N.N.: Radio, Politik und Radiopolitik (1925)

N.N.: Radio, Politik und Radiopolitik

Seit einiger Zeit hören wir, wenn wir Radio hören wollen, ein merkwürdiges Nebengeräusch. Es handelt sich um ein überaus schrilles und hartnäckiges Geräusch von scharf ausgeprägtem Charakter, den man nicht vergißt, wenn man ihn einmal begriffen hat. Nicht genug an der Straßenbahn, nicht genug am Fading-Effekt, jetzt tritt noch dieses Neue hinzu, jetzt bestürmt, jetzt verfolgt man uns von allen Seiten mit Politik.

So etwa könnte heute der reine Radioamateur, der Radioamateur an sich sprechen, dann nämlich, wenn dieses Wesen anders als in der Theorie vorstellbar wäre. Die Theorie würde obendrein falsch sein. Radio ist auch theoretisch unfähig, den Typ eines Radiosportfexen hervorzubringen, der für nichts als Radio Sinn hat und für alles auf der Welt, was nicht Radio heißt, verloren ist. Radio ist vielzu intim und legitim mit allen Kräften des Lebens verbunden, als daß seine besten, seine wirklichen Anhänger sich auch nur für die Zeit, da sie Radio treiben, aus dem Zusammenhange mit dem Lebendigen lösen könnten, namentlich aus jenem allerstärksten, der Politik heißt.

Nein, nein: für alle Radiofreunde – und je treuer sie in ihrer Freundschaft sind, desto mehr – gilt es, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Radio Österreich in seiner politischen Periode angelangt ist. Radio marschiert durch einen gefährlichen Engpaß. Wachsamkeit ist nun erste Radiopflicht.

Man wird von uns, die wir unsere Einsicht in das politische Wesen des Radio niemals verborgen haben, nicht billig verlangen können, den politischen Streit, der es nun umtobt, der politischen Sphäre ganz entrückt zu betrachten. Wir geben zu, daß dieser Streit vom Standpunkt des Radio beklagenswert ist, wir behaupten, daß er nicht ganz unvermeidlich war. Wohl nicht für immer; eines Tages mußte er ausbrechen. Es steht nun sichtbar im Kräftespiel der Parteien. Man muß zusehen, wie jene Kräfte ihr Gleichgewicht in bezug auf Radio untereinander wieder herstellen. Wie es ohne sein Hinzutun Streitobjekt geworden ist, muß es gewärtig sein, Kompensationsobjekt zu werden. Die Parteien haben den Wert des Radio als Waffe schon zu gut begriffen, als daß sie es jemals halb oder ganz aus der Hand zu geben gesonnen wären. Die eine Partei gibt die Parole aus: „Wer an Gottesfrieden rührt, wird auf Granit beißen.“ Die andere Partei pflanzt ein Kampfpanier auf, darauf steht zu lesen die Parole: „Steuerbegünstigung für Radiokultur.“ Der Brief des Stadtrates Breitner besagt nicht mehr noch weniger, als daß die Gemeinde Wien ihre nicht unbeträchtlichen Kräfte zur Kontrolle Radio-Wiens einzusetzen entschlossen ist. Ihr formales Recht, eine Lustbarkeitssteuer aufs Radio zu legen, ist eine vielumstrittene juristische Frage. Mit ihrem moralischen Recht, das hier ganz wesentlich in Frage ist, steht es nach unserem Dafürhalten folgendermaßen: Die Gemeinde Wien hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, darauf einzuwirken, daß die Leistung des Wiener Senders die beste sei, denn sie ist die natürliche Vertreterin der allgemeinen Interessen der Wiener, zu denen auch der Ruf dieser Stadt gehört.

Soweit wäre die Sache in Ordnung. Wir behaupten, und zwar nicht leichtsinnig, daß eine Verständigung darüber, was gute Sendung, erreicht werden kann. Das Niveau Radio-Wiens muß gehoben werden. Darin sind Wiener Stadtverwaltung und Direktion der Ravag eines Sinnes.

Wer wagt es übrigens schon, mit einiger Genauigkeit anzugeben, was der Mehrzahl der Hörer recht ist? Wenn irgend ein Faktor Verlangen danach trägt, nicht ganz auf Vermutungen angewiesen zu sein, so steht ihm schon heute das vorläufige Material der Abstimmung der „Radiowelt“ zur Verfügung, das nicht Agitationsmaterial, sondern Studienmaterial ist. Wir wollen die Hauptsache verraten: Soweit sich heute das Ergebnis bereits ablesen läßt, schaut es etwa so aus: Keine Politik und keine Predigt. Wir sind überzeugt, daß die Richtung, die in diesen Worten ausgedrückt ist, sich noch stärker akzentuieren wird. Eine solche Stellungnahme des Publikums aber könnte, obschon sie nur negativ ist, das Übereinkommen über das große positive Programm Radio-Wiens, das wir Radioamateure sehnlich wünschen müssen, nicht unwesentlich erleichtern.

Vorläufig wird gekämpft und zum Kampfe gerüstet.

In: Radiowelt, 1925, H. 2.