Der Kunstgarten

Das Profilmodul stellt die Zeitschrift Kunstgarten der katholischen Kunststelle vor, die seit 1923 einerseits das Theaterprogramm dieser Institution kommentierend begleitete, andererseits die christlich-katholischen Volksbildungsvorstellungen in Abstimmung mit den kirchlichen Institutionen vertrat. Dabei wird vor allem den literatur- und kulturpolitischen Debatten und Akzentsetzungen Augenmerk gewidmet sowie deren maßgeblichen Protagonisten und Mitarbeitern wie Hans Brecka-Stiftegger, Richard v. Kralik und Rudolf Henz.

Von Primus-Heinz Kucher | 2013, überarbeitet Dezember 2015

Inhaltsverzeichnis

  1. Christliche Volksbildung versus Torheiten der Moderne
  2. Zwischen Priesterroman und Weihespiel: Katholisches Literatur- und Theaterverständnis
  3. Zur Rolle von Rudolf Henz
  4. Kunststelle-Zwischenbilanz 1928
  5. Katholische Literaturvorstellungen um 1930
  6. Abschließendes Fazit

1. Christliche Volksbildung versus Torheiten der Moderne

Der seit März 1923 als Monatsschrift erscheinende, jeweils 32 Seiten umfassende Kunstgarten wurde von der Kunststelle für christliche Volksbildung und ihrem Leiter Hans Brecka-Stiftegger (1885-1954), der seit 1903 auch Redakteur der christlichsozialen Tageszeitung Reichspost war, herausgegeben.

Die letzte Ausgabe erschien als Doppelnummer im Mai/Juni 1931 (Dietzel/Hügel, 700). Dem Untertitel gemäß verstand sie sich als volksbildnerische katholisch orientierte Zeitschrift, die sich ausdrücklich – so der Einleitungsbeitrag Zum Geleit – gegen die „schwindelhaften Sensationen des Tages“ und die „Torheiten der Moderne“ gerichtet sieht. An deren Stelle positioniert sie eine Kunst, „die das Volk in seine Obhut genommen hat“ und – so das Impressum – „immer auf die bevorstehenden oder unmittelbar vorher durchgeführten Veranstaltungen der ‚Kunststelle für christliche Volksbildung‘ vorbereitet (KG, 1/1923,2).

Als bedeutende über zeitliche Grenzen hinaus wirkende künstlerische Instanzen werden die „Oratorien Haydns, die Symphonien Beethovens, die Dichtungen Raimunds und Grillparzers“ angeführt und somit ein klassischer, österreichspezifischer Kanon (vor allem die Literatur betreffend) in den Raum gestellt. Auch das Interesse für die Kulturarbeit am Lande als eine maßgebliche „Lebensquelle“ der Kunst wird klar und unmissverständlich ausgesprochen:

Nicht nur im prunkvollen Theaterraume der Großstadt, nicht allein im strahlend hellen Konzertsaale rauschen sie, diese Lebensquellen. Auch draußen auf dem weiten Lande, im Schulhaus der Kleinstadt, in den dunklen Dorfstuben lassen sie sich wecken, auch dort waren sehnsüchtig Menschen auf sie. Auch zu diesen Menschen sollen unsere Blätter kommen und sie lehren, die Wünschelrute zu gebrauchen und den Born zu wecken. Das Lied, das ländliche Fest, die bescheidene Liebhaberbühne im Freundeskreis, auch ihnen wollen diese Blätter beratend dienen. (KG, 1/1923,2)

Entsprechend diesen programmatischen Vorgaben strukturierte sich das gewöhnlich 32 Seiten umfassende, vom Cover her einfach, ja schmucklos gehaltene Blatt in zwei oder drei grundsatzorientierte Beiträge, in Primärtexte (meist Erzählungen/Legenden mit religiöser Thematik/Ausrichtung), in Aphorismen, nachgedruckte Textauszüge, historische Anekdoten, (Volks)- oder christliche Kunst sowie in die Rubriken Vereinskunst, Bücherecke, Kunststelle.

Das jeweilige Monatsprogramm (Vorträge, Aufführungen) sowie (katholische) Lektüreempfehlungen, Verlagsanzeigen sowie gelegentlich Protokolle zum/ Berichte über den Verband katholischer Schriftsteller ergänzen dieses Spektrum. 

Programmatisch interessante bzw. aufschlussreiche Texte sind im ersten Bestandsjahr kaum vorzufinden, sieht man von einem kurzen Beitrag über Volksbildung und Theater im Juni 1923 ab. In ihm wird Klage geführt über den Zustand der Theaterkultur, die einerseits ihr Angebot an die Zuschauerinteressen koppeln müsse, andererseits der Konkurrenz des Kinos, das ein „bisschen Nervenkitzel oder die kitschige Romantik“ offeriere, standzuhalten hätte, was in Krisenzeiten, wie sie seit 1918 herrschten, fast nicht durchzuhalten sei. Eine Besserung dieser misslichen Lage erblickt der anonyme Beiträger (vermutlich Brecka selbst) in der Einrichtung der Kunststellen, welche „das große Bildungsbedürfnis der Arbeiter und Angestelltenkreise in stärkerem Maß als bisher befriedigen und dem natürlichen Unterhaltungstrieb des Volkes eine bessere Nahrung bieten“ (KG, 4/1923, 150-152) wolle.

Tendenziell überwiegen jedoch Berichte zu Beethoven oder Calderon della Barca, womit in der klassischen Musik und in einer als klassisch gesehenen dramatischen Literatur die entscheidenden Referenzen erblickt wurden. Ab 1924 ändert sich dies schrittweise, wobei hierbei die verstärkte Präsenz von Richard v. Kralik, der mit zahlreichen geistlichen Fest-, Passions- oder Weihnachtsspielen, manche davon freie Bearbeitungen klassischer Vorlagen (insbesondere von Calderon della Barca) von Anbeginn präsent ist, eine Rolle gespielt haben dürfte. Thematisch setzt eine nun regelmäßiger angestoßene Programmdiskussion ein, z.B. im Zusammenhang mit einem Lamento über die starke Präsenz ausländischer Autoren auf den österreichischen Bühnen 1926, welche zu Grundsatzfragen katholischer Kunst und Kultur-Vorstellungen überleitet.

2. Zwischen Priesterroman und Weihespiel: Katholisches Literatur- und Theaterverständnis

In den ersten Bestandsjahren sind es die Rubriken Bücherecke und Kunststelle, die aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive als die aufschlussreicheren betrachtet werden können. Sie erlauben eine erste Rekonstruktion dessen, was als katholischer Literatur- und Theaterbegriff wohl zu verstehen sei. In Nr.1-3 des ersten Jahrgangs 1923 finden sich insgesamt acht Kurzbesprechungen von Texten, die zum einen dem Genre des Priesterromans (Josef Weingartner bzw. Emmy Gruhner) zurechenbar sind, andererseits Herausgeberschaften (Th. Storm) oder Literaturgeschichtliches betreffen (eine Handel-Mazzetti-Studie von Brecka bzw. ein Essay von Oskar Katann unter dem Titel Dichtung und Leben. Gedanken zur Erneuerung der Literatur, in dessen Mittelpunkt die Klage steht, „die deutsche Dichtung dieser Zeit ist dem Leben völlig fremd geworden…“, KG, 2/1923,79) sowie landschaftliche Themen vorstellen. Begleitet und abgerundet wird dieses Spektrum durch die Buchanzeigen (katholische Erbauung, Liedgut, Seipel-Biographien, Liturgie-Hefte), meist des Volksbundverlags in Wien oder des Tyrolia-Verlags in Innsbruck-Brixen. Mit dem Abdruck von Texten von Robert Hohlbaum und mit Franz K. Ginzkey und dessen Balladen aus dem alten Wien erfahren im November 1923 erstmals zeitgenössische Schriftsteller, deren Texte breiter rezipiert worden sind, Beachtung, wobei insbesondere, in Form einer Buchanzeige, Ginzkeys „urdeutschen Werte, die in diesen altbajuwarischen Späßen verborgen liegen“ gepriesen werden.1 Es fällt auf und zieht sich als Leitmotiv durch die gesamten 1920er Jahre, dass die Redaktion die Qualifikationen ‚katholisch’ und ‚deutsch’ als quasi selbstverständlich im Hinblick auf die deutschsprachige Literatur bzw. die Kulturarbeit insgesamt zur Anwendung brachte und dies auch bei Schriftstellern, die eher spezifisch ‚österreichisch’ anzusehen sind wie z.B. Grillparzer oder Nestroy. Die spätere katholisch-konservative Österreich-Ideologie lässt sich in den Kunstgarten-Beiträgen zumindest bis 1928 kaum bzw. nicht als wesentliche Dimension festmachen. Als eine der zahlreichen Belegstellen sei ein Kurzbericht aus Leoben angeführt, der wie folgt einsetzt: „Gleichwie in Wien hat es in Leoben der Katholische Volksbund als eine seiner Hauptaufgaben erachtet, christlichdeutsche Kunst (kursiv markiert durch den Verf.) zu pflegen…“ (List, KG,1924,192).

Das „Christlich-deutsche“ findet in derselben Nummer seine Fortsetzung in der Vorstellung des fast gleichnamigen Vereins Christlich-deutsche Volksbühne. Dessen Bestreben bestehe vornehmlich darin, den „katholischen Dramatikern“, aber „auch Dichtern der mehr nationalen Richtung“ Aufführungsmöglichkeiten, insbesondere in Wien und Umgebung bereit zu stellen, selbstverständlich  nicht „ohne darüber die Werke der Weltliteratur zu vernachlässigen.“(KG,4/1924,193)

Aufschlussreich dabei das AutorInnen-Spektrum der bislang aufgeführten Werke von katholischen und national orientierten Dichtern der Gegenwart:

Richard Kralik führt die Liste mit neun Texten an, die meisten davon freilich Bearbeitungen von Vorlagen (Volksschauspiel vom Doktor Faust oder Puppenspiel vom bayrischen Hiasl), gefolgt von Hermann Mailler, bekannt auch als Verfasser von Viennensia (z.B. histor. Romane/Biographien zum Wiener Kongress, Katharina Schratt oder die Brüder Schrammel) mit sechs und Adolf Innerkofler, Mitstreiter Kraliks im Gralsbund mit vier Texten sowie Enrica von Handel-Mazzetti mit drei. Am Ende dieser Liste figurieren mit je einer Aufführung Peter Rosegger und Alfred Ebenhoch. Der Weltliteratur zugerechnet werden je fünf Aufführungen von Stücken von Theodor Körner und Johann Nestroy, abgeschlagen mit je einer Aufführung hingegen: Ludwig Anzengruber (Der Meineidbauer), Franz Grillparzer (Die Ahnfrau) und Friedrich Schiller (Kabale und Liebe). Unter den Ankündigungen bevorstehender bzw. geplanter Aufführungen rangiert – überraschenderweise – neben Ferdinand Raimund oder Ottokar Kernstock auch: Karl May mit dem Text Babel und Bibel(1905/6), dem einzigen fertig gestellten Drama Mays, das jedoch zu seinen Lebzeiten keine Bühnenaufführung erfahren hat.

Die Ausstrahlung der Salzburger Festspiele, insbesondere der Jedermann-Aufführungen, motivierte die Redaktion, sich ebenfalls mit dem Genre des katholischen Weihespiels bzw. Laientheaters zu befassen. Jede Initiative auf diesem Gebiet, jede Fürsprache für dieses Genre, z.B. durch Max Mell, wurde aufgezeichnet, um bereits im Dezember 1923 daraus einen im Ansatz programmatisch orientierten Beitrag Alpenländische Festspiele zu erstellen (KG, 3/1923,81-86). Der Volksbildungsbegriff, das zeigen bereits die erwähnten Theateraufführungen, nähert sich bereits in den frühen 1920er Jahren einem nationalen Volkstumsbegriff an, der in anderen Publikationsorganen des politischen Katholizismus wie z.B. in der Zeitschrift Das Neue Reich mitunter noch prägnanter und aggressiver vorgetragen wird, aber eben auch in den Kunstgarten Eingang findet. Er beginnt mit wiederholten Verweisen auf einen Österreich und Deutschland verbindenden Stammesbegriff die im Impressum formulierte Ausrichtung auf die ‚christliche Volksbildung’ zu konterkarieren. Sichtbar ist dies z.B. in einem Beitrag über die Kunst- und Spielfahrt 1924, die eine „bedeutsame Aktion unserer Regierung“ sei. In ihm heißt es u.a. nach einem kurzen Lamento über den Zerfall des alten Österreich, dass trotz alledem etwas Gemeinsames geblieben sei:

Dieses Gemeinsame: Das Volkstum, die gemeinsamen Ideale, die Kulturgüter der Volkskunst, der Stammes- und Ländertradition, der gemeinsamen großen Taten und Leistungen unseres Volkes […] In ihm finden wird uns mit allen Deutschen, hier ist das einigende Band auch für die Stämme Innerösterreichs selbst (KG, 9/1924, 351).

Gegenwart und Zukunft werden wesentlich durch diese Form von Volks-Kulturarbeit definiert, die auf der anderen Seite dem, was unter ‚Moderne’ firmiert, nur skeptisch bis ablehnend begegnen kann. Die Besprechungen der in der Rubrik Kunststelle gelisteten, an sich empfohlenen Aufführungen, machen dies auf zweierlei Weise deutlich: einerseits, indem sie den Akzent auf klassisches Opern- und Dramenstücke (Mozart, Beethoven, Verdi, Grillparzer) sowie auf Operetten und Volksstücke legen, andererseits, indem sie den wenigen überhaupt angeführten‚modernen’ Stücken reserviert und mit spürbarem Ressentiment gegenüber treten. Ibsens Volksfeind, „eines der wenigen für uns geeigneten Stücke des nordischen Dichters“ gewinnt z.B. trotz der „meisterhaften Dialogführung“ leider „nicht den überschauenden Standpunkt“2

In diesen Kontext passt auch die Würdigung von Rudolf Krauß’ Modernes Schauspielbuch (1923, 7. Auflage!), denn es „lehnt gleich uns Wedekind ab“ und distanziere sich von Schnitzler insofern als „seine Schauspiele bei allzu spitzfindiger Behandlung der Probleme und starker Neigung zur Pikanterie den Zug ins Große vermissen lassen.“(KG, 4/1924,156) Ergänzt wird diese Distanz der Moderne gegenüber von Klagen über eine Dominanz ausländischer Autoren und Stücke auf den deutschen Bühnen; in einem – die Quellen freilich nicht näher angebenden – Beitrag wird für die Theatersaison 1925/26 ein Verhältnis von 373 (ausländischen) gegen 312 (deutschen) Aufführungen angegeben (KG, 1/1926,1-2).

Die Feier zum dreißigjährigen Bestand des Verband katholischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen Österreichs (gegr. 1896) bot Gelegenheit zu ausführlichen Berichten (KG, 3/1926,109-113). Von Interesse ist dabei der vom Erzbischof von Wien, Kardinal Piffl, vorgebrachte dringliche Appell, ein Aufführungsverbot des Stückes Pfarrhauskomödie (1911, UA 1920) von Heinrich Lautensack „im katholischen Wien“ zu erwirken sowie die in der Rede von Joseph Eberle, Chefredakteur der katholischen Kampf- und Programmzeitschrift Schönere Zukunft vorgebrachte Erinnerung an die „Pflicht des katholischen Volkes, der katholischen Presse usw. gegenüber der nichtchristlichen Literaturüberflutung katholisches Schrifttum zu fördern,“ – unmissverständliche, aber zugleich aus der Zeit heraus nachvollziehbare kulturpolitische Positionierungen (KG, 3/1926,110)

3. Zur Rolle von Rudolf Henz

Im Lauf des Jahres 1927 trat mit Rudolf Henz eine die dominante Rolle Kraliks im Bereich der Literatur bzw. der Literaturkritik kontrastierende und in gewisser Weise modernere Stimme in den engeren Mitarbeiterkreis ein. Dies lässt sich z.B. an seinen Essays über Neue Lyrik sowie Zum neuen ‚Literaturstreit‘ ablesen. Gegen das Totsagen der Lyrik und unter Anerkennung des „Zwiespalts zwischen großer und volkstümlicher Kunst“ erinnert Henz zunächst daran, dass „die stärksten literarischen Erscheinungen der letzten Jahrzehnte […] Lyriker [waren und sind]“ um eine Namensreihe aufzurufen, die nicht ohne Reserven in den Reihen der katholischen Kritik firmierte: Stefan George, Richard Dehmel, Rainer Maria Rilke, auf den Henz auch einen ausführlichen und im Ansatz kenntnisreichen Nachruf verfasst hat KG, 61927, 206-212), sowie – insbesondere – Georg Trakl und Heinrich Lersch. In diese prominente Reihe platziert nun Henz einige Neuerscheinungen aus den Jahren 1926/27, ein raffiniertes wie problematisches Vorgehen, weil es einerseits die durch sie in zwar unterschiedlicher, aber tendenziell problembewusste Moderne einer christlich-katholischen Lesart einverleibt, andererseits die jungen Stimmen als legitime Erben und Fortführer einer auf Kompatibilität mit christlichen Weltbildern und ästhetischen Vorstellungen reduzierten Moderne in den Raum stellt. Hans Leifhelm, dessen Band Hahnenschrei konventionell einen „Atem der Natur“ evoziere, der an Droste-Hülshoff und die Lieder und Balladen der Spätromantik sowie der Poetischen Realisten denken lasse, wird auf diese Weise ebenso über Gebühr modern aufgewertet wie dies in noch stärkerem Ausmaß für Die Antlitzgedichte des „Wiener Priesters Heinrich Suso Waldeck“ zutrifft oder für die ebenfalls in diesem Essay kurz angestreiften von Viktor Buchgraber und Rolf Kindermann (KG, 8/1927, 282-283).

Mit ähnlichen, zu rhetorischen Floskeln gerinnenden Qualitäten werden in einem Folgebeitrag 1928 weitere Exponenten ‚katholischer Lyrik’ gerühmt, z.B. Ferdinand Mayer-Eschenbacher, von dem es heißt, er sei ein Künstler „von hoher Sprachkultur, ganz tiefer Empfindung“ und seine Gedichte „immer vornehm getragen und in ihrer sprachlichen Vollendung herb und aristokratisch“. Die mitabgedruckten Beispiele zeigen freilich nicht viel mehr als eine epigonale melancholisch eingefärbte lyrische Abendglöcklein-Stimmung, das in das Läuten des „Avehauchs“ hinhorche. Henz selbst merkt kritisch an, dass die „Gestaltung des drängenden Lebens der Gegenwart“ in den von ihm vorgestellten Dichtern und Texten (Siegfried Freiberg, Josef Robert Harrer und Rolf Kindermann) „noch nicht versucht“ werde und es „fehlt noch Formung der herrschenden Ideen.“3

Vordergründig differenziert und um Ausgleich bemüht, wenngleich in der Sache konsequent, legt Henz auch seine Überlegungen zu dem – in der Literaturgeschichte weitgehend unbemerkt gebliebenen – ‚katholischen Literaturstreit‘ dar. Dieser hat durch einen Vortrag auf der (katholischen) Koblenzer Dichtertagung vom Juli 1926 unter dem Titel Dichter und Kirche mit einer Kritik des rheinländischen Schriftstellers Jakob Kneip an Bevormundungsversuchen des Klerus der Kunst und Literatur gegenüber sowie durch einen Interview-Beitrag von Franz Herwig (1880-1931), einem dezidiert katholischen Romanschriftsteller und Mitarbeiter der Zeitschrift Hochland, in der angesehenen Berliner Literarischen Welt kurzzeitig gewisse Aufmerksamkeit auf sich gezogen ohne jedoch in der allgemeinen literaturpolitischen Diskussion der Zeit merkliche Spuren zu hinterlassen. Henz stellt sich in dieser Frage zwar im Prinzip auch auf die Seite Kneips und teilt mit ihm die Gefahr einer „Entfremdung der Kirche der Kunst gegenüber“ und lehnt jegliche Themenvorgabe – „Dichter sind keine Kandidaten für Doktordissertationen“ – ab. Zugleich formuliert er auch ein Anforderungsprofil, demzufolge die katholische Literatur die religiöse Thematik nicht aus den Augen verlieren und die Institution nicht vor den Kopf stoßen dürfe. An Dante erinnernd „müssen wir vom katholischen Dichter fordern, daß er uns nach dem Marsch durch Hölle und Fegefeuer auch in den Himmel bringe“, weshalb Henz als salomonische Lösung in dieser Konfrontationslage aussöhnende Gespräche der Beteiligten vorschlägt, ohne darüber hinaus für eine der beiden Seiten Partei zu ergreifen (KG, 1/1927, 2)4

4. Kunststelle-Zwischenbilanz 1928

Im Jahr 1928 bietet das zehnte Spieljahr der Kunststelle (die eigentlich erst im März 1920 offiziell eingerichtet worden war) die Gelegenheit zu einer kurzen Bilanz, die erstaunliche Zahlenwerte (freilich ohne statistische Quellen) anführt wie z.B. den Verkauf von (geschätzt) einer Million Theaterkarten, sowie zu einigen Überlegungen die Ausrichtung der Arbeit und das zeitgenössische Angebot betreffend. Zu letzteren gehört die klare Aussage, dass die Auswahl von Stücken für das Kunststellenprogramm „nach weltanschaulichen Gesichtspunkten geregelt ist“, weshalb aus den zahlreichen Einsendungen „ein großer Teil“ wegfalle, was sich insbesondere für das Genre des Volksstückes negativ bemerkbar mache. Vor diesem Filter ist die Schlussfolgerung „so sehen wir diesen einst so fruchtbaren Zweig der dramatischen Dichtkunst heute beinahe verdorrt“ zu lesen. Objektiv und mit Blick auf den zeitgenössischen Spielplan gesehen ist sie als falsch zu werten, nicht zuletzt deshalb, weil unter ideologische Prämissen gestellt und weil es das Publikum, das als „freizügig, snobistisch“ abqualifiziert erscheint, dafür mitverantwortlich machen will. Eine andere nicht weitere begründete Sorge bestehe im Hinweis auf die Konkurrenz durch das neue Medium Radio im Bereich des Musikangebots, wobei auch diese Konkurrenz tendenziell dämonisiert und nicht zum Ausgangspunkt einer Medienreflexion wird5. Die Stoßrichtung ist klar: offenbar stagnierende Zahlen beim Publikum und dem katholischen Profil nicht entsprechende Texte dienen zu einem Grundsatzlamento über die Zeit, in der „bloß die Masse gebietet“, was die Verdrängung des mitverantworteten Scheiterns einer wirkungsmächtigeren katholischen Präsenz im kulturell-künstlerischen Leben nur schlecht verschleiern kann (Brecka, KG 9/1928,181-182).

Sieht man sich die Beiträge dieses Jubiläumsjahres im Detail an, so wundert der Stagnationsbefund kaum. Ein Beitrag über Das Werden des neuen Theaters begnügt sich mit einem vagen Hinweis auf eine Theater-Ausstattungsausstellung aus dem Jahr 1925 in der Albertina, um bündig und ohne nähere Begründung zu schlussfolgern, dass die ‚modernen’ Regiearbeiten von Max Reinhardt und Leopold Jeßner nicht so „fremdartig“ seien, „als es eigentlich scheinen mag“ Roger, KG, 7/8/1928, 146). Zum ‚Werden des Neuen Theaters’ hingegen geht aus dem Beitrag nichts wirklich Erhellendes hervor.

Auffällig ist z.B. das Fehlen von Karl Schönherrs Judas von Tirol im Repertoire der Kunststelle sowie im Besprechungsteil des KG, obwohl ihm Brecka in der Reichspost als ‚Volkschauspiel‘ eine hymnische Besprechung gewidmet hat6.

Ob dies auf die Rivalität mit der sozialdemokratischen Kunststelle zurückzuführen ist, die Schönherrs Stück von Beginn an in ihrem Theaterkontingent hatte, oder auf das auch religionskritische Potential des Stückes selbst, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Fest steht jedoch, dass die Idee des Laienspiels als vorwiegend religiöses Spiel in der Redaktion Befürworter hatte. Dafür spricht der Abdruck eines Beitrags aus der Innsbrucker ‚Monatsschrift‘ Die Laienbühne, in dem der „Poesie der heidnischen Völker“ (der griechischen Antike eingeschlossen) ein Manko angerechnet wurde, das erst durch das Christentum behebbar gewesen wäre: „Erst die im Christentum geoffenbarte Religion gab auch der Poesie wieder tiefsten Sinn und Inhalt“ KG,3/1928,51) Dagegen erfahren so unterschiedliche Stücke wie Meier Helmbrecht in der Bearbeitung von Heinz Ortner, aber auch das Amerika-Deutschland-Stereotypen zelebrierende Lustspiel Das Mädchen aus der Fremde von Leo Lenz und das Aufsehen erregende ‚Gerichtsstück‘ Der Fall Mary Dugan durchwegs Wertschätzung KG, 1/1928, 1-2, KG2/1928,42, KG 3/1928,60-61). Dass Ortner mit dem Meier Helmbrecht mittelalterliche Vorlagen und Stücke aufwerten wollte, war kein Zufall, – dieses folgte dem Programmessay Wir Jungen und das Mittelalter, in dem Ortner angesichts des technischen Fortschritts eine Rückbesinnung auf jene Periode einforderte, hätte nämlich in ihr „der Mensch eine sinnvolle Mitte gefunden zwischen den Dingen“ (KG,2/1928,31). Ein Nachruf auf Klabund und dessen Kirschblütenfest beschließt das Jahr 1928 (KG, 13/1928,58-59)

Erhellender, weil mit Illustrationsmaterial versehen, ist vielleicht ein Beitrag über Amerikanische Architektur, mit dem die Zeitschrift wohl auch vom zeitgenössischen Amerika-Interesse profitieren wollte; die begleitenden Kommentare erschöpfen sich in allgemeinen semi-impressionistischen Zuschreibungen (Amerikanisierungen, eine Art Gotik mit rheinischen Rundbogen, Viktorianische Gotik etc.). Kundigere Reflexionen über die revolutionären Techniken, das sachliche Design und die urbanistischen Konsequenzen fehlen trotz Anlehnung an den Architekten S. K. Pond aus Chicago dagegen völlig (KG, 4/1928, 84-87).

5. Katholisches Literaturvorstellungen um 1930

Ein geradezu programmatisches, im Ansatz auch selbstkritisches Lamento trägt ein ungezeichneter, wohl Brecka-Stiftegger zuordenbarer Leitartikel unter dem Titel Katholisches Literaturleben, im Februar 1929 vor. Im öffentlichen Leben scheine im Unterschied zur „Wirkung meist durchaus andersgearteter Weltanschauung und Lebensauffassung“ gerade „die katholische Geistesart weniger ausgeprägt“ zu sein, was insbesondere für den Bereich der Literatur gelte. Denn

Mit Erstaunen nehmen wir wahr, daß ein paar tausend Juden die geistige Allgemeinheit viel stärker beeinflussen als viele Millionen Katholiken desselben Landes. Mit Erschrecken stellen wir fest, daß die Literatur und alles, was mit ihr zusammenhängt und was von ihr als Wirkung ausgeht, vom katholischen Publikum in keiner Weise seiner Bedeutung entsprechend getragen wird (KG, 5/1929, 97).

In der an diesen Befund sich anschließenden Ursachenforschung treten zwei Aspekte deutlich zu Tage: zum einen eine offenkundige Unsicherheit innerhalb des katholischen Publikums, sich für katholische Literatur zu interessieren bzw. sich zu ihr zu bekennen, wofür u.a. mangelnde Talente angeführt werden. Zum anderen wird diese Unsicherheit mit einer tiefer reichenden Konzeptlosigkeit auf diesem Feld überhaupt in Zusammenhang gebracht:

Denn Ziellosigkeit und Ideenflüchtigkeit sind die zu beseitigenden Krebsübel der katholischen Literaturpflege. Wie oft hören wir auf Katholikenversammlungen, wo man natürlicherweise Begeisterung wecken will, hohe Worte von den Taten unserer Dichtung, und minutenlanger Beifall lohnt die Mühe des gutmeinenden Redners, der wieder einmal sagte – was die Träger unter uns am liebsten hören. Besser wäre es, von den Möglichkeiten unserer Dichtung zu sprechen, die unser Volk noch zu verwirklichen hat […] In Komplimenten wachsen keine Taten… (KG, 5/1929, 98)7

Selbstkritische Überlegungen, gepaart mit massiver Abwehrhaltung zeitgenössischer Literatur sowie den Theaterspielplänen gegenüber kennzeichneten diese Diskussion über eine Re-Definierung des katholischen Literaturverständnisses auch in anderen einschlägigen Zeitschriften wie z.B. in der Schöneren Zukunft. Sie flossen in allerdings in wenig aussichtsreiche Gegenkonzepte ein, wie z.B. in den Versuch, 1929 eine Österreichische Heimatbühne einzurichten und gegen den dominanten Theaterbetrieb zu positionieren. Denn „in der Nachkriegszeit“, d.h. seit 1918/19 tobe sich „das Kunst- und Vergnügungsbedürfnis der großen Masse in Kitsch und Zote“ aus, „die Theater öffneten ihre Tore der Revue, der seichten Operette, dem schlüpfrigen Lustspiel und dem Sensationsstück.“ (K. Polly, KG, 6/1929, 140)

In ähnliche Richtung wie Polly argumentiert ein weiterer Beitrag unter dem Titel Der Bauer auf der Bühne, der darüber Klage führt, dass die Spielpläne von Gesellschafts-, Konversations- oder Verbrecherstücken dominiert würden, deren Personen „meist überhaupt keinen Beruf haben, die man auf Diwans und Klubfauteuils herumlungern und Zigaretten rauchen sieht“, während der ehrenwerte Bauernstand von wenigen Ausnahmen abgesehen auf den Bühnen in Form von Bauernschwänken eher als Karikatur ins Bild gesetzt werde: „als regelrechte Trottel gezeichnet“ (KG, 4/1930,73f.). Der ungezeichnete Beitrag erblickt darin eine „bösartig verzerrte Vorstellung vom Bauerntum“ (Ebd.75), um in der Folge grundlegende Aspekte einer der bäuerlichen Welt angemessenen dramatischen Produktion sowie einige Beispiele, die in diese Richtung wiesen, anzuführen. Im Unterschied zu Gesellschaftsstücken, „die mit einem Nichts an Handlung ihr Auslangen finden“, müsse in einem Bauernstück „etwas vorgehen, weil auch im Leben des Bauern etwas vorgeht“. Deshalb gebe es darin keinen Platz „für verdrängte Komplexe, für verschwommene Philosophien […] für alles mühsam Ertüftelte, Unnatürliche, Ungesunde“ (Ebd.75). Dagegen biete es Raum für fast alle Motive, „die menschliche Schicksale überhaupt zu dramatischem Zusammenprall zu führen vermögen“ und für eine Reihe spezieller, eigentümlicher Motive wie z.B. die Sorge um den „Hof, die Erbfolge, Kampf mit den Naturgewalten, Liebe zur Scholle, Glück und Mühe der ältesten und ehrwürdigsten Arbeit, die die Menschheit kennt“ (Ebd. 75). So habe z.B. Karl Morré in seinem vielgespielten Stück ‘s Nullerl (1895) wenigstens einzelne Aspekte wie „das traurige Los des gealterten arbeitsunfähig gewordenen Knechtes“ gestaltet, während Ludwig Anzengruber trotz seines „dramatischen Instinkts“ den Bauer letztlich als „nicht echt, vielmehr für den Theaterbedarf“ gezeichnet bzw. „appretiert“ und Peter Rosegger mit Am Tage des Gerichtes letztlich auch nur ein Wildererdrama vorgelegt hätte (Ebd., 76). Einen versprechenden Ansatz habe dagegen Eugen Ortner mit seinem „aus dem Mittelalter herübergeretteten Bauernstück“ Meier Helmbrecht vorgelegt, das jedoch beim Publikum auf wenig Interesse gestoßen war; bäuerliches Leben, freilich eher „flüchtig“(Ebd.77), komme noch im Stück Katharina Knie von Carl Zuckmayer zum Vorschein, allerdings, so das Fazit des Beitrags, müsse man „auf das Bauernstück von heute“ weiterhin warten.

Die Theaterempfehlungen der Kunststelle konzentrierten sich, wie ein Blick auf die Angebote in den Jahren 1928-1930 bestätigt, dagegen eher auf eine publikumsorientierte Auswahl. In ihr fanden sowohl klassische Stücke (meist Burgtheater-Aufführungen oder solche aus dem Deutschen Volkstheater) ebenso Platz wie Operetten, Opern, aber auch Komödien und die mitunter verpönten Gesellschafts- und Konversationsstücke.

Die Schwierigkeit, zu einem zeitgemäßen bzw. konkurrenzfähigen katholischen Literaturverständnis zu gelangen, das zugleich auf Resonanz im kulturellen Leben um 1930 hoffen durfte, zeigte sich in einem der letzten Beiträge des Kunstgarten in geradezu exemplarischer Weise, d.h. im Beitrag von Hermann Weißer, Verfasser der (kompakten) Studie Calderon und das katholische Drama (1926), unter dem Titel Vom Wesen des katholischen Dramas. Schon der erste Satz legte dabei die Richtung unmissverständlich fest: „Urquell alles katholischen Denkens und Seins ist die Lehre von der Person und von dem Werke des Erlösers Jesus Christus, auf ihr beruht die katholische Denkweise, sie ist formendes Grundprinzip bis in die feinsten Verästelungen“ (KG, 5/1931,112). Nach einer daran anschließenden, weit ausgreifenden Erläuterung der katholischen Gottesidee als „Idee des immanent-transzendenten Gottes“ sowie einer Vereinigung von „Sinnlichem und Übersinnlichen, von Diesseits und Jenseits“ (Ebd, 113) kommt Weißer im letzten Drittel seines Beitrags zu seiner, durchgehend theologischen begründeten Vorstellung vom katholischen Drama, das in Gehalt und Form ausschließlich von der Gottesidee „bestimmt“ sei. Entgegen aller dramenästhetischen und poetologischen Gesetzlichkeiten und Referenzinstanzen wird dem katholischen Drama Tragik im Sinn eines „Zersplitterns des Ich an der Umwelt“ überhaupt abgesprochen bzw. nur im Sinn einer „unstillbaren Sehnsucht nach Erlösung“ zugestanden. An ihre Stelle trete maßgeblich das Element der Allegorie, allerdings auch hier weniger als Stilfigur der klassischen Rhetorik, denn „ausschließlich im theologischen Sinn“ als hermeneutische Exegese heiliger Texte, weshalb „die Allegorie [ ] künstlerischer Wesensausdruck des katholischen Denkens überhaupt [ist] (Ebd, 114). Jeder künstlerische, d.h. auch dramatische Zugang außerhalb dieser katholischen Denkweise und Gottesidee wird von Weißer als „autonomistische“, auf „die Zerreißung des Verbundenseins von Mensch und Gott“ abzielende eingestuft. Nur das christliche Schauspiel mit Calderon könne daher als Orientierung für eine katholische Dramatik dienen, während der autonomistische Typus der Tragödie mit Shakespeare als herausragenden Vertreter jene ideelle Perspektive bereits verfehle. Beide Beispiele zeigen trotz der Gewichtigkeit ihrer Referenzen freilich an, woran nicht wenige zeitgenössische katholischen Literatur- und Kulturdebatten krankten: an ihrer Kettung an theologisch-dogmatische Positionen, die nicht nur die Moderne als häretische Erfahrung verwarfen, sondern maßgebliche dramenästhetische Entwicklungen seit Shakespeare als tendenziell die christlich-katholischen Dogmen in Frage stellende als nicht relevante für eine – an anderen Stellen eingeforderte – Erneuerung katholischer Literaturkonzepte klassifizierten. Dass es neben dogmatischen Festschreibungen dieser Art durchaus Spielräume, allerdings ohne große Resonanz nach außen hin, gegeben hat, verdeutlichen einige Besprechungen zeitgenössischer Theaterstücke wie z.B. der Tragödie Das Reich Gottes in Böhmen von Franz Werfel. Es ist wohl kein Zufall, dass diese von Brecka selbst verfasst worden war, der eine Werfel- Uraufführung an sich schon – jenseits der Frage, ob sie mit katholischen Dogmen in Einklang stehe oder nicht – als „ein Theaterereignis“ bezeichnet, wäre diese nämlich als „ausgereifte Frucht jahrelangen Ringens“ zu verstehen (KG, 6/1931,127). Auch der Umstand, dass Werfel mit dem hussitischen Aufstand „gegen Kirche und Reich“ (Ebd. 128) ein heikles Thema wählt, das zu strittigen Polarisierungen neigt – Brecka wirft ihm auch eine einseitige, „nicht übermäßige kirchenfreundliche[n] Einstellung“ (Ebd. 128) vor  – zeugt von einer um Präsenz im zeitgenössischen Diskurs bemühten Haltung des Verfassers. Bei aller Kritik, die er vorträgt, weiß er letztlich das „dramatische Temperament“ Werfels, „das an der Gestaltung historischer Stoffe hier nicht zum ersten Male seine bedeutende Kraft erprobt“ (Ebd. 129) durchaus zu würdigen. Auch ein Beitrag von René Fülöp-Müller über Charlie Chaplin und seine Wiedereinsetzung des Narren als „verkehrtes Ebenbild Gottes“ durch die filmische Komik unter dem Titel Die Auferstehung des Narren (KG, 7/8/1931,169), steht für solche, freilich vereinzelt gebliebenen Versuche, das Profil des Kunstgartens Richtung zeitgenössische Literatur und Medien zu öffnen. 

6. Abschließendes Fazit

Zusammenfassend bleibt demnach festzuhalten, dass der Kunstgarten den sich selbst gesetzten Themen und Programmlinien durchaus treu blieb, d.h. einen in engen weltanschaulichen Grenzen angesiedelten, den Vorgaben der ‚christlichen Volksbildung‘ sowie eines tendenziell dogmatischen Religions- und Gottesbegriffs folgenden Kultur- und Literaturbegriff vertrat und diesen gegen Infragestellungen abzusichern suchte. Nur vereinzelte Besprechungen oder Gastbeiträge durchbrachen dieses enge Raster an Vorgaben, die ideologisch und kulturpolitisch letztlich vielen Grundsatzdebatten engere Grenzen setzten als dies im linken bzw. sozialdemokratischen Lager der Fall war. Insofern ist der Kunstgarten mit den dynamischeren Zeitschriften der Sozialdemokratischen Kunststelle Bildungsarbeit sowie Kunst und Volk nicht zu vergleichen, kommt an deren Reflexionsniveau nicht heran, insbesondere hinsichtlich einer theoretischen Fundierung einer katholischen Kulturpolitik. Mit Hans Brecka, Rudolf Henz und Richard von Kralik konnte die Zeitschrift zwar recht schillernde Exponenten des österreichischen Kultur/Literatur-Katholizismus aufbieten, doch konzeptuell vermochten sie der geballten Intellektualität, kultur-, kunst- und literaturpolitischen Präsenz eines David J. Bach, Ernst Fischer, Leo Lania oder Fritz Rosenfeld wenig entgegenzusetzen.

Beklagten schließlich eine ganze Reihe von Beiträgen das offenkundige Desinteresse des Publikums, auch des katholischen, an katholischer Literatur und Publizistik, der eine machtvolle, durch geschickten „Gebrauch der Schlagworte und Halbwahrheiten“ (Münzner, KG, 7/8/1929, 157) operierende Presse gegenüberstünde, die somit zu Feind- und Schreckbildern deklariert wurde, so trugen die meist recht dogmatischen Vorstellungen einer katholischen Literaturproduktion kaum dazu bei, diese selbstgezogenen Grenzen aufzubrechen und in der Folge Angebote jenseits von Legendengeschichten, bigotter oder epigonaler (Stimmungs)Lyrik, bibeltreuen Weihe- und Passionsspielen zu skizzieren. Andererseits ist dem Kunstgarten zugute zu halten, nicht in jene aggressive kulturpolitische Agitation eingestimmt zu haben, wie sie zur selben Zeit sowohl in der Reichspost als auch und vor allem in den Zeitschriften Das Neue Reich sowie Schönere Zukunft an der Tagesordnung war. 


Quellen und Literatur
  • KG: Kunstgarten, zitierte Texte:
  • N.N.: Alpenländische Festspiele. In: KG, Nr.3/Jg.2/1923, S. 81-86.
  • N.N.: Kunst- und Spielfahrt 1924. In: KG, Nr. 9/3. Jg./1924, S. 351.
  • N.N.: Amerikanische Architektur. In: KG Nr.4/6. Jg. 1928, S. 84-87.
  • Brecka Hans: Unser zehntes Spieljahr. In: KG Nr.9/6.Jg. 1928, S. 181-182.
  • B[recka Hans]: Das Reich Gottes in Böhmen. Tragödie eines Führers. Von Franz Werfel. In: KG, Nr.6/9. Jg. 1931, S. 127-131.
  • Fülöp Müller [Miller] René: Die Auferstehung des Narren. In: KG, Nr. 8/9/ 9. Jg. 1931, S. 196-173.
  • Henz Rudolf: Zum neuen Literaturstreit. In: KG, Nr. 1/6. Jg. 1927, S.1-4.
  • Henz Rudolf: Rainer Maria Rilke. In: KG, Nr.6/5. Jg. 1927, S. 206-212.
  • Henz Rudolf: Neue Lyrik. In:  KG, Nr.8/5.Jg.1927, S. 281-286.
  • Henz Rudolf: Richard Kralik. Zum 75. Geburtstag am 1. Oktober 1927. In: KG, Nr. 9/5. Jg. 1927, S. 321-323.
  • Henz Rudolf: Für das gute Buch. In: KGNr. 7, 8. Jg. 1930, S. 148-149.
  • Katann Oskar: Dichtung und Leben. Gedanken zur Erneuerung der Literatur. In: KG, Nr.2/1.Jg./1923, S. 79.
  • List Rudolf: Leobner Brief. In: KG, Nr.4/3.Jg.1924, S.192-193
  • Ortner Eugen: Wir Jungen und das Mittelalter. In: KG, 2/7.Jg.1928, S.30-32
  • Polly Karl: Die österreichische Heimatbühne, ihr Zweck und ihre Ziele. In: KG, Nr. 6/7.Jg. 1929, S. 140-141.
  • Roger Stephan: Das Werden des Neuen Theaters. In: KG Nr. 7/8/6. Jg. 1928, S. 145-148.
  • Tribus Max: Das Laienspiel. In: KG, Nr. 3,/7.Jg. 1928, S.49-54.
Weitere Literatur:
  • Dietzel, Thomas/Hügel, Hans-Otto (Hg.): Deutsche Literarische Zeitschriften 1880-1945. Bd.1, München-New York: K.G. Saur 1988.
  • Münzner Gerhard: Öffentliche Meinung und Presse. Karlsruhe: G. Braun 1928.S
  • Sonnleitner Johann: Die Geschäfte des Herrn Hohlbaum. Die Schriftstellerkarriere in der Zwischenkriegszeit und im Dritten Reich. Wien-Köln: Böhlau 1989.

  1. KG, Nr. 2/Jg.2/1923, S. 12-21 bzw. S. 75. Zu Hohlbaum und dessen Wandlung vom deutschnationalen zum deutschrassistischen Schriftsteller vgl. Johann Sonnleitner: Die Geschäfte des Herrn Hohlbaum. Die Schriftstellerkarriere in der Zwischenkriegszeit und im Dritten Reich. Wien-Köln: Böhlau 1989.
  2. KG, Nr.6/3. Jg. 1924, S. 237.

  3. KG, Nr. 7/8 6. Jg. 1928, S. 153-156, bes. S. 155.
  4. Zu Kneip und dessen Rolle in der katholischen rheinländischen Kulturszene vgl. www.literatur-archiv-nwr.de/lesesaal/Essays/Jakob_Kneip_1881_1958/seite (Stand: 30.3. 2013)
  5. Dem wird nur wenig später eine durchaus positiv gehaltene Kurzvorstellung des Schwanks Frau Ravag von Armin Friedmann und Hans Naderer  gegenüberstehen; vgl. KG Nr. 7/1930, 157-158.
  6. Reichspost, 10.3.1928, S. 1-2.
  7. Eine ähnliche Position vertrat auch R. Henz in einem Beitrag unter dem Titel Für das gute Buch. KG 7/1930, 148-49, in dem er nicht nur „wenig Leser für katholische Bücher“ konstatierte sowie eine Zersplitterung des katholischen Büchereiwesens, sondern auch eine weit besser organisierte sozialdemokratische Lesepolitik mit hocheffizienter Propagandaarbeit.