Im Lauf des Jahres 1922 schlitterte Österreich, getrieben durch die Ende 1921 eingetretene Inflationsdynamik (Lebenskostenindex 100 vom 1.1.1921 erhöhte sich auf über 20.000 im Sept. 1922) sowie nach Streiks und gewalttätigen Demonstrationen im Dez. 1921, trotz mehrerer Überbrückungskredite, die Großbritannien gewährte, in eine schwere Finanzkrise. Um einen Staatsbankrott abzuwenden ersuchte die österr. Regierung im August 1922 bei der engl. Regierung um einen Kredit in der Höhe von 15 Mio. Pfund, welche von Lloyd Georg an den Völkerbund, der seinen Sitz in Genf hatte, verwiesen wurde. Seit 4. Sept. 1922 kam es zu Vorverhandlungen, insbes. mit Lord Balfour, weil Großbritannien diesen Antrag zu unterstützen bereit war. Am 4.10. 1922 wurden schließlich drei Genfer Protokolle unterzeichnet, welche eine durch GB, Frankreich, Italien und die Tschechoslowakei garantierte internat. Anleihe in der Höhe von 650 Mio Goldkronen vorsahen, um damit das Budgetdefizit um etwa 60% reduzieren und die Versorgungslage aufrecht erhalten zu können. Die Staaten mit Reparationsansprüchen Österreich gegenüber erklärten sich außerdem bereit, diese zu stunden.

Als Gegenleistung wurde die Verpfändung der Zolleinnahmen, des Tabakmonopols, ein Anschlussverbot an Deutschland sowie die Reduktion der Zahl der Staatsangestellten und Eisenbahner verlangt und eine internat. Kontrolle über die Haushaltspolitik und die Notenpresse vertraglich vereinbart sowie ein Generalkommissär zur Überprüfung dieser Maßnahmen eingesetzt. De facto verzichtete die Republik damit auf einen Teil ihrer Souveränität, wenngleich es, aber erst nach zwei weiteren schwierigen Jahren gelang, die Währung und das Budget zu stabilisieren. Während die bürgerliche und konservative Presse diese Sanierung unterstützte, z.B. die NFP im Leitartikel Kredit oder Untergang (6.10.1922), sprach sich die Sozialdemokratie vehement dagegen aus, bezeichnete die Protokolle als Unheilprotokolle (AZ, 6.10.1922) und bezichtigte den Bundeskanzler Seipel des Hochverrats (AZ, 7.10.1922); die KPÖ sah in den Bestimmungen der Genfer Sanierung gar einen Weg in die Diktatur (RF, 6.10.1922). O. Bauer, der vor Genf an eine Währungsunion mit Deutschland gedacht hatte, brachte die SD nach Außen hin auf einen strikten Kurs gegen dieses Sanierungspaket; zugleich verhandelte er mit Seipel die Abmilderung einiger Bestimmungen, insbesondere die Kompetenzbeschneidungen des Nationalrates betreffend. Die Rückzahlungsraten dieser Anleihe wurden bis 1938 pünktlich bedient und reichten nach 1945 noch weit in die Zweite Republik hinein (bis 1980).


Literatur

F.L. Carsten: Die erste Österreichische Republik im Spiegel zeitgenössischer Quellen. Wien 1988; Ch. A. Gulick: Österreich von Habsburg zu Hitler. Wien 1976. S. 85f.; A. Suppan: Zwischen Staatsbankrott und Genfer Sanierung: 11. Juni 1921 bis 6. November 1922. Aussenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918-1938, Bd 4, Wien 2002;

Quellen und Dokumente

Das Ergebnis von Genf. Drei inhaltsschwere Protokolle. In: Arbeiter-Zeitung, 5.10.1922, S. 1-2, Die Unheilsprotokolle. In: Arbeiter-Zeitung, 6.10.1922, S. 1-2, Kredit oder Untergang Die einzige Alternative. In: Neue Freie Presse, 6.10.1922, S. 1, Das Genfer Ergebnis. Wollen wir leben oder sterben? In: Reichspost, 6.10.1922, S. 1, Auf dem Weg zur Diktatur. In: Die Rote Fahne, 6.10.1922, S. 1,

(ME/PHK)

Gemäß Zeitungsberichten (WMZ, 22.5.1919) fand die Gründungsversammlung dieser Vereinigung am 19. 5. 1919 in Wien statt. Die Präsidentschaft wurde dabei doppelt besetzt (je ein Schriftsteller bzw. ein Komponist) Gewählt wurden zu Präsidenten: Karl Schönherr und Julius Bittner, zu Vizepräsidenten: Felix Salten und Oskar Straus. Weiters gehörten dem Vorstand u.a. an: Felix Dörmann, Erich W. Korngold, Leopold Jacobson, Emerich Kalman, Hans Müller und Arthur Schnitzler.

Materialien und Quellen:

Bericht über die Gründungsversammlung: Die Zeit, 22.5.1919, S.6;

in Vorbereitung

Gegründet im April 1919 im Umfeld der seit 1918 erscheinenden expressionist. Zs. Daimon, die im Verlag der Brüder Suschitzky (Philip und Wilhelm) erschien, der ab 1919 den Namen Anzengruber-Verlag Brüder Suschitzky trug. Ab H. 3-4/1919 führte die Zs. Der Neue Daimon, hg. von J. Moreno Levy, den Namen ›Genossenschaftsverlag‹ im Impressum. Ferner gab es zahlreiche Querverbindungen zu anderen Zeitschriften und Verlagsprojekten. Die Rechtsform war insofern ungewöhnlich, als jeder Autor/in Mitglied und Teilhaber des Verlags werden konnte, was Ausdruck der Diskussion über den Genossenschaftsgedanken und damit verbundener Sozialisierungs-Vorstellungen jener Jahre (1918-20) war. Sichtbar wurde dies u.a. im Gründungsaufruf, veröffentlich in der Ztg. Der Neue Tag am 28.3.1919, versehen mit einem Kommentar von A. Kuh. Dieser ist in einem klassenkämpferisch-revolutionärem Ton gehalten, beklagt die Dichter und Denker als in der Hand des Kapitals befindlich, um sie künftig in der Reihe der Arbeiter zu sehen und plädiert für eine neue, jede Ausbeutung von sich  weisende Verteilungsgerechtigkeit auch der geistigen Arbeit, weshalb Kuh darin einen Aufruf in „regelrecht kommunistischem Sinne“ erblickt, verteidigt aber den „Geist, aus dem heraus der Verlag entstand“. Unterzeichner des Aufrufs waren Alfred Adler, Albert Ehrenstein, Fritz Lampl, Jakob Moreno Levy, Hugo Sonnenschein und Franz Werfel. Eine Eintragung ins Handelsregister erfolgte nicht, eine Buchhandelskonzession wurde jedoch, vermutlich zum Verkauf der eigenen Verlagsprodukte, angestrebt, die aber von den Behörden verschleppt wurde.

Die Verlagstätigkeit konzentrierte sich auf die Hg. der Zs. Der Neue Daimon, dem 1919 die Heftserie Die Gefährten zur Seite trat, in denen 1920 auch sehr prominente Autoren wie Alfred Döblin und Heinrich Mann nebst Oskar Kokoschka, Otto Stoessl, Ernst Weiß oder Albert Ehrenstein sowie den weniger bekannten wie Fritz Lampl, Isidor Quartner oder Robert Zellermayer/Stefan Tafler vertreten waren. Die Auflagen schwankten je nach Prominenz der Autoren zwischen einigen Hundert bis zu 4000 Ex. (im Fall von H. Mann). Für 1921 waren zahlreiche weitere Hefte bzw. Werke angekündigt, u.a. zu Döblin, H. Mann, Carl Ehrenstein, F. Werfel und anderen, ferner auch eine Jean Paul-Werkausgabe, aber aufgrund finanzieller Probleme und steigender Inflation, musste die Tätigkeit eingestellt werden. A. Ehrenstein bemühte sich um eine Übernahme des Programms durch den K. Wolff-Verlag, aber auch dies kam nicht zustande.


Quellen und Dokumente

Die sozialisierte Dichtkunst. Gründung eines “Genossenschaftsverlags” durch Wiener Dichter und Schriftsteller. In: Der neue Tag, 28.3.1919, S. 7.

Literatur

Murray G. Hall: Österreichische Verlagsgeschichte 1918-1938, Bd. 2: Belletristische Verlage der Ersten Republik; Wien u.a. 1995 (Online verfügbar), Annette Lechner: Die Wiener Verlagsbuchhandlung „Anzengruber-Verlag, Brüder Suschitzky (1901-38) im Wandel der Zeit (Wien, Dipl.Arb. 1994) (Online verfügbar), Armin A. Wallas: Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich. Analytische Bibliographie. München-New York u.a. 1995, Bd. 2.

 (PHK)

Die Gründung dieser Gesellschaft fand im Zug der konstitutiven Versammlung am 25.2.1923 in der Graphischen Sammlung der Albertina statt. Zu Vorstandsmitgliedern wurden folgende zehn Persönlichkeiten aus dem zeitgenössischen Kunst- und Kulturbetrieb gewählt: Lea Bondi (Inhaberin der Kunstgalerie Würthle), Hermann Eißler (Kunstsammler), Emil Frankl, Wilhelm Wolko Gartenberg, Franz Martin Haberditzl, Fannina Halle, Kurt Rathe, Felix Steinitz (Bankier und Kunstsammler), Alfred Stix, Leiter der Sammlung Albertina, und Hans Tietze. Als wichtigste Aufgabe erblickte die Gesellschaft, so ein Bericht im NWTBl. vom 28.3.1923, das Anliegen, „dem Wiener Kunstleben den Zusammenhang mit den großen internationalen Kunstströmungen zurückzuerobern“. Erfolgen sollte dies über die Veranstaltung von Ausstellungen, die Unterstützung von Ausstellungen österreichischer Künstler im Ausland, die Förderung von Künstlerinnen und Künstlern sowie die Herstellung von Kontakten zwischen diesen und interessierten „Kunstfreunden“. Treibende Gestalt war dabei H. Tietze, der in seiner Funktion als hoher Beamter im Unterrichtsministerium (bis 1925) sowie aufgrund seiner Kontakte zu Kulturpolitikern des ›Roten Wien‹ zahlreiche Ausstellungen anregte und organisatorisch stützte, u.a. die Ausstellungen im Rahmen des Internationalen Musik- und Theaterfestes der Stadt Wien 1924, die bereits durch einen Vortragszyklus im Februar 1924 einbegleitet wurde. 1925 folgte im Künstlerhaus eine Ausstellung unter dem programm. Titel Das Gesicht der Zeit.

Besonderes Augenmerk widmete die Gesellschaft der Rezeption und Auseinandersetzung mit zeitgenössischer russischer Kunst, wobei v.a. F. Halle aktiv war, aber auch der Musik, wie z.B. ein Vortrag von A. Weißmann über moderne russ. Musik (Febr. 1925) belegt. Auch Konzertaufführungen, gewidmet z.B. dem Werk von Rudolf Réti im Dezember 1925 im Wiener Kleinen Konzerthaussaal, waren Teil der Förderungsphilosophie.

1926 weitete die Gesellschaft ihr Themenspektrum auf das zeitgenössische Theater aus, etwa durch Vorträge von O.Strnad und B. Balázs. Im März 1926 folgte eine Ausstellung französischer Gegenwartskunst im Künstlerhaus; im Dez. dess. Jahres ein  über Aspekte der Kunstförderung. Im Febr. 1927 trat A. P. Gütersloh mit einem Vortrag über Verwirrung und Ordnung im Urteil über Kunst in Erscheinung, im März H. Tietze mit einem über El Greco und wir sowie F.Th. Csokor über Das szenische  Bild der Gegenwart;  im November wurde die ebf. von H. Tietze mitangeregte Ausstellung Das Werden desKunstwerks gezeigt. Im März-April1928 wurde ein Vortragszyklus Führende Maler der Gegenwart angeboten, im Mai eine Ausstellung in der Neuen Galerie zum russ. Maler Georg Kirsta vermittelt; im Okt. wurde eine Sammlung für eine Schiele-Grabdenkmal eingerichtet, das am nächsten Todestag (31.10.1929) auch feierlich übergeben werden konnte, ab Nov.1928-Jänner 1929 folgte eine Vortragsreihe über Probleme der modernen Kunst u.a. mit Vorträgen zu Kandinski, Klee oder zur Neuen Sachlichkeit. Im Nov. 1929 war wieder H. Tietze mit einem Vortrag über Die Krise der heutigen Kunst an der Reihe, im Dez. 1929 sprach E. Buschbeck über Das Weltbild der heutigen Kunst. Im April-Mai 1930 stand die von Tietze und der Gesellschaft kuratierte vielbeachtete Ausst. Kunst in unserer Zeit im Künstlerhaus am Programm, in deren Rahmen wiederum mehrere Vorträge stattfanden, u.a. am 11.4. der von J. Frank über Form und Inhalt. Zu dieser Ausstellung legte Tietze auch eine 32-seitige Flugschrift vor.  im Sept. sprach Richard Neutra über Neues Wohnen und neues Bauen in Amerika. Die nächste Ausstellung fand erst wieder im Feb. 1932 zum Thema Malende Dichter, dichtende Maler im Hagenbund statt, zugleich die letzte der Gesellschaft.


Quellen und Dokumente

Hans Tietze: Ueber die Kunst des modernen Rußland. Vortrag Frau Dr. Fannina Halle. In: Neues Wiener Tagblatt, 20.2.1924, S. 24, A. M.: Die Internationale Kunstausstellung in der Sezession. In: Arbeiter-Zeitung, 12.9.1924, S. 9, Wagnertum und Russentum in der Musik. In: Arbeiter-Zeitung, 27.2.1925, S. 8, Hermann Menkes: Das Gesicht der Zeit. Drei Ausstellungen. In: Neues Wiener Journal, 23.9.1925, S. 5, Ankündigung des Vortrags von Oskar Strnad und Béla Balázs. In: Wiener Zeitung, 12.2.1926, S. 3, Ausstellung französischer Kunst der Gegenwart im Künstlerhause. In: Wiener Zeitung, 4.3.1926, S. 4, Die Not der österreichischen Künstler. In: Neues Wiener Journal, 1.12.1926, S. 5, Franz Theodor Csokor: Entwicklungsprobleme des Bühnenbildes. In: Neues Wiener Journal, 12.3.1927, S. 7f., A. M.: Das Werden eines Kunstwerks. In: Arbeiter-Zeitung, 9.11.1927, S. 3f., Hans Ankwicz-Kleehoven: Kollektivausstellung Gustav Kirsta. In: Wiener Zeitung, 3.5.1928, S. 4, Lebendige Kunst. Zur Ausstellung „Die Kunst in unserer Zeit“ im Künstlerhaus. In: Arbeiter-Zeitung, 18.4.1930, S. 7, Die Kunst in unserer Zeit. In: Moderne Welt 11 (1930), H. 15, S. 14f., A. M.: Malende Dichter und dichtende Maler. In: Arbeiter-Zeitung, 15.3.1932, S. 8.

(PHK)

Gegründet Ende 1920 (Eintrag in das Wiener Handelsregister vom 30.12. 1920) durch vier Gesellschafter, von denen Leo Schidrowitz bis 1923 die Geschäftsführung ausübte. Nach ihm übernahm Otto Klement die Geschäftsführung und den Verlag, der freilich 1924 seine Tätigkeit im Zuge der Währungs- und Inflationsturbulenzen einstellte, aber erst 1929 aus dem Handelsregister gelöscht wurde.

Der Verlag zeichnete sich einerseits durch graphisch ansprechende Buch- und Covergestaltungen aus, andererseits durch ein akzentuiertes Programm. Unter den wichtigsten Autorinnen und Autoren zählten bis 1924 Hugo Bettauer, von dem fünf Romane bei Gloriette erschienen, darunter seine erfolgreichen wie wegweisenden Die Stadt ohne Juden (1922, 10. Aufl. 1924) und Die freudlose Gasse (1923) sowie Lina Loos, die dort ihr Schauspiel Mutter (1921) und den Band Die Entjungferung der Welt (1923) in bibliophiler Aufmachung veröffentlichte. Ferner erschien 1923 auch der Band von Anita Berber Die Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase. Die Vertretung dieser (und auch anderer Autoren) übernahm ab 1924 vorwiegend der Löwit-Verlag.

Materialien, Literatur und Quellen:

Murray G. Hall: Österreichische Verlagsgeschichte. Online zum Gloriette-Verlag: hier.

(PHK)

Bereits seit 1909 verfolgte der aus dem polnischen Bialystok stammende Hebräischlehrer Nachum Zemach gemeinsam mit Hannah Rovina und Menachim Gnessin in Warschau den Plan, das weltweit erste professionelle hebräischsprachige Theater zu gründen. Dahinter stand, ganz den Ideen des von Ascher Ginsberg (Achad Ha´am) propagierten Kulturzionismus folgend, die Suche nach einer zeitgemäßen jüdischer Identität durch eine Neubelebung der hebräischen Kultur sowie des Hebräischen als gesprochene Sprache. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte dazu, dass Zemach und seine Gefährten ihr Vorhaben erst 1917 in Moskau umsetzen konnten: In Kooperation mit dem angesehenen Regisseur Konstantin Stanislawski entstand im renommierten Moskauer Künstlertheater die Theatergruppe Habima (hebr. „Bühne“). Als schwierig erwies sich zunächst die Suche nach talentierten jüdischen Darstellern, die über entsprechende Hebräischkenntnisse verfügten und zudem bereit waren, die oftmals harten Arbeitsbedingungen des Schauspielmetiers in Zeiten der ökonomischen Krise und des politischen Aufruhrs hinzunehmen.

Trotz dieser Startschwierigkeiten konnte die Habima, die sich am zeitgenössischen russischen Avantgardetheater orientierte und deren Aufführungen die Moskauer Kritiker schnell „Qualität und Tiefe“ (Zer-Zion, 14) attestierten, große Erfolge feiern. Der thematische Schwerpunkt der Aufführungen lag auf Adaptierungen volkstümlicher und biblischer Stoffe bekannter jiddischer Dramatiker, wobei die einzelnen Inszenierungen zwischen „ethnische[m] jüdische[m] Selbstverständnis […],  avantgardistischer Ästhetik und sozialrevolutionären Themen“ stets verschiedene Deutungsperspektiven zuließen (EJG, 496). Zu den frühen Höhepunkten zählte 1922 die grotesk-fantastische, durch jüdische Mystik geprägte Darstellung des Dybuk von Salomon An-Ski, die das Ensemble gemeinsam mit dem gefeierten armenischen Regisseur Jewgeni Wachtangow umsetzte und die sowohl vom russischen als auch vom jüdischen Publikum begeistert aufgenommen wurde. Diese Inszenierung, die bald „als eines der größten künstlerischen Ereignisse der modernen Bühne“ (NFP, 5.4.1924, 3) galt, stieß auch international auf große Resonanz: Theaterschaffende aus Paris, London und den USA reisten nach Moskau, um sich von dem hier gezeigten „wirklichkeitsnahe[n], reizvolle[n] Expressionismus“ (NFP, 30.5.1926, 19) inspirieren zu lassen und sich vom hohen künstlerischen Niveau der jungen Formation zu überzeugen. Maxim Gorki etwa, selbst nicht des Hebräischen mächtig, lobte „die Kraft und Schönheit“ der hebräischen Sprache, besonders aber die Darsteller: „Jedes „Wort, jede Gebärde, alles ist tief und harmonisch und in allem lodert die große Wahrheit, die nur die Kunst und das Talent schaffen können.“ (NFP, 25.5.1926, 8). Mit zunehmendem Erfolg geriet die Habima jedoch auch in den Fokus der Jüdischen Sektion der Kommunistischen Partei, die nicht das Hebräische, sondern vielmehr das Jiddische als Sprache des jüdischen Proletariats zu forcieren suchte. Entsprechende Repressalien durch die russischen Behörden und interne Konflikte führten im Jänner 1926 schließlich dazu, dass die Habima Moskau verließ und Berlin zu ihrem vorübergehenden Stützpunkt erkor. Von dort aus begab sie sich in den folgenden fünf Jahren auf internationale Tournee: Neben Polen, Litauen, Italien, Frankreich, der Schweiz und Palästina gastierte das Ensemble im Mai 1926 erstmals auch in Österreich. Im Wiener Carl-Theater gelangte neben Stücken wie GolemJaákobs Traum und Der ewige Jude auch der Dybuk zur Aufführung. Pressestimmen betonten besonders den augenscheinlichen Kontrast zwischen „der fast besinnungslose[n] Hingabe“ der Schauspieler einerseits und der „ehrlichen, andeutenden Magerkeit der Kulissen“ und der „sinnvoll einfachen Beleuchtungsarten“ andererseits (NFP, 30.5.1926, 19) und attestierten „in der Darstellung, im ganzen szenischen Aufbau, etwas grundsätzlich Neues“, das letztlich „in der Idee der Kollektivseele begründet“ sei (AZ, 5.6.1926, 9). Zu den regelmäßigen Besuchern der Wiener Habima-Vorstellungen zählte Max Reinhardt, der vor allem „die fast religiöse Hingabe an die Kunst“ (Wiener Morgenzeitung, 5.6.1926, 5) bewunderte, aber auch Arthur Schnitzler, der den Besuch am 2.6.1926 in seinem Tagebuch vermerkt. Reinhardt war, wie etwa auch Martin Buber, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, Mitglied des in Berlin gegründeten Freundeskreises der Habima, die der Truppe sowohl finanzielle als auch administrative Unterstützung zukommen ließ. 

1927 reiste die Habima – inzwischen zu einem panjüdischen Symbol und Exponenten einer „vermeintlich authentischen jüdischen Kultur“ (EJG, 497) geworden – für mehrere Monate durch die Vereinigten Staaten; dort kam es, nicht zuletzt unter dem Eindruck enttäuschender Publikumsreaktionen, zum endgültigen Zerwürfnis mit ihrem Gründer und Direktor Zemach, der die Truppe daraufhin gemeinsam mit einigen Schauspielern verließ.

In den frühen 1930er Jahren hatte das Ensemble den Zenit seines Erfolges auch in Europa überschritten; ein Umstand, der gepaart mit dem wachsenden Antisemitismus dazu führte, dass sich die Habima 1931 endgültig in Palästina niederließ. In Tel Aviv wurde mit Mitteln des Berliner Freundeskreises nach Entwürfen des deutschen Architekten Oskar Kaufmann das Habima-Theater erbaut, wo in den folgenden Jahren vor allem eine intensive künstlerische Auseinandersetzung  mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus und den gescheiterten jüdischen Assimilationsbestrebungen in den europäischen Gesellschaften stattfand. 

1958 wurde die Habima offiziell zum israelischen Nationaltheater ernannt. 

Literatur

Michael Brenner, Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, München 2000; Andrei Malaev-Babel, Yevgeny Vakhtangov. A critical Portrait, New York 2013; Shelly Zer-Zion, „Habima“. In: Dan Diner (Hg.), Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Bd. 2: Co-Ha, Stuttgart, Weimar 2012, 494-498; Dies., Habima. Eine hebräische Bühne in der Weimarer Republik, Paderborn 2016; Benjamin Pinkus, The Jews of the Soviet Union. The History of a National Minority (Soviet and East European Studies), Cambridge 1988; Die Geschichte von Habima. [Online verfügbar]; Eintrag in der Jewish Virtual Library [Online verfügbar].

Quellen und Dokumente

Felix Salten, Gastspiel „Habima“. In: NFP, 30.5.1926, S. 19; Gastspiel der „Habima“. In: NFP, 25.5.1926, S. 8; Kunst und Wissen: Theater der Habima. In: AZ, 8.6.1926, S. 6; M. Harari, Der Erzieher der Habima. Zu Wachtangows vierten Todestage. In: Wiener Morgenzeitung, 28.5.1926, S. 3; Ludwig Bato, Das auferstandene Wort. Den prächtigen Künstlern der Habima. In: Wiener Morgenzeitung, 4.6.1926, S. 3; Felix Salten, Gaststpiel „Habima“. In: NFP, 3.6.1926, S. 10; Gastspiel der „Habima“. In: Neues Wiener Journal, 3.6.1926, S. 17; Gastspiel der Habima in der Roland-Bühne. In: AZ, 2.3.1928, S. 9; Jiddisch oder Hebräisch? In: AZ, 23.11.1926, S. 5; Die Welttournee der Habima. In: Neues Wiener Journal, 15.3.1931, S. 17; Das Moskauer hebräische Künstlertheater Habima in Wien. In: Die Bühne, Hft. 173, S. 28; B. Tschemerinski, Bei den Proben des „Dybuk“. In: AZ, 1.6.1926, S. 5; Rund um den Film: Verfilmung des Dybuk. In: AZ, 17.8.1930, S. 12; Carl-Theater. In: AZ, 1.6.1926, S. 5

(MK)

1899 auf Initiative des Architekten Joseph Urban und des Malers Heinrich Lefler von Mitgliedern der sog. „Haagengesellschaft“ gegründet, war der Künstlerbund Hagen – bald verkürzt als Hagenbund bezeichnet – neben dem Künstlerhaus und der Wiener Secession die dritte bedeutende Künstlervereinigung, die wesentlichen Einfluss auf das Wiener Kulturleben zwischen 1900 und 1938 nahm, darüber hinaus aber auch für die gesamte mitteleuropäische Kunstszene jener Zeit von großer Bedeutung werden sollte. Die Namensgebung geschah zu Ehren Josef Haagens, Besitzer des Gasthauses „Zum Blauen Freihaus“ in der Gumpendorfer Straße, das bereits ab 1881 als Treffpunkt für unregelmäßig stattfindende Künstlerzusammenkünfte gedient hatte. Im Jänner 1902 fand mit Unterstützung der Stadt Wien in der adaptierten Zedlitzhalle, einer ehemaligen städtischen Markthalle im 1. Wiener Bezirk, die erste Ausstellung des Hagenbundes statt.

Während die Wiener Secession die Avantgarde bildete und das Wiener Künstlerhaus einer konservative Ausrichtung verfolgte, vertrat der Hagenbund – zumindest in seinen Anfangsjahren bis etwa 1910 –  einen eher gemäßigt-modernen Zugang und führte in der Folge durch seine offene Ausstellungspolitik verschiedene Stilrichtungen zwischen Expressionismus, Neuer Sachlichkeit und kubistischen Tendenzen zusammen. Schon 1907 organisierte der Hagenbund eine gemeinsame Schau ungarischer, polnischer, tschechischer und deutscher Künstler und beförderte auf diese Weise den Aufbau eines frühen Netzwerks europäischer Kunstschaffender in Wien. Für große Aufmerksamkeit sowohl in den Medien als auch in Kunstkreisen sorgte die Kaiser-Huldigung-Ausstellung des Jahres 1908, die anlässlich des 60-jährigen Thronjubiläums Kaiser Franz Josephs in der Zedlitzgasse stattfand und in deren Rahmen die bisher größte Schau polnischer Kunst gezeigt werden konnte. Solche Initiativen waren umso bedeutsamer, als die österreichische Kunstszene zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend den Anschluss an die internationale Entwicklung verloren hatte; eine Tendenz, die sich mit dem Zusammenbruch der Monarchie und dem Tod von Klimt und Schiele (1918) noch verstärkte: „[W]ohl drückt uns heute die Absperrung von allem frischen Luftzug schwerer denn je, aber wir sind fest entschlossen, diese Verbindung wieder zu knüpfen. Der ganze starr gewordene Kunstbesitz dieser reichen armen Stadt muß von neuem Leben erfüllt werden.“ (Tietze, S. 123). In dieser Situation war es vor allem der Hagenbund, der mit Künstlern wie Ferdinand Ludwig Graf, Oskar Laske, Georg Mayer-Marton, Carry Hauser, Felix Harta, Josef Dobner und Rudolf Stemolak wesentlich dazu beitrug, den Kontakt Österreichs zum internationalen Kunstgeschehen aufrechtzuerhalten bzw. zu forcieren. Jährlich wiederkehrende Frühlings- und Herbstausstellungen fanden Ergänzung durch Retrospektiven lokaler und internationaler Künstler, Gastauftritte befreundeter Künstlervereinigungen und Wanderausstellungen, wobei der Schwerpunkt der Kontakte neben Deutschland auf den ehemaligen Kronländern der Monarchie lag. Eine jahrelange, besonders enge Zusammenarbeit gab es mit der in Prag ansässigen Künstlergruppe Mánes. Die Finanzierung dieser kostspieligen Ausstellungspolitik erfolgte sowohl über Einnahmen aus Eintrittsgeldern als auch durch öffentliche und private Subventionen; die finanzielle Lage des Hagenbundes blieb aber sowohl vor als nach dem Ersten Weltkrieg durchwegs angespannt.

Neuartig war, dass im Sinne der Förderung eines Stilpluralismus weder den Mitgliedern noch von den Gästen eine bestimmte künstlerische Auffassung abverlangt wurde, womit sich der Hagenbund nicht als Stilrichtung, sondern vielmehr als eine Plattform der Information und des Austauschs etablierte. Zudem zeigte sich die liberale Grundhaltung der Künstlervereinigung auch in ihrer Bereitschaft, Frauen als außerordentliche bzw. korrespondierende Mitglieder aufzunehmen (wie z. B. Anna Lesznai, Nora Purtscher-Wydenbruck und Bettina Ehrlich), was in den 1920er Jahren weder beim Künstlerhaus noch bei der Wiener Secession möglich war. 

Die Wiener Kunstkritik fand teilweise wenig Gefallen an den vom Hagenbund organisierten Ausstellungen und stieß sich bevorzugt an den Werken der Österreichischen Moderne. So warf die Neue Freie Presse der Hagenbund-Schau des Jahres 1921 schlichtweg Unzulänglichkeit und Dilettantismus vor (NFP, 6.5.1921), während das Neue Wiener Journal die künstlerische Radikalisierung des Hagenbundes beklagte (NWJ, 9.5.1921). Noch vernichtender fiel die Kritik an der Frühjahrsausstellung des darauffolgenden Jahres aus: Das nationalkonservative Deutsche Volksblatt sprach von einem “verspäteten Faschingsscherz” und wies darauf hin, “daß normale Augen und ein normaler Geschmack an diesen Farbexzessen unmöglich Gefallen finden können.” (DVB, 25.4.1922). Gewogener argumentierten das Neue Wiener Tagblatt im Rückblick auf die Ausstellungen 1922,  die Arbeiter-Zeitung, etwa anläss. der Österr. Kunstausstellung im Rahmen des Internationalen Musik- und Theaterfestes der Stadt Wien im Sept./Okt. 1924, wobei v.a. der “zu kubistisch-expressionistischer Form- und Farbgebung neigende […] Carry Hauser” neben Anton Faistauer und Anton Kolig herausgehoben wurde, aber auch Das Wort oder Die Bühne. Wolfgang Born bzw. Leopold W. Rochowanski berichteten in der Bühne jeweils über die Frühjahrsausstellung 1927 bzw. die Ausstellung im Rahmen der Festwochen 1928. 1928 beteiligte sich der Hagenbund auch führend an der Schiele-Gedächtnisausstellung sowie an der Sowjetrussischen Ausstellung, die 1930 eine Neuauflage erlebte. Das Wort zeigte sich begeistert über die Herbstausstellung 1927, an der neben C. Hauser und T. Gergely auch Radierungen von Picasso und Chagall gezeigt werden konnten. Seit Mitte der 1920er Jahre kam es dabei häufig zu Kooperationen mit der Neuen Galerie einerseits und zur Hereinnahme der Jahresausstellungen der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs andererseits. Ab 1930 stellten auch die Photographen in den Räumlichkeiten des Hagenbunds aus, 1931 folgte eine große Schau zur europäischen Plastik, 1932 – auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise – kam erstmals das Tauschprinzip (Kunstwerk gegen Waren) als Möglichkeit des Erwerbs eines Werkes ins Gespräch.

Die wirtschaftlichen und politischen und Entwicklungen der 1930er Jahre führten bekanntlich dazu, dass zahlreiche Kunstschaffende Wien verließen bzw. verlassen mussten. Dennoch wurde der Ausstellungsbetrieb in eingeschränkter Form weiter fortgeführt. Auch die enge Zusammenarbeit vieler ehemals in Wien ansässiger Hagenbund-Mitglieder blieb über Landesgrenzen hinweg bestehen. Am 15. November 1938 wurde der Hagenbund auf Basis des Gesetzes über die Überleitung und Eingliederung von Vereinen, Organisationen und Verbänden in die „Gemeinschaft bildender Künstler“ eingegliedert. Die Zedlitzhalle wurde in „Wiener Kunsthalle“ umbenannt und führte ihren Ausstellungsbetrieb bis 1944 fort.


Literatur

Agnes Husslein-Arco, Harald Krejci, Matthias Boeckl (Hg.), Hagenbund. Ein europäisches Netzwerk der Moderne 1900–1938, Wien 2014; Harald Krejci, Das Künstlernetzwerk Hagenbund. Innere Dynamik und äußere Einflüsse. In: Agnes Husslein-Arco, Harald Krejci, Matthias Boeckl (Hg.), Hagenbund. Ein europäisches Netzwerk der Moderne 1900–1938, 17-25; Markus Kristan, Joseph Urban. Die Wiener Jahre des Jugendstilsarchitekten und Illustrators, 1872–1911, Wien, Köln, Weimar 2000; Tobias Natter, Der Hagenbund. Zur Stellung einer Wiener Künstlervereinigung. In: Die verlorene Moderne: Der Künstlerbund Hagen 1900–1938. Ausstellungskatalog Österreichische Galerie Belvedere im Schloss Halbturn, Wien 1993, S. 9-27; Robert Waissenberger, Hagenbund 1900–1938. Geschichte der Wiener Künstlervereinigung, in: Mitteilungen der Österreichischen Galerie Belvedere, 16. Jg., 1972, S. 54–130; Hans Tietze, Carl Moll zum 60. Geburtstag. In: Die bildenden Künste IV (1921), S. 123-125; Der Hagenbund. Ein europäisches Netzwerk der Moderne, 1900-1938; Peter Weinberger: Wie jüdisch war der Hagenbund? In: nu. Jüdisches Magazin für Politik und Kultur, 17.6.2015; online: hier.

Quellen und Dokumente

Hagenbund. In: AZ, 13.8.1920, S. 4; Frühjahrsausstellung Hagenbund. In: Neues Wiener Journal, 9.5.1921, S. 2; Frühjahrsausstellung Hagenbund. In: NFP, 6.5.1921, S. 15; 25 Jahre Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs. In: Die Österreicherin 8 (1936), S. 3; Die graphische Ausstellung des Hagenbundes. In: WZ, 19.1.1926, S. 5Hans Ankwicz-Kleehoven, Frühjahrsausstellung im Hagenbund. In: WZ, 27.6.1925, S. 1; Hagenbund. In: Reichspost, 6.7.1920, S. 1; Hagenbund. In: Neues Wiener Tagblatt, 26.10.1922, S. 24; Ausstellung der Prager Künstlergruppe „Manes“ im Hagenbund. In: AZ, 24.9.1923, S. 4; Hagenbund. In: WZ, 20.6.1926, S. 1; Sowjetrussische Ausstellung im Hagenbund. In: Rote Fahne, 8.3.1928, S. 3; Der Tanz in der bildenden Kunst. In: AZ, 6.2.1933, S. 3; Kokoschka-Ausstellung Hagenbund. In: AZ, 4.2.1911, S. 1f; Hagenbund. In: AZ, 23.11.1903, S. 1; Der Hagenbund. In: Prager Tagblatt, 27.2.1902, S. 1; Kurt Mühsam, Hagenbund. In: Sport & Salon, 30.1.1904, S. 13; Hagenbund. In: NFP, 6.4.1903, S. 1–3; Der Hagenbund – aufgelöst. In: AZ, 22.1.1901, S. 5.

 (MK)

Gegründet 1912-13

Literatur und Quellen:

H. Ehlers u.a. (Hg./ed.): Haschomer Hazair. Ein Nest verwundeter Kinderseelen. Wien 2006: hier.

(in preparation/in Vorbereitung)

Um einerseits die 1918-19 neu entstandenen Landesgrenzen zu schützen und andererseits die Entstehung kommunistischer Räterepubliken nach bayerischem und ungarischen Vorbild bereits im Keim zu verhindern, entstanden nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie im Westen und Süden Österreichs bäuerliche und bürgerliche Selbstschutzorganisationen, die sich als „Heimwehr(en)“ (auch: „Heimatschutz“) bezeichneten. Die Führungsriege dieser paramilitärischen Verbände setzte sich aus ehemaligen Offizieren, kleinstädtischen Akademikern und Mitgliedern der Argrararistokratie zusammen, die Mitgliederbasis stammte dagegen vorwiegend aus dem bäuerlichen Milieu. 

Den innenpolitischen Kristallisationspunkt der partikularistischen Heimwehr-Bewegung bildete bald unter dem Schlagwort der Bekämpfung des Marxismus die z.T. bewusst provozierte Konfrontation mit Institutionen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Unterstützung erfuhr sie in den Bundesländern durch die christlichsozialen Landesregierungen, auf Bundesebene ab 1922 durch die bürgerliche Koalitionsregierung. Wesentlich für die organisatorische Weiterentwicklung waren finanzielle Zuwendungen aus der österreichischen Industrie- und Bankenlandschaft; bedeutsam waren auch Waffen- und Geldlieferungen aus dem faschistischen Italien und Ungarn, hatten doch beide Länder massives Interesse an der Etablierung einer starken Rechtsregierung und der Aussschaltung der Sozialdemokratie in Österreich.

Enormen Mitgliederzulauf und zunehmende Bedeutung als politische Kraft erlangte die Heimwehr nach den Ereignissen des 15. Juli 1927 („Julidemonstration“, Justizpalastbrand) und der Niederschlagung des von der Sozialdemokratie initiierten Generalstreiks. Einflussreicher Mentor war in der Folge Bundeskanzler Seipel, der in der Heimwehr ein „bewaffnete bürgerliche Kampfbewegung“ gegen die Sozialdemokratie und deren paramilitärischen Flügel, den Republikanischen Schutzbund, sah.

Als Antwort auf das sozialdemokratische Linzer Programm veröffentlichte die Bundesführung der Heimwehr im Mai 1930 das Korneuburger Programm. Darin wandte sie sich offen gegen den demokratischen Parlamentarismus, bekannte sich zu den Grundsätzen des Faschismus und stellte gleichzeitig einen klaren Machtanspruch im Staat, der ihren Vorstellungen entsprechend künftig ständisch gegliedert sein sollte. Die damit angepeilte ideologische Einigung innerhalb der nach wie vor heterogenen Landesgruppen scheiterte jedoch; der offen ausgetragene Widerstreit zwischen dem mit dem deutschnationalen Lager sympathisierenden Bundesführer Starhemberg und dem vor allem in Wien und Niederösterreich mit den Christlichsozialen verbundenen Emil Fey führte zu einer nachhaltigen Schwächung der Heimwehr, die sich auch in der Niederlage von Starhembergs Liste „Heimatblock“ bei den Wahlen im Herbst 1930 zeigte.

Am 12. September 1931 unternahm der steirische Heimwehrführer Walter Pfriemer einen Putschversuch nach dem Modell von Mussolini „Marsch auf Rom“ (1922), der jedoch mangels Unterstützung durch andere Landesverbände und nach Alarmierung von Bundesheer und Republikanischem Schutzbund bereits am darauffolgenden Tag abgebrochen werden musste und einen Rückschlag auf dem Weg zur angestrebten Übernahme der Macht bedeutete. Ihr politischer Einfluss wuchs erst wieder ab April 1932: Für die mit nur einer Stimme Mehrheit ausgestattete bürgerliche Regierung bildete die Heimwehr nun den wichtigsten Koalitionspartner.

Zu Beginn des autoritären, doch basisschwachen Dollfuß-Regimes 1933 konnte sich die Heimwehr zunächst noch einflussreiche Posten – darunter den des Vizekanzlers und des Innenministers – sichern. Im Verlauf der Februarkämpfe 1934 sowie des Juliputsches im selben Jahr wurden Heimwehr-Kampfverbände von der Regierung als Hilfspolizei im Kampf gegen Sozialdemokraten und Republikanischen Schutzbund eingesetzt. Ein Anfang 1935 entflammter Machtkampf zwischen Starhemberg, der zeitweise auch Bundesführer der Vaterländischen Front war, und Bundeskanzler Schuschnigg beschleunigte die schrittweise Entmachtung der Heimwehr als politische und militärische Kraft. Ihre Wehrverbände wurden im Mai 1936 der neu geschaffenen „Frontmiliz“ eingegliedert, im Oktober 1936 erfolgte die Auflösung der Heimwehr als selbständige Organisation.


Literatur 

Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (Österreichische Geschichte 1890–1990), Wien 22005; Lothar Höbelt, Die Heimwehren und die österreichische Politik 1927–1936.Vom politischen „Kettenhund“ zum „Austro-Faschismus“?, Graz 2016; Ders., Die Heimwehren 1927–1929: Die Steiermark und der Bund. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark 104 (2013), S. 219–264; Bruce F. Pauley, Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Steirischer Heimatschutz und österreichischer Nationalsozialismus 1918-34, München u.a. 1972;  Emmerich Tálos, Walter Manoschek, Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus. In: Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer, Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur, 1933–1938, Wien, Berlin u.a. 72014, S. 6–27; Walter Wiltschegg, Zum “Korneuburger Gelöbnis” der Heimwehr. In: Geschichte und Gegenwart 5/2 (1986), S. 139–158.

Quellen und Dokumente

Heimwehrprogramm: 100prozentiger Fascismus.  In: AZ20.5.1930, S. 1f; Konfiskationen und Heimwehrwaffen. In: AZ, 5.11.1930, S. 3; Bundesgesetz über die Auflösung der freiwilligen Wehrverbände. In: Neues Wiener Journal, 15.10.1936, S. 1; Das Ergebnis der Nationalratswahlen. In: Wiener Zeitung, 11.11.1930, S. 1f.

Heimwehraufmarsch in Wiener Neustadt 1928; Foto A. Hilscher, online verfügbar: http://www.bildarchivaustria.at/Preview/1073517.jpg

(MK)

Die Helios-Filmgesellschaft wurde im August 1912 von F. Dörmann u. seinem Geschäftspartner Elias Tropp gegründet und sicherte sich zunächst die Mitwirkung von Schauspielerinnen und Schauspieler der Jarno-Bühnen wie Heinrich Eisenbach, Gisela Werbezirk und Eugenie Bernay. Sie musste aus urheberrechtl. Gründen den Namen bereits im selben Monat abändern und bestand als Vindobona-Film-Gesellsch. weiter.

Im Sept. 1918 präsentierte sich unter neuer Geschäftsführung die Helios neuerlich auf dem Wiener Parkett, geleitet vom Regisseur Otto Kreisler und Rudolf Hoffermann und Sitz in der Neubaugasse (VII. Bezirk). Als erste Produktion firmierte der Film Der Traum im Walde. In den nächsten Jahren kamen mehrere Literaturverfilmungen zustande, u.a. Grillparzers Die Jüdin von Toledo oder Wedekinds Frühlings Erwachen (beide 1919), aber auch im Genre des sog. Sensationsfilms war die Helios präsent, 1919 z.B. mit dem Film König Ludwig II. 1920 wurde der Film Theodor Herzl, der Bannerträger des jüdischen Volkes (mit Rudolf u. Josef Schildkraut in Hauptrollen) von der Zensur nicht zugelassen, 1921 stieß u.a. Max Neufeld zur Helios (der 1922-23 wegen einer plagiatsverdächtigen Konkurrenzproduktion beinahe wieder ausschied). Im Programmangebot fanden sich wieder prunkvolle Ausstattungsproduktionen wie Ein Künstlerleben (Untertitel: Mozarts Leben, Lieben und Leiden), Die tolle Miss (mit Maria Castelli) und Literaturverfilmungen wie Der tote Hochzeitsgast auf der Basis von Heines Ballade Don Ramiro, die im Juni 1922 mit beachtlichem Erfolg („Meisterwerk“, NWJ) in den Wiener Kinos anlief.  Im Okt.1923 berichtete Die Stunde vom Projekt eines „pazifistischen Films“, der auf dem Areal der Genfer Völkerbundzentrale gedreht werde (Die Stunde, 6.10.1923,6), jedoch am Ende offenbar nicht zustande kam, während zur Jahreswende 1924/24 der Film Die Tochter der Frau von Larsac (nach einem Pariser Skandalfall) seine Erstausstrahlung erlebte. 1925 wurde eine kommerziell wie thematisch interessante Produktion angekündigt, d.h. Ein Walzer von Strauß, mit Anita Berber in den Tanzszenen, welche den Finanzcrash von 1924 in den Mittelpunkt setzte, offenbar aber auch die Gesellschaft in finanz. Nöte brachte. Denn zwischen Okt. u. Nov. lief am Wiener Handelsgericht ein Ausgleichsverfahren (WZ, 22.11.1925,14), das zwar glimpflich endete, aber die Filmtätigkeit auf den Verleih reduzierte und der Produktion ein Ende setze. Im Februar 1929 wurde im Amtsblatt zur Wiener Zeitung denn auch die Auflösung der Gesellschaft kundgemacht (WZ, 3.2.1929, 16). 1937 wurde ein Neugründungsversuch unternommen, über dessen Ausgang nichts Weiteres bekannt ist.

(Work in progress…)