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Franz Anderle: Radiofreiheit (1924)

N.N. (= Franz Anderle): Radiofreiheit

Über Nacht, wie das bei allem, was mit Radio zusammenhängt, schon zu sein pflegt, hat  unsere politische Einstellung zu ihm eine Wandlung erfahren: Seit ein paar Tagen stehen wir in Österreich im Vorstadium

des Kampfes um die Radiodemokratie,

eines Kampfes, der überall ausgefochten werden muß und der bei uns scharf zu werden verspricht.

Unser Standpunkt in diesem Kampfe ist bald gewählt: wir treten aus allgemeinen und aus besonderen Gründen als Menschen, als Österreicher und als Radiobeflissene

für die Radiodemokratie

ein. Wir wollen unsere besten Kräfte im Kampfe für sie einsetzen, denn wir wissen, daß hier Entscheidendes auf dem Spiel steht.

            Es wäre zu wenig gesagt, wenn man den Kampf für Radiofreiheit einen Teilkampf im großen Kampfe für Preßfreiheit nennen wollte. So verhalten sich die Dinge nicht. Der Kampf für Preßfreiheit, der sein Heldenzeitalter und seine Helden, seine Opfer und seine Verräter gehabt hat, war eine der Formen, in denen sich der Auftrieb, der Selbstbefreiungswille des Bürgertums bestätigt hatte. Er war eine typische Erscheinung des XIX. Jahrhunderts, die diesem ihren Stempel aufgedrückt hatte. Der Kampf um die Radiofreiheit ist echtestes XX. Jahrhundert [gesp. im Orig.], untrennbar von diesem und nur in dessen Rahmen verständlich. Es handelt sich vor allem um ein wesentlich

technisches Problem.

Das war die Preßfreiheit ja auch, ebenso wie auch die Radiofreiheit ihrerseits neben dem technischen Moment auch ein nicht zu übersehendes Machtmoment enthält. Aber das Verhältnis dieser beiden Momente verschiebt sich bei dem Problem der Radiofreiheit entscheidend zugunsten der technischen. Es handelt sich, wie bei allem, was mit Radio nur im entferntesten zusammenhängt, auch hier um ein Problem sui generis, das nach den eigenen Voraussetzungen betrachtet werden will.

Über das Ideal sind wir uns ja klar und hoffentlich sind wir darin mit den meisten unserer Leser einig:

Der ideale Zustand wäre der, daß jeder mit jedem auf dem Radiowege frei und ungehindert verkehren kann.

Ebenso klar müssen wir uns aber darüber sein, daß dieser Zustand heute unerreichbar ist. Heute liegen die Dinge vielmehr so, daß

wenn jeder frei funken könnte, unweigerlich ein Chaos entstehen müsste. 

Das Chaos im Äther ist gewiß nicht das, was wir wünschen. Wir wünschen vielmehr das Chaos zu organisieren, wir wünschen aus dem Chaos einen Kosmos zu machen.

Radio dürfe nicht das Monopol einzelner, auch nicht das Monopol einer Partei werden.

Gewiß: Radio muß allen gehören. Aber wie es einrichten, daß diese Erfindung, deren Wesen das Monopolisiertwerden auszuschließen scheint, wirklich allen ohne Unterschied zugute komme? Es ist schwer, hier einen umfassenden, praktischen, befriedigenden positiven Vorschlag zu erhalten.

            Es ist nun einmal so, daß einer praktischen Radiodemokratie im oben definierten utopischen Sinne von vornherein

natürliche Schranken

gezogen sind. Die hauptsächlichste liegt vielleicht nicht einmal in der Natur der Hertzschen Welle, sondern in der Beschaffenheit der menschlichen Seele hinsichtlich ihrer          Aufnahmefähigkeit  für das gesprochene Wort,

eine Tätigkeit, die nicht unbeschränkt ist. Wenn Mannigfaltigkeit der Preßprodukte, wenn eine Vielzahl der Zeitungen wesentlich für die praktische Wirkung der Preßfreiheit ist, so kann das aus dem Wesen der Radiofreiheit schon deshalb nicht als Forderung abgeleitet werden, weil man beim Hören schneller ermüdet als beim Lesen, weil man gedruckte Zeitungen durcheinander lesen, aber

            gesprochene Zeitungen nicht durcheinander hören kann,

zumindest heute noch nicht. Die Regelung des Radiowesens auf eine immerhin mögliche Anpassung unserer Sinnesorgane einzustellen, hätte aber keinen Sinn.

            Aus diesem Sachverhalte geht für die Radiozeitung eigentlich eine überraschende Forderung hervor:

Sie sollte eine kurze, gedrängte, sich auf die möglichst gewissenhafte Meldung der Tatsachen beschränkende Zeitung sein: so objektiv wie keine der gedruckten Zeitungen ist.

Objektivität und Tatsachenfülle scheint uns der eigentliche Stil der Radiozeitung zu sein.

            Aber wir sehen voraus, daß diese Objektivität, so ehrlich sie auch angestrebt werden sollte, immer angezweifelt werden wird (und auch die Zweifler werden möglicherweise ehrlich sein), namentlich, wenn die Herausgeber jener objektiven Zeitung, der Radiozeitung, im Zusammenhang mit irgendeiner Partei, mit irgendeiner Richtung gebracht werden können. Ob diese Frage überhaupt zu denjenigen gehört, die der Radiogesetzgeber einmal gerecht wird lösen können, lassen wir dahingestellt.

[…]

Wer aber soll ordnend, gebietend, verbietend, strafend eingreifen? Wir glauben doch: der Staat. Die anderen Lösungen dürfen wir für den Augenblick außer Acht lassen. Nun gut also, der Staat. Aber welcher Staat?

In: Radiowelt, H. 3, 23.3.1924, S. 1.