Friedrich Austerlitz: Eine Republik ohne Republikaner (1918)
N.N. (Friedrich Austerlitz): Eine Republik ohne Republikaner
Gewiß, die Monarchie hat ausgespielt; aber sind die politischen Menschen darum Republikaner geworden? Sind sie erfreut darüber, den monarchischen Popanz losgeworden zu sein, stolz darauf, ihre Geschicke in ungehemmter Demokratie nun selbst bestimmen zu können? Die Republik ist doch nicht bloß eine Staatsform, eine bestimmte Einrichtung der Gewalten im Staate; sie ist in Wahrheit auch eine Lebensauffassung. Erst in der Republik ist Freiheit, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des Volkes restlos erfüllt, wogegen die Einrichtung der Monarchie, und sei sie geartet wie immer und bis zur Wesenlosigkeit abgeschwächt, eine Beeinträchtigung der souveränen Rechte des Volkes ist und bleibt. Die Republik ist die Würde des Volkes, der durch eine Institution, die ihren Ursprung außerhalb der Entscheidung des Volkes, über ihr und unabhängig von ihr sucht und setzt, schwerer Abbruch zugefügt wird. In einer Republik zu leben, muß der Stolz des Bürgers sein; die Monarchie ist Entmündigung, Unfreiheit, Knechtschaft. Empfinden das die Bürger in Deutschösterreich?
Die Monarchie ist in Oesterreich, wie überall in Schmach und Schande versunken, und ihre Unmöglichkeit und die Unmöglichkeit ihrer Wiederherstellung leuchtet wohl jedermann ein. Der Staatsgrund und der Befähigungsnachweis der Monarchie lag in Oesterreich-Ungarn darin, daß sie die vielen Nationen zusammenfaßte und zusammenhielt; da sie gerade an diesem Punkte ihre vollständige Unfähigkeit bewies, so hat sie ihre volle Zwecklosigkeit dargetan. Denn wenn die Dynastie das nicht zu leisten vermochte, wozu sie da war – und mit welcher Flucht von der habsburgischen Staatlichkeit ihre „Wirksamkeit“ geendet hat, weiß man -, wofür sollte man sie noch brauchen? Aber da wäre es um jeden Heller schade! Von den geheimnisvollen Kräften der Monarchie, mit der man die Gehirne schon in der Volksschule benebelt hat, ist doch gar nichts übrig geblieben; sie haben sich alle als eitel Blendwerk erwiesen. Die treue Armee und die getreuen Völker haben sich beide als Einbildung bewährt; die Vorstellung, dafür zu steuern, dafür Geist und Ehre herzugeben, auf daß ein junger Mensch, dem dazu überdies jede innere Begabung fehlte, den Monarchen darstellen kann, ist zum Schluß jedem peinlich geworden. Womit könnte man es denn begründen – denn auf das einfältige Gottesgnadentum fällt doch heute niemand hinein –, daß sich Deutschösterreich den von allen anderen Nationen abgelehnten Kaiser noch einmal als Dynasten erküren soll? Brauchen wir ihn? Kann er zur Erhöhung unserer Wohlfahrt, zur Festigung unserer Zustände, zum Aufbau unserer Staatlichkeit das geringste beitragen? Welche wirkende Kraft könnte von ihm ausgehen? Würde er etwas anderes sein als eine Last, eine drückende Last schon deshalb, weil ihm zu dem Beruf, für den ihn angeblich eine unerforschliche Vorsehung bestimmt habe, doch auch alle Voraussetzungen und Fähigkeiten fehlen? Das alles ist so selbstverständlich, schon dem bescheidensten Nachdenken gewiß, daß der Besuch einer monarchischen Restauration an der inneren Unvernunft dieser Monarchie vorweg scheitern müßte – womit allerdings nicht gesagt ist, daß er nicht gewagt werden wird, weil nämlich die Monarchen und die Monarchisten das Unabänderliche nie mit Würde zu tragen wissen. Aber eine Heimstatt in den Gefühlen des Volkes wird diese Monarchie, die mit dem fürchterlichen Zusammenbruch geendet hat, nie mehr finden.
Aber wer aufgehört hat, ein Monarchist zu sein, ist noch lange kein Republikaner geworden. Denn von der Monarchie ist eine Aushöhlung des Geistigen und Sittlichen ausgegangen, die ihre Wirkungen bewahrt, auch wenn die Quelle versiegt ist. War nicht jeder dieser Bürgerlichen stolz darauf, zu dem Hofe in irgend eine Beziehung zu gelangen? War es nicht ihr aller höchster Ehrgeiz, einem Erzherzog oder gar dem Kaiser „vorgestellt“ zu werden? Wohl haben sie die absolute Richtigkeit dieser „Vorstellung“ immer faßlich gesehen, aber es ist ihnen doch immer ein Schauer über den Rücken gelaufen, vor der Majestät oder irgendeinem ihrer Vertreter zu stehen, und für jeden war es die beseligendste Erinnerung, von dem Kaiser „angesprochen“ worden zu sein. Sie sind ihr Leben lang gekrochen, innerlich gekniet, und nun sollen sie, weil die Majestät in Trümmern, aufrechte Menschen sein? Dieses deutsche Bürgertum ist immer Spalier gestanden; sehr oft wirklich, immer aber geistig; sein ganzes Wesen ist von Servilismus durchtränkt, und diese Speichellecker und Bauchrutscher sollen wir uns nun als stolze Republikaner vorstellen? Habt ihr schon einen Bürgerlichen gesehen, der nicht glücklich gewesen wäre, einen Orden, einen Titel, eine Auszeichnung, irgend etwas von dem zu erhaschen, dem allem der freie Mensch nur Verachtung entgegenbringt, das aber auf den Spießergeist als unerhörte Verführung gewirkt hat? Sind sie nicht alle wie besessen dem Adel nachgelaufen, war nicht jeder, auch der Politiker und Abgeordnete, von Glücksgefühl durchbebt, wenn er, was das Ziel seines Lebens war, das kleinste Adelsprädikat endlich erstrebert hatte? Und dieses Volk von kaiserlichen Räten und Hofräten, diese Menschen , die, wenn sie die Anrede Exzellenz gebrauchen können, vor Vergnügen schnalzen, diese kleinen und windigen Seelchen sollen nun den Stolz des freien Mannes empfinden, sollen Republikaner sein, was die Verachtung all des äußerlichen Krimskrams bedeutet, in dem sie ihr ganzes Leben hindurch aufgegangen sind? Auf den Schildern kann man den k. k. Hoflieferanten unschwer auskratzen, aber den byzantinischen Geist, die innerliche Verlotterung auszuscheiden, die sich als Wirkung der monarchischen Institution eingefressen hat, diesen ganzen ungeistigen Sumpf trocken zu legen wird lange Zeit brauchen. Dazu gehört freilich vor allem, mit all den Elementen der monarchischen Verführung aufzuräumen, das Ideal des schlichten Bürgertums von allen Verunreinigungen zu befreien, die die Monarchie, weil sie nur darin ihre Fundierung finden konnte, so üppig ausgestreut hat.
Und dazu gehört die Einrichtung des Adels mit allem, was drum und dran hängt, den Orden, Titeln und Auszeichnungen, aus denen die Monarchie geradezu ein Mysterium gemacht hat. Die Monarchie abschaffen und ihre Auswüchse bestehen lassen, hieße wirklich halbe und darum vergebliche Arbeit tun. Wie soll die demokratische Rechtsgleichheit gegründet werden, wen der Adel, der doch ihre Verhöhnung und Verneinung ist, aufrecht bleibt? Wie sollen wir ein freies Volk werden, wenn wir den ganzen Unrat der Vergangenheit weiterschleppen? Man sage nicht, daß das nur ein äußerliches Ornament sei und man ihm zu viel Ehre erwiese, wenn man sich nur seine Abschaffung bemühte. Das Aeußerliche hat auf die Vielzuvielen, aus denen leider Gottes das gegenwärtige, von der Monarchie durchseuchte Geschlecht besteht, eine große Gewalt, und für die Vertiefung und Vergeistigung der Republik ist es unerläßlich, diese Macht des Aeußerlichen, des Ungeistigen und Unmoralischen zu brechen. Eine demokratische Republik, die durch den unaufhaltsamen Gang der Entwicklung schon morgen eine soziale Republik sein wird, kann den vergiftenden und verderbenden Pomp und Prunk der überwundenen Vergangenheit nicht dulden; sie muß dem Bürger ein ganz anderes Ideal darbieten, das Ideal der Pflichterfüllung, der Selbstlosigkeit, der menschlichen Solidarität. Wenn wir alle Vorrechte der Geburt verneinen: warum das unmittelbarste Vorrecht der Geburt, das doch eine Erhöhung über die anderen sein will, dulden und fortschleppen? Wir wollen den Sinn der Menschen neuen Idealen öffnen; wie sollen dann die Verlockungen der alten Zeit bestehen bleiben? Wohl wissen wir, daß die wirkliche Macht heute gar nicht mehr bei den „historischen Klassen“ ruht und daß insbesondere der KampfGegründet im Okt. 1907, Wien bis H. 12/1933; ab H. 1/1934 vereinigt mit der Zs. Tribüne bis Mai 1938, Brünn/Brno; dan... des Proletariats vor allem auf die Entthronung des Mammons gerichtet sein muß, daß es noch lange nicht ausreicht, den Kaiser zu beseitigen, vielmehr die härteste Aufgabe noch vor uns steht: Zerreißung der Fesseln des Kapitals, die die drückendsten und schmerzhaftesten sind. Aber die Vorarbeit ist eben die Begründung der Demokratie, ihre Auswirkung durch den ganzen Gesellschaftskörper hindurch und dazu ist unumgänglich, daß mit dem Dünkel, mit den Vorurteilen und Einbildungen der alten Zeit Schluss gemacht wird. Es muß rein und hell werden in der Welt.
Die Republik braucht Republikaner; mit jenen Zweifelhaften und Zweideutigen, die sich mit der neuen Ordnung „abfinden“, ist ihr nicht geholfen. Deshalb muß die Republik für die neue Staatsform, die auch eine neue Lebensauffassung ist, wirken und werben. Wir müssen aus dem öffentlichen Leben alles Falsche und Niedrige entfernen, die ganze Bibelvorstellung von der Entwicklung der Menschheit, wie sie insbesondere in der lumpigen bürgerlichen Geschichtsschreibung, niedergelegt ist, weit von sich weisen, dem Volke den Vorrang in allen Empfindungen verschaffen. Eine solche Reinigung tut auch innerlich not; der Monarchismus hat nicht umsonst Jahrhunderte gelebt, einen ganzen Gedankenkreis um sich gelagert, als daß die Ansteckung, die von ihm ausgeht, nicht tiefer gegangen wäre. Die deutschösterreichische Republik macht deshalb einen so unerquicklichen Eindruck, weil man es allzu deutlich fühlt, daß einem gewissen Bürgertum, die Herren Nationalräte eingeschlossen, ferner Stolz auf diese große Errungenschaft fehlt, den sie vollauf verdient. Aber in den breiten Massen des Volkes ist das Gefühl für diesen gewaltigen Fortschritt lebendig, und die Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung werden ein großes Bekenntnis zu der neuen Zeit werden.
In: Arbeiter-ZeitungGegr. 1889, verboten 1934, illegal 1934-1938, 1938 verboten, neugegr. 1945, eingestellt 1991 Aus: Arbeiter-Zeitung, 12...., 24.11.1918. S. 1f.