Töne ohne jemals feinere Empfindung zu verletzen. Sima überraschte als „Wehrhahn“ vom Rhein, als versteifter Automat eines verknöcherten Bureaukratismus, durch seine strohtrockene Komik. Seine Rede schnurrte ab, wie von der Feder eines verstaubten, lang stehengebliebenen Uhrwerks, das sich plötzlich auf sich selbst besinnt. Die Damen Anne Röttgen und Paula Wessely fanden sich auf das feinste und liebenswürdigste in dem etwas heiklen Humor der Angelegenheit zurecht und neben ihnen in zweiter Reihe nicht minder wirksam Helene Lauterböck und Anna Höllering. Die Herren Brandt, Kirschner, Krones, Schreiber, Rodenberg, Engel, Böhm und Varndal seien mit Gesamtlob bedacht und bedankt.

Nach zahllosen stürmischen Hervorrufen erschien auch der Spielleiter Karlheinz Martin, der wieder einmal seine große Begabung, diesmal im „Durchbruch der Wirklichkeit“, glänzend erwiesen hatte.

In: Wiener Zeitung, 19.3.1926, S. 1-2.