eigentl.: Paul Stefan Grünfeld/Gruenfeld (bis 1906), geb. am 25.11.1879 in Brünn/Brno – gest. am 2.11.1943 in New York; Musikpublizist, Redakteur, Feuilletonist, Schriftsteller

Der Sohn des Abgeordn. zum mährischen Landtag Arnold Abraham Grünfeld und seiner Gattin Annie, geb. Haas, kam nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums mit seinen zum Katholizismus konvertierten ehem. jüd . Eltern 1898 nach Wien. Dort studierte er Philosophie, Rechtswissenschaft, Kunstgeschichte, Musik und schloss 1907 mit der Promotion zum Dr. phil. ab. Privat nahm er seit 1904 Stunden bei A. Schönberg, beruflich war er bis 1910 beim Centralverband der Industriellen Österreichs als Sekretär tätig. Bereits 1900 erschien mit Stimmungen sein erster literarischer, d.h. ein Lyrik-Band. Der Durchbruch als Musikkritiker gelang ihm 1908 mit einem ersten Buch über Gustav Mahler, dem 1910 eine weitere Mahlerstudie folgte, die bereits 1912 in der 4. Auflage nachgedruckt wurde, sowie 1911 eine über den Mahlerdirigenten und Komponisten Oskar Fried. Den Ersten Weltkrieg begann St. als (Reserve)Offizier und beendete ihn im Kriegsarchiv, nicht ohne am Kriegstagebuch Vom Isonzo zum Balkan (1916) gem. mit F. Th. Csokor u. E.A. Rheinhardt mitzuschreiben.

1919 legte Stefan eine Geschichte der Wiener Oper unter dem Titel Das neue Haus vor; ab 1920 veröffentlichte er neben Feuilletons für das Neue Wr. Tagblatt auch Besprechungen für die Zs. Musikblätter des Anbruchs (MdA). Sein erster Beitr. in Nr. 5/1920 galt einem Tanzabend von Ellen Tels, deren vielseitige Ausdruckskunst vor den versch., auch krit. kommentierten zeitgenöss. Strömungen, von St. anerkennend herausgestrichen wurden, insbes. jene, die „wieder Erlebnisse russischer Kunst“ vermittelten, aber auch romant. Stücke wie z.B. von Grieg, Chopin oder Dvořak kongenial interpretierten. 1921 folgte seine Studie Neue Musik und Wien, die ihm zahlr. Vortragseinladungen weit über den deutschsprach. Raum hinaus eintrugen; St. wirkte darüber hinaus an mehreren G. Mahler-Initiativen jenes Jahres mit wie z.B. an dem Internat. Mahler-Tagen oder am Mahler-Sonderheft der Zs. Moderne Welt. Nebenher war er auch als Feuilletonist beim Neuen Wr. Tagblatt tätig. 1922 wird er zum österr. Delegierten der IGNM bestimmt u. im Juni 1922 übernimmt Stefan die Leitung der Musikblätter des Anbruch (MdA), eine Funktion, die er bis 1937 innehatte und die in den Folgejahren von versch. Schwerpunktheften, wie z.B. zu F. Schreker (1922), A. Schönberg (1924), zum Jazz, zu Russland (1925), zum Tanz, zu Maschine und Musik (1926) geprägt war und somit auch das themat. Profil wie das Mitarbeiterspektrum der Zs. sichtbar modernisierten und öffneten. 1923 erschien seine Max Reinhardt-Biographie u. St. wurde zum Mitglied der Rechtsschutzkommission des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in Österreich gewählt. Seit Einrichtung der Zs. Die Bühne wirkte auch St. an ihr als Musik- u. Theaterkritiker mit, beginnend mit einer Bespr. der UA von Komisches Intermezzo von R. Strauß. Seit 1925, oft in Begleitung durch P. A. Pisk, war St. auch in Radio Wien als Kommentator oder Vortragender zu hören.

Stefan bemühte sich in jener Zeit um Ausweitung des Mitarbeiterkreises der MdA; prominentester Zugang im Jahr 1925 war z.B. Theodor W. Adorno, der in H.7/1925 die UA von Alban Bergs Wozzeck bespricht. Aus dem Schwerpkt.heft über den Tanz entsteht 1926 auch eine separate Publ. Tanz in dieser Zeit; in der Zs. Die Bühne veröffentl. St. zahlr. Reisefeuilletons, bespr. nebenher auch literar. Neuerscheinungen wie z.B. Schnitzlers Traumnovelle (H.53/1926), widmet R. Rolland einen Beitr., befasst sich mit Selma Lagerlöf (H.210/1928) oder Hofmannsthals Ägyptische Helena (H.187/1928). Im Radio stellt St. Künstler an den Schnittflächen von Literatur u. Musik vor wie z.B. R. Schumann oder E.T. A. Hoffmann u. präsentiert Themen, die zeitgl. auch in den MdA diskutiert werden wie z.B. über Musik und Maschinen im Kontext der Schallplattendebatte oder jener über das sog. Sphärophon. Auch in den sozialdemokr. Volkshochschulprogrammen (Leopoldstadt, Ottakring) war er zu musikal. Anlässen, z.B. zur Verdi-Feier im Jänner 1926, zu Beethoven- und Brahmsveranstaltungen 1927 oder der Hugo Wolf-Gedenkfeier 1928 vertreten. Auch 1927 präsentierte St. in der populären Bühne ungewöhnl. neue Musik bzw. künstler. Ensembles, so z.B. die UA von Ivan Golls Operngroteske Palace Royal in der Vertonung von Kurt Weill oder Diaghilews Ballett anlässl. des Wiener Gastspiels (Dez. 1927). 1928 war Stefan in die Schubert-Feiern stark eingebunden u. veröffentl. auch eine Biographie über ihn, äußerte sich aber auch zu Kreneks Jonny u. dessen nachfolgende Kompositionen, insbes. die Kurzopern Der Diktator oder Schwergewicht oder die Ehre der Nationsowie zu F. Schrekers neuer Oper Der singende Teufel (Bühne 216/1928).

Ende der 1920er konnte St. auch auf eine beachtl. Radiopräsenz verweisen, allein 1929-30 mit je 20 Beiträgen, u.a. zu Schönbergs Gurrelieder. Neben der neuen Musik, z.B. dem Trio Krenek-Schönberg-Weill, Milhaud oder Janaček, interess. St. stets auch die Klassiker in der Linie von Mozart über Verdi bis Wagner. 1932 erschien denn auch Die Wiener Oper; 1933, anlässl. des 50. Todestages von Wagner veröffentl. St. die Schrift Die Feindschaft gegen Wagner; kulturpolit. äußert er sich kritisch über die Machtübernahme des Nationalsoz. in Deutschland. 1934 folgten Biographien zu Arturo Toscanini bzw. Bruno Walter. In den Folgejahren bleibt St. zwar noch aktiv, insbes. durch Radiobeitr., seine publizist. Präsenz ist insgesamt freilich rückläufig. Nach dem sog. Anschluss im März 1938 flüchtete Stefan nach Frankreich u. schloss sich in Paris der Liga für das geistige Österreich an; er gehörte auch ihrer Delegation beim Begräbnis von Joseph Roth an. 1940 flüchtet St. in die USA weiter.


Werke (Auswahl)

Anna Bahr-Mildenburg (1922); Hofmannsthal. Eine Ansprache (1924); Arnold Schönberg. Wandlung-Legende-Erscheinung-Bedeutung (1924); 25 Jahre neue Musik. = Jahrbuch der Universal Ed. (1926); Dvořak. Leben und Werk (1935); Toscanini (1935)

Literatur

Eintrag bei musiklexikon.atEintrag bei deacademic.com.

(PHK)

Geb. 28.9. 1881 in Untermais/Meran, k.k. Österreich-Ungarn (heute: Italien), gest. 30.8. 1940 in Buchenwald (KZ). deutschnational orientierter Politiker der Christlichsozialen Partei (bis 1930), Heimwehraktivist, Rechtsanwalt, Landes- und Bundesrat, Antidemokrat.

Materialien und Quellen:

Eintrag in ÖBL; Eintrag in ÖCV;

(in preparation)

Geb. 8. 11. 1875 in Graz, gest. 13.4. 1954 in Wien. Bildhauer, Kunstfunktionär (Hagenbund)

Materialien und Quellen:

Eintrag auf geschichtewiki.wien.at;

(in preparation)

Geb. 28.6. 1880 in Budapest, gest. bzw. ermordet vermutl. am 11.10. 1944 in Auschwitz

Bühnenautor, Librettist für Operetten, Revuen und Kabarett, Komponist, Regisseur, Romancier.

Seit etwa 1900 lebte Sterk in Wien (eine erste Publikation in der Zs. Der Humorist erschien 1901), wo er seit 1907 im Theater- und Kabarettbetrieb als Autor von Operetten tätig wird: für das Bürgertheater mit Die Liebesfalle, für Die Hölle mit der einaktigen Operette Odysseus Heimkehr. 1910 folgten die Operetten Herr und Frau Biedermeier, vertont durch C. M. Ziehrer, sowie Das Musikantenmädel, wo er erstmals mit F. Grünbaum zusammenarbeitete. Große Resonanz im Publikum aber zwiespältiger Aufnahme durch die Kritik fand das ab Nov. 1914 auf dem Dt. Volkstheater laufende, gem. mit F. Grünbaum verfasste Lustspiel Sturmidyll, das in Russisch-Polen Alltags-Abenteuer eines k.u.k. Oberleutnants nachzeichnete, das 1915 auch in Olmütz aufgeführt wurde. 1916 folgte mit Mein Annerl eine weitere Co-Produktion mit F. Grünbaum in diesem Genre für das Carl-Theater. 1918-20 verfasste er Texte für die Revuebühne Femina, z.B. gem. mit F. Löhner eine Revue mit satir. Zeitbezug unter dem Titel Alles schiebt (1920). Im März 1919 war er neben dem Chanson-Texter Bela Laszky zuerst Mitbegründer und im Mai 1919 unter den Akteuren der „Sozialisierung“ des sich dezidiert politisch verstehenden Varietè-Theaters  ›Künstlerspiele Pan‹ in der Riemergasse durch einen aus Ensemblemitgliedern gebildeten Theaterrat und wirkte als dessen erster Spielleiter/Regisseur. 1921 wurde seine Posse Eine feine Nummer im Olypia-Varietè gegeben, im Nov. desselben Jahres kam seine Revue Bis fünf Uhr früh in Berlin auf der Kleinkunstbühne Potpourri zur Aufführung (NWTbl.,24.1.1921, 8). In Berlin erlebte 1922 schießlich seine mit F. Grünbau verf. Operette Dorine und der Zufall ihre Uraufführung; in Wien stand sie im Folgejahr als Gastspiel ebenso erfolgreich („ein ganz besonderes Vergnügen“; Der Humorist, 8.9.1923) im Bürgertheater auf dem Programm wie 1927 als eigentl. Wr. Erstauff. auf der Rolandbühne. 1928 wurde sie in der Regie von F. Preißler durch die Sascha verfilmt.

1924 vollendete Sterk zwei Operetten, die auch aufgeführt wurden: Agri sowie die recht erfolgreich (50 Aufführungen bis März 1925) Pusztaliebchen, die auch in München, Bologna u. Mailand im zwischen August 1925 u. Feb. 1926 in Gastinszen. zur Aufführung gelangte (Der Tag, 17.11.1925, 7). Für Leo Aschers erfolgreiche Operette Ich hab‘ dich lieb, die in Berlin ihre UA erlebte, verfasste Sterk 1926 das Libretto, sodass er bereits Mitte der 1920er Jahre mit nahezu allen wichtigen Operettenkomponisten zusammengearbeitet u. in verschiedenen Funktionen an insges. rund 40 Operetten u. Lustspielen mitgewirkt hat (NWJ, 29.8.1926, 26). Für die Variétébühne Der Faun (Nachfolge von Künstlerspiele Pan) verf. Sterk 1927 eine „Mitternachtsszene“ unter dem Titel Der Faun, ferner die Operette Yvette und ihre Freunde. Ende der 1920er Jahre betätigte sich Sterk auch als Komponist bzw. Verfasser von (Schlager)Liedern, die z.T. hocherfolgreich waren, so z.B. von Du bist die schönste Frau (Dez. 1929, Gr. Musikvereinssaal). 1930 folgte eine Neubearb. der Johann Strauß-Operette Der lustige Krieg, sowie die gemeins. mit Grünbaum verfasste u. von Dol Dauber mit Jazzmusik unterlegte Revue Intermezzo im Zirkus, die in F. Heller im Tag einen geneigten Kritiker fand. Im Dez. dess. Jahres kam die Operette Der König ihres Herzens zur Aufführung und ab August 1932 die von ihm für die deutschsprachigen Bühnen bearbeitete ungar. Operette Tango um Mitternacht von Karl Komjati, die auch international (auf 20 deutschen Bühnen zur Jahreswende 1932-33, Radioübertragungen in Belgien u. Italien bis 1937) überaus erfolgreich war und im März 1933 in Wien ihre Erstaufführung erlebte. Nach 1934 zog sich Sterk aus dem Betrieb sichtlich zurück bzw. beschränkte sich auf gelegentliche Mitwirkungen bei Gemeinschaftsproduktionen. Obwohl bereits 1912 aus der Israelit. KG ausgetreten, wurde er am 15.1.1943 nach Theresienstadt deportiert und von dort am 9.10. 1944 nach Auschwitz, wo er offenbar sofort nach der Ankunft ermordet wurde.


Literatur

R. Müller: W. Sterk. In: ÖBL, Bd. 13, Wien 2007-10, 219; online verfügbar unter: https://www.biographien.ac.at/oebl_13/219.pdf; K. Weniger: Zwischen Bühne und Baracke. Lexikon der verfolgten Theater-, Film- und Musikkünstler 1933 bis 1945. Mit einem Geleitwort von Paul Spiegel. Berlin 2008, 327; K. Ploog: …als die Noten laufen lernten. Bd. 1.2. Komponisten. Norderstedt 2019, 281f.

Weitere Werke (Auswahl)

Rifka Perl. Ein Liebesroman aus Galizien (1920); Des Königs Nachbarin (Singspiel, 1923, gem. mit F. Grünbaum); Ich und Du (1926); Alles verkehrt (Nachtrevue, 1927); Meine Tochter Otto (Operette, 1927)

Quellen und Dokumente

W. Sterk: Theater- Schüttel- und Knüttelverse. In: Der Humorist, 1.3.1907, S. 9; -bs-: Sturmidyll. In: NWJ, 15.11.1914, S. 12-13; Gründungserklärung der Kunstspiele „Pan“. In: Wiener Sporttageblatt, 13.3.1919, S. 4; Sozialisierung der Künstlerspiele „Pan“. In: NWJ, 30.5.1919, S. 26; N.N. über: Dorine und der Zufall. In: Der Humorist, 8.9.1923, S. 2; N.N. über: Pusztaliebchen. In: Der Morgen, 22. 12.1924, S. 4; F.Heller über: Dorine und der Zufall (Neuinsz.). In: Der Tag, 17.3. 1927, S. 5; F. Heller über: Yvette und ihre Freunde. In: Der Tag, 19.11.1927, S. 6; Filmplakat zu: Dorine (Junge, schön und reich). In: Mein Film, H. 146/1928, S. 15; Filmkritik zu: Dorine und der Zufall. In: Der Tag, 12.10.1928, S. 8; F. H[eller]: Intermezzo im Zirkus. In: Der Tag, 18.11.1930, S. 7; (Kurzmeldung): Ein Tango um Mitternacht. In: NWJ, 13.5.1932, S. 10.

(PHK)

(work in progress…)

Geb. 19.7. 1899 in Wien, gest. 31.1. 1980 in San Juan/ Puerto Rico. Feuilletonist, Philosoph, Exilant

Materialien und Quellen:

Der Sprechfilm – ein Rivale des Theaters? In: Die Bühne, H. 197/1928, S. 24-25; Moses Mendelssohn (zum 200. Geburtstag), in: Neues Wr.Tagblatt, 6.9. 1929, S. 2-3;

(in preparation)

als Schriftsteller häufig als Josef Luitpold, geb. am 16.4.1886 in Wien – gest. am 13.9.1966 in Wien; Schriftsteller, Funktionär der Arbeiterbildung

J. L. S. entstammte einer jüdischen Handwerkerfamilie. Sein Vater Moriz ermöglichte ihm als Administrator der Arbeiter-Zeitung den Gymnasialbesuch. Nach dem frühen Tod des Vaters 15-jährig als Hauslehrer tätig, engagierte sich S. im Verband Jugendlicher Arbeiter und trat früh publizistisch in Erscheinung. Seit dem Studium der Rechtswissenschaften in Wien und Heidelberg (1904-1909) durch Kontakte zu Victor Adler, Robert Danneberg, Ludo Hartmann, Emil Reich und Max Winter rascher Aufstieg in der Sozialdemokratie, zunächst Tätigkeit als Bibliothekar und Vortragender im Ottakringer Volksheim, ab 1911 zahlreiche literarische wie publizistische Veröffentlichungen in der Arbeiter-Zeitung und in Der Kampf, maßgebliche Mitwirkung an der Wiener Freien Volksbühne, 1913/14 Redakteur von deren Publikationsorgan Der Strom. 1912 wurde S. Leiter der Abteilung Büchereien der Arbeiterbildungszentrale, 1914/15 gab er die pazifistische Satirezeitschrift Glühlichter heraus. Im Ersten Weltkrieg ab 1915 als Soldat an der Isonzofront sowie als Antikriegsdichter aktiv (Gedichtsammlung Herz im Eisen 1917, illustriert von Alfred Kubin), übernahm S. 1918/19, eingesetzt von Julius Deutsch, neben der Leitung der Bildungszentrale die Position des Bildungsoffiziers der Deutsch-Österreichischen Volkswehr. 1919 gründete er die Sozialdemokratische Kunststelle mit David J. Bach, als dessen ideologischer Gegenspieler er sich bereits vor 1914 positioniert, strebte S. wie Richard Wagner und Otto Felix Kanitz (doch) die Überwindung der Überreste liberaler Programmatik in der sozialistischen Kulturpolitik sowie die deutliche Abgrenzung von einer bürgerlichen Kultur an. S. forcierte in- und ausländische Arbeiterliteratur, etwa von Franz Michael Felder, Alfons Petzold, Johan Falkenberget und Martin Andersen Nexø. Der Bruch mit Mitstreitern führte 1922 zur Übersiedlung in die Tschechoslowakei, wo er die Leitung der Zentralstelle für Bildungswesen der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei übernahm. 1923 hielt er am Aussiger Parteitag die programmatische Rede Klassenkampf und Massenschulung.

1926 kehrte S. als Rektor der neugegründeten Arbeiterhochschule nach Wien zurück, an der u.a. Karl SeitzOtto Bauer, Karl Renner, Max Adler und Otto Neurath lehrten. Neben der Mitbegründung der Büchergilde Gutenberg in Österreich, der Herausgabe des Arbeiter-Kalenders und mehreren von O. R. Schatz illustrierten literarischen Arbeiten rege Publikationstätigkeit in Der Kampf und Bildungsarbeit, dabei Dispute mit Karl Kraus, Theodor Kramer und Rudolf Brunngraber. 1932 wurde er erneut Leiter der Bildungszentrale, 1933 Mitbegründer und Vorsitzender der Vereinigung Sozialistischer Schriftsteller. 1934 floh er nach Brünn/Brno, später in die USA. 1948 Rückkehr nach Österreich. Nach 1945 zahlreiche Auszeichnungen, u.a. 1958 der Staatspreis für Volksbildung und Ernennung zum Professor.


Werke (Auswahl)

Das Wiener Volksbildungswesen (1910), Soziale Balladen (1911), Klassenkampf und Massenschulung (1924), Der entwurzelte Baum. In Holz geschnitten von Otto-R. Schatz. (1926), Die neue Stadt. Mit einem Holzschnitt von O. R. Schatz (1927), Die Rückkehr des Prometheus (1927), Das Josef-Luitpold-Buch. Lyrik und Prosa aus vier Jahrzehnten. Herausgegeben von Alfred Zohner (1948)

Quellen und Dokumente

Arbeiter und Dichter. In: Der Kampf IV, 4. Jänner 1912, S. 182-188, Auf dem Weg zur Kultur. In: Der Kampf XIX, 5. Mai 1926, S. 193-195, Der Arbeiter und die Kultur. In: Bildungsarbeit XVII, 5. Mai 1930, S. 1-4, Morast der Gleichgültigkeit. In: Der Kampf XXIV, 9. September 1931, S. 417f [= Rezension zu Theodor Kramers Wir lagen in Wolhynien im Morast], Rudolf Brunngraber: Karl und das 20. Jahrhundert. In: BA, XIX, 12. Dezember 1932, S. 255.

Literatur

Jürgen Doll: Proletarische Gegenkultur? Zu J. L. S.s Versuch, das Konzept einer proletarischen Klassenkultur auf sozialdemokratischer Basis zu begründen. In: Konstantin Kaiser et al. (Hg.): Rote Tränen. Die Zerstörung der Arbeiterkultur durch Faschismus und Nationalsozialismus, 28-43 (2017), Ernst K. Herlitzka: Josef Luitpold Stern (1886-196). Versuch einer Würdigung. In: Gerhard Botz et al. (Hg.): Bewegung und Klasse. Studien zur österreichischen Arbeitergeschichte (1978), 119-157, Norbert Leser: Josef Luitpold Stern. 1886-1966. In: N. L.: Grenzgänger. Österreichische Geistesgeschichte in Totenbeschwörungen. Band II (1982), 209-224, Sabine Lichtenberger: „Der unermüdliche Trommler“ – Josef Luitpold Stern (1886-1966). In: Zwischenwelt 28 (2011), H. 1/2, 15-22, Hugo Pepper: Josef Luitpold Stern. Versuch einer Bibliographie. In: Mit der Ziehharmonika. Zeitschrift der Theodor-Kramer-Gesellschaft 9 (1992), H. 3, 21-23, Alfred Pfoser: Literatur und Austromarxismus (1980), Daniela Strigl: Stern gegen Kramer, Kraus gegen Stern. Widersprüche zur sozialdemokratischen Lyrik der Ersten Republik. In: Wendelin Schmidt-Dengler (Hg.): Konflikte – Skandale – Dichterfehden in der österreichischen Literatur (1995) 151-162, Marcus Strohmeier: Lernen um zu kämpfen. Kämpfen um zu siegen. Josef Luitpold Stern (1886-1966) (2011) [Online verfügbar].

(ME)

Geb. 8.11.1868 in Wien, gest. 28.6.1945 in Havanna (Cuba). Theater- und Literaturkritiker, Redakteur, Anwalt

Der Sohn eines Bankbeamten studierte nach Absolvierung des Gymnasiums ab 1887 Jus an der Universität Wien, wo er 1895 zum Dr. jur. promoviert wurde. Bereits um 1890 wurde Sternberg als Mitarbeiter verschiedener Zeitungen tätig wie z.B. des Wiener Tagblatts oder der Deutschen Zeitung. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft geriet er 1892 ins Visier einer antisemitischen Kampagne, die eigentl. vom nordbühm. Provinzblatt Warnsdorfer Volkszeitung unter dem Titel Die Macher der öffentlichen Meinung losgetreten und von mehreren anderen österr. Ztg. übernommen wurde (Linzer Volksblatt, Deutsches Volksblatt etc.). Seit Ende 1894 war er, nach dem Austritt aus der Dt. Zeitung, die im Juli von der antisemit. Dt. Volkszeitung übernommen wurde, für das Feuilleton des Organs der ‚Produktion‘ (Industrie), ›Die Arbeit‹, tätig. Ab 1898 engagiert sich Sternberg auch in der Journalisten- und Schriftstellervereinigung ›Concordia‹ und tritt in die Lokalredaktion der NFP ein. Ende 1901 war St. wegen eines von ihm in der Breslauer Ztg. veröffentlichten Wiener Briefs über das Stück Der neue Simson sowie damit verknüpfter Herausgeberallüren in einen Ehrenbeleidigungsprozess verwickelt, den Karl Kraus gegen ihn angestrengt hat; ihm folgten in den Jahren bis 1910 verschiedene andere Ehrenbeleidigungsscharmützel mit lokalen Persönlichkeiten. 1908 trat Sternberg aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus (Staudacher, 592); ab 1910 firmierte Sternberg im Herausgeber-Impressum der NFP. Während des Ersten Weltkrieges trat Sternberg nicht besonders in Erscheinung. Im April 1918 nahm er an der Gründungsversammlung des Deutsch-österreichischen Theatervereins teil, dessen Vorstand u.a. so unterschiedliche Persönlichkeiten wie D. J. Bach, W. Brecht, K. Glossy oder O. Kattan angehören sollten. Am 12. Nov. 1918 befand er sich just zu dem Zeitpunkt in den Redaktionsräumen, als die NFP kurzzeitig von der Roten Garde besetzt wurde, wovon er tags darauf im NWTBl. berichtete. Im Juni 1919 verehelichte sich Sternberg mit Blanche Schnitzer, geb. Paris. Seit 1921 (bis 1927) verf. Sternberg Literaturkritik in Form von zirka 200 Buchbesprechungen in der Rubrik ‚Bücher von denen man spricht‘, für die Zs. Moderne Welt. Er war damit ein wichtiger Kritiker und eröffnete seine Karriere mit einem Nachruf auf Th. Rittner oder Buchbesprechungen wie z.B. zur Traumpeitsche von O. Soyka oder Erzählungen von F. K. Ginzkey, 1922 des verqueren Revolutionsromans Die gelbe Fahne von L. Fischmann oder zu Büchern im Umfeld zeitgenöss. Okkultismus-Texte wie z.B. von Paul Busson und Gustav Meyrink. 1923 folgten u.a. die Besprechung von St. Zweigs Amok sowie des neuaufgel. Bd. Die Patrizierin von J. V. Widmann, ferner von F. Saltens „wundersam aufregendes […] Jugendbuch“ Bambi oder E. Lothars Irrlicht des Geistes; 1924 eine Reihe herausragender Texte wie z.B. H. Manns Novellenband Der Jüngling, Th. Manns Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, Turlupin von L. Perutz, J. Wassermanns Der Geist des Pilgers oder F. Werfels Verdi. Sternberg ließ sich aber auch G. Hirschfelds Das Blut der Messalina ein, das er den „Niederungen der Kolportage“ zurechnete, auf Ernst Kleins Romane, für ihn positive Überraschungen sowie auf L. Winders Hugo, der zwar Züge einer „krankhaften Erotik“ trage, aber dennoch eine „starke epische Verheißung“ sei. Unter den Büchern, die in der MW 1925 besprochen werden, ragen, so Sternberg, Schnitzlers Fräulein Else und Th. Manns Zauberberg heraus, ihnen nähert er sich respektvoll und bespricht sie zugleich treffend. Daneben galt seine Aufmerksamkeit, auch seine Kritik, Büchern von Roda-Roda, Paul Bourget, R. J. Kreutz oder den von R. Fülöp-Miller hg. Lebenserinnerungen der Witwe von F. Dostojewski, 1926 neben St. Zweigs Verwirrung der Gefühle, Th. Manns Unordnung und frühes Leid, J. Wassermanns Der Aufruhr um den Junker Ernst und F. Werfels Der Tod des Kleinbürgers wiederum auch Autoren wie Hans Adler, Oskar Jellinek oder Max Scheyer sowie, in krit. Distanz, H. Manns Mutter Marie, J. Galsworthy und seiner Fortsetzung der Forsyte-Saga, S. Lagerlöf oder P. Benoit. Im letzten Jahr seiner Tätigkeit als Literaturkritiker besprach er u.a. Neuerscheinungen von W. Angel, P. Busson, G. Fröschel, Roda-Roda, A. Schnitzler und L. Slezak. Nach dem Ende dieser Tätigkeit für die MW konzentrierte sich Sternberg vorwiegend auf Redaktionsarbeiten in der NFP, wobei er in zahlreiche Presseverfahren verwickelt war. U.a. denunzierte er 1927 den Republikanischen Schutzbund, Kontakte zum jugoslawischen Generalstab aufgenommen zu haben, wurde aber verurteilt, die Richtigstellung durch J. Deutsch zu veröffentlichen. 1930 engagierte er sich aber auch gegen die neue Preßgesetzvorlage (mit Ansätzen einer Vorzensur) durch die Regierung, was ihm Anerkennung über die versch. Lager hinweg, selbst seitens der Roten Fahne, eintrug. 1931 war Sternberg in den Wien-Besuch des Zeppelin-Luftschiffes involviert, den die NFP mitorganisiert hatte; darüber hinaus auch wieder in mehrere Presseverfahren. Eines der kurioseren Verfahren war jenes, das der zuständige Staatsanwalt im Zuge einer Beschlagnahmung gegen ihn einleitete, als Sternberg aus einschlägigen Quellen die dubiosen Kontakte und Putschvorbereitungen des Heimwehr-Majors Papst in einem Artikel anprangerte (s. Der Abend, 30.9.1932,4). Im Zuge der Einführung der sog. Notverordnung im März 1933, welche auch presserechtl. Einschränkungen zur Folge hatte, formulierte Sternberg namens der Concordia schriftl. einen scharfen Protest, der allerdings wirkungslos geblieben ist. 1934-35 trat er außer in seiner Funktion als verantwortl. Redakteur der NFP kaum mehr öffentlich in Erscheinung; 1936 berief ihn BK Schuschnigg in den sog. Standesstrafsenat für Pressewesen, dem F. Funder (Chefred. der Reichspost) vorstand; nach dem Anschluss wurde er aus der Redaktion entlassen und musste sich alsbald aufgr. seiner jüd. Familienherkunft um ein Ausreisevisum kümmern. Ein erster Versuch 1939 misslang, erst (vermutl.) im Sept. 1941 gelang ihm über Barcelona die Flucht nach Havanna.

Quellen und Dokumente:

Anna L. Staudacher: “…meldet den Austritt aus dem mosaischen Glauben…“ Frankfurt/M. u.a. 2009.http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_S/Sternberg_Julian_1868_1945.xml; J. Sternberg: Decadent. In: Die Arbeit, 30.12.1894, S. 7; Der neue Simson vor dem Bezirksgericht. In: Deutsches Volksblatt, 14.1.1901, S. 10; N.N.: Kurze Besetzung der Redaktion der NFP. In: Neues Wr. Tagblatt, 13.11.1918, S. 6; J. Sternberg (J.St.): Thaddäus Rittner. In: Moderne Welt H.3/1921-22, S. 19; J. St.: Otto Soyka: Die Traumpeitsche. In: Moderne Welt, H.5/1921-22, S. 10; J. St.: Zu St. Zweigs Amok. In: Moderne Welt, H. 9/1923, S. 28f.; Zu F. Saltens Bambi. In: Moderne Welt, H. 12/1923, S. 9; Zu E. Lothar: Irrlicht des Geistes. In: Moderne Welt, H.8/1923, S. 28; Drei Romane von E. Klein. In: Moderne Welt, H. 21/1924, S. 20f. Zu L. Perutz: Turlupin. In: Moderne Welt, H. /1924, S. 17; Zu L. Winders Hugo. Tragödie eines Knaben. In: Moderne Welt, H 6/1924, S. 18; . Sternberg: Zu Schnitzlers Fräulein Else und Th. Manns Zauberberg. In: Moderne Welt, H. /1925, S. 21; Zu Wassermanns Aufruhr des Junkers und Werfels Tod des Kleinbürgers. In: Moderne Welt, H.16/1926, S. 23f.; Die faschistische Pressdiktatur. In: Rote Fahne, 26.6.1930, S. 3; N.N.: Protestkundgebung gegen Pressegesetz. In: Der Tag, 26.6.1930, S. 4; Presseprozess gegen Putschisten Papst. In: Der Abend, 30.9.1932, S. 4.

(PHK)

Geb. 5.5.1870 in Wien, gest. 24.2.1947 in Wien; Schriftstellerin, Kritikerin, Kulturpublizistin.

Die Tochter des Neurologen und Psychiaters Theodor Meynert (1833-1892), der seit 1870 an der Univ. Wien lehrte, u.a.  auch S. Freud, wuchs in einem liberalen Elternhaus aus, in dem maßgebliche VertreterInnen des Wiener Kultur- und Literaturlebens (A. v. Frankl-Hohenwart, F. v. Saar, W. v. Wertheimstein u.a.) verkehrten. Sie begann um 1900 in der Wiener Zeitung sowie der Wiener Hausfrauenzeitung und ab 1903 auch im Neuen Wiener Tagblatt mit literarischen und feuilletonistischen Arbeiten ihre schriftstellerische Laufbahn, die 1903 in die Veröffentl. eines ersten Romans Grenzen der Kraft einmündeten, gefolgt von Sabine. Tragödie einer Liebe (1905), die zeitgenössische Frauenbilder und Weiblichkeitsprojektionen thematisierten. Zugleich engagierte sie sich in bürgerlichen Vereinigungen zur Frauen-Frage wie z.B. im Wiener Hausfrauenverein sowie im Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen.  Gemeinsam mit Rosa Mayreder, Eugenie Schwarzwald, Helene Scheu-Riesz und vielen anderen engagierten Protagonistinnen des kulturellen Lebens unterzeichnete sie 1905 einen Aufruf zur Gewährung des Wahlrechts für Frauen (Die Zeit, 8.12.1905, 6). 1906 veröffentlichte sie in der NFP (5.8.1906) Briefe, die Saar an Sie gerichtet hat und kommentierte dessen letzten Lebensmonate. 1907 veröffentlichte sie in der angesehenen Ztg. Die Zeit einen Essay über den Kinderschutz; 1908 folgte das Volksstück Die Blinde, das im Raimundtheater einiges Echo im Zuge einer Wohltätigkeitsaufführung hervorrief, u.a. auch einen harschen Verriss durch die Zeit, während sich das Neue Wr. Tagblatt auf die Auflistung des „sehr vornehmen Publikums“ beschränkte und die AZ immerhin davon sprach, es sei zwar „rührselig“ aber auch „nicht ganz ohne Talent“. Im Nov. 1909 wurde sie zur Vorsitzenden des Neuen Frauenclubs gewählt, dem sie schon einige Jahre angehörte (Die Zeit, 10.11. 1909,5), 1911 engagierte sie sich auch beherzt gegen die Teuerungswellen in Wien und gegen öffentliche Verunglimpfungen der sich organisierenden Frauen durch hochrangige Vertreter des Großgrundbesitzes (NFP, 12.5.1911, 29). Für den für Sept. 1914 geplanten, dann abgesagten Weltfriedenskongress in Wien, war Dora Stockert-Meynert im vorbereitenden Aktionskomitee (unter der Leitung von B. v. Suttner) nominiert. Während des Weltkrieges konzentrierte sie sich auf Wohltätigkeitsinitiativen, u.a. 1916 im Zuge eines Einakterabends an der Neuen Wiener Bühne mit einer Groteske (NFP, 14.4.1916, 12) zugunsten von Kriegsfürsorgeasyl-Anstalten und dem Kinderschutz. Im Mai 1919 übernimmt sie von Marie Herzfeld die Präsidentschaft im Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen und betätigt sich – insb. für die Wiener Zeitung – fortan auch als Literaturkritikerin, wobei sie sich v.a. Texten von Frauen (Gisela Berger, Elsa v. Bonin, Margarete Kalthammer) widmete, aber auch der „von Sinnlichkeit durchwühlten“ Novelle Liebe von H. Kaltneker Respekt zollte (Wr. Ztg., 26.10.1921, 6). Ab 1920 etwa verstärkte sich ihre konservative, im Katholizismus Halt suchende, die Ereignisse der Zeit pessimistisch kommentierende Haltung, z.B. im feuilletonist. Essay Die Zeit und die Sibyllen im Neuen Wr. Journal.

Weitere Werke:

Quellen und Dokumente:

I. Nawrocka-E. Offenthaler: Dora Stockert-Meynert. In: ÖBL: hier.

Work in progress!

geb. am 2.5.1875 in Wien – gest. am 15.9.1936 in Wien; Schriftsteller, Kritiker, Beamter

Der älteste Sohn eines Kinderarztes, der früh verstarb u. später in Texten als bewunderte Vaterfigur häufig auftaucht, inskribierte nach abgelegter Matura 1893 an der Univ. Wien Jurisprudenz u. begann für Zs. u. Ztg. als Kritiker u. im Feuilleton tätig zu werden, insbes. in der Zeit, in der Wage und in der Neuen Freien Presse. Ab 1897 stand er im Kontakt mit Vertr. der Wiener Moderne wie z.B. P. Altenberg, A. Kubin, K. Kraus, R. Scheu, aber auch mit S. Lublinksi. Gemeinsam mit Robert Scheu verf. St. 1897-98 erste Dramen, u.a. Waare, das durch die Zensur verboten wurde u. eine heftige Debatte, auch in Form einer parlamentar. Anfrage, auslöse. Nach Abschluss seiner Studien trat St. 1900 als Beamter bei der Kaiser Ferdinands Nordbahn ein. Seit 1906 Mitarb. an der Fackel veröffentl. er dort bis 1911 rund 25 Beiträge, darunter den satir. Essay Der Germanist (F.264/1908). In der romanartigen Erz. In den Mauern (1907) gestaltet St. die Gesch. einer Wiener Bürgerfamilie anhand eines Generationsmodells, in Sonjas letzter Name (1908) eine die sozialen Grenzen u. nat. Grenzen überschreitende Beziehung zwischen der poln.-jüd. und der k.k. Offiziers-Welt oder in Egon und Danitza (1911) eine ungewöhnl. Ausstiegsgesch. einer Frau aus dem sie demütigenden, auf Hochstapelei gründenden bürgerl. Milieu. Seit 1909 auch mit Beitr. in der Österreichischen Rundschau, im Simplicissimus sowie in versch.regionalen k.k. Ztg., z.B. in der Agramer Zeitung, vertreten, zählte St. bald zu den anerkannten und verbreiteten Schriftstellern u. Feuilletonisten u. konnte bis 1914 auf ein beachtl. Werk u. eine ebenso beachtl. Präsenz in der literar. Öffentlichkeit blicken. Dies dokumentieren auch Texte, die ab 1910 in der ProgrammZs. des Berliner Expressionismus, Der Sturm, erschienen, wo auch seine Neuersch. angekündigt wurden, z.B. Negerkönigs Tochter (1910) ebenso wie der 1912 veröff. Roman Morgenrot. Wegen Kurzsichtigkeit untauglich, konnte St. den Ersten Weltkrieg als Zivilist überstehen.

Aus: Die Bühne (1934), H. 367, S. 35

1919 erhielt St. für sein essayist. Werk, insbes. für Lebensform und Dichtungsform die Bauernfeld-Ehrengabe, im selben Jahr wurde er zum Burgtheaterkritiker der Wiener Zeitung; 1920 wurde die dramat. Sage Der Hirt als Gott uraufgeführt, die kontrovers aufgenommen wurde. Als sein Hauptwerk gilt Das Haus Erath, ein Roman, der den Verfall einer Weberei-Fam. durch drei Generationen hindurch bis 1918 gestaltet. Ihn hat Martina Wied mit Th. Manns Buddenbrooks verglichen; unter dem Titel Bürgerhausgeschichten erschien der Roman bereits 1919 in einer Erstfassung im Neuen Wr. Tagbl. als Fs-Roman. 1922 erschien der Novellenbd. Irrwege; im selben Jahre kam auch Egon und Danitza in der AZ als Fs-Erz. zum Abdruck. 1923 erhielt St. den Preis der Stadt Wien, ließ sich pensionieren u. widmete sich fortan auschließl. seinen literar. u. feuilletonist.-kritischen Interessen. Die AZ veröffentl. noch vor der Buchfassung ab 11. Mai 1923 den Roman Sonnenmelodie, der sich der Außenseitergestalt der Musikmoderne J. M. Hauer widmet, als Fortsetzungsroman. 1927 fand sich Stoessl in der Debatte über die katholische vs. interkonfess. Ausrichtung rund um die an ein kathol. Lesepublikum gerichtete Zs. Orplid verwickelt, in der z.B. die Reichspost eine Stoessl-ablehnende Haltung bezog, vermutl. auch wegen St.s. Präsenz im Arbeiter-Jahrbuch 1928. Ebf. 1928 wurde das Haus Erath bei Langen Müller neu aufgelegt; 1929 folgte der Erz. Bd. Menschendämmerung. Trotz mehrfacher Interventionen gegen den ‚roten‘ Stoessl (er wirkte auch bei Literaturveranstaltungen der VHSOttakring mit) als Burgtheaterreferent bei der amtlichen WZ, konnte St. seine Position behaupten, u.a. durch profunde Kritiken wie z.B. zu Grillparzers Jüdin von Toledo (1930), Werfels Das Reich Gottes in Böhmen (1930) St. Zweigs Das Lamm der Armen der Hofmannsthalschen Ödipus-Bearbeitung (beide 1930) oder F. Bruckners Timon (1932). Eine Griechenland-Reise nützte St. 1931 für nachfolg. Radiovorträge; 1932 lieferte er für die Rubrik Gesprochene Schauspielkritik mehrere Beiträge. 1934 begann im Wiener Saturn-Verlag eine auf 10 Bde. Angelegte Werkausgabe (Bd.: 1. Arkadia) zu erscheinen, die aber über vier Bde. nicht hinauskam. 1935 folgte als letztes Werk der Theaterroman Nora die Füchsin. Knapp vor seinem Tod konnte St. noch die UA seines Sendespiels Raimunds Wiederkehr am 5.9.1936 hören.


Werke

Tote Götter (1898, Dr.); Leile (1898, Erz.); In den Mauern (1907, Erz.); Adalbert Stifter (1902), Gottfried Keller (1904); Kinderfrühling. Novellen (1904); C.F. Meyer (1906); Allerleirauh (1911); Basem der Goldschmied (1917); Unterwelt (1917); Johannes Freudensprung. Nov. (1923); Opfer. Zwei Novellen (1923); Weg und Opfer. Symbol u. Wirklichkeit. Ein psycholog. Fragment (1925); Die Schmiere. Nov. (1927); Antike Motive. Ged. (1928); Der bedenkliche Kauf oder Der verlorene Kopf (Nw. A. Kubin, 1930).

Quellen und Dokumente

Barbey d’Aurevilly. In: Neue Freie Presse, 4.9.1896, S. 1-3, Die Hackinger Allee. In: Der Sturm (1910), H. 9, S. 66f., Bürgerhausgeschichten. In: Neues Wiener Tagblatt, 19.10.1919, S. 20, Maitanz. Drei Szenen von Karl Schönherr. In: Wiener Zeitung, 15.1.1923, S. 5-6; Der Traum des Verliebten. In: Arbeiter-Zeitung, 10.5.1923, S. 9, „Die Jüdin von Toledo“. Neuinszenierung am Burgtheater am 14. Juni 1930. In: Wiener Zeitung, 17.6.1930, S. 1-3, Delphi. In: Radio Wien 7 (1931), H. 41, S. 10f.Ferdinand Bruckners „Timon“. Erstaufführung am Burgtheater am 23. Jänner 1932. In: Wiener Zeitung, 26.1.1932, S. 1-3, Wetterfichte. In: Die Bühne 1934, H. 367, S. 35-41.

Robert Scheu: Das letzte Zensurstück. Das Verbot des Schauspiels „Waare“. In: Arbeiter-Zeitung, 17.4.1898, S. 6f., Anzeige zu Negerkönigs Tochter. In: Der Sturm 1910, H. 9, S. 70, Martina Wied: Das Ende des Bürgertums. In: Arbeiter-Zeitung, 5.1.1921, S. 2f., M. W.: O. S. Zu seinem fünfzigsten Geburtstag. In: Arbeiter-Zeitung, 4.5.1925, S. 4, Magnus Türmer: Ein Schlußwort zur „Orplid“-Diskussion. In: Reichspost, 9.1.1927, S. 19, Franz Hessel: O. Stoessl: Das Haus Erath. In: Das Tage-Buch H.50/1928, S. 2149. Edwin Rollett: „Das Haus Erath“ oder der Niedergang des Bürgertums. In: Wiener Zeitung, 13.12.1928, S. 9Fritz Brügel: Ein Novellenband von O. S. In: Arbeiter-Zeitung, 12.8.1929, S. 3, Anzeige zu Arkadia. In: Wiener Magazin 1934, H. 8, S. 8.

Literatur

F. Stoessl: O. Stoessl. Ein Porträt, ÖGL 1973, 231-250; C. Fritsch: Der Kritiker O. Stoessl. Lebensphilosophie u. Kunstauffassung. Diss. maschinschr. 1985; F. Derré: Ist der Roman Das Haus Erath von O. Stoessl noch aktuell? In: A. Schnitzler u. seine Zeit, 1985, 302-313. H.H. Hahnl: O. Stoessl. In: ders.: Vergessene Literaten, 1984, 123-126; J.P. Strelka: Der Erzähler O. Stoessl. Ein vergessener großer Humorist. In: Die österr. Literatur. Hg. von W. Zeman u.a. 1989, 847-864; W.M. Bauer: Ursprung und Identität. Zu den Essays von O Stoessl. In: E. Thurnherr (Hg.): Kakanien. 1991, 367-399; G.J. Carr: Zwischen Neoklassik und Satire. O. Stoessl – S. Lublinksi. In: MAL 2/1994, 21-38.

(PHK)

Geb. 25.8. 1880 in Graz, gest. 27.6. 1975 in Berlin (BRD). Dirigent, Kapellmeister,Komponist, Theaterleiter.

Das zwölfte Kind des Komponisten und Musikdirektors Jakob Stolz und dessen Frau Ida studierte ebenfalls Musik und begann bereits 1897 als Opernkorepetitor an der Grazer Oper zu arbeiten, um danach zuerst nach Marburg (Stmk.), wo er 1901 sein erstes Bühnenwerk Studentenulke zur UA bringen konnte, dann nach Salzburg und Brünn/Brno zu wechseln. Zwischen 1905 und 1917 wirkte er als Musikalischer Leiter am Theater an der Wien., wo er u.a. 1905 die UA von Lehárs Die lustige Witwe dirigierte. Im Weltkrieg leistete er Dienst als Kapellmeister beim I.Reg. 4 (Hoch- und Deutschmeister).

Materialien und Quellen:

Eintrag auf: Operettenlexikon; Eintrag von E. Semrau auf: NDB; Eintrag Fam. Stolz auf: ÖML; Eintrag im: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen;

(PHK, in preparation)