Ea von Allesch: Tanz und Mode (1920)
Ea von Allesch: Tanz und Mode
Ganz genau läßt es sich kaum feststellen, ob die Mode den Tanz oder dieser die Mode beeinflußt. Wahrscheinlich unterstützen sie sich gegenseitig und stammen beide aus engverwandten seelischen Gebieten, welche besser nicht näher untersucht werden sollen. Jedenfalls, ob du nun tanzt oder ob du nicht tanzt, verehrte Leserin, du mußt ein Tänzerinnengewand anlegen, wenn du dich dem herrschenden Modeprinzip unterwerfen willst. Sich der Mode anzupassen war aber von jede rigueur und sozusagen mitnichten abenteuerlich. Heute aber wirst du einfach durch die Mode umqualifiziert; du bist angezogen wie eine „Tänzerin“, die mit ihren Prächten bestechen will, nicht wie eine Dame, die tanzt. Tänzerinnenkleider können sehr schön sein, und sie sind es auch jetzt, darüber ist gar kein Wort zu verlieren; früher aber mußten die Tänzerinnen schön sein.
Die Mode, die fast nur ein Stückchen Rumpf verhüllt, Arme, Beine, Brust und Rücken frieren in ihrer Blöße, rechnet eigentlich sehr mit „Reizen“, doch es bleibt zumeist bei der idealen Forderung. Es steht zu erwarten, daß wir einer sehr unerotischen Ära entgegengehen, so abgestumpft werden die betreffenden Männeraugen durch die allzu große Freigebigkeiten im Zurschaustellen von holder und unholder Weiblichkeit. Doch wird ein zukünftiges Nonnenkleid das wieder gutmachen.
Dieses Tänzerinkostüm also ist ohne Ärmel und fast ohne Taille, eigentlich nur kärgliche Erinnerung an eine Corsage. Der Rock soll länger und weiter werden, doch merkt man noch wenig; wir tanzen noch kniefrei. Die Farben dagegen sind betörend sozusagen. Der Expressionismus hat da seine Hand im Spiel, wenn er überhaupt Hand und Fuß hat. Ein eigener Farbentiteldichter wäre nötig, um den verschiedensten Nuancen zwischen den uns gewohnten Farben gerecht zu werden. Silber mit Blau wie seligen Rokoko ist Trumpf.
So ein Tanzkleid, und jedes Abendkleid ist ein Tanzkleid, ist wirklich verführerisch. Zumeist hat es noch seitliche Drapierung, die aber nur aus Silberspitze, Tüll oder Pannestreifen besteht und sehr zart und zufällig wirkt. Auch das Stückchen Corsage ist aus Silberspitze, Tüll oder Brokat, und die Verbindung wird durch eine Perlenkette oder einen Pelzstreifen hergestellt, der über die Achsel führt. Volantkleider aus Tüll mit Silberstrickerei oder Mousseline de soie mit einem Panne- oder Satinleibchen sind wieder ganz modern.
Sehr phantastisch und dekorativ sind die Hüte. Neu die Verbindung von Silber- und Goldbrokat auf feurigem Farbengrund in Seide mit Pelz. Der ist immer weich und kappenartig, auch wenn der Hut breit ist, und wird dann mit Reiher oder Straußfeder geputzt. Originell sind die zahllosen weichen Kappen aus Brokat mit Pelz, mit Lack, mit Musselin oder aus grellfarbigem Panne, und die vielen legeren Wollkappen in den freudigsten Farben. Es wird gestickt und appliziert und gehäkelt, kurz, es tut sich sehr viel in der Hutbranche, und es ist kein Wunder, wenn die Moral von der angestachelten Sehnsucht nach diesen schönen Dingen etwas beiseitegedrängt wird.
Nie sah man so schöne und originelle Kostüme aus Stoffen, deren Oberfläche einen Hauch von in die Luft aufgelöster Farbe haben, mit minderwertigem, aber im Ton des Stoffes glänzend gefärbtem Pelz. Zumeist lang, weit, paletotartig mit Stehkragen, der oft mit einer Krawatte aus demselben Stoff gehalten wird, und Applizierungen aus Stoff- und Pelzstreifen zeigen sie viele neue und originelle Nuancen.
Ein Kapitel für sich wäre ein Bericht über die Wolljacken und -westen mit Schals und Mützen, die eine große Industrie geworden sind. Die Wolljacken sind Mäntel geworden, immer zweifarbig und sehr zärtlich bedacht von der Mode. Überhaupt es ist alles wieder da – ein Fläschchen Parfüm Houbigant kostet jedoch 2500 Kronen.
In: Moderne Welt, Unsere Pariser Modebeilage, Heft 9, 1920, S. 41f.