geb. am 15.1.1875 in Wien – gest. am 22.7.1951 in Wien; Schriftstellerin, Übersetzerin

Ps.: Bob, Beöl

1875 als Tochter der jüdischen Bankiers- und Kaufmannsfamilie Loeb geboren, wuchs Clara – den zweiten Vornamen Katharina nahm sie erst im jungen Erwachsenenalter an – mit zwei Brüdern und einer Schwester in einer großbürgerlichen und kunstsinnigen Familie auf. Sie erhielt Privatunterricht und widmete sich früh dem Schreiben: Bereits in der Kindheit entstanden erste Gedichte; mit neunzehn Jahren verfasste sie unter Verwendung des Pseudonyms „Bob“ Unterhaltungsliteratur, in deren Mittelpunkt zumeist die von ersten Flirts und amourösen Verstrickungen geprägten Schicksale junger Frauen und Männer standen. Entgegen dem Willen der Eltern veröffentlichte sie im Frühling 1897 in der renommierten Literaturzeitschrift Neue Deutsche Rundschau den mit einer Reihe erotischer Elemente durchsetzten Einakter Mimi. Schattenbilder aus einem Mädchenleben und sorgte damit für einen nicht unerheblichen Skandal. Den Prolog dazu hatte immerhin Hugo von Hofmannsthal verfasst, den sie – ebenso wie Arthur Schnitzler – drei Jahre zuvor im Rahmen einer Silvesterfeier in ihrem Elternhaus kennengelernt hatte. 

Auf Druck ihrer Familie, die der schriftstellerischen Laufbahn der Tochter ein Ende setzen wollte, heiratete Clara 1898 den aus Prag stammenden Lederhändler Otto Pollaczek. Aus dieser Ehe, die als unglücklich galt und die 1908 durch Ottos Selbstmord endete, gingen zwei Söhne hervor.

Ab den 1920er Jahren arbeitete Clara aufgrund ihrer prekären finanziellen Lage als Übersetzerin und Verfasserin von Zeitungsbeiträgen, widmete sich aber auch wieder ihrer literarischen Berufung. Sie schrieb Gedichte, Dramentexte, Novellen und zahlreiche Erzählungen und Fortsetzungsromane wie Mädchen für alles (1926), Das Kind der Liebe (1926), Mord (1927), Die Schönheit der Konstanze (1929) und Zwischen den Generationen (1933), die zum Großteil in der Neuen Freien Presse oder im Neuen Wiener Tagblatt publiziert wurden und die sich bei der Leserschaft großer Beliebtheit erfreuten. Sie galt als „Erzählerin von außerordentlicher Kenntnis des gesellschaftlichen Milieus, Schärfe der Beobachtung, Kraft der Schilderung, psychologischer Einfühlung und Originalität der Erfindung“ (NFP, 29.10.1929, 7). 1927 erhielt sie den Volkstheaterpreis (NFP, 3.12.1927, 8).

Bereits 1923 ging Clara eine Liebesbeziehung mit dem um dreizehn Jahre älteren Arthur Schnitzler ein. Das gemeinsame Interesse galt vorrangig der Literatur: Schnitzler las und kommentierte ihre Texte, schätzte seine Partnerin aber auch als Kritikerin, deren Anregungen immer wieder in sein Werk einflossen. Technischen Neuerungen aufgeschlossen und vor allem vom neuen Medium Film fasziniert, entwickelte Schnitzler früh eine Leidenschaft für Kinobesuche; gemeinsam besuchte das Paar im Laufe der achtjährigen Liaison über 500 Filmvorführungen. Darüber hinaus gestaltete sich das Zusammensein zunehmend schwierig und war immer wieder von Eifersuchtsszenen geprägt: Schnitzler scheute vor einer engen Bindung zurück und hielt Clara auf Distanz, während er sich daneben immer wieder auf Affären einließ und darüber hinaus engen Kontakt zu seiner geschiedenen Ehefrau hielt. Dennoch blieb ihm Clara bis zu seinem Tod im Herbst 1931 verbunden. Anlässlich der Trauerfeier im Wiener Burgtheater trug sie ein selbstverfasstes Gedicht vor, das in der Neuen Freien Presseerschien (NFP, 15.11.1931, 27). Auch in den nachfolgenden Jahren veröffentlichte sie in der Neuen Freien Presse rund um seinen Geburts- bzw. Todestag jeweils ein Gedicht. Die Beziehung zu Schnitzler verarbeitete sie in den rund 900 Seiten umfassenden Aufzeichnungen Schnitzler und ich, die sie gemeinsam mit dessen Sekretärin auf der Basis von Tagebucheinträgen und ihrer Briefkorrespondenz anfertigte und die erst nach ihrem Tode zur Veröffentlichung bestimmt waren. Das Typoskript ist heute in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus zugänglich.

Der unmittelbaren Verfolgung durch die Nationalsozialisten konnte Clara durch ihren tschechoslowakischen Pass entgehen, den sie durch die Ehe mit Otto Pollaczek erhalten hatte. Sie flüchtete nach dem „Anschluss“ zunächst nach Prag. Von der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren durch das NS-Regime erfuhr sie während eines Urlaubsaufenthaltes in der Schweiz, wo sie mit finanzieller Unterstützung von Freunden und Verwandten bis Kriegsende blieb.

Auf Initiative ihres Bruders Otto kehrte Clara nach einer Zwischenstation bei ihrem Sohn, der inzwischen in England lebte, 1948 nach Wien zurück, konnte jedoch an ihre einstmaligen literarischen Erfolge nicht mehr anknüpfen. Sie verstarb nach längerer Krankheit im Jahr 1951 und wurde in einem ehrenhalber gewidmeten Grab der Stadt Wien am Sieveringer Friedhof bestattet


Quellen und Dokumente

Bob [Clara Katharina Pollaczek], Mimi. Schattenbilder aus einem Mädchenleben. In: Neue Deutsche Rundschau/Freie Bühne, 8/4, 1.4.1897, 396-413; Mädchen für alles. In: NFP, 24.10.1926, 33-34; Zwischen den Generationen. In: NFP, 4.2.1933, 9-10; Die Tochter des Hauses. In: NFP, 25.5.1929, 14-15; Nach Sonnenuntergang. In: NFP, 24.7.1927, 23; Redoute. Schauspiel in einem Aufzug (1926); Dame. Drama (1930);

Ein neuer Roman in der „Neuen Freien Presse“. Clara Katharina Pollaczek: Die Schönheit der Konstanze. In: NFP, 29.10.1929, 7; Arthur Schnitzler. Anlässlich der heutigen Totenfeier im Burgtheater. In: NFP, 15.11.1931, 27; Clara Katharina Pollaczek, Internationale Kunstausstellung in Karlsbad. In: NFP, 27.7.1930, 30; C.K.P., Erinnerungsgang (Cottage 1933). In: NFP, 22.10.1933, 29; Clara Katharina Pollaczek, An Karin Michaelis. Eine Antwort auf den Artikel: „Das Recht, Mutter zu sein“. In: NFP, 1.8.1925, 11-12;

Literatur 

Pollaczek Clara Katharina. In: Ilse Korotin (Hg.), BiografiA. Lexikon österreichischer Frauen, Bd. 3: P-Z, Wien u.a., 2564; William H. Rey, „Arthur Schnitzler und ich“. Das Vermächtnis der Clara Katharina Pollaczek. In: The Germanic Review 41/2 (1966), 120-135; Stephan Kurz, Im Schatten Schnitzlers. Leben und Werk von Clara Katharina Pollaczek (1875–1951). In: Michael Rohrwasser, Stephan Kurz (Hrsg.), A. ist manchmal wie ein kleines Kind. Clara Katharina Pollaczek und Arthur Schnitzler gehen ins Kino, Wien-Köln-Weimar 2012; K.F.M. Pole, Two Halves of a Life. [The autobiography of a Viennese doctor who escaped from Nazi-occupied Austria and built up a new life and medical career in England] Gillingham, Kent 1982; Renate Wagner, Der fünfte Akt. Clara Katharina Pollaczek. In: Dies., Frauen um Arthur Schnitzler, Wien, München 1980, 145–159; Renate Wagner, Wie ein weites Land. Arthur Schnitzler und seine Zeit, Wien 2006; Eintrag zu Clara Katharina Pollaczek bei austria-forum.org; Eintrag zu Clara Katharina Pollaczek bei fraueninbewegung.onb.ac.at;

 (MK)

geb. als Marianne Springer am 29.7.1891 in Wien – gest. am 30.8.1963 in Wien; Journalistin, Politikerin

Nach Absolvierung der Bürger- und Handelsschule trat die aus kleinbürgerl. jüd. Verhältnissen stammende Tochter eines Handelsvertreters eine Ausbildung zur Sprachlehrerin (Englisch, Französisch) an, und war nach dem Abschluss  als Privatlehrerin tätig. Seit 1910 war Marianne Springer mit Oscar Pollak,  Sohn einer wohlhabenden jüd. Kaufmannsfamilie, bekannt, der nach dem Jus-Studium eine journalistische Karriere (als Redaktionssekretär bei der Zs. Der Kampf bzw. Sportredakteur bei der Arbeiter-Zeitung) einschlug. Durch ihn wurde sie mit sozialistischen Ideen vertraut, und noch in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg datiert der Beginn ihres polit. Engagements für die österr. Sozialdemokratie: M.P. war danach für die Kinderfreunde-Bewegung (als Mitbegründerin der Ortsgruppe Mariahilf bzw. im Reichsvorstand der „Kinderfreunde“) aktiv, da, so ihre Überzeugung, „die Vorbereitung zum Sozialismus beim Kinde beginnen (muß): nur das was das Kind erlebt, wird Weltanschauung“ [1921, zit. Schneider/Wolfsberger, S. 157].

Am 6.11.1915 wurden M. und Oscar Pollak nach jüd. Ritus getraut, 1918 traten sie gemeinsam aus der jüd. Gemeinde aus. Nach dem Ersten Weltkrieg unterrichtete P. an der 1919 installierten Schönbrunner Erzieherschule der Kinderfreunde; zum Kollegium zählten u.a. Alfred u. Max Adler, Josef L. Stern, Anton Tesarek, Karl Kautsky u. Wilhelm Jerusalem. Seit 1921 fungierte P. zudem als Sekretärin für Friedrich Adler in der „Internationalen Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Parteien“, einem Vorläufer der Sozialistischen Arbeiter-Internationale (SAI). 1923 wurde sie gemeinsam mit ihrem Gatten in das Londoner SAI-Sekretariat berufen, wo F. Adler den Aufbau der Sozialist. Arbeiter-Internationale betrieb. 1926 kehrten die Pollaks nach Verlegung des SAI-Büros nach Zürich nach Wien zurück, wo P. journalistisch tätig werden konnte: Nach frühen Beiträgen für die Zs. Kinderland. Mitteilungen des Arbeitervereins „Kinderfreunde“ für Niederösterreich (1915/16) brachte sie Reportagen über die polit., soz. u. wirtschaftl. Realität in England in der Arbeiter-Zeitung, als deren Chefredakteur Oscar P. fungierte, sowie den Zss. Arbeit und Wirtschaft, Der Sozialdemokrat, Die Unzufriedene u. Die Frau zur Veröffentlichung. 1927 wurde P. bei der neugegründeten soz.dem. Tageszeitung Das Kleine Blatt als Redakteurin angestellt: P. zeichnete v.a. für die „Frauenseiten“ verantwortlich, wie ihre journalist. Arbeiten überhaupt „Frauenthemen“ – Haushalt, Mode, Kindererziehung, Frauenarbeit, Soziales, Literatur, Kino, Theater – gewidmet waren. Mit ihren zahllosen Beiträgen zu diesen Themenfeldern gilt P. als eine der „wesentlichen ‚Meinungsführerinnen‘ innerhalb der ArbeiterInnenbewegung“ (Schneider/Wolfsberger,154); wichtig waren auch ihre Bemühungen, sozialist. (Kern-)Thesen populärwiss. verständlich zu machen, etwa in der 1933 ersch. Abhandlung Eine Frau studiert den Sozialismus.

Seit 1928 war P. Mitglied im einflussreichen Wiener Frauenkomitee, seit 1933 Mitglied im Vorstand der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller. Z.Zt. des austrofaschist. Regimes war das der soz.dem. Parteielite zugehörige Ehepaar Pollak bes. exponiert: Bereits im März 1934 sahen die beiden sich zur Flucht nach Zürich gezwungen, kehrten aber im Sept. 1934 wieder nach Wien zurück, um im Untergrund am Aufbau der Revolutionären Sozialisten (RS) mitzuarbeiten; gem. mit Käthe u. Otto Leichter, Schiller Marmorek u. Jacques Hannak stellten M. u. O. Pollak das „Schattenkomitee“ der RS. Die neuerliche Flucht führte die Pollaks zuerst nach Paris (1935), dann nach Brüssel (1936), wo Oscar P. unter  F. Adler eine leitende Stelle im SAI-Büro einnahm. 1938 kehrte das Ehepaar nach Paris zurück, musste aber 1940 nach Südfrankreich fliehen. Mithilfe des internat. Sekretärs der Labour Party William Gillies erwirkten die Pollaks Einreisevisa für England und trafen im Okt. 1940 in London ein, wo sie vom sozialist. Journalisten H.N. Braislford aufgenommen wurden. Im Londoner Exil war P. für den Austrian Labour Club, das Exekutivkomitee der Anglo-Austrian Democratic Society (1944/45) und das 1941 durch O. P. gegründete Londoner Büro der österr. Sozialisten tätig.

Am 18.11.1945 kehrte P. nach Wien zurück, wohin ihr Gatte bereits als Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung berufen worden war, und war auch in der Zweiten Republik als Journalistin, v.a. aber auch als Politikerin aktiv: P. wurde mit der Chefredaktion der meistgelesenen Frauenzeitschrift Österreichs (Die Frau , 1945-59) betraut, war Vorstandsmitglied der Journalistengewerkschaft, fungierte zw. 1945-59 als Nationalratsabgeordnete  und gehörte zw. 1957-59 der Beratenden Versammlung des Europarates an. Als Journalistin und Politikerin  machte sie sich v.a. für Frauenrechte (für das Recht auf Selbstbestimmung, auch durch Freigabe d. Abtreibung, für die Entlastung berufstätiger Mütter u.ä.m.) stark. 1950 zeichnete P. als eine der Organisatorinnen für die mit moderner Wohnkultur befasste Ausstellung Die Frau und ihre Wohnung mitverantwortlich, die  ob des großen Erfolgs zehn Jahre lang geöffnet blieb.

Im Alter von 69 Jahren wählte P., zwei Tage nach dem Tod ihres Mannes, den Freitod u. wurde in einem Oscar P. gewidmetem Ehrengrab beigesetzt. An die beiden erinnert eine Gedenktafel an einer seit 1966 als Marianne-und-Oscar-Pollak-Hof bezeichneten Wohnanlage in Floridsdorf.


Werke (Auswahl)

Irrfahrten. Aus dem Tagebuch eines suchenden Mädels. (1929); Aber schaun’S Fräul’n Marie… Liebesgeschichte einer Hausgehilfin. (1932). – Eine Frau studiert den Sozialismus. Hg. v. Parteivorstand d. Dt. sozialdem. Arbeiterpartei in der Tschechoslowak. Republik. o.J. [1933]; Die Frau in der Demokratie. Vortrag, gehalten am 23. April 1948 im Vortragssaal der Wiener E-Werke. Wien: Gewerkschaft der Gemeindebediensteten 1948. – Frauenmehrheit verpflichtet. Eine internationale Übersicht. o. J. [1948]. – Wir wollen den glücklichen Menschen. (1949 i.d.R. „Die Frau“, Bd. 2); Schluß mit dem Kleinmut! Vom positiven Pazifismus zu aktiver Friedensarbeit. (1951,= „Die Frau“, Bd. 6); Die Vermenschlichung der Gesellschaft (1952, =„Die Frau“, Bd. 9);  Frauenschicksal und Frauenaufgaben in unserer Zeit. (1957, =„Die Frau“, Bd. 12). – Die Frauen wurden wach (1959).

Quellen und Dokumente

Bei den Frauen des Elendsviertels. In: Arbeiter-Zeitung, 20.1.1924, S. 15, Die Frau im öffentlichen Leben Englands. In: Arbeiter-Zeitung, 4.5.1924, S. 10, Das proletarische Kind. Ein Besuch in der Ausstellung in Schönbrunn. In: Arbeiter-Zeitung, 2.3.1926, S. 7, Das Weib im Hermelin. Der Lebensroman Katharinas II. In: Arbeiter-Zeitung, 25.12.1928, S. 12, Die Frau in Sowjetrußland. Ein großartiges Projekt der Gleichberechtigung der Geschlechter. In: Arbeiter-Zeitung, 6.11.1932, S. 15.

Weitere Beiträge für die Arbeiter-Zeitung (Auswahl nach theodorkramer.at): Unter englischen Frauen (30.12.1923) – Von englischen Schulen und Schulreformen (23.5.1924) – Geburtenbeschränkung in England (1.1.1925) – Londons Fürsorge (1.2.1925)– Wie unsere Kinder anfangen, Menschen zu werden. Die Forderung nach dem Pflichtkindergarten (26.9.1926) – Vom Reifrock zum Bubikopf (9.11.1926) – Die tausend Teile des Telefons (2.9.1927) – Das Heim von heute (25.4.1928) – Zehn Jahre Frauenwahlrecht (17.2.1929) – Maria an der Maschine (1.5.1929) – Nur nicht verzichten. Das Recht auf gleiche Jugend für Mann und Weib (10.3.1930) – 150 Arbeiterinnen schreiben ein Buch (11.8.1930) – Baumeisterarbeit am kommenden Geschlecht (1.5.1931) – Wie ist die Frau Zeitungsleserin geworden? (22.2.1932) – Das goldene Wiener Herz – ist rot! (10.3.1932) –– Am Grabmal der unbekannten Frau (11.12.1932) – Die Internationale der sozialistischen Frauen (3.9.1933) – Was bringt Hitler den Frauen? (26.9.1933)

Der Nachlass Oscar und Marianne Pollak ist im Besitz des Vereins für die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung (Online verfügbar).

Literatur

Bettina Hirsch: Marianne. Ein Frauenleben an der Zeiten Wende. Biographie von Marianne Pollak. Verlag Pichlers Witwe & Sohn, Wien 1970; Fritz Hausjell: Journalisten gegen Demokratie oder Faschismus. Teil 2. Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1989; Helmut Konrad: Das Private ist politisch: Marianne und Oscar Pollak. Wien 2021; Brigitte Lehmann: Marianne und Oscar Pollak. Die Geschichte zweier Leben. Dokumentation 1&2/1996, Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien; Michaela Schneider/Margit Wolfsberger: Schreiben für den Neuen Menschen. In: Doris Ingrisch, Ilse Korotin, Charlotte Zwiauer (Hgg.): Die Revolutionierung des Alltags. Zur intellektuellen Kultur von Frauen im Wien der Zwischenkriegszeit. Frankfurt a.M. u.a: 2004, 151-192; Helmut Konrad: Das Private ist politisch: Marianne und Oscar Pollak. Wien 2021.

Eintrag bei wien.gv.at, bei dasrotewien.at, bei thedorkramer.at.

(RU/Red.)

Geb. 7.10. 1893 in Wien, gest. 28.8. 1963 in Hinterstoder (Oberösterreich). Jurist, Journalist, Redakteuer, Revolutionärer Sozialist (ab 1934), Exilant (ab 1936), Remigrant.

Werke (Auswahl):

Im Schützengraben des Klassenkampfes. Wien 1929; Underground Europe calling. London 1942;

Materialien und Quellen:

Eintrag von Michael Gehler auf NDB (2001); dasrotewien;

Helmut Konrad: Das Private ist politisch. Marianne und Oscar Pollak. Wien: Picus 2021.

(PHK, in preparation)

Geb. 12.6.1890 in Wien, gest. 17.11.1942 in London/GB.

Journalist, Schriftsteller, Exilant

Materialien und Quellen:

Eintrag bei Theodor Kramer-Gesellschaft: hier.

(in Vorbereitung)

geb. Dwořak, 11.2.1869 in Inzersdorf – gest. am 7.3.1939 in Wien; Aktivistin für Arbeiterinnen- und Frauenbildung, Redakteurin, Abgeordnete zum Nationalrat

Geboren 1869 als jüngstes von fünfzehn Kindern einer Weberfamilie wuchs Adelheid in schwierigen sozialen Verhältnissen auf. Die Alkoholsucht und Gewalttätigkeit des Vaters zwang sie, bereits mit acht Jahren fallweise zum Familieneinkommen beizutragen. Mit zehn musste sie die Volkschule abbrechen und arbeitete zunächst als Dienstmädchen, ab 1883 als Fabrikarbeiterin. Über Bekannte ihres Bruders kam sie erstmals mit sozialdemokratischen Ideen in Kontakt, begann mit der regelmäßigen Lektüre sozialdemokratischer Zeitungen wie der Gleichheit (später: Arbeiter-Zeitung), besuchte – oftmals als einzige Frau – politische Versammlungen und engagierte sich zunehmend aktiv in der Bewegung. 1891 trat sie dem Arbeiterinnen-Bildungsverein bei, in dessen Vorstand sie später gewählt wurde; hier wurden bald führende Mitglieder der Sozialdemokratie auf die bildungshungrige wie eloquente Frau aufmerksam, u.a. Jakob Reumann und Viktor Adler. Adlers Gattin Emma, zu der sie ein freundschaftliches Verhältnis entwickelte, erteilte ihr in der Folge Sprach- und Schreibunterricht. 1893 heiratete Adelheid – sie war inzwischen eine gefragte Rednerin in der gesamten Monarchie – Julius Popp, Mitglied des Parteivorstandes der SDAP. Im selben Jahr gründete sie den Lese- und Diskutierclub Libertas und fungierte fortan als erste Vorsitzende.

Obwohl durch den (männlich dominierten) Parteitag zunächst strikt abgelehnt, erschien auf Popps Betreiben ab 1892 mit der Arbeiterinnen-Zeitung ein auf das weibliche Publikum zugeschnittenes Medium, für das sie von 1893 bis 1934 als verantwortliche Redakteurin arbeitete und Themen wie Frauenwahlrecht, Bildungsarbeit, Sozialgesetzgebung und Eherecht aufgriff. 1893 nahm sie als einzige Frau der österr. Delegation am Kongress der II. Internationale in Zürich teil. Die in diversen Artikeln geäußerte Kritik an der Ehe und deren Moralkonventionen, die für das Gros der Frauen den einzig möglichen Lebensentwurf darstellte, brachte ihr wegen „Herabwürdigung der Ehe und Familie“ eine Arreststrafe ein. Im Rahmen ihrer schriftstellerischen Tätigkeit publizierte sie zudem zahlreiche Werke, welche die prekäre Lage der arbeitenden Frauen thematisierten, so etwa Die Arbeiterin im Kampf ums Dasein (1895), die autobiographische Schrift Jugend einer Arbeiterin (1909), Frau, Arbeiterin, Sozialdemokratie(1916) und Frauenarbeit in der kapitalistischen Gesellschaft (1922). 1929 erschien das Werk Der Weg zur Höhe, in welchem sie den Aufstieg der sozialdemokratischen Frauenbewegung beschrieb.

Nachdem sie bereits 1898 mit der Gründung des Frauenzentralkomitees einen wesentlichen Schritt zur Stärkung der Frauen innerhalb der Sozialdemokratie gesetzt hatte, schuf sie gemeinsam mit Therese Schlesinger und anderen Aktivistinnen gegen den massiven Widerstand der Parteispitze den Verein sozialdemokratischer Frauen und Mädchen und wurde damit endgültig zur politischen Leitfigur. Zudem übernahm sie 1916 den Vorsitz des Internationalen Sozialdemokratischen Frauenkomitees und trug maßgeblich zur Einführung eines jährlichen internationalen Frauentages bei. Ihre herausragende Bedeutung für die Bewegung zeigt sich auch in der Tatsache, dass Popp 1918 in den Parteivorstand sowie in den Wiener Gemeinderat gewählt und im Jahr darauf zu einem Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung wurde. 1920 zog sie in den Nationalrat ein, wo sie als erste weibliche Abgeordnete eine Rede hielt. Sie setzte sich fortan energisch für die Rechte der Arbeiterinnen und Dienstboten ein (Hausgehilfinnengesetz vom 26.2.1920), thematisierte familienpolitische Belange und forderte Einkommensgleichheit zwischen Frau und Mann. Gesundheitliche Gründe zwangen sie 1933, sich ins Privatleben zurückzuziehen. Popp starb wenige Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs an den Folgen eines Schlaganfalls in Wien.


Werke (Auswahl)

Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin, mit einführenden Worten von August Bebel, Berlin, Stuttgart 41922 [Online verfügbar].

Quellen und Dokumente

Beschlagnahmung der Nr. 13 der Arbeiterinnen-Zeitung durch das Pressegericht. In: Arbeiterinnen-Zeitung, H. 14, 18.7.1895, S. 1; Adelheid Popp, Recht für die Frauen. In: AZ, 24.4.1917, S. 1f; Frauenforderungen an die Nationalversammlung. In: AZ, 5.11.1920, S. 2; Adelheid Popp, Die Frau der Gegenwart. In: AZ, 31.3.1922, S. 6f; Adelheid Popp, Der § 144. In: Die Unzufriedene, 8.10.1927, S. 1f; Therese Schlesinger, Unsere Adelheid 60 Jahre! In: Arbeiterinnen-Zeitung, 1.2.1929, S. 10-18Wahlrede von Adelheid Popp für die Nationalratswahl vom 9.11.1930; Vierte Internationale Frauenkonferenz der Sozialistischen Arbeiter-Internationale in Wien. In: Die Frau, 1.9.1931, S. 4f; Zwei Kämpferinnen nehmen Abschied. In: AZ, 17.10.1933, S. 2.

Literatur

Österreichisches Biographisches Lexikon, Bd. 8 (1981), 200f; Gabriella Hauch, Vom Frauenstandpunkt aus: Frauen im Parlament, 1919-1933 (Studien zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte, Bd. 7), Wien 1995,  S. 290-293; Regina Köpl, Adelheid Popp. In: Edith Prost (Hg.): „Die Partei hat mich nie enttäuscht …“. Österreichische Sozialdemokratinnen (Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, Bd. 41), Wien 1989,  S. 5-43; Ester Saletta, Die Journalistin und Abgeordnete Adelheid Popp. Engagierte Wiener Sozialdemokratin gegen die Nazi-Ideologie. In: K. Kaiser, J. Kreisky, S. Lichtenberger (Hg.): Rote Tränen. Die Zerstörung der Arbeiterkultur durch Faschismus und Nationalsozialismus, Wien, Klagenfurt, 2017, S. 44-58; Eintrag zu Adelheid Popp bei „Frauen in Bewegung: 1848-1938“.; Adelheid Popp bei dasrotewien

(MK)

Geb. 21.2. 1838 in Kolin (Böhmen, heute: Tschechische Republik), gest. 22. 12. 1921 in Wien. Erfinder, Philosoph, Sozialethiker, Schriftsteller.

Nach der Absolvierung des Deutschen Realgymnasiums in Prag studierte Popper 1854-1859 an der Prager deutschen technischen Hochschule Physik und Mathematik und nahezu zeitgleich am polytechnischen Institut in Wien naturwissenschaftlich-technischen Studien, hörte jedoch auch Vorlesungen zur Nationalökonomie, Kulturgeschichte und Ästhetik. Aufgrund seiner Herkunft aus einer jüdischen Familie konnte er keine universitäre Laufbahn einschlagen; er schlug sich als Eisenbahnarbeiter und Privatlehrer zunächst durch, bevor er sich auch als Schriftsteller versuchte. Zwischen 1862 und 1880 gelangen ihm einige Erfindungen im Bereich der Elektrotechnik und Kalorik sowie mit der Erfindung der sog. Kaptiv-Schraube auch in der Aerodynamik. In diese Zeit fällt auch die Begegnung und nachfolgende Zusammenarbeit und Freundschaft mit Ernst Mach. Sein Interesse für Sozialreform und Sozialethik dokumentiert die Schrift Das Recht zu leben und Die Pflicht zu sterben (1878), das begleitet war von kleineren schriftstellerischen Arbeiten, die er 1899 in den Phantasien eines Realisten bündelte und als Buch versammelte. Aufgrund seiner darin sichtbaren pazifistischen und gesellschaftskritischen Haltung wurde es „aus Gründen der Sittlichkeit“ konfisziert und war bis 1922 (!) verboten. Darin waren freilich auch Texte enthalten, die auf die Traumthematik Bezug nahmen und Einfluss auf S. Freud ausübten. Als sein Hauptwerk gilt jedoch Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage, eingehend bearbeitet und statistisch durchgerechnet. Mit einem Nachweis der theoretischen und praktischen Wertlosigkeit der Wirtschaftslehre, erschienen 1912 bei Reissner (Digitalisat Bayr. Staatsbibliothek), das 1923 in 2. Auflage bei Rikola nachgedruckt wurde.

Materialien und Quellen:

Eintrag im ÖBL; Eintrag Goethe Univ. Frankfurt;

Forschungsliteratur:

Andrea Fruhwirth: Josef Popper-Lynkeus. Zwischen Individualethik, Ich-Verlust und Social Engineering. Anthropologische Montagefahrten eines Maschinen- und Menschentechnikers. Graz: SFB Moderne 2003

(PHK, in preparation)

geb. am 14.7.1890 in Wien – gest. am 24.1.1978 in Hollywood (USA); Schriftsteller, Drehbuchautor, Filmkritiker, Regisseur, Herausgeber, Exilant

Der Sohn des Bankiers Ludwig Porges und der Mutter Victoria Bing studierte nach abgelegter Matura Philosophie und moderne Philologie an der Universität Wien. Schon während des Studiums interessierte sich Porges (FP) für journalistisch-feuilletonistische Arbeit, die er in versch. Zeitungen platzierte, einige darunter auch mit explizit jüd.-zionistischer Ausrichtung wie z.B. die Jüdische Volksstimme (Brünn-Prag-Wien) in der er ab August 1908 mit Beiträgen vertreten war. 1910, so eine Anmerkung im Czernowitzer Tagblatt (11.8.1912, 19), für das er (neben den Zss. Der Morgen sowie Die Zeit) auch literar. Kurzprosa verfasste, u.a. Die Teufelsseele (1913), habe er als Talentprobe die Dichtung Helden vorgelegt; er galt in diesen Jahren als Vertreter der sog. jungjüdischen Dichtung (Jüd. Volksstimme, 10.8.1910,4). Ab 1912 trat er auch als Hg. der in Wien erscheinenden Allgemeinen Theater Zeitung (gemäß eines Kommentars im Grazer Tagbl. 24.2.1913, 4) hervor und veröff. einen Einakter-Zyklus unter dem Titel Der tote Wille. Die erste öffentliche Lesung eigener Texte in Wien war für den 29.2.1912 in der Toynbeehalle (Jüd. Volksstimme, 24.2.1912, 5) angesetzt. Im März 1913 verehelichte er sich mit Helly Matzner. Den Weltkrieg konnte er in Wien überstehen, wo er gelegentlich an karitativen, seltener an patriotischen Veranstaltungen in Form von Lesungen mitwirkte. 1917 veröffentlichte er die ersten, den Krieg thematisierenden Kurzerzählungen; anschließend befasste er sich mit dem Film, zunächst als Drehbuch-Autor für den Sascha-Film Licht und Dunkel. In den Kammerspielen kam im Sept. 1917 auch das einaktige Lustspiel Der wunde Punkt zur Aufführung sowie der (Kriegsanleihen)Propagandafilm Der neue Tantalus. 1918 schrieb er auch für die Ztg. Sport und Salon, u.a. die Flimmerdialoge; im August dess. Jahres folgte die Komödie Der Gast von anderswo. Im Okt. 1919 legte er das erste Film(hand)buch vor: 50 Meter Kinoweisheit, im Dez. wurde er zum Vorsitzenden einer neuen (kurzlebigen) literar. Vereinigung (›Kunstgemeinschaft‹) gewählt, der u. a. F. Braun, A. Grünewald, E. Lucka, H. Margulies u. Martha Trebitsch angehörten.

1920 wurde Porges Mitarbeiter der Kino-Woche, besprach dort Filme u. steuerte eigene Texte bei, ebenso auch für Die Muskete oder die Wiener Sonn- und Montagszeitung. Im selben Jahr verfasst er mehrere Drehbücher für die Sascha-Film, u.a. für Cherchez la femme, bei denen meist Michael Kertész (Curtis) Regie führte und Lucy Doraine eine Hauptrolle übernahm. In der Kinowoche publizierte er eine Reihe von programmat. Beitr., in denen er die Besonderheiten des Films herauszuarbeiten versuchten, z.B. betr. das Film(Dreh)Buch u. dessen Differenz aber auch Affinität zum literar. Text, z.B. Das Buch des Films. 1921 feierte er sein Regiedebut in mehreren Filmen, darunter auch mit dem Film Der Marques de Bolibar nach dem gleichnamigen Roman von Leo Perutz. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Paul Frank stellte er ebf. 1921 den Film Die Nacht der Mary Murton fertig. Im Wiener Phillip-Verlag wurde zudem im Nov. 1921 der Roman Das doppelte Ich (Wr. Illustr. Ztg., 27.11. 1921,17) angekündigt und in der Rolandbühne sowie danach in den Künstlerspielen Pan stand der Einakter Einbruch am Programm. 1922 folgten die Filme Die Tochter des Brigadiers (nach einer Romanvorlage von A. Dumas) und Adam und Eva (für die Berliner FilmGes. Gespor, fertiggestellt März 1923); weitere Projekte und der inzwischen erreichte Status als Drehbuchautor wie Regisseur motivierten ihn eine eigene Produktionsgesellschaft im Dez. 1922 zu gründen (Der Filmbote, 16.12.1922,17). Trotz der erfolgreichen Filmarbeit betätigte sich Porges auch weiterhin als Feuilletonist und kommentierte z.B. kritisch die Spekulationsgeschäfte jener Jahre, etwa im Feuilleton Auswandern, ferner die angespannte Lage in Berlin in Die sterbende Stadt (Der Tag, 10.11.1923) oder Der Hunger in Gold (Der Tag, 16.12.1923, 5). Im April 1924 kam sein nächstes, im Ansatz wiederum innovatives Filmprojekt in die Kinosäle: Der Film im Film, in dem u.a. SchauspielerInnen wie Asta Nielsen und Conradt Veit sowie der Regisseur Fritz Lang zu Wort kommen. Im Mai 1924 nahm er, wie auch Lang, an der kontrovers geführten Kinoreformtagung der Urania teil.

Ab 2.9.1924 kam in der Ztg. Der Tag sein Enthüllungsroman Rrrevolution! in 25 Folgen (bis 28.9.) zum Abdruck; ab Okt. firmiert Porges auch als für den Film zuständiger Mitarbeiter dieser Zeitung. 1925 übernimmt er zudem die redaktionelle Leitung der Rubrik ›Film-Bühne‹ in der neugegr. Zs. Die Bühne u. verfasst dort mehrere (insges. 23) Beiträge über den zeitgenöss. Filmbetrieb, u.a. die Beitr. Das nackte Amerika (H. 14/1925, 35) oder Wie Ernst Lubitsch arbeitet (H. 22/1925, 32-35). Von 1926 bis 1938 gab er schließlich, redaktionell u. ökonom. unterstützt durch E. Lichtenstein und Moritz Grünstein, die wöchentlich erschienene österr. Filmzeitschrift ›Mein Film‹ heraus, die auch nach 1945, vom Remigranten Grünstein wiederbegründet, bis 1957 erscheinen sollte. Sie wurde außerdem von einer Buchreihe begleitet, in der z.B. 1931 sein Chaplin-Buch, das erste in Österreich erschienene, Charlie Chaplin der Vagabund Welt, erschien. Die Mitarbeit an der Bühne dauerte trotz der eigenen Zeitschrift bis 1928 an, jene am Tag im Bereich der Film- und Theaterkritik ebenfalls, wenngleich stark rückläufig, z.B. 1926 mit Texten über A. Kordas Mayerling-Film Der Prinz der Legende, 1928 zu Engel der Straße oder 1929, wieder häufiger, u.a. zur „Filmsensation“ Geschlecht in Fesseln, zu Edgar Wallace und der Film (Der rote Kreis) oder G. Machatys Erotikon (27.9.1929,4). Ende Juni wurde in Radio Wien auch sein Zeitungshörspiel Tempo. Die Zeitung von morgen ausgestrahlt (nochmals dann am 15. 2. 1930 bzw. am 30.5.1930 durch den Sender Königsberg), das zugleich die Vielseitigkeit von Porges im Hinblick auf die Nutzung der Medien für literarische Projekte dokumentiert. Nebenbei produzierte FP 1929 auch den Film Der Dieb im Schlafcoupé nach einem U-Roman von Ernst Klein und brachte in Nr. 201 (1929) seiner Zs. Mein Film einen Bericht über den ersten in Wien gedrehten Ufa-Tonfilm Der unsterbliche Lump. 1930 spricht er mehrmals in Radio Wien über Aspekte des Tonfilms; ferner kommentiert er (wohlwollend) im Tag das neue Genre des amerikan. Reportage-Films am Beispiel des Indianapolis-Film Rennfahrer, kritisch dagegen den G. Garbo-Film Der Kuß oder F. Molnars „vertonfilmte Komödie“ Olympia.

1931 eröffnete FP mit dem Hörspiel Eine Frau von vornehmer Abkunft, in dem er die Hypnose sowie Technik akustisch umzusetzen versuchte, und beschloss es mit einem weiteren am 16.12.1931 unter dem Thema Narkose. Ferner wirkte er im Lehrkörper der am 21.4.1931 gegr. ›Wiener Tonfilmakademie‹ mit (NWJ, 22.4.1931,11) und bot einen Vortragszyklus zum Tonfilm in der Urania an. Im selben Jahr legte er auch ein Heine-Drama in Buchform unter dem Titel Mensch in Fesseln vor (NWJ, 5.9.1931,11), für F. Salten in der NFP ein kühner und gelungener Wurf, wenngleich problematisch hinsichtl. seiner Bühnenumsetzung. 1932 verfasste FP wieder zahlreiche Bespr. von (Ton)Filmen für den Tag (nahezu einhundert); daneben kam am 26.10. d. J. sein neues Hörspiel Sechzig Minuten im Sender Breslau zur Erstausstrahlung bzw. im März 1933 auch in Radio Zürich (NFP, 26.10.1932,8), während es in Wien erst im Juli 1934 gesendet wurde. Im Juli 1933 folgte die UA eines weiteren Hörspiels in Radio Wien: Der Schatz des Cuzcos, womit sich Porges als produktivster u. auch radioästhetisch als innovativer österr. Hörspielautor jener Jahre erweist. Auch 1933 verf. FP zahlreiche Beitr. für den Tag, Filmkritiken wie gelegentlich auch Kurzgeschichten, z. B. die Kriminal-Kurzerzählung Pieps der Hochstapler. Während des austrofasch. Ständestaates konnte seine Zs. Mein Film unbehelligt weiter erscheinen, auch Radio Wien brachte bis Ende 1937 folgende Hörspiele: Spuk um Dorothy (29.3.1936), die „Hörspielkomödie“ Liebespaar verschwunden (4.6.1937) sowie die „Hörspielfolge“ Guy Dumond greift ein (7.12.1937), von der aber nur zwei Folgen nachgewiesen sind. Die Ztg. Der Tag berichtete ferner am 1.11.1936 davon, dass Radio Warschau sein Hörspiel S.O.S. in poln. Sprache gesendet habe. 1936 lancierte FP das Projekt der dreisprachigen FilmZs. Start (engl.-dt.-französ.); zwischen Febr. u. Sept. erschienen fünf Ausgaben, vermutl. auch mit offizieller Unterstützung, um Österreich als Filmland internat. im Gespräch zu halten. Sein letzter Beitrag für eine österr. Ztg., der feuilletonist. Essay Vom Schattenspiel zum Kino, erschien am 15.2. 1938; knapp vor dem Anschluss flüchtete er über Zürich nach London und von dort in die USA.


Weitere Werke

Das Durchhaus der Moral (1914, Komödie, Auff. nicht nachgewiesen); Eine glanzvolle Komödie (1916, Schwank); Der neue Tantalus (1917, Einakter-Film); Der Schmuck der Herzogin (1917, Detektivfilm); Se. Durchlaucht geht auf Reisen (1918, Schlager-Lustspiel); Der Schritt ins Dunkel (1919, Novellen); Die Liebe des Thomas Hill (1920, Kriminalroman); Mein Filmbuch (= begl. Buchreihe zur Zs. Mein Film, 1926-1933); Alles will zum Film (1927, Regie); Tragödie des Herzens (1930, Pantomime); Schatten erobern die Welt. Wie Film und Kino wurden (1946)

Quellen und Dokumente

Zu: 50 Meter Kinoweisheit; in: Filmportal.de; „Hier spricht F. Porges aus Hollywood“, in: Österreichische Mediathek; N. Berangy: Friedrich Porges (Biogr. 2004)

F. Porges: Wiener Jüdische Bühne. In: Jüdische Volksstimme, 10.4.1912, S. 1-2; L. Scherlag über F. Porges: Der tote Wille. In: Czernowitzer Tagblatt, 11.8.1912, S. 19; F. Porges: Die Teufelsseele (Feuilleton), in: Czernowitzer Tagblatt, 23.3.1939, S. 54; F. Porges: Die Telephonnummer. Eine traurige Humoreske. In: Czernowitzer Tagblatt, 12.4.1914, S. 35; F. Porges: Wie der Dunkelmoser Sepp seinen Tod träumte. In: Sport und Salon, H. 7/1917, S. 13; N.N. Über: Der wunde Punkt-Auff. In: Das interessante Blatt, 20.9.1917, S. 13; F. Porges: Flimmer-Dialoge. In: Sport und Salon, 1.12.1918, S. 22; N.N.: Filmtricks. Bespr. von 50 Meter Kinoweisheit. In: NWJ, 1.10.1919, S. 15; N.N.: Bericht über Leseabend der Kunstgemeinschaft. In: Der Morgen, 22.12.1919, S. 3; F. Porges über Lucy Doraine u. Film Sterne in Damaskus. In: Kinowoche, H. 6,1920, S. 6; F. Porges: Der Floh im Ohr. In: Die Muskete, 14.10.1920, S. 6; Filmankündigungen zu Mrs. Tutti frutti und Cherchez la femme. In: Neue Kino-Rundschau, 16.10.1920, S. 29; F. Porges: Der Journalist als Filmregisseur. In: Kinowoche, H. 44,1921, S. 7; F. Porges: Das Buch des Films. In: Die Kinowoche, H. 44, 1921, S. 8; R. Wachtel über Der Marques de Bolibar. In: Die Filmwelt, H.15,1921, S. 7; Filmankündigung von: Mrs. Tutti frutti und Cherchez la femme. In: Neues Wr. Tagblatt, 19.8.1921, S. 12; R. W. über: Die Tochter des Brigadiers. In: Die Filmwelt, H.7,1922, S. 8; Plakat zu: Adam und Eva. In: Der Filmbote, 16.12.1922, S. 4; F. Porges: Auswandern… In: NWJ, 13.8.1922, S. 10; F. Porges: Die sterbende Stadt. In: Der Tag, 10.11.192, S. 3; -e: Bespr. zu Adam und Eva. In: NFP, 7.12.1923, S. 17; F. Porges: Hunger in Gold (Feuilleton). In: Der Tag, 16.12, 1923, S. 5; Plakat zu: Der Film im Film. In: Das Kino-Journal, 26.4.1924, S. 13; N.N.: Die Kinoreformtagung in der Urania. In: Der Tag, 19.5.1924, S. 2; Ankündigung des (Enthüllungs)Romans Rrrevolution! In: Der Tag, 31.8.1924, S.6; F. Porges: Rund um die Raumbühne (iron. Dialogszenen). In: Der Tag, 6.10.1924, S. 3; F. Porges: Wie Ernst Lubitsch arbeitet. In: Die Bühne, H. 22, 1925, S. 34; F. Porges: Memento Mayerlings. (Zum Mayerling-Film von A. Korda); in: Der Tag, 31.8.1926, S. 6; Bespr. d. Films: Engel der Straße. In: Der Tag, 28.11.1928, S. 6; W.: Uraufführung eines Zeitungshörspiels [zur UA von ‚Tempo‘]. In: Der Tag, 26.6,1929, S. 7; Plakat u. Besprechung des Films Geschlecht in Fesseln. In: Der Tag, 30.3.1929, S. 10; F. Porges über E. Wallace-Film Der rote Kreis. In: Der Tag, 23.8.1929, S. 4; Porges über Machaty-Film Erotikon. In: Der Tag, 27.9.1929, S. 4; K. Sonnenfeld: Der Dieb im Schlafcoupé. In: NFP, 14.7.1929, S. 16-17; Über Der unsterbliche Lump. In: Mein Film, H.201,1929, S. 9; F. Porges über G. Garbo und Der Kuß. In: Der Tag, 28.5.1930, S. 8; F. Porges über Tonfilm Rennfahrer. In: Der Tag, 27.6.1930, S. 8; Über Molnars vertonfilmte Komödie Olympia. In: Der Tag, 5.12.1930, S. 8; N.N.: Kurzbericht über Hörspiel Eine Frau von vornehmer Abkunft. In: NFP, 1.2.1931, S. 15; F. Salten über Porges‘ Heine-Drama Mensch in Fesseln. In: NFP, 17. 1. 1932, S. 30; Porges über sein Hörspiel Der Schatz des Cuzco. In: Radio Wien, 7.7. 1933, S. 14; N.N.: Über Der Schatz des Cuzco. In: Der Morgen, 17.7.1933, S. 10; F. Porges: Pieps, der Hochstapler. In: Der Tag, 25.5.1933, S. 17; Cover der Zs. Start. In: Start, Feb.1936, S. 1;F. Porges: Vom Schattenspiel zum Kino. In: Neues Wr. Tagblatt, 15.2.1938, S. 2-3.

(PHK)

Geb. 27.6. 1898 in Kasli/Perm als Galina Djuragina, gest. 11.2.1991 in Ettenhausen/CH. Russisch-österreichische Schriftstellerin, Exilantin.

Djuragina/Rachmanova (angenommenes Pseud. zum Schutz ihrer in Russland verbliebenen Verwandten), die 1921 den in Russland verbliebenen österr. Kriegsgefangenen Arnulf von Hoyer (später der Übersetzer ihrer Romane) heiratete kam 1925 nach zuvor erfolgter Ausweisung mit ihren Eltern nach Wien, wo sie in beengten Verhältnissen einige Jahre verbrachte, darunter als Milchmädchen, bevor sie, gem. mit ihrem Gatten, nach Salzburg übersiedelte, wo dieser eine Lehrerstelle antrat. Dort fing sie an, ihre Erlebnisse während und nach der Oktoberrevolution zu beschreiben und legte im kathol. Pustet-Verlag 1931 mit Studenten, Liebe, Tscheka und Tod den ersten Band ihrer Trilogie Meine russischen Tagebücher vor, die eine dezidierte antisowjetische Position bezog. Mit dem Band Milchmädchen von Ottakring (1933, Neuaufl. 1997) gelang ihr ein internationaler Erfolg, er wurde in 22 Sprachen übersetzt. 1935 folgte der Roman Die Fabrik des neuen Menschen, für den sie einen Preis als bester „antibolschewistischer Roman“ erhielt.

Weitere Werke (Auswahl; sämtliche übers. von A. v. Hoyer, russ. Originale weitgehend verloren):

Ehen im roten Sturm (Salzburg 1932); Geheimnisse um Tataren und Götzen (Salzburg 1933); Tolstoj, Tragödie einer Liebe (Berlin 1938); Einer von vielen. (Zürich, 1947); Sonja Kowalewski. Leben und Liebe einer gelehrten Frau. (Zürich 1950); Jurka erlebt Wien (Zürich 1951); Ein kurzer Tag (Tschechow). (Frauenfeld 1961)

Materialien und Quellen:

Eintrag von Adriane v. Hoog in fembio.org; Eintrag von H. Riggenbach im Historischen Lexikon Schweiz; Felix Wey: Die Entzauberung der Alja Rachmanowa. In: Deutschlandfunk, 20.6.2015.

Auch im Schnee und Nebel ist Salzburg schön. Tagebücher 1942 bis 1945. Übers. u. herausg. von Heinrich Riggenbach (Salzburg 2015)

Ilse Stahr: Das Geheimnis der Milchfrau in Ottakring. Alja Rachmanowa. Ein Leben. Wien 2012; Franz Stadler: Die unterschlagenen Geheimnisse der „Milchfrau in Ottakring“. In: Zwischenwelt 3/2018, S. 8-12;

(PHK, in preparation)

geb. am 6.6.1892 in Konstantinopel/Istanbul (TR) – gest. am 29.10.1960 in Wien; Kritiker, Schriftsteller, Redakteur.

(in Vorbereitung)


Literatur

Eintrag bei: Lexikon Literatur Tirol (Brenner-Archiv).

Eigentlich: Rudolf Großmann, geb. 15.4. in Wien, gest. 27.5.1942 im Atlantik

Aktivist, Theoretiker und Praktiker des Anarchismus und Pazifismus, Herausgeber, Schriftsteller

Großmann/Ramus, Sohn des Kaufmanns Samuel Grossmann (Herkunft: Ungarn) und der Mutter Sofie Polnauer (geb. in Mähren), hatte drei Schwestern und musste 1898 das Gymnasium wegen sozialdemokratischer Propaganda verlassen. Mit seinen Eltern zerstritten wurde er als 16-Jähriger zu Verwandten in die USA geschickt. Dort besuchte er Vorlesungen an der Columbia University in New York und arbeitete als Journalist bei Zeitungen, insbesondere bei der sozialdemokratischen New Yorker Volkszeitung (1898–1900) sowie ab 1899 auch bei der weiter links positionierten Gross-Newyorker Arbeiterzeitung. Unter dem Einfluss von  Johann Most, der zwischen 1868 und 1871 auch für die Frühgeschichte der österr. Arbeiterbewegung eine Rolle spielte, und Emma Goldmann wandte er sich um 1900 dem Anarchismus zu, schrieb für Mosts Zeitschrift Freiheit und engagierte sich als Redner bei Anarchisten-Treffen. Er belieferte auch die Chicagoer Arbeiter-Zeitung mit Artikel und war Redakteur des Chicagoer Sonntagsblattes Die Fackel (1902–1903). 1902 wurde er als im Zuge eines Streiks der Seidenweber von Paterson (New Jersey) verhaftet und zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Vor Haftantritt floh er unter dem Pseudonym Pierre Ramus (dem französ. Humanisten Petrus Ramus, 1515–1572 entliehen) nach England.

1904-6 setzte er in London seine Tätigkeit als Publizist und Redner in vorwiegend anarchistischen Kreisen fort. Außerdem besuchte er Vorlesungen an der ›London School of Economics and Political Science‹. Unter seinem neuen Namen Pierre Ramus schrieb er für zahlreiche Organe wie z.B. die Wochenschrift Der Arbeiterfreund, die literarische Monatszeitung Germinal, das anarchistische Organ Die freie Arbeiterwelt (London 1906), Der freie Arbeiter (Berlin 1904–1907), gab die Monatsschrift Die Freie Generation heraus u.a.m.; 1927 hatte er auch die Leitung der Zeitschrift Der Anarchist inne. In Kropotkins Kreis, dem er sich in London zuwandte, lernte er 1903 die russische Anarchistin Sophie („Sonja“) Ossipowna Friedmann (1884–1974), kennen, 1916 mündete dies in eine Heirat.

Ramus/Großmann kehrte 1907 nach Österreich zurück, wo er das anarchistische Organ Wohlstand für Alle (1907–1914) gründete; er publizierte weiterhin Die Freie Generation und gab außerdem das Jahrbuch der Freien Generation (1910–1914) heraus. Im Jahre 1907, in dem auch sein vielbeachtetes Anarchistisches Manifest erschien, nahm er als Delegierter Österreichs am Internationalen Anarchistenkongress in Amsterdam teil. Nach zahlreichen Vortragsreisen (Böhmen, Frankreich, England, in die Schweiz u.a.) gründete er u.a. die Gruppe herrschafts- und gewaltloser Sozialisten (an Kropotkin und Tolstoi orientiert) und die Freie Gewerkschaftsvereinigung (1911–1914).

Kurz nach Kriegsausbruch wurde er als Wehrdienstverweigerer verhaftet und 1915 angeklagt. Das Verfahren, in welchem er sich selbst verteidigte und den Richter für seine Sicht der Dinge einzunehmen verstand, wurde überraschend eingestellt, wenngleich er später eine mehrmonatige Untersuchungshaft absitzen musste und zu strengem Hausarrest bis zum Ende des Krieges verurteilt wird Er wendet sich in der Folge stärker dem Pazifismus zu und stellt die Gewaltlosigkeit als zentrale Maxime seines anarchistisch-revolutionären Ideals in den Mittelpunkt.

In diesen Jahren bereitete er seine wichtigsten Werke vor, darunter Die Irrlehre des Marxismus im Bereiche des Sozialismus und Proletariats (1919, 21927)), Die Neuschöpfung der Gesellschaft durch den kommunistischen Anarchismus (1921) und den z.T. autobiographischen Roman Friedenskrieger des Hinterlandes (1924). In der revolutionären Übergangsphase Österreichs nach Ende des Krieges wurde Großmann sofort wieder aktiv und gründete 1919 den ›Bund herrschaftsloser Sozialisten‹ – (Anarchisten) (B.h.S.), dem kurzzeitig auch F. Werfel angehörte. Kurzzeitig war R. auch als Arbeiterrat tätig, erhielt aber im Juni 1919 nicht den Delegiertenstatus und zog sich in der Folge daraus zurück. Selbst bürgerliche Medien waren von seinem Charisma angezogen und positionierten ihn in Grundsatzbeiträgen über den Anarchismus neben Figuren wie J. H. Mackay und L. Tolstoi (NWJ 23.1.1919, 14), wobei sie das Prinzip der Gewaltlosigkeit wie das eines strikten Ordnungsbegriffs herausstrichen. Wohl auch deshalb fungierte er als Gegenfigur zu den Protagonisten der österr. ‚Bolschewisten‘ wie z.B. L. Rothziegel u. E. E. Kisch (NWJ, 30.1.1919, 4-5). Seine Vorträge wurden breit angekündigt, z.B. jener über F. Holländers Buch Der Tänzer und das geschlechtliche Liebesideal der Anarchie (NFP, 28.9.1919,12). Sie zogen auch die Aufmerksamkeit linksbürgerlicher Publizisten auf sich, z.B. (und wiederholt) von K. Sonnenfeld (NWJ, 1.2.1920)

Das relativ breite Spektrum an libertären Gruppierungen aktivistischer, kommunistischer, individualanarchistischer sowie anarcho-syndikalistischer Ausrichtung spaltete sich bald nach 1919-20 in zwei einander bekämpfende Lager: in eine lose Vereinigung militant-kommunistischer Anarchisten („Contra-Gruppe“), die sich u.a. an Erich Mühsam orientierte, und den B.h.S. Hier setzte Großmann/Ramus seine Energie auf die mündliche und schriftliche Verbreitung und Vernetzung seiner Ideen und Weltanschauung. So gründete er die wohl bedeutendste anarchistische Zeitschrift Österreichs mit dem Titel Erkenntnis und Befreiung – Zeitschrift im Sinne des Friedens, der Gewaltlosigkeit und der individuellen Selbstbestimmung, die bis zur Errichtung des austrofaschistischen Ständestaates 1934 erscheinen konnte. Wie in Rosa Luxemburgs Reform oder Revolution thematisierte er die kontrovers eingeschätzte Erfordernis einer zeitgemäßen Revision der Marxschen Theorie. Großmann verstand sich dabei als entschiedener, auch sehr polemischer Antimarxist, dem es sukzessive um die Widerlegung der Marxschen Gesellschaftslehre und Strategie als sozialistische Theorie aufgrund dessen deterministischen Prinzips ging, was ihm eine gewisse Beachtung auch durch konservative antimarxistische Kreise eintrug. Großmanns Antwort auf jede Form von Marxismus, des sowjetischen, aber auch dem der österr. Sozialdemokratie, brachte ihn daher wiederholt scharfe Vorhaltungen ein. Die Rote Fahne (RF) denunzierte ihn schon im Okt. 1921 als verdeckten Sympathisanten der Monarchisten (RF, 22.10.1921, 4); er bezog aber auch dem militanten Anarchismus gegenüber eine klare Frontstellung. Sonnenfeld war von seinen Ideen ebenfalls angetan, wie aus einer Besprechung von Ramus‘ Schrift Die Neuschöpfung der Gesellschaft in der dezidiert antimarxistisch-bürgerlichen Ztg. NWJ klar hervorgeht (NWJ, 27.12.1921, 3-4).

Ab 1922-23 verstärkte Ramus seine pazifistische Arbeit in Form von Mitwirkung u.a. als Redner bei Veranstaltungen des ›Bund der Kriegsdienstgegner Österreichs‹ anlässlich der jährlichen Weltkriegserinnerungstage (28.-29. Juli); ferner war er 1923 einer der Redner (neben J. Deutsch, O. Trebitsch und Hella Hertzka von der ›Internat. Frauenliga für Frieden und Freiheit‹) auf der Kundgebung Nie wieder Krieg! vor dem Wiener Rathaus. Zuvor wurde Ramus in der Steiermark an der Abhaltung einer Anti-Kriegskundgebung von der lokalen Heimwehr gehindert und mit seinen Gefährten misshandelt, was zu einem Prozess führte, der im Juni 1924 in unverständliche, parteiische Urteile einmündete (AZ, 3.6.1924,9). 1924 zum 10. Jahrestag des Weltkrieges fanden wiederum Nie wieder Krieg!-Kundgebungen in Wien (unter Beteiligung von 15 Friedensvereinen) u.a. anderen Orten statt, über die breit berichtet wurde (Der Tag, NFP, NWr.Tbl.). 1925 stand Ramus nebst anderen Kontroversen (z.B. betr. Siedlerbewegung, Konkurrenz mit KPÖ um Vertretung von Arbeitslosen oder Kundgebungen gegen den § 144, Der Tag, 1.10.1925,8) in zwei sehr unterschiedlichen Kontexten im Rampenlicht: einerseits im Zuge eines sog. Religionsdisputs mit einem Jesuitenpater in der Volkshalle, zu dem, so die Pressereaktionen, mehrere tausend ZuhörerInnen gekommen sind und der in eine „stürmische pazifistisch-republikanische Kundgebung“ ausklang (Die Stunde, 20.2.1925,6; Der Tag, 19.2.1925,4). Andererseits betraf es die umstrittene Einladung der in einem spektakulären Justizfall zunächst verurteilten und dann, nach Einsatz von W. Rode vom OGH freigesprochenen Franziska Pruscha, welche zu einer BhS-Werbeveranstaltung umfunktioniert worden sei, die von der AZ als „ordinäre Spekulation“ (AZ, 29.10..1925,4), von der RF als „neueste Gaunerei“ (RF, 29.10.1925,8) an den Pranger gestellt wurde. Auch im Jahr 1926 verwickelte sich der BhS und Ramus in mehrere Kontroversen mit der KPÖ/RF aufgrund der Versuche, in die Interessenssphären der (organis.) Arbeiterschaft hineinzuwirken, Arbeitslose und deren Lage propagandistisch zu nützen (Oberau-Konflikt) u.vor allem wegen der Unterstützung der engl. Regierung und rechtsgerichteter Gewerkschaften im Streikkonflikt mit den Bergarbeitern, wobei insbes. die Zustimmung zur Zurückweisung sowjet. Unterstützung ihm den Vorwurf eintrug, ein „konterrevolutionärer Antibolschewist“ (RF,30.6.1926,6) zu sein, – Frontstellungen u. Scharmützel, die auch 1927-28 Fortsetzung fanden. Interessant wurde auch ein Detail im Zuge des Schwartzbad-Prozesses in Paris, als nämlich Kontakte zw. Schwartzbad (der den ukrain. antisemit. für Pogrome 1918-19 mitverantwortl. Präsidenten Symon Petljura im Mai 1926 ermordet hatte) u. Großmann/Ramus 1908 in Wien zu Tage traten (Der Tag, 19.10.1927,4). Im Zuge einer großen Kundgebung der Internationale der Kriegsdienstgegner am 31.7.1928 im Favoritner Arbeiterheim, bei der erstmals der Grazer Theologe Johannes Ude (später auch: Lebensreformer, Pazifist) die Kriegsdienstverweigerung als „heilige Pflicht“ bezeichnete, verstrickte sich Ramus in eine Polemik über die Ereignisse vom Juli 1927 und die Rolle des Republikan. Schutzbundes, die zu weiteren Schlagabtäuschen führte. Auch eine überparteiliche Versammlung von §144-KritikerInnen wurde im Feb. 1928 von Ramus empfindlich gestört, als er u. seine Sympathisanten die Ausführungen der Abg. A. Popp, des Schriftstellers J. Ferch, des Doz. Friedjung u.a. laut u. beständig unterbrachen (NWJ, 16.2.1928, 9-10). 1929-31 verlagerte er seine Aktivitäten vorwiegend auf das Halten von Vorträgen, u.a. im ›Bund für freiheitliche Kultur und Weltanschauung‹ mit Themen, die von der Geschichte des Anarchismus bis hin zu Fragen des Zionismus oder der Figur Gandhi reichten, akzentuierte seine Anti-Russland-Agitation, was die RF zu scharfen Gegendarstellungen, u.a. Lenin betr., veranlasste (RF,11.7.1930, 6) u. versuchte KPÖ-Veranstaltungen zu infiltrieren (RF, 18.10.1931, 9). Im darauffolgenden Jahr wurde Großmann/Ramus im Zuge des sog. Grazer Entmannungsskandals (eines kommerziell organisierten medizin. problemat. Sterilisationsgeschäfts, das mit polit. Propaganda verknüpft wurde u. mehrere Freitode zur Folge hatte) im Sept. verhaftet, aber nach einem Hungerstreik (Tag, 2.12.1932,5) u. Erlegung einer bedeutenden Kaution im Dez. 1932 wieder freigelassen, ein Fall, der entsprechende publizist. Resonanz u. Polarisierungen hervorrief. Diese Debatte fand im Febr. 1933 eine kuriose Fortsetzung, als Ramus im Zuge einer Presseklage (die er zu seinen Gunsten entschied) A. Hitler als „Sterilisierungsagitator“ ins Spiel brachte (Tag, 21.2.1933,7), während der Grazer Sterilisierungsprozess im Juli 1933 zunächst mit einem Freispruch endete, dann aber aufgr. eines Einspruchs der StA im Dez. in eine 14monatige Haftstrafe verwandelt wurde, die 1934 mit der Verhaftung wirksam wurde (Tag, 10.5.1934,4). Die Ktn. Ztg. Freie Stimmen zeigte am 5.1.1935 irrtümlich seinen Tod an; dagegen zog sich Ramus weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück und floh 1938 nach Großbritannien.

Nachlass:

Internationales Institut für Sozialgeschichte“ (IISG) in Amsterdam

Weitere Werke/Schriften (Auswahl):

Karl Kautsky und die soziale Revolution. New York 1902; Kritische Beiträge zur Charakteristik von Karl Marx, Berlin 1905; Mutterschutz und Liebesfreiheit, Berlin 1907; Die Grundelemente der philosophischen Weltanschauung Max Stirners, Wien 1918; Francisco Ferrer (1859-1909). Sein Leben und Werk. Wien 1921; Friedenskrieger des Hinterlandes. Mannheim 1924.

Literatur (Auswahl):

Friedr. Weiß über: P.R.: Die Neuschöpfung der Gesellschaft. In: BA 7-8/1925, S. 57; Ruch-Schepperle, Ilse, „Ramus, Pierre“ in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 136-137; online verfügbar unter https://www.deutsche-biographie.de/gnd118833197.html#ndbcontent;

G. Fellay/R. Müller: Hommage à la non-violence. Ein grosser freiheitlicher Erzieher: Pierre Ramus (1882–1942). La Collection Les nouveaux humanistes/Die Reihe „Die Neuen Humanisten“, 4, Lausanne 2000; Beatrix Müller-Kampel (Hgin.): »Krieg ist der Mord auf Kommando«. Bürgerliche und anarchistische Friedenskonzepte. Bertha von Suttner und Pierre Ramus. Nettersheim 2005; Wolfgang Kudrnofsky: Pierre Ramus – der Anarchist von Klosterneuburg (Hörspiel 1982), Edition wilde Mischung, 26, Wien 2005; Gerhard Senft (Hg.): Bertha von Suttner, Pierre Ramus, Joseph Roth u.a. Friedenskrieger des Hinterlandes
Der Erste Weltkrieg und der zeitgenössische Antimilitarismus. Wien 2014; Walter Fahnders: Pierre Ramus und Hugo Ball. In: H. Ball-Almanach 2014, 210-216.

Quellen und Dokumente:

http://www.ramus.at/pierre-ramus-gesellschaft/ (mit ausführlichen Angaben zu Tagungen und zur Werkausgabe)

https://www.anarchismus.at/zeitungen-bis-1945/erkenntnis-und-befreiung (Zs. Erkenntnis und Befreiung)

[Danton]: Was ist Anarchismsus? In: NWJ, 23.1.1919, S. 14; K. Sonnenfeld: Bei den Wiener Anarchisten. In: NWJ, 1.2.1920, S.4; Ders.: Ein antimarxistisches System des Sozialismus. In: NWJ, 27.12.1921, S.3-4; -berg: Bei den Anarchisten. In: Der Tag, 2.11.1923, S.4; N.N.: Terror einer ‚Ordnungsbande‘ (betr.: Gerichtsverhandlung gegen Ramus). In: AZ, 3.6.1924, S. 9;

(work in progress)

(PHK)