Inflation ist ein Stichwort der Epoche der Zwischenkriegszeit; sie prägte das soziale, politische und kulturelle Leben zumindest während zweier Phasen maßgeblich mit: einerseits von 1921 bis 1924, andererseits, in modifizierter Form, von 1930 bis 1932.  Auch in der Literatur wurde sie schon früh als Thema, insbesondere die Jahre 1921-24 betreffend, fassbar und mit dem Zusammenbruch der alten Ordnung sowie der Desorientierung nach 1918 in Zusammenhang gebracht, während die zweite Phase im Zuge des Bankenkrachs von 1929 und der Weltwirtschaftskrise ab 1930 als stärker globales Phänomen wahrgenommen wurde.

Hintergrund für die Inflation von 1921ff. waren zum einen der Zerfall des k.k. Wirtschafts- und Finanzraumes sowie die durch den Krieg angehäuften Schulden, zum anderen das Versagen der Regierungen nach 1920, die einsetzende Devisenspekulation durch gesetzliche Maßnahmen und begleitende Finanzpolitik in den Griff zu bekommen. Laut Berechnungen der ÖNB stieg die Inflation von durchschnittlich etwa 80% jährlich in den Jahren 1915-18 auf 149% im Jahr 1919, sank dann auf 99% im Jahr 1920, um 1921 wieder 205% zu erreichen und 1922 auf 2.877% zu explodieren. Der Wertverfall der Krone zwischen 1914 und 1924 wird mit 1: 14.000 etwa, kurzzeitig auch 1: 16.000 angegeben. Er korrespondierte nur zum Teil der realen Wirtschaftsentwicklung: während 1919-20 die Versorgungslage tatsächlich sehr dramatisch war (Carsten, 39) u. vor allem die städt. Bevölkerung auf ausländische Hilfslieferungen (meist auf Kreditbasis) angewiesen war, war das erste Halbjahr 1921 immerhin von einer Hochkonjunkturphase gekennzeichnet, wies nahezu Vollbeschäftigung und Reallohnsteigerungen, geregeltes Konsumgüterangebot auf und hatte sogar Unternehmensgründungen bzw. –verlegungen (aus der Tschechoslowakei nach Österreich, so Ausch, 38f.) zur Folge, – Rahmenbedingungen, die von der Regierung nicht genützt wurden. Im Gegenzug etablierten sich im Sept. 1921 in Wien 360 Banken, die zum Devisenhandel zugelassen wurden, ohne meist über die nötige Expertise zu verfügen und in der Folge die Devisenspekulation entsprechend anzutreiben. Zugleich verschärften die wenig erfolgreichen und langwierigen Verhandlungen der Regierung mit dem Völkerbund (Genf) die angespannte Finanzlage; der Schweizer Franke, der Ende 1920 (zugleich Ende der Koalitionsregierung) mit 1: 100 gegen die Krone gehandelt wurde, stieg bis September 1921 auf ein Kursverhältnis von 1: 435 an (Ausch, 38). Zugleich beschlossen zwei Großbanken, die Anglo-Österreichische Bank und die Länderbank, die bei englischen bzw. französischen Banken seit 1914 verschuldet waren, diese durch Aktienbeteiligung an die Kreditgeber abzubauen, um (vorgeblich) nicht in Konkurs gehen zu müssen (eine Gefahr, die nicht bestand, wie sich später herausstellte). Damit ging die Mehrheit beider Banken in ausländischen Besitz über, die Zentralen wurden nach London und Paris verlegt. Die Umwandlungsbilanz der Anglo-Österreichischen Bank wies dann plötzlich ein Vermögen von 125 Milliarden Kronen aus, womit de facto die Bilanzfälschung im Vorfeld zur Erlangung des nötigen Gesetzes offensichtlich wurde. In der linksgerichteten Tagespresse (AZ, Rote Fahne, Der Tag) wurde die v.a. durch Devisen- wie Warenspekulation angeheizte Inflationsspirale mit dem Bild und Typus des Schiebers und der Notwendigkeit schärferer Sanktionen in Zusammenhang gebracht, z.B. in einem AZ-Leitartikel unter dem Titel Der Handel und die Teuerung oder in einem verbitterten Arbeiter-Feuilleton in der Roten Fahne.

In der zeitgenössischen Literatur und Publizistik und zwar auffallend stark thematisiert in der österreichischen (Kiesel, 340), finden sich die ersten Auseinandersetzungen mit dem Phänomen der Inflation – sieht man von Tagebuchnotizen sowie Gedichten und Glossen, nicht selten mit antisemitischer Tendenz in Zeitschriften wie Kikeriki, Wiener Caricaturen oder Die Bombe ab – in dramatischen Werken, so z.B. bei Th. Tagger (ab 1926: F. Bruckner) im Zweiteiler 1920 oder Die Komödie vom Untergang der Welt (1920), sowie in essayistischen und feuilletonistischen Texten von Joseph Roth wie z.B. schon 1919 in Hausse und Baisse, 1921 in Dollar-Fieber (Berliner Börsen-Courier) oder von Robert Müller (Filibustier, 1922).  Breitere Entfaltung finden sie sodann in den sog. Wiener Gesellschaftsromanen von Hugo Bettauer und Felix Dörmann; ferner sind die weniger bekannten frühen Texte von  Franz Dirsztay oder jene der ins rechtsnationale Fahrwasser geratenen Robert Hohlbaum und Theodor H. Mayer zu nennen, bei letztgenannten sichtbar in deren Romanen Zukunft bzw. Prokop der Schneider (beide 1922).

Bettauer stellt sich dem Inflations- und Schieberthema erstmals in Feuilletons in der Ztg. Der Morgen wie z.B. in Die Neujahrsnacht der Banknoten (2.1.1922) und danach in seinen Romanen Die freudlose Gasse (1923) bzw. Das entfesselte Wien (1924). Letzterer greift z.B. die viele Spekulanten ruinierende Franc-(Fehl)spekulation vom März 1924 auf. Selbst H. von Doderer greift die Teuerungsunruhen vom 1.12.1921 im Text Divertimento No I (1924) auf; Betrugsschulden und eine generelle Inflation der Werte und Gefühle stehen auch in A. Schnitzlers Novelle Fräulein Else (1924) im Mittelpunkt der Handlung und deren dramatischen Zuspitzung. Mit Finanzspekulationen und fragwürdigen moralischen Haltungen befassen sich auch einige Romane von Otto Soyka, so der 1922 wiederaufgelegte, eigentl. einen Gründerzeitskandal thematis. Roman Käufer der Ehre. Den „handwerklich besten“ unter den frühen Inflationsromanen hat F. Dörmann 1925 mit Jazz vorgelegt (Achberger, 31), der „hochdramatisch und grell“ (Kiesel 345f.) aber auch mit präzisen Verweisen die Inflationsdynamik und ihre sozialen u. habituellen Begleiterscheinungen (Spekulation, Prostitution, Vergnügungsindustrie) nachzeichnet. Als gewichtigste Gestaltung kann schließlich der Roman Sintflut (1929) von Robert Neumann, den St. Zweig in einer ausgreifenden Besprechung in der NFP als den „Roman der Inflation“ schlechthin bezeichnete, angesehen werden. Im Unterschied zu zahlreichen Auseinandersetzungen mit dem Thema Inflation, sei „ […] niemals so spezifisch die Wiener Inflation geschildert [worden] mit ihren spannweiten Gegensätzen, die gräßliche Nähe jämmerlichster Entbehrung neben polizeilich verbotenen, frenetisch verschwenderischen Unterhaltungen […] das ganze Auf und Ab, Kreuz und Quer, Hinauf und Hinunter, die vollkommene Durchmischung und Durchschichtung in der riesigen Maschine Inflation, die gleichzeitig Geld zerbröselt und Seelen zerquetscht“ (St. Zweig). Daran wird auch R. Brunngraber mit seinem die großen sozialen Krisen und ökonomischen Dynamiken nachzeichnenden Roman Karl und das 20. Jahrhundert (1932) nicht herankommen. Nur in einer kleinen Episode kommt die Inflationserfahrung von 1921-22 zu Wort, als Karl zur Kenntnis nehmen muss, dass „die Gehaltssteigerungen, die notgedrungen von Monat zu Monat vorgenommen werden mußten, in keiner Weise mehr mit der Geldentwertung Schritt hielten“. (169)


Quellen und Dokumente

Joseph Roth: Hausse und Baisse. In: Der Neue Tag, 7.12.1919, S. 4f., Der Handel und die Teuerung. In: Arbeiter-Zeitung, 11.1.1921, S. 1f., Otto Mirwald: In: Die Rote Fahne, 24.1.1921, S. 2, Hugo Bettauer: Die Neujahrsnacht der Banknoten. In: Der Morgen, 2.1.1922, S. 4, Paul Szende: Der Schieber als Sinnbild der heutigen Wirtschaftsordnung. In: Arbeiter-Zeitung, 9.5.1922, S. 5, Heinz Scharpf: Schieberverse. In: Die Muskete, 1.1.1923, S. 5, Paul Wertheimer: Menschen von heute. In: Neue Freie Presse, 12.10.1923, S. 23, Helene Tuschak: Menschen von heute. Schauspiel von Paul Wertheimer. In: Neues Wiener Tagblatt, 12.2.1924, S. 10, Stefan Zweig: Roman der Inflation. (Robert Neumann: „Sintflut“). In: Neues Freie Presse, 8.3.1929, S. 1-3.

Weitere Primärtexte

H. Bettauer: Die drei Ehestunden der Elizabeth Lehndorff (1921); O. Soyka: Die Traumpeitsche (1921); H. Bettauer: Die Stadt ohne Juden (1922); Ders.: Der Kampf um Wien (1923); K.H. Strobl: Wir hatten gebauet (1923); P. Wertheimer: Menschen von heute. Schauspiel in drei Akten (1923); V. Baum: Feme (1926); A. Bronnen: Reparationen (1926); R. Auernheimer: Die linke und die rechte Hand (1927); St. Zweig: Die unsichtbare Sammlung (1927/1936); Ders.: Die Welt von Gestern (1942)

Literatur

K. Ausch: Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption. Wien 1968 (Neuaufl. Mit Vorw. von F. Lacina, Wien 2013); F. Achleitner: Die Inflation und die zeitgenössische Literatur. In: F. Kadrnoska (Hg.): Aufbruch und Untergang. Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938. Wien 1981, 29-42; W. Schmidt-Dengler: Inflation der Werte und Gefühle. Zu Arthur Schnitzlers Fräulein Else. In: G. Farese (Hg.) Akten des Int. Symposiums ‚Arthur Schnitzler und seine Zeit‘. Bern 1985, 170-181; wiederabgedr. in: Ders.: Ohne Nostalgie: zur österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit. Wien 2002, 53-64; auch in: E. Polt-Heinzl: Arthur Schnitzler: Fräulein Else. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 2002, 82-88; S. Klettenhammer (Hg.): Literatur und Ökonomie (Innsbruck-Wien 2010); K. Müller: ›Inflation‹. Literarische Spiegelungen der Zeit. In: K. Müller, H. Wagener (Hgg.): Österreich 1918 und die Folgen. Geschichte, Literatur, Theater und Film. Wien u.a. 2009, 123-146;  E. Polt-Heinzl: Lesebuch Finanzkrise. = Zirkular Sondernr. 73, Wien 2009; Dies.: Österreichische Literatur zwischen den Kriegen. Plädoyer für eine Kanonrevision. Wien 2012, bes. 91-98 und 107-113; H. Kiesel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918-1933. München 2017, 339-362.

Christian Beer, Ernest Gnan, Marie Teresa Valderrama: Die wechselvolle Geschichte der Inflation in Österreich (2016) (Online verfügbar)

(PHK)

(1934-1938)

Eingerichtet vom Bundesministerium für Unterricht in Verbindung mit der „Hauptstelle für volkserziehliche Filmarbeit der Vaterländischen Front“. Einer der maßgeblichen Proponenten war Rudolf Henz. Im Rahmen dieser die Filmauswahl und Filmzensur bestimmenden Institution als Bestandteil der austrofaschistischen Film- und Kulturpolitik erschien ab 1934 auch die Zeitschrift Der gute Film.

(work in progress)

Die IGNM wurde im Zuge der Salzburger Festspiele am 11.8.1922 durch die Komponisten B. Bartok, A. Berg, P. Hindemith, E. Honegger, Z. Kodaly, D. Milhaud, M. Ravel, O. Respighi, R. Réti, A. Schönberg, I. Strawinsky, A.  Webern, E. Wellesz u.a. m. begründet. Zum ersten Präsidenten wurde Edward Dent gewählt, als Sitz der Gesellschaft 1923 London bestimmt. Ihre Aufgabe bestand in der Förderung neuer Musik, ursprünglich im Umfeld der sog. Zweiten Wiener Schule. Als Zeitschrift für ›Neue Musik (NM)‹ verstanden sich gemäß Untertitel auch u. vor allem die renommierten Musikblätter des Anbruch (Universal-Edition, Wien), die in den 1920er Jahren in nahezu jedem Heft einen oder mehrere Beiträge zu Fragen der NM brachten. Seit 1923 wurden jährlich Musikfeste veranstaltet, die von den nationalen Sektionen organisiert wurden, 1924 sowohl in Prag als auch in Salzburg, 1932 in Wien. Die österreichische Sektion konstituierte sich erst 1926 unter dem Namen Verein für neue Musik; erster Präsident war der Komponist Julius Bittner. Die IGNM bestand auch nach 1938 weiter und umfasst heute rund 50 Sektionen.


Quellen und Dokumente

Max Graf: Kammermusikfest in Salzburg. In: Prager Tagblatt, 12.8.1923, S. 7f., Karl Marilaun: Sommermusik in Salzburg. In: Neues Wiener Journal, 3.8.1923, S. 4, Ernst Krenek: Zur Situation der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. In: Der Anbruch, H. 3/1934, 41-44.

Literatur

Anton Haefeli: Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik. Ihre Geschichte von 1922 bis zur Gegenwart (1982); Monika Voithofer: Die Rolle von Komponistinnen, Interpretinnen und Musikwissenschafterinnen in der Institution Internationale Gesellschaft für Neue Musik (IGNM). MA-Arbeit, Univ. Graz 2015 (Online verfügbar).

Website der Gesellschaft. Eintrag in musiklexikon.ac.at.

(PHK)

Der Gründung der Internationalen Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller (IVRS) gingen verschiedene literaturpolitische Bestrebungen der kommunistischen Bewegungen Europas voraus, etwa der 1918 geschaffene Internationale Proletkult, das 1920 eingerichtete Provisorische Internationale Büro für Proletkult um Anatoli Lunatscharski (1917-1929 sowjetischer Volkskommissar für das Bildungswesen), Max Barthel, John Reed und andere sowie v.a. die von Henri Barbusse und Romain Rolland angeführte internationale Clarté-Bewegung, der u.a. auch Anatole France, Upton Sinclair, Stefan Zweig, Heinrich Mann, Leonhard Frank und Ernst Toller angehörten. Vom V. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1924 ging der Impuls zu einer stärkeren Institutionalisierung der kommunistischen Literaturbewegungen im Sinne einer Literatur-Internationale aus. Dafür wurde 1926 das Internationale Büro für revolutionäre Literatur (IBRL) eingerichtet, dessen Präsidium u.a. Lunatscharski, Barbusse, Johannes R. Becher und F. C. Weiskopf angehörten. Als leitender Sekretär fungierte der ungarische Schriftsteller Béla Illés. 1927 fand in Moskau die I. Internationale Konferenz proletarischer und revolutionärer Schriftsteller statt, an der dreißig Schriftsteller aus elf Nationen teilnahmen (u.a. Becher, Weiskopf, B. Lask, A. Gábor, A. Hollitscher, E. E. Kisch und F. Rubiner) und bei der die Einrichtung nationaler Verbände beschlossen wurde.

Im Oktober 1928 wurde der von Becher dominierte Bund der proletarisch-revolutionären Schriftsteller Deutschlands (BPRS) in Berlin gegründet, im Februar 1930 der BPRSÖ in Wien. Als Wiener Abordnung reisten im November 1930 Ernst Fabri, Franz Janiczek, Lili Körber und Hans Maier zur II. Internationalen Konferenz proletarischer und revolutionärer Schriftsteller nach Charkow, bei der ausgehend vom IBRL die IVRS gegründet wurde. Unter den rund einhundert Teilnehmern aus 22 Nationen aus Europa, Amerika, Asien und Afrika stellte der dominante deutsche BPRS, der in Berlin eine westeuropäisches IBRL-Dependance geschaffen hatte, mit vierzehn Personen (u.a. E. Glaeser, L. Renn, A. Seghers) nach der russischen Fraktion die größte Gruppe. Becher war als einer von sieben Hauptrednern der einzige Nichtrusse und stieg in das IVRS-Leitungsgremium um Illés auf. Die strikte marxistisch-leninistische Ausrichtung im Kampf gegen Faschismus, Imperialismus und Krieg erfuhr rund um den „Fall Barbusse“ (B. gab in der Zeitschrift Monde 1928-1935 auch Trotzkisten und Liberalen Raum) ab 1928 eine Aufweichung. Nach der Auflösung der russischen Gruppe (RAPP) des Verbandes proletarischer Sowjetschriftsteller (WAPP) und den Amsterdamer Schriftstellerkongress 1932 traten auch bürgerliche Vertreter einer antifaschistischen Literatur neben sozialistischen in Erscheinung. Bis Ende 1932 schlossen sich in der IVRS Gruppen aus sechzehn Nationen zusammen. Neben den Publikationsorganen der einzelnen Verbände wurden mit Bote ausländischer Literatur (1928/30), Literatur der Weltrevolution (1931) und Internationale Literatur (1931-1945) gemeinsame Zeitschriften eingerichtet, wobei letztere auf Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch, später auch auf Chinesisch und Spanisch erschien. Als Redakteure fungierten u.a. Becher, Gábor, G. Lukács, S. Tretjakow und E. Weinert, Beiträge verfassten u.a. E. Bloch, L. Feuchtwanger, B. Frei, O. M. Graf, A. Holitscher, K. Kläber, H. Mann, K. Mann, Th. Mann, B. Viertel, F. C. Weiskopf und St. Zweig. Zudem wurden Umfragen, Preisausschreiben, Protestaktionen sowie Russlandreisen organisiert.

Nach der Gründung der Internationalen Schriftstellervereinigung zur Verteidigung der Kultur (IVSK) in Paris wurde die IVRS und ihre noch bestehenden Unterorganisationen Ende 1935 aufgelöst.


Quellen und Dokumente

Verzeichnis der Artikel in Internationale Literatur 1933-1945: Exilpresse digital

Ernst Fabri: Über die Arbeit der österreichischen Sektion der IVRS. In: Internationale Literatur 3 (1933), H. 1, S. 144f. Abgedruckt bei Gerald Musger: Der “Bund der proletarisch-revolutionären Schriftsteller Österreichs (1930 – 1934). Eine Dokumentation. Graz, Univ. Diss., 1977, S. 291-294, N.N.: Bericht über die Tätigkeit des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller im Jahre 1929 [1930]. In: Zur Tradition der deutschen sozialistischen Literatur. Eine Auswahl von Dokumenten. Bd. 1: 1926-1935. Berlin, Weimar: Aufbau 1979, S. 180-194.

N.N.: Der Kongreß in Charkow. Der Rechenschaftsbericht der proletarischen revolutionären Schriftsteller. In: Die Rote Fahne, 20.11.1930, S. 3, h. g.: Der kulturelle Vormarsch des Bolschewismus. Interview mit Bela Illes, Sekretär der Internationalen Vereinigung revolutionärer Schriftsteller, Moskau. In: Die Rote Fahne, 1.11.1931, S. 9, h.g.: Die Literatur der Weltrevolution. Interview mit Bela Illes, Sekretär der Internationalen Vereinigung revolutionärer Schriftsteller, Moskau. In: Die Rote Fahne, 15.11.1931, S. 9.

Literatur

Doris Danzer: Zwischen Vertrauen und Verrat. Deutschsprachige kommunistische Intellektuelle und ihre sozialen Beziehungen (1918-1960) Göttingen: V&R unipress 2012, S. 174ff, Simone Barck: Internationale Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller. In: S. B. et al. (Hg.): Lexikon sozialistischer Literatur. Ihre Geschichte in Deutschland bis 1945. Stuttgart [u.a.]: Metzler 1994, S. 223-226, Thomas Dietzel, Hans-Otto Hügel: Deutsche literarische Zeitschriften 1880-1945. Ein Repertorium. Bd. 1. München [u.a.]: Saur 1988, S. 753, N.N.: Internationale Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller. In: Inge Diersen (Hg.): Lexikon sozialistischer deutscher Literatur. Von den Anfängen bis 1945. Leipzig: Bibliographisches Institut 1964, S. 257-261, Christa Streller, Volker Riedel: Internationale Literatur. Moskau, 1931-1945. Bibliographie einer Zeitschrift. Zwei Bde. Berlin: Aufbau 1985. Heinz Willmann: Antifaschistische Tribüne: „Internationale Literatur“. In: Streller/Riedel 1985, Bd. 1, S. 5-22.

(ME)

siehe Eintrag zu: Bildstatistik

Pejorative zeitgenössische Formulierung für den kulturellen Aufbruch der Schwarzen einerseits, insbesondere im Bereich der (Unterhaltungs-)Musik und dessen Wahrnehmung und Klassifizierung in der vorwiegend konservativen Tagespublizistik andererseits. Belegstellen finden sich im Kontext der Kritik literarischer Neuerscheinungen wie z.B. von Philippe Soupault und dessen Abenteuerroman Le Nègre (1927) und vor allem der Jazz-Musik-Berichterstattung andererseits. Als besonders abfällig erwies sich dabei der renommierte Musikkritiker Julius Korngold anlässl. der Wiener Aufführung von Kreneks Jonny spielt auf zur Jahreswende 1927-28. Der Ausdruck ›Nigger‹ taucht allerdings bereits zu Beginn der 1920er Jahre vermehrt in der Boulevardpresse im Zusammenhang mit den sog. modernen Tänzen (wie z.B. Quickstepp, Foxtrott, Ragtime) verstärkt auf, u.a. im Neuen 8 Uhr-Blatt, im Kikeriki ,in der Illustrierten Kronen Zeitung oder den Wiener Bildern. Durch den Abdruck von Amerika-Reiseberichten (Friedrich Dessauer, Friedrich Wallisch u.a.), aber auch durch den Abdruck des Romans Der unvermeidliche weiße Mann (u.a. in der sozialdemokr. Grazer Ztg. Arbeiterwille) fand er auch in die linke Tagespresse Eingang.

Demgegenüber wurde die Formulierung ›Neger-Jazz‹ eher neutral, z.T. sogar positiv konnotiert verwendet; u.a. wurde die 1928 in Wien gastierende amerikan. Jazzband Sam Woodings mit dieser Qualifizierung beworben. In den seriösen Musikdiskurs fand sie bereits 1921 in einem Beitrag über das Russische Ballett in Paris  in den Musikblättern des Anbruch Eingang und danach insbesondere in dessen Sonderheft zum Jazz (4/1925). Nach dem Jazz-Jahr 1928 finden sich nur mehr sehr vereinzelt Beiträge zu diesem Thema.


Quellen und Dokumente

Willy Elmayer-Vestenbrugg: Reform des Tanzes? In: Neues 8-Uhr-Blatt, 22.9.1920, S. 3, aa A. R.: Wien im Fremdenjoch. In: Kikeriki, 14.5.1922, S. 7, Friedrich Dessauer: Bilder aus Amerika. In: Arbeiter-Zeitung, 2.8.1922, S. 6, C. Searchinger: Jazz. In: Musikblätter des Anbruch. H.4/1925, 205-210., a-m: Europa wird von einem Nigger ermordet. Pariser Abenteuerroman. In: Neues Wiener Journal, 4.12.1927, S. 22.

(PHK)

Der Begriff tauchte in der österr. Diskussion erstmals im Beitrag Operettenmöglichkeiten von Rudolf Lothar im NWJ im Okt. 1923 auf. Lothar meinte, in der modernen Operette, analog zur modernen Tanzmusik, setze sich die Tendenz durch, die Melodie durch Rhythmik u. „Koloristik“ zu ersetzen, womit sich die Operette der „amerikanischen Amüsiermusik“ nähere, sodass „die richtige Jazzoperette nicht lange auf sich wird warten lassen“. Er erblickt darin einen Endpunkt der Gattungsentwicklung, auf den wieder eine Rückkehr zum Singspiel folgen werde. Es dauerte bis 1927, dass die erste als solche ausgewiesene Jazzoperette im Apollo-Theater zur Aufführung kam: Lady X von G. Edwards, der niemand anderer als der (Jazz-)Komponist, Kritiker und Wien-Kenner Louis Gruenberg (1884-1964) war; das Libretto stammte von Ludwig Herzer (1872-1939). Den Durchbruch, auch von der Resonanz her, brachte 1928 Emmerich Kálmáns (Jazz)Operette Die Herzogin von Chikago, die mit kurzen Unterbrechungen ab April 1928 bis in den März 1929 am Theater an der Wien gespielt wurde. Kálmán montierte dabei „alle eigenartigen Reize der Revue“ ein (Wiener Ztg.) und baute um eine sonst recht schablonenartige Handlung (US-Dollarprinzeßchen auf der Suche nach Gatten aus altem aber verarmtem Adel) einen „musikalischen Ringkampf zwischen Europa und Amerika, zwischen alter und neuer Tanzmusik“ (L. Hirschfeld), während P. Pisk nur Klischierungen und Kommerzialisierungstendenzen an ihr erkennen konnte. Im Dezember folgte die Revue von F. Grünbaum und K. Farkas Flirt und Jazz in den Kammerspielen. Wie sehr das Thema Jazz und Operette polarisieren konnte, zeigte sich am Protest der Witwe von Joh. Strauß, als in Dresden im Zuge einer Fledermaus-Aufführung Jazzstücke einmontiert wurden und sie daraufhin von der österr. Regierung einen besonderen Schutz (auch nach Ablauf der Urheberrechtsfrist) 1929 verlangte. 1930 stand im Zeichen der Jazzoperette Reklame von Bruno Granichstaedten (1879-1944) aber auch der erfolgr. Auff. von Aber Otty (Libretto: Julius Horst) in Prag und Brünn sowie der Wiener Auff. von Paul Abrahams Viktoria und ihr Husar (Libretto von A. Grünwald u. F. Löhner nach dem ungar. Original von E. Földes),  die bereits zuvor in Leipzig „sensationellen Erfolg“ hatte. An ihr lobte R. Holzer in der Wiener Ztg. sowohl das klassische Operettenfundament als auch die innovativen musikal. Ansätze, die auf Synthesen von ungarisch-wiener Musiktradition wie von Jazz-Elementen abzielten. Sie wurde auch im Londoner Palace Theater 1931 in über 250 Auff. gespielt u. zu einem Tonfilm verarbeitet, der ab Nov. 1931 in Wiener Kinos zu sehen war.

Auch die zunächst in Berlin aufgef. Revue-Operette Im weißen Rössl von Ralph Benatzky (Mitarb. von J. Gilbert u. B. Granichstaedten), die ab 25.9.1931 auch in Wien im Stadttheater gegeben wurde, setzte auf ein Nebeneinander von klass. und Jazz-Elementen, die wesentlich ihren Erfolg mitbegründeten. Ebensfalls „sensationell“ im Erfolg sowie akzentuierter in der Jazz-Ausrichtung war Abrahams nächste Operette Die Blume auf Hawai (UA 25.7.1931 Leipzig), die ab 20. 8. 1932, nach vorherigem Erfolg in Budapest, am Theater an der Wien anlief.  Es handelte sich hierbei offensichtlich um zeitaktuelle Tendenzen, die jedoch in Teilen der Wiener Kritik keineswegs außer Streit standen. Anlässl. der Aufnahme der Operette Opernball von V. Léon (Musik: R. Heuberger) in den (Staats)Opernspielplan Anfang 1931 sah sich nämlich der Musikkritiker der NFP, Julius Korngold, veranlasst, in einer ausgreifenden Besprechung Bemerkungen über die ›moderne Operette‹ einzuflechten. Diese Bemerkungen waren von einem tiefen Misstrauen gegen die Form getragen, „anästhesiert“ sie, so Korngold doch „das gute Gewissen“ und sei längst „ein Geschäft geworden, das die Kunst zurückgedrängt hat“. Letzteres umso mehr, wenn sie Jazzelemente aufgreife: „Dreigroschen-Gänsemärschen von Jazzsongs und Jazztanz“ könnten, so J. K., keine Fortentwicklung des Genres anzeigen. Nichtsdestotrotz, und wohl vor dem Hintergrund eines Publikumsinteresses für das Genre, waren Opernlibretti für Jazzoperetten, wie eine Werbeanzeige des NWTBl. vom 31.5.1931 dokumentiert, nachgefragt. Während 1932 mit P. Abraham auf Jazz-Stücke rekurrierende Operetten in Europa noch durchgehend Erfolge verbuchen konnte, wendete sich 1933 das Blatt grundsätzlich und langsam auch in Österreich. Das Genre erschien durch den NS-Druck diskreditiert; neue Aufführungen kamen nicht mehr zustande. Jazzoperetten, meist englische aber auch österreichische, waren nur mehr über das internationale Radioprogramm in Übertragungen zugänglich. Im Aug. 1936 verkündete das NWJ denn auch, die Jazzoperette habe sich „überlebt“. Eine letzte, kurz dauernde Ausnahme, bildete im März 1937 die UA der auch um Jazzelemente (Foxtrott) angereicherten Abraham-Operette am Theater an der Wien Roxy und ihr ‚Wunderteam‘, die Anfang 1938 auch als Film herauskam.


Quellen und Dokumente

Rudolf Lothar: Operettenmöglichkeiten. In: Neues Wiener Journal, 7.10.1923, S. 12, Emil Kolberg: „Lady X“. Die Jazzoperette im „Apollo“. In: Der Morgen, 19.9.1927, S. 4, Paul Pisk: Apollotheater. In: Arbeiter-Zeitung, 20.9.1927, S. 9, Paul Pisk: „Die Herzogin von Chikago“. In: Arbeiter-Zeitung, 6.4.1928, S. 7, Rudolf Holzer: Theater an der Wien. „Die Herzogin von Chikago“. In: Wiener Zeitung, 7.4.1928, S. 8, Fritz Grünbaum über Fritz Grünbaum. Und über „Flirt und Jazz“. In: Neues Wiener Journal, 7.12.1928, S. 11f., Kammerspiele. „Flirt und Jazz“, Revue von Grünbaum und  Farkas. In: Wiener Zeitung, 13.12.1928, S. 11, Rudolf Holzer: Theater an der Wien. Viktoria und ihr Husar. In: Wiener Zeitung, 25.12.1930, S. 5, Julius Korngold: Operntheater. („Der Opernball“, Operette von Victor Léon und H. Waldberg. Musik von Richard Heuberger.) In: Neue Freie Presse, 25.1.1931, S. 1-4, -ron: „Im weißen Rößl“. In: Neues Wiener Journal, 26.9.1931, S. 11, Die neue Paul Abraham-Operette. Sensationspremiere in Leipzig. In: Neues Wiener Tagblatt, 26.7.1931, S. 12, J. B.: „Die Blume von Hawai“. In: Neues Wiener Journal, 20.8.1932, S. 10f., Herbert Stifter: Worüber Wien lacht. In: Salzburger Volksblatt, 10.4.1935, S. 5, Wiener Operettenkonjunktur. In: Neues Wiener Journal, 6.8.1936, S. 15, Schaubühne. Roxy und das Wunderteam. In: Mein Film (1937), H. 589, S. VIII.

Literatur

Nach-Kakanische Operette um ‘33 und ‘38 am Beispiel von Emmerich Kálmán und Ralf [sic] Benatzky“. In: Österreichische Musiker im Exil. Wien 1988, 66–72; F. Henneberg: Ralph Benatzky. Operette auf dem Weg zum Musical. Lebensbericht und Werkverzeichnis. Wien 2009; G. Paul: Sound der Zeit: Geräusche. Töne. Stimmen 1889 bis heute. Göttingen 2014; K. Ploog: Als die Noten laufen lernten. Geschichte und Geschichten der U-Musik bis 1945. Nordstedt (on demand) 2015, Teil I, S. 313f. (zu Granichstaedten)

Kevin Clarke: Paul Abraham: An Interview with His First Biographer (2014) (Online verfügbar), Eintrag zu Die Herzogin von Chicago bei operetten-lexikon.info.

(PHK)

von Stefan Zweig

Cover zu Jeremias (1918): Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Wien

Seinem 1918 uraufgeführtem Stück Jeremias. Eine dramatische Dichtung in neun Bildern stellte Zweig den Entstehungsverweis „Ostern 1915 – Ostern 1917“ voran. Das Stück gilt als Klassiker der pazifistischen Literatur und erzählt die Geschichte des Propheten Jeremias bibeltreu und mit großem Pathos nach, für Schnitzler das „hervorragendste Gymnasiastenstück, das sich denken lässt“1. Jeremias warnte lange vor Ausbruch des Krieges vor einem Waffenbündnis mit den Ägyptern gegen das Babylonische Reich und sagte den Untergang Jerusalems voraus. In der Hauptfigur hätte sich Zweig wohl selbst gerne gesehen. Doch 1914 war er keineswegs unter den Warnern. Am 1. Dezember 1914 erschien in der Berliner Zeitschrift Das literarische Echo Zweigs Essay Vom ‚österreichischen’ Dichter. Ein Wort zur Zeit. „Viele unter uns“, heißt es da, „wußten niemals, was damit gesagt sei, wenn man uns ‚österreichische Schriftsteller’ nannte. Wenn man eine Grenze schob zwischen unser Bemühen und das der deutschen Dichter“. Auch „deutschösterreichische“ Dichter sei ein „künstlicher Begriff“, deshalb fordert er: „Lassen wir endlich das leere Wort vom ‚österreichischen Dichter’ der Vergangenheit, […] da doch die entscheidende Stunde gezeigt hat, daß Deutschland Einheit ist und seine Sprache uns allen nur gegeben, um diese Einheit liebend und gläubig zu bezeugen.“2

Zweig arbeitete dann als Titularfeldwebel im Kriegspressequartier. Am 28. August 1917 fragte er bei seinem Vorgesetzten brieflich an, ob er, „im Interesse der österreichischen Propaganda […] im Herbst dieses Jahres“ in Zürich „einen einführenden Vortrag über ,das Wesen der Wiener Kunst und Geschmackskultur’“ halten dürfe und also für diesen Zweck ins Ausland beurlaubt werden könnte. Tatsächlich erwirkt Zweig eine befristete Enthebung von der Dienstpflicht ab 5. November 1917 für zwei Monate, die in der Folge verlängert und dann „auf unbestimmte Zeit für neue freie Presse“3 ausgedehnt wurde. Für Zweig war der Kriegseinsatz damit beendet, und so hielt er im April 1918 auch die Eröffnungsrede beim Internationalen Frauenkongresses für Völkerverständigung in Bern, bei der er Bertha von Suttner, der zu Lebzeiten wenig geachteten Warnerin vor dem bevorstehenden Krieg, posthum ein Denkmal setzte.


Literatur

Stefan Zweig: Jeremias. Eine dramatische Dichtung in neun Bildern. Leipzig: Insel 1918.

(EPH)


  1. Arthur Schnitzler: Tagebuch 1917–1919. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1985, S. 81.
  2. Stefan Zweig: Die schlaflose Welt. Aufsätze und Vorträge aus den Jahren 1909–1941. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1983 (Gesammelte Werke in Einzelbänden), S. 48f. u. S. 51.
  3. Elisabeth Buxbaum: Des Kaisers Literaten. Kriegspropaganda zwischen 1914 und 1918. Wien: Edition Steinbauer 2014, S.96f.
Klavierauszug, Titelbild von Arthur Stadler (1928)

Nach dem großen Bühnenerfolg von Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf (UA 10. Feb.1927, Leipzig, zahlreiche Aufführungen an gut 50 deutschen Bühnen im Lauf des Jahres 1927) entschloss sich die Wiener Operntheater (= Staatsoper), diese Zeit-Oper, die u.a. auch (zeitgenössische) Jazz-Partien aufweist sowie einen farbigen Protagonisten, auf das Programm zum Jahresausklang zu setzen. Bereits im Vorfeld versuchte Krenek über Interviews und Selbstdarstellungen, z.B. in Der Tag oder in der Bühne, klarzustellen, dass es sich hierbei nicht primär um eine Jazz-Oper handelte, sondern um eine dem Geist der Zeit verpflichtete Komposition, zu der als Requisiten der Jazz ebenso wie die Technik oder das Hochgebirge, die Unterhaltungskultur ebenso wie die Sehnsucht nach Klassizität zählten. Die Reaktionen auf die Aufführung waren sehr kontrovers: konservative Zeitungen und ihre Kritiker verdammten das Werk, die ihm zugrundeliegenden Ideen und erblickten in der Wahl des Spielortes einen Affront der etablierten Kunst- und Musiktradition gegenüber. Neben der Reichspost exponierte sich vor allem die Neue Freie Presse in Gestalt ihres Musikkritikers Julius Korngold. In seiner Kritik vermengten sich persönliche Aversion der Neuen Musik und dem Jazz gegenüber mit einer geradezu diffamierenden Zeichnung des Komponisten sowie rassistischen Ausfällen gegen die schwarze, amerikanische Jazz-Musikpraxis, die wiederholt als „korrumpierte Geräuschmusik“ Revue- oder „Niggerkultur“ herabgewürdigt wurde. Weitaus zurückhaltender, wenngleich auch mit skeptischen Tönen, reagierte die Wiener Zeitung, vergleichsweise hymnisch dagegen das Neue Wiener Tagblatt, in dem Heinrich Kralik die Aufregung unverständlich, das Werk selbst und die Aufführung an sich „überfällig“, im Einzelnen zwar ins „Phantastisch-Burleske“ und in den Schlusspointen ins Tendenziöse geratend, aber im Musikalischen eine „köstliche Improvisation“ fand, insbesondere die Integration von „Jazzband und aktuellen Schlagerweisen“. Am 6.1. 1928 setzte die NFP, vermutlich auf Drängen Korngolds, mit einem Leitartikel zur ‚Jonny-Affäre‘ nach, in dem das Werk nicht nur als schlechte Operette klassifiziert wurde, das kein „Empor aus dem Dschungel des Afrikanertums“ andeute und eine „Entweihung“ der Oper wie des Opernhauses im anbrechenden Schubertjahr bedeute, während andrerseits erstmals auch die Arbeiterzeitung in der Person von David J. Bach dezidiert für Krenek und die Anliegen seines Werks Stellung bezog. Kurz danach nahm  auch der junge Ernst Fischer im Grazer Arbeiterwillen Krenek und seinen Jonny in Schutz und lobte ausdrücklich den Umstand, dass er „den Jazz opernfähig“ gemacht habe, „wie vormals Mozart das Menuett oder Richard Strauß den Walzer“. Die Jonny-Erregung in Wien fand auch ein Echo an der Bayrischen Staatsoper in München, wo sie verboten wurde, sowie in Budapest im März 1928 in Form von Protesten gegen drei Gastspiele. In Wien selbst blieb die Oper nach einer kurzen Unterbrechung auch im Jänner, Februar und März 1928 im Programm.


Quellen und Dokumente

Weitere Zeugnisse: Jonny spielt auf. Zur ersten Aufführung der Jazz-Oper Ernst Kreneks an der Wiener Staatsoper. Selbstbiographische Skizze von Ernst Krenek. In: Die Bühne, 29.12.1927, S. 7, E.C.: Was geschieht in „Jonny“? In: Die Bühne, 29.12.1927, S. 8-11, Heinrich Kralik: „Jonny spielt auf“. Oper in zwei Teilen. Erstaufführung im Operntheater. NWTBl. 1.1.1928, S. 2-4, Ferdinand Scherber: „Jonny spielt auf.“ In: Wiener Zeitung, 3.1.1928, S. 2-3.

Literatur

E. Krenek: Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne. Aus dem Amerikan. von F. Saathen, rev. Übersetzung von Sabine Schulte. Hamburg 2. Aufl. 1998, Kap. 4, S. 628-668; P-H. Kucher: Die Wiener Bühne(n) als moralische Anstalt? Das (Opern)Theater-Jahr 1928. In: J. Bertschik, P.-H. Kucher, E. Polt-Heinzl, R. Unterberger: 1928. Ein Jahr wird besichtigt. Wien 2014, S.201-237, bes. 201-203; R. Unterberger: Zwischen den Kriegen, zwischen den Künsten. Ernst Krenek – „Beruf: Schriftsteller und Komponist“. Diss.phil. Klagenfurt 2014, 176-204.   

(PHK)

auch: Freie Jüdische Volksbühne, Jüdische Künstlerbühne

Gegründet, nach Diskussionen, die bereits 1910-11 eingesetzt hatten, etwa infolge von Beiträgen von Karl Rubin, im Frühsommer 1919 (Krivanec, 338) als Verein Freie Jüdische Volksbühne (JVB), um den seit Kriegsende und dann ab Februar 1920 vorwiegend im Wiener Bürgertheater gespielten jüdischen (und nichtjüdischen) Stücken wie O. Dymows Sch’ma Isroel eine feste Bühne zu geben, die nach einem Gastspiel im Josefstädter Theater (Juli 1921) zunächst in der Wiener Taborstraße gefunden wurde. Ab Okt. 1921 wird die Untere Augartengasse als Spielort geführt. Das jüdische Repertoire umfasste mehrere jiddische Stücke z.B. Gott der Rache von Schalom Asch, Der Fremde von Jacob Gordin oder Jekel der Schmied und Eisik Scheftel von David Pinski, dessen Besuch am 10.1.1922 auch A. Schnitzler in seinem Tagebuch vermerkt. In der Reichspost vermerkte B[recka] wohl das Talent der Schauspieler, darunter v.a. jenes von Ben-Zwi, der zuvor bei Stanislawski gespielt hatte, an, kritisierte aber auch den jiddischen Jargon, der „arischen“ Besuchern das Theatererlebnis verunmögliche.

Gesellschafter des Theaters waren gemäß Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 23.10.1921 nach erfolgter Eintragung in das Handelsregister der Schauspieler Isaak Deutsch, der auch als Geschäftsführer fungierte, und der Kaufmann Abraham Weinstein. Das Stammkapital betrug 400.000 Kronen. Im Juli 1922 hatte der Verein immerhin rund 2000 Mitglieder. Zum Ensemble gehörten neben Ben Zwi (eigentl. Paul Baratow) u.a. Jona Reißmann, Lea Weintraub-Graf und Simon Natan. Im Zuge von Gastspielen, u.a. im Lustspieltheater, das bis April 1922 Spielstätte wurde, traten auch die Brodyer Sänger auf. Große Resonanz hatte auch Dymow mit seinem Stück Der Singer fin sein Trauer im Februar; im März richtete die JVB eine Alejchem-Feier aus. Danach war eine Übersiedelung an die Rolandbühne in der Praterstraße vorgesehen sowie ein attraktives Programm mit jidd. Stücken von H. Leiwik/Leivick, u.a. das Amerika-Einwanderungsstück Schmates/Abfall, L. Perez‘ Wus im Fidele steckt u.a. Nach der Rückkehr von einem Gastspiel in Rumänien im Sommer 1922 zerfiel jedoch das Ensemble 1923 weitgehend. Allerdings fanden sich im Juni 1923 wieder Ben Zwi und einige Schauspieler zusammen und spielten im Renaissancetheater in Form von Gastspielen Gordins Der Fremde sowie im Juli die Groteske Ajkele Mazik von Ben Schumer. Auch 1924 sind Aufführungen der JVB belegt, so im Dez. 1924, diesmal in den Künstlerspielen Riemergasse, die Gildene Pawe in der Regie von Leo Halpern, die großen Erfolg (NWJ, 10.12.1924, 11) erzielt habe und bis 4.1.1925 verlängert werden musste. Unmittelbar danach folgte die Wiener Erstauff. von Pinskis Einakter Bath-Schewa, wieder in der Regie von Halpern und ausgestattet von Tibor Gergely.

Ab 1926 gerieten die JVB und ihr Trägerverein in größere Schwierigkeiten, gespielt wurde nur mehr unregelmäßig; im Juni 1929 führte die Wiener Ztg. die Jüdische Volksbühne als „in Liquidation“ an (WZ, 19.6.1929, 16), ein Verfahren, das sich in das Jahr 1930 hinein erstreckte. Anfang 1932 konnten die Jüdischen Künstlerspiele in einem Saal in der Praterstraße kurz reaktiviert werden und hatten im Jänner-Februar wiederum Gordin mit Der Fremde, Leiwik mit Schmates/Shmattes und Toller mit Hinkemann im Programm (NFP, 30.1.1932).


Quellen und Dokumente

Karl Rubin: Das jüdische Theater in Wien. In: Jüd. Volksstimme, 9.3.1910, S. 1-2 u. 16.3.1910, S. 1-2; Hans Liebstoeckl: Theater. In: Wiener Sonn- und Montagszeitung, 13.6.1921, S. 2, Freie Jüdische Volksbühne. In: Reichspost, 16.6.1921, S. 6, Otto Abeles: Freie jüdische Volksbühne. (Zum ersten Male: „Der Sing fin sein Trauer.“ Spiel in drei Akten mit einem Vor- und einem Nachspiel von Ossip Dymow.) In: Wiener Morgenzeitung, 19.2.1922, S. 8, Otto Abeles: Schalom-Alejchem-Feier. (Freie jüdische Volksbühne.) In: Wiener Zeitung, 28.3.1922, S. 5, Bühne und Kunst. In: Wiener Morgenzeitung, 2.4.1922, S. 8, Alfred Markowitz: Freie Jüdische Volksbühne. In: Arbeiter-Zeitung, 21.4.1922, S. 8, Y.: Renaissance-Bühne. In: Der Tag, 1.7.1923, S. 9, Otto Abeles: Das jiddische Theater in Wien. Aufklärendes über die „Freie Jüdische Bühne“. In: Die Bühne (1924), H. 2, S. 28, Kleinkunstspiele der Jüdischen Volksbühne. „Die gildene Pawe“. In: Die Bühne (1924), H. 7, S. 28, Otto Abeles: „Schmates.“ Roland-Bühne. In: Wiener Morgenzeitung, 20.8.1925, S. 8.

Literatur

Brigitte Dallinger: Quellenedition zur Geschichte des jüdischen Theaters in Wien. Tübingen 2003, = Conditio Judaica 42; Eva Krivanec: Kriegsbühnen. Theater im Ersten Weltkrieg. Berlin, Lissabon, Paris, Wien. Bielefeld 2012.

Gedenkveranstaltung der IKG 2018: https://www.ikg-wien.at/event/19790/

(PHK)