Friedrich Austerlitz: Das blutige Gespenst (1919)
N.N. (= Friedrich Austerlitz): Das blutige Gespenst
Die Habsburger haben unser Volk in den Höllenrachen des Krieges hinabgestürzt, ihre Flucht ließ hier eine Wüste wirtschaftlicher Zerstörung, Tod, Hunger und Elend zurück. Doch nun soll gerade das Verbrechen den Verbrecher krönen. Aus unserem Hunger, aus unserer frierenden Not wollen die Monarchisten dem wiederkehrenden Karl seinen Thron zimmern. Das klingt wie hirnverrückter Widersinn, aber in Ungarn ist es doch bereits zur Tat geworden. Dort steht die Monarchie zugerichtet und fertig gebaut und harrt nur des Monarchen. Das vom Kriege entkräftete, durch alle Tollheiten politischen Irrwahns müde gehetzte ungarische Volk ist so völlig seiner Macht der Selbstbestimmung entkleidet, so völlig durch die Banditenschar monarchistischer Söldner geknechtet, dass es schweigend zusehen muß, wie der Urheber aller Schmach als Retter in den Straßen ausgerufen wird. Und auch bei uns redet und raunt man von der rettenden Monarchie, die Verzweiflung soll auch an uns ihr Werk vollbringen. Von unserem Hunger nährt der Habsburger an seinem Flüchtlingshof seine liebsten Hoffnungen; unser kalter Herd, der Frost unserer ungeheizten Stuben wärmt wohlig sein einstweilen in Ruhestand versetztes liebenden Vaterherz.
Und er hofft nicht allein, freut sich nicht allein unseres Siechens und Hinsterbens. Nicht als ob die Wiederkehr der Habsburger irgend jemandem Herzenssache wäre. Noch nie ist eine Monarchie gefallen, die so wenig echten Royalismus im Lande ihrer einstigen Herrschaft zurückgelassen hätte. In Frankreich brannte das Feuer des legitimistischen Fanatismus hundert Jahre nach und ist jetzt noch nicht gänzlich erloschen; in Deutschland ist es die tiefernste Ueberzeugung vieler, dass nur das hohenzollerische Kaisertum die deutsche Einheit würdig verkörpert hat. Von solchen Verirrungen des Herzens und des Verstandes brauchen wir hierzulande nichts zu besorgen. Die Habsburger verkörperten keines Volkes Sein und Wesen, im kalten Herrscherhochmut schwebten sie über allen „ihren“ Nationen, hatten an der Entwicklung, an dem Sehnen und Drängen keiner einzigen inneren Anteil, und so gibt es denn auch nirgends in ihrem einstigen großen Reiche Menschen, die aus uninteressiertem Empfinden, aus innerem Gefühl Anhänger der gefallenen Dynastie wären. Der Sturz dieses mehr als sechs Jahrhunderte alten Geschlechts hat kein Auge feucht gemacht.
Nicht die Herzen und die Ueberzeugungen haben sich zu Gunsten Karls verschworen, aber eine Koalition alles Gemeinen, Niedrigen und Verworfenen in unserem Lande ist für seine Wiederkunft geschäftig. Was der Vermögensabgabe entfliehen möchte, was um den Ertrag des Kriegswuchers bangt, was die „Begehrlichkeit“ der Arbeiter möchte „in Schranken gewiesen sehen“ und den alten Zustand des Fabriksdespotismus zurückwünscht, was aus der Herrschaft der Kirche in Schule und Familie seinen Vorteil zieht, der Kastengeist entlassener Söldlinge, bürokratischer Ranghochmut, dem ein freies und gleiches Volk Aergernis ist: all das wirbt heimlich und offen für die Monarchie und nimmt fröhlich die Not des Volkes und seine Verzweiflung zum Bundesgenossen. Die Verlogenheit der bürgerlichen Presse, die die Folgen der wirtschaftlichen und geographischen Unmöglichkeit unseres Scheinstaates in Sünden und Unterlassungen der Republik und in Verbrechen der sozialistischen Arbeiter umdeutet, ist sich ihres Zieles und Zweckes wohl bewußt. Die auf der Schädelstätte unseres Elends die Monarchie wieder aufrichten wollen, täuschen sich am allerwenigsten darüber, dass der Monarch an unseren wirtschaftlichen Nöten nichts ändern kann, daß kein Krümchen Brot und kein Stückchen Kohle mehr ins Land kommen würde, wenn die habsburgische Sippe wieder einzieht. Allein wozu braucht es Brot und Kohle, wenn ein Monarch waltet, den eine schlagkräftige Prätorianergarde umgibt, nach der Art, wie sie Horthy gebildet? Ein hungerndes und frierendes Volk ist nur fürchterlich, wenn es durch Freiheit und Demokratie die Macht hat, die Folgen der allgemeinen Notlage allen aufzuerlegen. Schützt jedoch eine Horthysche Truppe die Kassen der Reichen vor den Notsteuern einer zusammenbrechenden Wirtschaft und den Unternehmer vor den Lohnforderungen der von der Teuerung gepeinigten Arbeiter, dann mag in seinen Stuben das Volk erfrieren und auf den Straßen vom Mangel entkräftet hinsinken: die Bourgeoisie wird diesem Schauspiel aus sicherer Ferne zusehen. Für die Reichen wäre eine auf Söldner gestützte Monarchie tatsächlich der Retter in der Not, der vollgültige Ersatz für Brot und Kohle.
Und dennoch und trotz der breiten Massen Gedankenloser, die im Wirtshause, auf der Straße, im Tramwaywagen murrend und maulend die Schmähungen der Reaktionäre auf die Republik in armseliger Torheit nachsprechen, ist die habsburgische Restauration eine totgeborne Idee. Man proklamiert sie in Budapest und intriguiert für sie in Wien. Aber Budapest und Wien sind die beiden einstigen Hauptstädte eines Reiches, dass nicht mehr ist und niemals mehr sein kann. In Budapest wie in Wien waren sich die früher machthabenden und jetzt nach der Restauration lüsternen Kreise niemals der wahren Grundlagen ihrer Macht bewußt, und haben, scheint es, auch durch den Zusammenbruch keine bessere Klarheit gewonnen. Weil sich in diesen beiden Städten eine Großmacht darstellte, in allen ihren Attributen sichtbar war, meinte man, hier sei ihr Sitz und ihre Grundlage. Doch nicht einmal Herzpunkte der großstaatlichen Macht, wie dies doch die Kulturzentren nationaler Staaten sind, waren jemals Budapest und Wien. Die Gebiete, aus denen Österreich ausschließlich, Ungarn zum großen Teil ihren wirtschaftlichen Reichtum, ja ihre wirtschaftliche Daseinsmöglichkeit zogen: die Sudetenländer, Galizien, Siebenbürgen, Kroatien, das Banat, sie lagen stets und liegen heute erst recht außerhalb der geistigen Einflußphäre der einstigen Hauptstädte, ehedem nur durch äußere Machtmittel an diese Mittelpunkte, die nie Anziehungspunkte ihres inneren Lebens und Werdens sein konnten, gebunden. Weil dem aber so ist, so fallen auch die Hoffnungen, die in Deutschösterreich die reaktionäre auf die horthysche Reaktion setzen, in nichts zusammen. Mag die monarchistische Intrigue über die deutschen und magyarischen Sprachgebiete hinaus an der Eifersucht einzelner slowenischer Volkskreise, an der slowenischen Unzufriedenheit Anhalt und Anknüpfung suchen: indem sie hier überall die reaktionär=klerikalen Strömungen aufsucht, regt sie den tschechischen und den südslavischen Selbstständigkeitsdrang um so lebhafter gegen sich auf und erweckt sie zu desto früherer und kräftigerer Abwehr. Eine habsburgische Monarchie auf das wirtschaftliche Unvermögen der Magyaren und der deutschen Alpenlande, auf die beiden ihrer Existenzgrundlagen beraubten Millionenstädte ohne Hinterland, Wien und Budapest, gegründet, wäre ein Unding, eine Todgeburt. Aber der Habsburger könnte die Budapester oder die Wiener Hofburg nicht betreten, ohne dass sein Erscheinen an diesen alten Städten der Macht, in den alten Zentren einer Herrschaft der Völkerbedrückung, alle die einst bedrückten Völker zu einem Bunde der Abwehr zusammenschweißte.
Eine habsburgische Restauration mag sogar gewissen nationalistischen reaktionären Kreisen in Paris wohlgefällig sein, sie mögen ein wiederhergestelltes Habsburgerreich als Glied an der Kette wünschen und denken, die sie würgend dem deutschen Volke um den Laib legen wollen. Aber darum ist dieses alles doch nur ein Traum ohne alle Möglichkeit der Verwirklichung. Am Eingang der Monarchie stünde ein Krieg an allen Grenzen, stünde der KampfGegründet im Okt. 1907, Wien bis H. 12/1933; ab H. 1/1934 vereinigt mit der Zs. Tribüne bis Mai 1938, Brünn/Brno; dan... gegen eine Koalition, unter deren Druck am ersten Tag die Kraft der beiden verstümmelten, lebensunfähigen Rumpfstaaten zusammenbräche. Im Blut eines Weltkrieges ist das völkerknechtende Haus der Habsburger untergegangen. Den Versuch seines Wiederaufbaues würden die Fluten eines neuen Koalitionskrieges wegschwemmen.
In: Arbeiter-ZeitungGegr. 1889, verboten 1934, illegal 1934-1938, 1938 verboten, neugegr. 1945, eingestellt 1991 Aus: Arbeiter-Zeitung, 12.... 23. November 1919, S. 1f.