Geb. 1.10. 1892 in Hirschberg (Deutsches Reich, heute: Jelenia Góra, Polen), gest. (Freitod) 12.12.1941 in Moskau. Ärztin, Feuilletonistin, Kritikerin.

Materialien und Quellen:

(in preparation)

geb. am 7.5.1892 in Lemberg (heute L’viv, Galizien/Ukraine) – gest. am 2.4.1953 in Los Angeles; Reformpädagoge, Psychoanalytiker, Drehbuchautor, Exilant

Bernfeld wuchs als erstes von drei Kindern in gesicherten Verhältnissen auf; sein Vater war der jüdische Tuchgroßhändler Isidor Bernfeld, seine Mutter Hermine Schwarzwald-Bernfeld. Nach Übersiedelung der Familie nach Wien wuchs B. dort auf u. legte 1911 die Matura ab, um danach an der Univ. Wien bis 1915 Biologie, Geologie, Pädagogik, Psychologie u. Philosophie zu studieren und zum Dr. phil. mit der Arbeit Über den Begriff der Jugend zu promovieren. 1912 gab er bereits mit George Barbizon (Berlin) die Zs. Der Anfang. Zeitschrift der Jugend heraus u. betätigte sich als Vortragender u. Kursleiter im Volksheim (Ottakring), wo er z.B. am 1.2.1914 über J.G. Fichte hielt. Im April 1914 bot er für den Allgem. österr. Frauenvereins einen Vortrag über Frauenbewegung – Jugendbewegung an u. wurde dabei in der Zs. Neues Frauenleben (H 4/1914,107) als „jugendlicher Führer der Wiener Jugendbewegung“ tituliert. 1915 nahm er erstmals an Sitzungen der Wiener Psychoanalyt. Vereinigung teil u. wurde, auch von S. Freud gefördert, 1919 deren ord. Mitglied. Ab H.2/1916 findet sich B. als Beiträger in der von M. Buber hg. Zs. Der Jude. 1917 näherte er sich der zionist. Bewegung an u. organisierte im Mai 1918 einen zionist. Judentag, allerdings an einem Sabbat, was der anwesende M. Buber kritisch kommentierte. Zur selben Zeit ist er auch Hg. der jüd. Zs. Jerubbaal (April 1918- März 1919), die im jüd. R. Löwit-Verlag erschien, aber aus finanz. Gründen ihr Erscheinen einstellen musste. In der Übergangsphase von der Monarchie zur Republik engagierte sich B. auch im sog. Jüdischen Nationalrat u. fungierte als Kommandant der Jüdischen Selbstwehr. 1919 engagierte sich B. in mehreren Jugend- und Studententagen mit zionist. Ausrichtung, an denen auch bekannte Exponenten des Zionismus wie H. Bergmann oder R. Weltsch teilnahmen sowie am Projekt des Kinderheims Baumgarten, das vom American Joint Distribution Committee unterstützt wurde u. Ausgangspkt für die 1920 erfolgte Grd. des Jüdische[n] Institut für Jugendforschung und Erziehung war. 1920 erschien auch seine Schrift Das jüdische Volk und seine Jugend; 1920-21 war B. zudem als Sekretär von M. Buber tätig, u.a. auch für dessen Zs. Der Jude. 1922 eröffnete B. auf Anraten u. Förderung durch S. Freud eine psychoanalyt. Praxis in Wien u. widmete sich in den Folgejahren in zahlr. Vorträgen der Freudschen Psychoanalyse.

1924 wechselte B. von der zionist. Bewegung zur sozialdemokrat. Partei, was in der jüd. Wiener Morgenzeitung ebenso heftig kritisiert wurde wie in bürgerl. Blättern. 1925 ersch. seine Schrift Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung, die auf große Resonanz stieß, weil sie u.a. eine Synthese aus Marxismus u. Psychoanalyse als wesentliche Fundamente pädagog. Arbeit behauptete. Zugleich hielt er am neugegr. Lehrinstitut der Wiener Psychoanalyt. Vereinigung den Einführungskurs zur Psychoanalyse. Gemeins. mit F. Zoref besorgte er auch die deutsche Übers. des Western-Romans von D. Clifford Pretty Polly and the Prairie unter dem Titel Das Lassomädel. In dasselbe Jahr fällt auch seine Übersiedelung nach Berlin. Im Sept.Heft des Kampfes 1926 veröffentl. er den programmat. Essay Sozialismus und Psychoanalyse; im Dezember mischt er sich auch in die Schmutz- und Schunddebatte ein und tritt erstmals im Programm von Radio Wien auf. 1927 trug er u.a. zum Sonderheft der Zs. für Psychoanalyt. Pädagogik (Thema: Sexuelle Aufklärung) bei, befasste sich in der Zs. Praxis mit dem Massenproblem und sozialist. Erziehung, betätigte sich als Übersetzer von Feuilletons von G. Clifford in der Salzburger Wacht, in der auch am 10.2.1927 sein Jazz-Feuilleton erschien, ferner in der AZ, Die Bühne und das NWJ (insgesamt über 20), war somit trotz Wohnorts Berlin in Österreich überaus präsent. 1928-29 wandte er sich wiederum dem Film verstärkt zu (Liebe im Mai, den F. Rosenfeld am 20.9. 1928 in der AZ gnadenlos verriss, ebenso Nachtlokal im darauffolgenden Jahr), betätigte sich aber auch als Literaturkritiker, Herzmanovsky-Orlandos Roman Der Gaulschreck im Rosennetz besprechend, und weiterhin als Übersetzer, 1929-30 v.a. von Texten von Henry O‘Hara. 1930 verf. B. gem. mit Robert Wohlmut als Regisseur den Film Lebende Ware, der von der Verleihfirma so verstümmelt wurde, dass sich die beiden zu einer Distanzierung von der Kinofassung gezwungen sahen. Im selben Jahr konnte der als Gemeinschaftsprod. der neugegr. Arbeitsgemeinschaft Neuer Film außerhalb des kommerz. Filmbetriebs Der Vagabund gedreht werden, den F. Rosenfeld als den „erste[n] österreichischen Avantgardefilm“ begrüßte. 1931 folgt der mit Arthur Berger verf., von Rosenfeld angesichts der Sascha-Produktionen durchaus begrüßte Tonfilm Die große Liebe. 1931-32 arbeitete er maßgeblich am Berliner Psychoanalyt. Institut mit u. mit Kurt Lewin zusammen. Zu seinem Bekannten- und Diskussionszirkel gehörten auch Th. W. Adorno, M. Horkheimer, W. Reich u.a.m. 1933 kehrte B. nach Wien zurück; zuvor war er noch mit dem Drehbuch des vom Völkerbund finanz. Films Der Haß, der stirbt betraut worden; ein Projekt, das jedoch nicht zustande kam. 1934 emigrierte er mit seiner Frau Suzanne Cassirer nach Menton (Südfrankreich), hielt aber noch Kontakt zu Wien, 1937 dann über London in die USA, wo er sich in San Francisco ansiedelte u. in den 1940er Jahren an der Medical School der Univ. of California tätig wurde.


Weitere Werke

Die neue Jugend und die Frauen (1914); Kinderheim Baumgarten (Berlin 1921); Psychologie des Säuglings (1925); Das Wolgamädchen (Stummfilm, 1930); Die vom 17er Haus (Drehbuch, gem. mit A. Berger, 1932)

Zionismus und Jugendkultur. = Werke Bd.3 (= Essays 1916-22), hg. von U. Hermann, W. Fölling, M. Fölling-Albers; Gießen 2011.

Quellen und Dokumente

Das Kind braucht keinen Schutz vor Schund. In: Arbeiterwille, 12.12.1926, S. 14, Sozialismus und Psychoanalyse. In: Der Kampf (1926), H. 9, S. 385-389, Ueber sexuelle Aufklärung. In: Arbeiterwille, 24.7.1927, S. 9, Jazz im Prater. In: Salzburger Wacht, 23.4.1928, S. 5, Der Gaulschreck im Rosennetz. Roman von Fritz von Herzmanowsky-Orlando. In: Salzburger Wacht, 13.6.1928, S. 6, Warum ich gegen den Sprechfilm bin. Aus einem Gespräch mit Charlie Chaplin. In: Salzburger Wacht, 8.3.1930, S. 9, J. U.: Der jüdische Jugendtag und wir. In: Jüdische Korrespondenz, 23.5.1918, S. 5, Zum jüdischen Erziehungsproblem. In: Wiener Morgenzeitung, 5.6.1921, S. 4f., F. S.: Ueber Psychoanalyse. In: Neues Wiener Tagblatt (Abendausgabe), 14.12.1923, S. 4, N.N.: S. B.: Sysiphos oder die Grenzen der Erziehung. In: Die Mutter, 16.12.1925, S. 13f., Inserat zu Liebe im Mai. In: Österreichische Film-Zeitung, 26.5.1928, S. 3, Verstümmelung eines Films durch die Verleihfirma. In: Das Kleine Blatt, 3.1.1930, S. 9, Fritz Rosenfeld: Der Vagabund. In: Arbeiter-Zeitung, 20.4.1930, S. 24f., Inserat zu Die große Liebe. In: Das Kino-Journal, 7.11.1931, S. 10, Fritz Rosenfeld: Filme der Woche [zu Die große Liebe]. In: Arbeiter-Zeitung, 25.12.1931, S. 9f.

Cover zu: Das jüdische Volk und seine Jugend [online verfügbar]

Nachlass: Library of Congress (Washington); Deutsche Nationalbibliothek (EB 96/274)

Literatur

L. Utley: Siegfried Bernfeld’s Jewish Order of Youth 1914-1922. In: Yearbook. Leo Baeck Institute 24(1979), 349-368; Karl Fallend, Johannes Reichmayr (Hgg.): Siegfried Bernfeld oder die Grenzen der Psychoanalyse. Basel-Frankf./M 1992; Armin A. Wallas: Die Zeitschriften Jerubbaal (1918/19) und Esra (1919/20) als Sprachrohr und Diskussionsforum der zionist. Jugendbewegung in Österreich. In: Ders.: Österreichische Literatur-, Kultur- und Theaterzeitschriften im Umfeld von Expressionismus, Aktivismus und Zionismus. Hg. von A. Lauritsch. Wuppertal 2008, 133-185; Peter Dudek: ›Er war halt genialer als die anderen.‹ Biografische Annäherungen an Siegfried Bernfeld (2012).

Roland Kaufhold: S. B. oder Die Grenzen der Psychoanalyse. In: haGalil.com, 18.10.2010, R. K.: Jugendbewegt. Der Zionist, Reformpädagoge und Psychoanalytiker. In: Jüdische Allgemeine, 30.8.2012.

(PHK)

Geb. 6.3. 1890 als M. Weisel in Wien, gest. 19.8. 1984 in Cresskill/ New York (USA). Frauenrechtsaktivistin, Juristin, Herausgeberin, Sachbuchautorin.

Materialien und Quellen:

Eintrag in ÖBL;

M.B.: Die Frau im österreichischen Recht (1). In: Die Moderne Frau, H. 11/1927, S. 2-3;

(PHK, in preparation)

geb. als Hugo Maximilian Bettauer am 18.8.1872 in Baden – gest. am 26.3.1925 in Wien; Schriftsteller, Journalist, Herausgeber.

B., Sohn eines ostjüdischen Börsenarrangeurs, konvertierte noch vor Vollendung des 18. Lebensjahres zur Evangelischen Kirche. Nach fünf Monaten vom Einjährig-Freiwilligen-Militärdienst desertiert, wanderte B. nach ersten journalistischen Versuchen in Zürich in die USA aus, wo er durch Fehlinvestitionen sein väterliches Erbe verlor und 1899 als mittelloser amerikan. Staatsbürger nach Europa zurückkehrte.

Bereits im Zuge der darauffolgenden redaktionellen Übernahme des Lokalteils der Berliner Morgenpost erregte B. durch reißerische und dekuvrierende Texte öffentliche Aufmerksamkeit, die 1901 zu einer Verbannung aus Preußen führte. Nach einem weiteren Aufenthalt in Amerika und Veröffentlichung erster erfolgreicher Fortsetzungsromane im New Yorker Morgenjournal, ausgerichtet auf Schicksale deutschsprachiger Einwanderer, kehrte B. 1910 nach Österreich zurück und fand nach Mitarbeit bei der Zeit in der Redaktion der Neuen Freien Presse von 1914 bis 1918 Anstellung. B.‘s Aufenthalte in den USA veranlassten ihn als einen der ersten deutschsprachigen Autor des 20. Jhds. sich dem Diskurs der ‚Rasse‘ in den USA (Das blaue Mal, 1922) einlässlicher zuzuwenden.

Ab Anfang der zwanziger Jahre widmete sich B. neben journalistischen Arbeiten wie sozialen Feuilletons für den Morgen und den Tag erneut meist als Fortsetzungen abgedruckten Romanen, u.a. im Tagblatt. Diese waren auch in ihren filmischen Adaptionen erfolgreich u. z.T. Meilensteine für Filmkarrieren, z.B. für G. Garbo. Klare, zeithaltige Sprache und dynamische urbane Topographien kennzeichnen B.s. Werke, in denen Fiktion und Realität eng verwoben werden. Erkennbar ist dies etwa am häufig genutzten Motiv des Verlustes aller Privilegien bzw. Sicherheiten wie bereits in seinem 1920 ersch. Roman Hemmungslos, der 1921 in der Regie von Karl Ehlich auch als (Sensations)Film angekündigt und zu sehen war. In den durch präzise Beobachtungsgabe geprägten Zeitromanen (Das entfesselte Wien. Ein Roman von heute oder Die Freudlose Gasse. Ein Wiener Roman aus unseren Tagen, beide 1924) lässt sich durch die Spiegelung der Atmosphäre Wiens samt ihren gesellschaftl. Polarisierungen neben einfachen Bürgern, neben Deklassierten, Kriegsopfern u. Hasardeuren auch Repräsentanten der zeitgenöss. Tagesprominenz finden, deren offensichtliche Bloßstellung den öffentlichen Diskurs anfachte. Die daraus entstehenden Kontroversen verschärften sich durch den als satirisch-kritische Antwort auf den gängigen Antisemitismus gedachten, aus heutiger Sicht erschreckend visionären und gleichzeitig meistverkauften Roman B.s Die Stadt ohne Juden (1922) und spitzten sich mit Erscheinen der Zeitschrift Er und Sie. Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik (1924), nach Beschlagnahmung derselben als Bettauers Wochenschrift. Probleme des Lebens fortgeführt, weiter zu. Insbesondere christlichsozial und deutschnational gesinnte prangerten das von B. und Rudolf Olden herausgegebene sexualaufklärerische Magazin, das sich u.a. dem Recht auf Abtreibung und Straffreiheit für Homosexualität verschrieb hat, an.

B. wurde am 10. März 1925 vom Nationalsozialisten Otto Rothstock in seiner Redaktion in der Langen Gasse niedergeschossen und erlag zwei Wochen später seinen Verletzungen. Er ist somit das erste Opfer von NS-motivierter politischer Gewalt in Österreich, was auch in Nachrufen u. der publizistischen Debatte explizit zum Ausdruck kam.


Weitere Werke (Auswahl)

Im Banne von New York (1907); Aus den Tiefen der Weltstadt (1907); Faustrecht (1919); Bobby oder die Liebe eines Knaben (1921); Die drei Ehestunden der Elizabeth Lehndorff (1921); Der Herr auf der Galgenleiter (1922); Der Frauenmörder (1922); Der Kampf um Wien. Ein Roman vom Tage (1923); Der Tod einer Grete und andere Novellen (1926); Geschichten aus dem Alltag (1926)

Quellen und Dokumente

(Plakat zu: Hemmungslos-Verfilmung) In: Neue Kino-Rundschau, 5.3.1921, S. 9; H. Bettauer: Sie will filmen (Feuilleton, mit Bezug auf M. Neufeld). In: Der Morgen, 17.10.1921, S.5-6; Aus dem Nachlass Franz Brümmer: Hugo Bettauer. Autobiographie, Kritik zu Drei Ehestunden der Elisabeth Lehndorff. In: Wiener Montags-Journal, 25.07.1922, S. 5, Sternberg, Julian: Bücher, von denen man spricht. Hugo Bettauer: „Die Stadt ohne Juden“. Ein Roman von übermorgen. In: Die Moderne Welt, 5.Jg., Heft 9, 1923, S.18 und 31, Ankündigung des Roman-Abdrucks Die freudlose Gasse. In: Der Tag, 17.10.1923, S. 5; Kritik zu Die freudlose Gasse. In: (Linzer) Tages-Post, 02.03.1924, S. 22, Hugo Bettauer über Die freudlose Gasse. In: Tagblatt, 15.03.1924, S. 6, Der Pornograph Bettauer. In: Reichspost, 19.03.1924, S. 6, Über einen Vortrag Bettauers in der „Urania“. In: Prager Tagblatt, 09.11.1924, S. 8, Kritik zu Hemmungslos. In: Wiener Montags-Journal, 24.12.1924, S. 17, Hugo Ignotus (Béla Balázs): Bettauer – eine Wiener Erscheinung. In: Die Bühne 1925, H.20, S.20f., Hedda Wagner: Hugo Bettauer, der Vielgehaßte. In: Tagblatt, 11.01.1925, S. 17, Mörder und sein Ende. Das Attentat gegen den Schriftsteller Bettauer. In: Neue Freie Presse, 11.03.1925, S. 1, Der Tod Hugo Bettauers. In: Neue Freie Presse, 16.03.1925, S. 18, Max Winter: Zum Tode Hugo Bettauers. In: Die Unzufriedene, 11.04.1925, S.2f.

Nachlass: Teilnachlass Rudolf Olden

Literatur

Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 7: Film, Theater, Literatur, Kunst. (2015), Guntram Geser: Hugo Bettauer: Journalist, Unterhaltungsliterat und „Film-Autor“. In: Die Stadt ohne Juden. Österreich 1924. Regie: Hans Karl Breslauer. Hrsg. Guntram Geser und Armin Loacker (2000), 37-54, Murray G. Hall: u.a. Der Fall Bettauer (1978), Hugo Bettauer. In: Das jüdische Echo (Wien), 1, September 1983, 91-93; Peter Herz: Leben und Tod von Hugo Bettauer. In: Illustrierte Neue Welt 3 (1982); Peter Höyng: „Ich seh‘ schwarz“ – „Ich weiß“. Zum rassischen Diskurs der Moderne anhand von Hugo Bettauers Bildungsroman Das blaue Mal. In: P.-H. Kucher, Julia Bertschik: Baustelle Kultur. Diskurslagen in der österreichischen Literatur 1918-1933/38 (2011), 435-452; Siegfried Mattl: Hugo Bettauers Roman „Das blaue Mal“ – Afro-Amerikanismus als Wiener Utopie. In: Zeitgeschichte 35.2 (2008), 80-88; Stephanie Müller: Ein Provokateur aus Leidenschaft. Der österreichische Schriftsteller Hugo Bettauer. In: Kritische Ausgabe 21 (2011), S. 93-98; Clemens Peck: Hugo Bettauer (1872-1925). In: Literatur und Kritik 46 (2012), 3, S. 101-109; Evelyne Polt-Heinzl: Hugo Bettauer: Hemmungslos. In: Österreichische Literatur 2009. Ein Pressespiegel. Zusammengestellt von Sabine Schuster und Astrid Wallner (2010), S. 17; Alexandra Rabl: Hugo Bettauers Wien: Stadtromane der Zwischenkriegszeit. Dipl.Arbeit, Wien, 2013 [Online verfügbar]; Sigurd Paul Scheichl: Judentum, Antisemitismus und Literatur in Österreich 1918-1938. In: Hans Otto Horch u.a. (Hg.): Conditio Judaica. Teil 3: Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom Ersten Weltkrieg bis 1933/1938 (1993), 55-90.

Murray G. Hall: Ein Abend für Hugo Bettauer; Über Leichen. In: Der Spiegel, Nr. 7, 1982, S.189-191; Gerald Lind: Hugo Bettauer: Die freudlose Gasse. Literaturhaus.at, 10.10.2011; Elena Messer: Hugo Bettauer: Stadt ohne Juden. Literaturhaus.at, 03.05.2012; Evelyne Polt-Heinzl: Hugo Bettauer: Der Frauenmörder. Literaturhaus.at, 03.12.2002.

(SK)

Geb. 9.1.1873 in Radin, nahe Shytomyr (Russisches Reich, heute: Ukraine), gest. 4.7. 1934 in Wien. Journalist, Kritiker, Schriftsteller (jiddisch u. hebr.) u. Übersetzer, Verleger.

Materialien und Quellen:

Nachruf von Emanuel bin Gorion (ersch. in der Zs. Der Morgen, August1934), zit. nach haGalil.com; Eintrag in: Jewish Virtual Library;

(PHK, in preparation)

geb. am 23.8.1877 in Wien – gest./ermord. am 26.5.1942 im KZ Maly Trostinec bei Minsk; Musikwissenschaftlerin und -kritikerin

Als älteste Tochter des aus Krakau stammenden Advokaten Heinrich Bienenfeld und seiner Ehefrau Viktoria (geb. Schmelkes) besuchte B. zunächst das Mädchengymnasium in Wien und legte 1898 die Externisten-Matura am Akademischen Gymnasium Wien ab. Im Anschluss erfolgte ein Studium der Musikwissenschaft bei G. Adler an der Universität Wien, wo sie 1903 als erste weibliche Absolventin dieses Faches in Österreich auch promovierte. B. erhielt Privatunterricht in Musiktheorie und Komposition bei Alexander Zemlinsky und Arnold Schönberg. 1904 wurde B. Mitglied der Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich (DÖT); ab 1906 arbeitete sie als erste Musikkritikerin (Rezensionen, Porträts, Glossen) beim Neuen Wiener Journal.

1908 schrieb sie zur Aufführung Schönberg-Quartetts und entgegnete damit dessen Kritikern: „In der Kunst gibt es keinen Stillstand ebensowenig wie es Revolutionen gibt. Diejenigen, die an der Hand konventioneller Redensarten die Meisterwerke der Vergangenheit zu hören gewohnt sind, sind die ersten, die bei der geringsten Änderung Todesgefahren wittern. Es sind noch jedesmal, sobald eine neue Erscheinung auftrat, die Genies vergangener Zeiten als beleidigte Götter aufgerufen worden.“ (Bienenfeld, in: Neues Wiener Journal, 25.12.1908, S. 25) B. setzte sich für die Zweite Wiener Schule ein und bekannte sich außerdem zur Reformpädagogik. Gemeinsam mit Schönberg und Zemlinsky unterrichtete sie zeitgenössische Musik und Musikgeschichte am Lyzeum von Eugenie Schwarzwald. Zwischen 1906 und 1918 hielt B. Vorträge an der Wiener Urania und im Wiener Fortbildungsverein. Ab 1932 war B. nur noch freiberuflich für die Neue Freie Presse und das Neue Wiener Tagblatt tätig. B. wurde am 20.5.1942 von Wien in das KZ Maly Trostinec deportiert und dort am 26.5.1942 ermordet. B.s Schwester Bianca (1879-1929) war Gynäkologin und starb 1929 bei einem Zugunfall in Loifarn. Elsa B., die sich gemeinsam mit ihrer Schwester auf der Rückfahrt der Salzburger Festspiele befand, wurde bei dem Unglück nur leicht verletzt. Ihr jüngerer Bruder Franz Rudolf (1886-1961) war seit 1915 als Rechtsanwalt in Wien tätig und offizieller Berater der österreichischen Regierung. Zu F.R B.s Freundeskreis zählten u.a. Arthur Schnitzler und Sigmund Freud. Das von ihm unter dem Pseudonym Anton van Miller verfasste Buch Deutsche und Juden galt als soziologischer Versuch, sich der nationalsozialistischen Ideologie zu widersetzen.

Kurt Sonnenfeld charakterisiert in Wiener Publizisten von heute (Wiener Montagspresse, 15.8.1921, S. 3f.; zit.n. E. Taudes, S. 103) Elsa Bienenfeld wie folgt: „Auf mädchenhaft zarten Schultern trägt Dr. Elsa Bienenfeld, die als Musikreferentin des NWJ und als Musikschriftstellerin wohl eine der bedeutendsten Erscheinungen innerhalb der Wiener Publizistik ist, die Last ihres verantwortungsvollen Berufes, der zwischen Wissenschaft und Kunst die Mitte hält. Sie verwaltet ihr kritisches Amt nicht, um Zensuren auszuteilen, sondern um der Kunst zu dienen, und läßt sich auch, was bei Frauen besonders anerkennenswert ist, niemals durch übel angebrachte Sentimentalität dazu beeinflussen, eine minderwertige künstlerische Leistung etwa aus Mitleid nachsichtiger zu beurteilen.“


Werke

Wolfgang Schmeltzl und sein Liederbuch (1544) und das Quodlibet des 16. Jahrhunderts. (= Phil. Diss.) Wien 1904

Quellen und Dokumente

Bienenfeld, Elsa: Anton Bruckner und die Wiener Universität. In: Neues Wiener Journal (NWJ), 8.10.1926, S. 3f, Außerordentliches Gesellschaftskonzert. In: NWJ, 25.11.1907, S. 4; Der Geiger. In: NWJ, 2.5.1921, S. 9; Die asketische Musik. Epilog zum „Modernen Musikfest“. In: NWJ, 5.11.1921, S. 2f; Die Ehe der Silben. In: NWJ, 1.8.1926, S. 11f; Die tote Stadt. In: NWJ, 11.1.1921, S. 3f; Engelbert Humperdinck. In NWJ, 29.9.1921, S. 3f; Ferruccio Busoni gestorben. Die künstlerische Persönlichkei. In: NWJ, 28.7.1924, S. 2; Goldmarks „Götz von Berlichingen“. In: NWJ, 19.5.1910, S. 1f; Konzerte. In: NWJ, 2.10.1922, S. 2; Musik. In: NWJ, 31.12.1923, S. 3; Musik des Wahnsinns. Donizettis dämonisches Schaffen. In: NWJ, 12.11.1927, S. 19f; Musikjahrmarkt. Epilog zur Wiener Musik- und Theatermesse. In: NWJ, 25.9.1921, S. 6; Paul Bekkers Mahler-Buch. In: NWJ, 1.3.1921, S. 3; Richard Mayr. In: NWJ, 3.4.1921, S. 5; Theater und Kunst. „Aschenbrödel.“ In: NWJ, 5.10.1908, S. 4; Theater und Kunst. Salzburger Festspiele. In: NWJ, 10.8.1927, S. 11; Zur Aufführung des Quartetts von Arnold Schönberg. In: NWJ, 25.12.1908, S. 24f;

Dozenten und Fächer der Fortbildungskurse. In: Jahresbericht des Mädchen-Lyzeums am Kohlmarkt, 1905, S. 51; Die Katastrophe von Loifarn. In: Reichspost, 23.8.1929, S. 6; Stein, W.: Anton van Miller: Juden und Deutsche. In: Die Stimme, 22.1.1937, S. 5;

Literatur

Fetthauer, Sophie: Elsa Bienenfeld. In: Maurer Zenck, Claudia/ Petersen, Peter (Hg.): Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (2006), [Online verfügbar], Hilscher, Elisabeth Th.: Bienenfeld, Elsa. In: Flotzinger, Rudolf (Hg.): Oesterreichisches Musiklexikon (Bd. 1), S. 148; Kornberger, Monika: Bienenfeld, Elsa (Elza). In: Oesterreichisches Musiklexikon online; Opfersuche: Elsa Bienenfeld. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Wiederstandes, online; Taudes, Eva: „Wien wir so unerträglich kleinstädtisch“. Elsa Bienenfeld (1877-1942). Werdegang und Wirken im kulturellen Wien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wien 2019, Wunberg, Gotthart (Hg.): Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910 (1982), S. 696; o. A.: Bienenfeld, Elsa. In: Heuer, Renate (Hg.): Lexikon deutsch-jüdischer Autoren (Bd. 2), S. 428; o. A.: Bienenfeld, Franz Rudolf. In: Heuer, Renate (Hg.): Lexikon deutsch-jüdischer Autoren (Bd. 2), S. 428ff.

(MP)

geb. am 20.7.1890 in Marienkirchen/Schärding – gest. am 7.6.1965 in Linz; Lyriker, Dramatiker, Drehbuchautor

B. wurde in eine Kaufmannsfamilie geboren, die auch eine Landwirtschaft betrieb und sollte, wie aus seinem autobiogr. Text Die Asche des Fegefeuers hervorgeht, kathol. Priester werden. 1902-6 besuchte er daher das Coll. Petrinum in Linz, verließ es jedoch und legte 1910 die Matura im Gymnasium in Ried i.I. ab. 1912 kam B. nach Aufenthalten in Kiel u. Berlin nach Wien, wo seine ersten Ged. in der Zs. der Volksbühne, Der Strom, erschienen. 1919 wurde durch die Wiener Komödienspiele B.s. Schausp. Nikolaus Tränkl erworben u. seine Auff. mit Grete Wiesenthal angekündigt. Die Bekanntschaft mit ihr führte B. in wichtige literar. Kreise ein, u. a. bei H. v. Hofmannsthal u. M. Mell; 1923 erschien sein erster Ged.bd. Über die Äcker, 1924 war er bereits in der Rowohlt-Anthologie Vers und Prosa, gem. mit F. Blei, O. Flake, R. Musil, E. Weiß, F. Werfel u.a. vertreten u. sein Spiel vom Knecht Teil des Wiener Festwochen-Programms. 1924 erhält B. auch den Preis der Stadt Wien, seit 1926 verbindet ihn eine Freundschaft mit C. Zuckmayer. Bis zu seinem Durchbruch mit dem Perchtenspiel anlässl. der Salzburger Festspiele im Juli 1928 konnte B. nur vereinzelt Beitr. in Anthologien wie z.B. Orplid (H.6/1926) oder in einem Widmungsbd. zum 50. Geburtstag von A. Kubin (1927) zum Abdruck bringen. 1929 folgte das Schauspiel Die Rosse (UA zunächst als Radiospiel bzw. im Residenztheater München 1931, Bühnenbild von Kubin), der Band Gedichte bei Insel und 1930 die Annahme von Rauhnacht durch das Burgtheater, dessen Aufführung jedoch nicht gewagt und erst nach der UA in München und dem Erfolg in Berlin im März 1932 gespielt wurde. Im selben Jahr erhielt B. gem. mit E. Lasker-Schüler den Kleist-Preis. Aufgrund akzentuierter triebhafter Körperlichkeit u. archaisch-dämonischer Züge sorgte auch der 1932 vorgelegte Dorfkindheitstext Die Asche des Fegefeuers für Irritation. Diese u. die bäuerliche Blut- und Boden-Welt bildeten einerseits Brücken zum Nationalsoz., andererseits erregten sie mit ihrer ambivalenten Bildsprache trotz großen Erfolgs beim Publikum Misstrauen, das zudem von B.s. Homosexualität, die 1935 zu einer Anklage und kurzen Haft führte, beständig genährt wurde. So wurde z.B. die Komödie Stille Gäste (1933) zunächst verboten, u. erst 1938 uraufgeführt, worauf der sich inzwischen in München u. ab 1935 in Berlin lebende Autor nach umstrittenen Schausp. wie z.B. Die Hexe von Passau (1935) verstärkt u. sehr erfolgreich dem Film zuwandte, Drehbücher (mit)verfasste, u.a. für Louis Trenker, oder mit Veit Harlan u. Werner Eplinius zusammenarbeitete. Als erfolgreichster Film gilt der aufwändige Farbfilm Die goldene Stadt (1942), der auf B.s. Drama Der Gigant (1937)  basierte, auf den jedoch auch Goebbels direkt Einfluss nahm u. der bis Ende 1944 über 12 Mio RM einspielen konnte. B.s. Rolle für die NS-Literatur-Politik schlug sich auch in mehreren Auszeichnungen nieder, u.a. 1942 im Gaukulturpreis u. 1943 im Raimund-Preis der Stadt Wien. Dem Film blieb B., auch aus finanz. Gründen, nach 1945 weiter verbunden, ohne freilich an die früheren Erfolge anknüpfen zu können. B., der 1938 im sog. Bekenntnisbuch vertreten war u. eine weitere  Grußadresse an Hitler veröffentlichte, beste Kontakte in der NS-Kulturpolitik hatte u. von ihr profitierte, aber der NSDAP nicht beigetreten war, konnte nach 1945 als Minderbelasteter gem. Entnazifizierungsgesetz von 1946 weitgehend unbehelligt in DL wie in Österreich weiterarbeiten. Seine erste öffentl. Lesung nach dem Krieg hielt er 1953 in Passau, die Auff. von Stücken verzeichnete dagegen nur mehr geringes Echo. 1961 wurde B. Mitglied der Bayrischen Akademie der Schönen Künste.    


Weitere Werke

Zwei Spiele. Spiel vom Knecht. Reise nach Ursprung (1932); Das Verlöbnis (1933); Das Schutzengelhaus. Roman (1934); Lehen aus Gottes Hand. Roman (1935); Nachtwache. Lieder u. Ged. (1935); Das verschenkte Leben (1937); Triumph des Gottes (1940); Das Spiel vom Erasmus Grasser. Eine Münchener Legende (1943); Paracelsus. Ein Salzburger Festspiel (1945); Das nackte Leben (1953); Würfelspiel (1960) Palast der Jugend. Aus dem Leben des Albin Leutgeb (1960).

Dokumente und Quellen

Hans v. Hammerstein: Ein Bauerndichter. In: Reichspost, 11.7.1926, S. 1f., Rudolf Holzer: Das Perchtenspiel. In: Wiener Zeitung, 31.7.1928, S. 2f.,: Wilhelm Wolf: Richard Billinger [mit Zeichnungen von L. Unger]. In: Radio-Woche, 5.4.1929, S. 6f., D. J. Bach: Ein Dichter hat gesiegt [Rez. zu Rauhnacht). In: Arbeiter-Zeitung, 19.3.1932, S. 6.

R. Billinger: Wir Bauern. Radiovortrag 1934, abrufbar unter mediathek.at.

Literatur

W. Bortenschlager: R. Billinger. Leben und Werk (1981); Ders.: Der unbekannte Billinger. (1985); M. Chobot: ja, ja, i schreib scho! Richard Billinger, der Radikal-Plagiator. In: Ders.(Hg.): Genie und Arschloch (2009), 177-193; K. Kastberger, D. Strigl (Hgg.): Heimat. Körper. Kunst. Richard Billinger Symposium (2014, mit Beitr. der Hgg. sowie von Th. Ballhausen, P.M. Dallinger, G. Hofer, M. Illetschko, B. Judex, St. Krammer, P.H. Kucher, E. Rabenstein, G. Scheit, J. Winkler) A. Klaffenböck: „Wie ein solcher Gesinnungswandel beurteilt werden müsse, geht aus dem Gesagten deutlich genug hervor.“ Überlegungen zum Dossier Zuckmayers über Richard Billinger. In: Zuckmayer-Jahrbuch 5(2002), 339-384; K. Müller: Probleme männlicher Identität bei R. Billinger. Homosexualität und Literatur während der NS-Zeit. In: U. Baur, K. Gradwohl-Schlacher, S. Fuchs (Hgg.): Macht Literatur Krieg. Österr. Literatur im NS (1998), 246-273; E. Rabenstein: Dichtung zwischen Tradition und Moderne. Richard Billinger (1988)

Arnold Klaffenböck: R. Billinger. Eintrag im Virtuellen Museum Oberösterreich.

(PHK)

Geb. 13.11. 1894 in Wien, gest. 9.12. 1956 in Amersfoort (NL). Lyriker, Karikaturist, Kritiker, Maler, Exilant

(in preparation)

Geb. 22.8. 1880 in Nagyvárad, k.k. Österreich-Ungarn (heute: Oradea, Rumänien), gest. 9.9. 1948 in London.

Drehbuchautor, Journalist, Librettist (Operetten), Politiker.

(in Vorbereitung)

Geb. 30.11.1886 in Budapest (urspr. Familienname: Weinberger), gest. 6.10. 1948 in Budapest. Grafiker, Bildhauer, Plakatkünstler, Exilant

Biró, der einer ungarisch-jüdischen Kaufmannsfamilie entstammte, absolvierte in Budapest die Königliche ungar. Kunstgewerbeschule und begab sich danach bis 1912 auf Reisen bis nach Großbritannien. Seine erste Ausstellung hatte er 1912 im Budapester Künstlerhaus. Von 1914 bis 1917 nahm er am Ersten Weltkrieg teil, aus dem er aufgrund gesundheitlicher Probleme vorzeitig freigestellt wurde. Er engagierte sich früh für soziale Belange und entwarf gesellschaftskritische Plakate; 1919 nahm er wie viele zeitgenössische ungarische Intellektuelle und Künstler am Experiment der Räterepublik aktiv teil, weshalb er im Herbst 1919 zur Flucht nach Wien gezwungen war. Dort entstand auch die aufwühlend-anklagende Plakatserie Horthy, welche die Gewalt der Gegenrevolution zum Thema hatte und in so unterschiedlichen Organen wie der Wiener Morgenzeitung, der Vorarberger Wacht sowie der Roten Fahne auf zustimmende Resonanz traf. Für den Wahlkampf der Sozialdemokratischen Partei des Jahres 1920 (später auch für jenen des Jahres 1927) zeichnete Biró eine Reihe von expressiven Plakaten. Daneben fertigte er auch Gebrauchsplakate an, z.B. 1922 für die Wiener Messe. 1924 trat er in die Redaktion der Zs. Die Bühne ein, für die er als „künstlerischer Leiter“ figurierte (H. 2/1924, S.4) und illustrierte, vermittelt durch H. Liebstöckl, auch Fortsetzungsromane für die Ztg Die Stunde bis Ende 1927. Gelegentlich verfasste er auch ironische Kurzerzählungen wie z.B. Auch ich war einmal ein Schieber (Die Bühne, H. 31/1927, 18-20). 1928 übersiedelte Biró nach Berlin, verbunden mit der Hoffnung auf bessere Verdienstmöglichkeiten, kehrte dann aber noch vor dem Machtantritt der NSADP 1932 nach Wien zurück. Am 27.2. 1930 druckte die Ztg. Der Abend sechs Lithographien aus dem Horthy-Zyklus von 1920 wieder ab (hier), woraufhin diese vom Staatsanwalt beschlagnahmt wurde, was zu einem empörten Leitartikel führt, aber auch zu einem Prozess, in dem – ein Beispiel politisch motivierter Rechtssprechung – die verantwortlichen Redakteure des Abend wegen „Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit“ (in Anlehnung an den 1929 modifizierten sog. Schmutz- und Schund-Paragraphen des StGB, insbes. betr. die Zeichnung „Bestien“) – in allen Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof (Urteilsbestätigung vom 23.10.1930) verurteilt wurden. Aufgrund seiner Sympathien für die Schutzbund-Kämpfer im Zuge des Bürgerkriegs vom Februar 1934 sah er sich zur Flucht in die Tschechoslowakei genötigt. Dort schlug er sich mit verschiedenen Gelegenheitsarbeiten durch, weil ihm die Horthy-Regierung die Einreise nach Ungarn, wo 1924 ein Prozess gegen ihn und anderen kulturell-künstlerischen Weggefährten der Räteregierung in Abwesenheit geführt wurde (mit Freispruch 1926 geendet), verweigerte. 1938 flüchtete Biró nach Paris, wo er die NS-Besatzung als Häftling in einem Spital überlebte, um 1947 wieder nach Budapest zurückzukehren.

Literatur und Materialien:

P. Noever, M. Diers (Hgg.): M. Biró. Pathos in Rot. (Ausstellungskatalog) Nürnberg (MAK- Studies 19) 2010; B. Denscher: Mihály Biro [2018]. (online verfügbar)

S.S.: M. Biró: Horthy. 20 Lithographien. In: Wiener Morgenzeitung, 1.8.1920, S. 8; N.N. M. Biró: Horthy (Anzeige) In: Rote Fahne, 12.11.1920, S. 4. Illustration zum FS-Roman Tod im Rennwagen von F.X. Kappus. In: Die Stunde, 10.3.1925, S. 11; Kuren ohne Kurtaxe. In: Die Bühne H. 37/1925, S. 11; F. Heller, M. Biró: Mama und Tochter gehen auf den Ball. In: Die Bühne H. 61/1926, S. 34; M.B.: Abenteuer eines frohen Festsängers in Wien. In: Die Bühne, H. 193/1928, S. 28-29; Die schamlose Konfiskation (Leitartikel). In: Der Abend, 28.2.1930, S. 1; Horthy führt Prozeß gegen den ‚Abend‘. In: Der Abend, 24.10.1930, S. 1. N.N.: Ein Grenzfall (Kommentar zum Urteil gegen den Abend); in: AZ, 25.10.1930, S. 5; Kommentar des Urteils in: NWJ, 25.10.1930, S. 13.

(PHK)