eigentlich Leopold Heinrich Pollack, geb. 1866 – gest. Anfang September 1924 in Wien; Journalist, Kritiker

Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien war L. ab 1889 als Konzipient tätig, ehe er sich dem Journalismus verschrieb. Von Moritz Szeps gefördert, begann er seine Karriere beim Wiener Tagblatt und übernahm bald die Funktion des Feuilletonisten und Kritikers beim Fremdenblatt, dessen Leitartikler er später wurde. Nach der Jahrhundertwende zog L. nach Berlin und schloss sich dem Berliner Lokalanzeiger und der liberalen National-Zeitung an, für die er Theaterkritiken verfasste. Zudem wirkte er im Beirat für Literatur des Scherl-Verlag.

Noch vor dem Krieg nach Wien zurückgekehrt, blieb L. Korrespondent des Berliner Lokalanzeiger und gehörte fortan der Redaktion der von Maximilian Schreier herausgegebenen Montagszeitung Der Morgen an. 1913 veröffentlichte er zudem eine Sammlung von Parlamentssatiren unter dem Titel Das Hohe Haus in der Karikatur. Max und Moritz im Parlament.

1917 engagierte L. sich maßgeblich für die Organisation der Wiener Presse. 1921 übernahm er die künstlerische Leitung der neueingerichteten und staatlich subventionierten Klassikerbühne und betätigte sich auch als Dramaturg und Regisseur, u.a. bei William Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung und Alexandre Dumas‘ Kean. Vorrangig wirkte L. bis zu seinem frühen Tod jedoch als Theaterkritiker und besprach u.a. Else Feldmanns Der Schrei, den niemand hört, die späte Uraufführung von Arthur Schnitzlers Reigen („ein hochstehendes, für den Dichter und einer [!] Kulturperiode bedeutungsvolles Werk“) und verriss Karl Kraus‘ Die letzte Nacht entschieden.


Quellen und Dokumente

Beiträge von H. L.: Das hohe Haus in der Karikatur. Parlamentssatiren. In: Neues Wiener Journal, 19.10.1913, S. 7f., Volksbühne. [Rez. zu: Else Feldmann: Der Schrei, den niemand hört]. In: Der Morgen, 14.2.1916, S. 4, Die Moral der Gedankenstriche. Der Reigen. 10 Dialoge von Arthur Schnitzler. Aufführung in den Kammerspielen. In: Der Morgen, 31.1.1921, S. 3, Das Theater der Zuschauer. In: Der Morgen, 3.10.1921, S. 5, Die Karl Kraus-Premiere. In: Der Morgen, 5.2.1923, S. 3,

Eine Bühne für die geistigen Arbeiter. In: Der Morgen, 17.1.1921, S. 6, Schriftsteller H. L. gestorben. In: Neues Wiener Journal, 3.9.1924, S. 9, Maximilian Schreier: H. L. [Nachruf]. In: Der Morgen, 8.9.1924, S. 3f., N.N.: In memoriam. Zum ersten Todestag unseres Dr. Heinrich Leoster. In: Der Morgen, 7.9.1925, S. 6.

(ME)

geb. am 21.10.1897 in Wien – gest. am 3.7.1976 in Wien; Schriftsteller

L. wurde als Sohn der verwitweten Baronin Boyneburgk-Stettfeld (geb. von Holenia) in zweiter Ehe mit dem Marineoffiziers Alexander von Lernet am 21. Oktober 1897 in Wien geboren. Die unklare Vaterschaft, ausgelöst durch rasche Scheidung nach seiner Geburt, beschäftigte L. H. nachhaltig u. ging in die Identitätsthematik mancher seiner späteren Romanfiguren ein. Nach der Adoption durch die mütterliche Familie wuchs er in Kärnten, St. Wolfgang und Wien auf und maturierte 1915 in Waidhofen an der Ybbs. Am 1. Weltkrieg nahm er von 1916 bis 1918 als Freiwilliger an der Ostfront teil und begann bereits zu dieser Zeit literarisch zu arbeiten, wobei H. v. Hofmannsthal und R. M. Rilke, der später zu einem seiner wichtigsten Förderern werden sollte, als wesentliche Einflüsse zu nennen sind. Nach dem Krieg stellten sich auch erste literarische Erfolge ein: der Gedichtband Pastorale erschien 1921, bereits 1923 wurde ein weiterer mit dem Titel Kanzonair auf Empfehlung Rilkes im Insel-Verlag veröffentlicht. Berühmt wurde L. jedoch vor allem als Theaterdichter: schon sein erstes Drama Demetrius erzielte beachtl. Erfolg, für die Stücke Ollapotrida und Österreichische Komödie erhielt er 1926 den Kleist-Preis, den er 1930 unter Plagiatsverdacht wegen eines anderen Stückes zurückgeben muss. Ebenfalls 1926 wurde ihm für die Einakter Saul und Alkestis einer der drei Bremer Schauspielpreise zugesprochen. Wohnhaft war L. zu dieser Zeit in Wien und am Wolfgangsee, wo er Umgang mit Schriftstellern wie Leo Perutz, Stefan Zweig, Ödön von Horváth, Carl Zuckmayr, sowie den Schauspielern Werner Krauss und Emil Jannings pflegte. 1930 erschien sein erster Roman Die nächtliche Hochzeit, dem bis 1938 14 weitere Romane folgen sollten, darunter mehrere, die als Filmvorlagen dienten wie z.B. Ich war Jack Mortimer (1933, Film 1935), reine Unterhaltungsromane wie Ljubas Zobel, aber auch Habsburg mythische wie Die Standarte (1934, überarb. 1976) oder visionär-politische wie Traum in Rot (1939).

1939 wurde L. als Leutnant zum Polenfeldzug einberufen; bereits am zweiten Tag machte jedoch eine Verletzung die Versetzung an die Heeresfilmstelle in Berlin möglich, wo  er auf Unterstützung durch Jannigs rechnen konnte und die Bekanntschaft von Gottfried Benn und Alfred Kubin machte. Die Kriegseindrücke bildeten die Grundlage für den Roman Mars im Widder, der 1940/1942 in Fortsetzungen in der Berliner Zeitschrift Die Dame veröffentlicht, die Buchausgabe allerdings verboten wurde. Die restlichen Kriegsjahre verbrachte L.H. in einer Art inneren Emigration in der Heeresfilmstelle, wo  es ihm gelang, sich weiteren Einberufungen zu entziehen.  Die Schaffensperiode nach 1945 ist nach anfängl. Mitarbeit am Österreichischen Tagebuch vor allem durch Präsenz in der katholisch-konservativen Publizistik, u.a. in der Zs. Der Turm, später im Forum, geprägt. Darin beschrieb er die Rolle der Lit. u. des Schriftstellers nach 1945 wie folgt: „In der Tat brauchen wir nur dort fortzusetzen, wo uns die Träume eines Irren unterbrochen haben, in der Tat brauchen wir nicht  voraus- sondern nur zurückzublicken“. Weitere Romane und Novellen folgten, die z.T. eher zu Skandalen neigten oder über historisch-populäre Sachbücher nicht weit hinauskamen. L. blieb bis zu seinem Tod 1976 literarisch aktiv, war 1969 bis 1972 Präsident des PEN, sprach sich vehement gegen die Verleihung des Nobelpreises an H. Böll aus, und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, wie den Preis der Stadt Wien (1951) u. den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur (1961).


Weitere Werke (Auswahl)

Parforce , 1928 (Kom.); Die nächtliche Hochzeit, 1929 (Kom., 1930 als Roman); Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen, 1931 (Roman); Die Eroberung von Brody, 1934 (Erz.); Die goldene Horde. Gedichte und Szenen, 1935; Der Baron Bagge, 1936 (Novelle); Die Auferstehung des Maltravers, 1936 (Roman); Mars im Widder, 1941 (Roman); Beide Sizilien, 1942 (Roman); Germanien, 1946 (Lyrik); Der zwanzigste Juli, 1947 (Erz.); Der Mann im Hut, 1953 (Roman); Der Graf Luna, 1955 (Roman); Die vertauschten Briefe, 1958 (Roman); Das Halsband der Königin, 1962 (Roman); Die weiße Dame, 1965 (Roman);Die Thronprätendenten, 1965 (Theaterstück); Pilatus. Ein Komplex, 1967 (Roman); Die Hexen, 1969 (Roman); Die Geheimnisse des Hauses Österreich. Roman einer Dynastie, 1971.

Quellen und Dokumente

Franz Horch: Zwei österreichische Dramatiker: Hans Müller – Alexander Lernet-Holenia. In: Radio-Wien Nr. 51/1928.

Nachlass: Angaben bei lernet-holenia.com bzw. ONB.

Literatur

Dietz, Christopher: A. L.-H. und Maria Charlotte Sweceny. Briefe 1938-1945. Wien (2013) [Online verfügbar]; Pott, Peter: Alexander Lernet-Holenia: Gestalt, dramatisches Werk und Bühnengeschichte. Wien 1972; Roček, Roman: Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia. Eine Biographie.  Wien- Köln- Weimar 1997; Hübel, Thomas (Hg.) A. Lernet-Holenia. Resignation und Rebellion. Beiträge des Wiener Symposiums zum 100. Geburtstag d. Dichters. Riverside 1999; Ruthner Clemens: Fatale Geschichte(n) im ›Zwischenreich‹. Zur postkolonialen Fantastik Alexander Lernet-Holenias. In: kakanien revisited, 2002; = überarb. Fassung des ED in Th. Hübel (1999) [Online verfügbar]; Amann Klaus: Der Zweite Weltkrieg in der Literatur. Österreichische Beispiele [Online verfügbar]; Mayer Franziska: Wunscherfüllungen. Erzählstrategien im Prosawerk A. Lernet-Holenias. Wien-Köln 2005; Dirscherl, Margit; Jahraus, Oliver (Hgg.): Prekäre Identitäten. Historische Umbrüche, ihre politische Erfahrung und literarische Verarbeitung im Werk Alexander Lernet-Holenias. Würzburg 2020.

Kurt Kahl: PEN wie Pension? Die Österreicher nach dem Rücktritt von Lernet-Holenia. In: Die Zeit, 24.11.1972, Ulrike Diethart: Alexander Lernet-Holenia: Aufstieg und Untergang des Hauses Österreich. Kleinbürgertum und Großbürgertum in Österreich. Bei: Literaturhaus.at.

Biographischer Abriss bei lernet-holenia.com, Angaben zur Internationalen A. L.-H.-Gesellschaft, Eintrag bei stifterhaus.at, Eintrag zur Verfilmung von Ollapotrida bei film.at.

(MA)

geb. am 3.1.1885 in Alsokörtvélyes, k.k. Österreich-Ungarn (heute Nizny Hrušov in der Ostslowakei) – gest. am 2.10.1966 in New York; Künstlerin, Kritikerin, Schriftstellerin, Illustratorin

Geboren als Amalia Moskowitz in einer angesehenen bürgerlichen ungarisch-jüdischen Familie – der Vater war Arzt und enger Vertrauter des ungarischen Ministerpräsidenten und ersten k.k. Außenministers Grf. Gyula Andrassy (1823-90), während die Mutter aus der nobilitierten Deutsch-Hatvany-Familie stammte – wuchs Lesznai, die ihren Künstlernamen nach dem Dorf Lezna nahe ihres Kindheitsortes wählte, in gesicherten Verhältnissen auf. Früh zeigte sich eine Neigung zum Schreiben und Malen, die sie in Budapest bei Karoly Ferenczy und später in Paris bei Lucien Simon, der dem Impressionismus nahestand, ausbildete. Bereits 1909 trat sie in den avantgardistischen Nyolcak-Kreis ein, wo sie 1911 ihre erste Ausstellung hatte. Seit 1908 verf. sie regelmäßig literarische Beiträge, insbes. Lyrik, für die renommierte Zs. der ungarischen Moderne Nyugat und schuf Buchcovers für mehrere ihrer herausragenden Protagonisten wie z.B. für Endre Ady. Auch zum sog. Sonntagskreis unterhielt sie Beziehungen, wo sie sich mit Béla Balázs, Karl Mannheim und György Lukács befreundete. 1913 heiratete sie in zweiter Ehe den Soziologen Oszkar Jázsi, von dem sie sich 1918 wieder trennte. Unter der Räteregierung von Bela Kun übernahm sie auf Vorschlag von G. Lukács Funktionen im Volkskommissariat für Unterrichtswesen, weshalb sie 1919 mit ihren Kindern und dem neuen Lebensgefährten, dem Illustrator Tibor Gergely, den sie im Sonntagskreis kennengelernt hatte, nach Wien flüchtete. In Wien versuchte sie mit Balázs und Gergely den Sonntagskreis weiterzuführen und wiederum als Malerin Fuß zu fassen und zwar im Umfeld des Hagenbund, in den sie 1930 aufgenommen wurde. Auf dessen Ausstellung (für graphische und für Aquarell- Malerei) im Dez. 1923 wurde in Wien erstmals ein Bild von ihr gezeigt, das in einem Ausstellungsbericht der Arbeiter-Zeitung u.a. neben Albert Paris Gütersloh und Carry Hauser eigens erwähnt (AZ, 28.12.1923) wurde. 1925 hatte sie ihre erste eigene Ausstellung in den Räumen der Bukum, dem Kunstsalon der Hellerschen Buchhandlung, und zeigte zwischen Traum und Realität changierende Farbaquarelle mit prallen slowakischen Dorfmotiven. Dort stellte sie auch im Jänner 1926 aus, Balázs hielt dabei am 10.1. einen Vortrag über Das Weltbild im Bilde; die sozialdemokr. Kunststelle organisierte Führungen unter der Leitung der Kunsthistorikerin und Malerin Else Hofmann. 1925 schuf sie die Bühnendekoration zum jüd. Kleinkunststück Die güldene Pawe und stellte auch in der Neuen Galerie aus, u.a. gem. mit O. R. Schatz.

Seit 1927 war L. auch auf der Ausstellung Wiener Frauenkunst vertreten und wurde gut wahrgenommen. Den endgültigen Durchbruch schaffte sie auf der Ausstellung des Hagenbundes 1928 mit ihrem Aquarell Abend im Dorf; fortan war sie jedes Jahr mit Bildern auf den von Fanny Harlfinger begründeten Frauenkunst-Ausstellungen im Rahmen des Verbands bildender Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen bis 1933 vertreten. 1931 kehrt L. nach Budapest zurück, 1939 emigrierte sie mit Gergely in die USA, wo sie in New York als Kunstpädagogin tätig wird.


Werke

Die Reise des kleinen Schmetterlings durch Leszna u. nach den benachbarten Feenreichen (1913, Neuaufl. 1980); Édenkert (Garten Eden, 1918, Gedichte)

Quellen und Dokumente

Die Urgroßmutter [Gedicht]. In: Salzburger Volksblatt, 27.5.1914, S. 2.

A. M.: Eine graphische Ausstellung im Hagenbund. In: Arbeiter-Zeitung, 28.12.1923, S. 7f., Bilderausstellung A. L. In: Die Bühne, 31.12.1925, S. 16, Hermann Menkes: Wiener Frauenkunst. Ausstellung im Oesterreichischen Museum. In: Neues Wiener Journal, 25.12.1927, S. 16, Graphische Ausstellung im Hagenbund. In: Die Bühne, 3.1.1929, S. 14.

Painted Dreams: Tales, fantasy and dreams in Hungarian art of the early twentieth century (Ausstellung, London 2003/04) [Online verfügbar], Ausstellungsrundgang auf YouTube.

Literatur

Eintrag bei ungarische-literatur.eu.

(PHK)

Geb. 12.10. 1869 in Padochau/Padochov (Böhmen, k.k. Österreich-Ungarn, heute: Tschechische Republik), gest. 8.5. 1944 in Wien. Politiker (SDAPÖ, zuerst Reichsrat ab 1911, Nationalratsabgeordneter 1918-1934), Redakteur, Kritiker.

Materialien und Quellen:

Eintrag in: das rote wien.

(PHK, in Vorber.)

auch Jakob Levy, Jakob Moreno Levy bzw. Jacob Moreno Lévy, seit 1927 Jacob Levy Moreno

geb. als Iacov Moreno Levy am 18. Mai 1889 in Bukarest – gest. am 14. Mai 1974 in Beacon, New York; Arzt, Schriftsteller und Begründer der Soziometrie und des Psychodramas, Pionier der Gruppentherapie

Moreno wird als das erste von sechs Kindern in Bukarest geboren, um 1896/97 zieht die Familie nach Wien. Die Eltern, Moreno Nissim Levy (um 1856-1925) und Paulina Iancu (1873-1954), gehören dem sephardische Judentum an, Moreno wird später den 20. Mai 1892 als den Tag seiner Geburt angeben, um damit an die Vertreibung der Juden 1492 von der iberischen Halbinsel zu erinnern. Der Name Moreno, den er im Lauf seines Lebens an immer prominentere Stelle rückt(AB, 100), bis er schließlich nur noch „Moreno“ gerufen werden möchte, erinnert zudem an hebr. Morenu (lit. unser Lehrer), ein Titel talmudische Gelehrte und Rabbiner (The Jewish Encyclopedia, Bd. 9, 15f.). Der Vater handelt mit Getreide und Öl und unterhält Beziehungen in die Türkei, nach Deutschland und auf den Balkan. Die Mutter besuchte als Kind eine Klosterschule in Rumänien und ist darum mit dem katholischen Ritus vertraut, was der Familie in Wien zu Gute kam (AB, 25). Morenos Wiener Zeit, die mit seiner Emigration in die USA im Jahr 1925 endet, ist geprägt von zahlreichen unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten, in denen er aktiv war. Vor dem Hintergrund seiner „Religion der Begegnung“ (AB, , 48ff.) etablierte er die Rolle einer sozial engagierten, charismatischen und schöpferischen Künstler-Figur mit prophetischen Zügen und hohem Wiedererkennungswert.  Moreno setzt Spontanität als die wichtigste, letztlich göttliche Kraft im Menschen, die es dem Individuum ermögliche, sich kreativ zu entfalten und somit als gesellschaftliches Wesen sowohl politisch als auch ästhetisch verantwortungsvoll zu verwirklichen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hierbei in der von ihm praktisch und theoretisch ausgeführten spielerischen Aneignung von Realität durch die Erprobung verschiedener Rollen in nachgespielten Gefühlslagen und Konfliktsituationen (s. Das Stegreiftheater, 1924). Diese Theaterexperimente, die mit dem Stegreiftheater in der Maysedergasse 1923/24 einen Höhepunkt erreichen, sind grundlegend für Morenos spätere therapeutische Forschung, d.h. dem  Psychodrama und der Gruppentherapie und bestimmen neben seiner Tätigkeit als Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift Daimon seine künstlerische Relevanz u. Rolle im Kontext der Avantgarden.

Moreno studiert ab 1909 zunächst Philosophie, dann Medizin an der Universität Wien (Promotion am 15. Februar 1917), arbeitet zwischen 1907 und 1911 als Hauslehrer (u.a. von Elisabeth Bergner, geb. Ettel).Im Umgang mit den Kindern, die er betreut, sammelt er erste Erfahrungen für die Wirkung des Stegreiftheaters. Gemeinsam mit Chaim Kellmer (1885-1916)  u.a.gründet er 1909 das „Haus der Begegnung“, eine Anlaufstelle für Flüchtlinge und Einwanderer. Mit Wilhelm Gruen und Carl Colbert unterstützt Moreno Prostituierte vom Spittelberg darin, sich zu organisieren; hierbei entwickelt er erste Gedanken zur Soziometrie, zu den empirisch belegbaren Bewegungenbei Gruppenfindungsprozessen. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs werden seine sozialen Projekte vorzeitig beendet, Moreno ist nun Hygienebeauftragter im Flüchtlingslager in Mitterndorf an der Fischa (Niederösterreich), ab 1918 (bis zu seiner Emigration 1925) ist er Amtsarzt in Bad Vöslau. Wie schon bei seiner Tätigkeit als Hauslehrer verzichtet er auch als Arzt auf Entlohnung durch Geld und lebt von Spenden. Verstärkt wird die prophetische Aura, die sein sozialpolitisches Engagement umgibt, durch ein eigenes Konzept der Anonymität, das er nicht nur ästhetisch in seine Philosophie (als Gott-Spieler und Wunderdoktor) einpasst, sondern das ihn und seine damalige Lebensgefährtin und Assistentin Marianne Lörnitzo zudem vor antisemitischen Übergriffen schützt (AB,  100f.).

Die Anfänge von Morenos schriftstellerischer Tätigkeit lassen sich mit dem Text Das Kinderreich von 1908 ansetzen, der auf seine Erlebnisse als Hauslehrer verweist und thematisch sowie motivisch auch in späteren Publikationen in unterschiedlichen Variationen wiederkehrt. Die drei frühen Hefte bzw. Flugschriften „Einladung zu einer Begegnung“ (1914/1915) können philosophisch und ästhetisch als Vorstufen der folgenden größeren Zeitschriftenprojekte Daimon (1918) bzw. Der Neue Daimon (1919) verstanden werden, mit denen Moreno, nun als Herausgeber, den frühen Expressionismus um eine spirituelle Facette erweitert.

Zwischen 1923 und 1924 betreibt er in Wien als Direktor bzw. als „Doctor medicinae, dessen Name in tiefstes Dunkel gehüllt blieb“ [F. Fischer, Neues Wiener Journal, 6. 10.1923,  3] ein Stegreiftheater, das professionelle SchauspielerInnen sowie Laien zu den Mitwirkenden zählt, und dem Publikum herausfordernde und unterhaltsame Aufführungen bietet. Ein unter dem Titel „Das Narrentheater des Herren der Welt von Jakob Levy“ angekündigter Theaterabend im Wiener Komödienhaus am 01.April 1921 endet im Tumult, die durch Moreno hervorgerufene Irritation wird am folgenden Tag von der Presse als „dadaistisches“ Spektakel beschrieben (Wiener Mittags-Zeitung, 2. April 1921, 5.).

Moreno publiziert viele seiner Texte anonym, was im Fall seiner Ausführungen zum „Theater ohne Zuschauer“, einer Bühne, die im Sinn der theatralen und spontanen Aktionen die getrennten Bereiche von Dichter, Schauspieler und Zuseher zusammenführt, einen Urheberrechtsstreit mit Friedrich Kiesler zur Folge hat. Im Rahmen der internationalen Theaterausstellung von 1924 im Wiener Konzerthaus beschuldigt Moreno den Architekten des Plagiats, da Moreno seine zuvor anonym präsentierten Ideen in Kieslers „Raumbühne“ wiedererkennt. Das mediale Echo ist groß, Moreno bekommt 1930 schließlich Recht gesprochen, beide Konfliktparteien befinden sich zu diesem Zeitpunkt allerdings schon im Ausland.

Nach seiner Emigration in die USA beginnt für den Gott-Spieler, wie Moreno sich selbst nannte, eine neue Phase seines Lebens. Er versucht, die Erkenntnisse der Soziometrie nicht nur in den Sozialwissenschaften, sondern auch in der Psychologie zu etablieren. 1949 heiratet Moreno seine Mitarbeiterin Zerka Toeman (1913-2016), gemeinsam arbeiten sie an der Weiterentwicklung und internationalen Verbreitung des Psychodramas als Gruppentherapieform.


Werke (Auswahl)

Einladung zu einer Begegnung. Bericht von Jakob Levy. Heft 1. (Frühling 1914.) Wien: Commissionsverlag 1914 (hierin: Das Königreich der Kinder, 8-14), Einladung zu einer Begegnung. Bericht von Jakob Levy. Heft 2 (Frühling 1915). Wien, Leipzig: Anzengruber-Verlag Brüder Suschitzky 1915, Einladung zu einer Begegnung. Das Testament des Schweigens. Flugbericht I. Herbst 1915. Wien, Leipzig: Anzengruber-Verlag Brüder Suschitzky 1915, Daimon. Eine Monatsschrift. Hg. v. Jakob Moreno Levy. Redaktion: E. A. Rheinhardt. Wien 1918 (insg. 4 Einzelhefte), Der Neue Daimon. Eine Monatsschrift. Wien 1919. Hefte 1/2 (Januar 1919) und 3/4 (April 1919) hg. v. Jakob Moreno Levy.

[Anonym erschienen]: Das Testament des Vaters. Potsdam: Verlag des Vaters / Gustav Kiepenheuer Verlag 1922. (Moreno begründet damit „Die Reihe der Einheiten“); EA stark gekürzt und anonym in Die Gefährten (Jg. 2/H. 3). Die stark veränderte englische Übersetzung erscheint 1941 als The Testament of The Father.

[Anonym erschienen]: Der Königsroman. Potsdam: Verlag des Vaters /Gustav Kiepenheuer Verlag 1923. (Moreno begründet damit „Die Reihe der unendlichen Konflikte“).

[Anonym erschienen]: Das Stegreiftheater. Ein Regiebuch für Stegreifspiele. Potsdam: Verlag des Vaters / Gustav Kiepenheuer Verlag 1924. (Moreno begründet damit die Reihe „Die Schriften des Vaters“ mit der Unterkategorie „Die Reihe der reinen Örter“).

[Anonym erschienen]: Die Gottheit als Autor. Potsdam: Verlag des Vaters / Gustav Kiepenheuer Verlag 1924. (=Bd. 2 der „Reihe der Einheiten“); EA in Daimon (1918), H. 1, 3-21.

Jacob Levy Moreno: Die Grundlagen der Soziometrie. Wege zur Neuordnung der Gesellschaft. Deutsche Übersetzung von Grete A. Leutz, bearbeitet von Karl Gustav Specht. Köln u.a.: Westdeutscher Verlag 1967. [EA Who shall survive? A new approach to the problem of human interrelations. Washington, D. C.: Nervous and Mental Disease Publishing Co. 1934 (= Nervous and Mental Disease Monograph Series. 58.)]

Jacob Levy Moreno: Auszüge aus der Autobiographie. Hg. v. Jonathan D. Moreno. Mit einem Nachwort von René Marineau. Köln: inScenario Verlag 1995 [AB]

Quellen und Dokumente

Expressionismus online: https://db.saur.de/LEX/login.jsf (Daimon, Der Neue Daimon, Die Gefährten)

Ankündigung zu einem Vortrag unter dem Titel „Das Königreich der Kinder“ in: Wiener Morgenzeitung, 27.1.1921, S. 7, „Dadaismus im Komödienhaus“ in: Wiener Mittags-Zeitung, 2.2.1921, S. 5, „Szenen während eines expressionistischen Vortrages im Komödienhaus” in: Neues Wiener Journal, 3.4.1921, S. 11, „Ein Stegreiftheater in Wien“. In: Allgemeine Sport-Zeitung, Nr. 21, 19.4.1924, S. 159, „Ein Stegreiftheater in Wien“. In: Neues Wiener Tagblatt, 25.4.1924, S. 10, „Die illusionslose Bühne“. In: Neue Freue Presse. Abendblatt, 13.9.1924, „Zum Stegreiftheater“. Feuilleton von Felix Fischer. In: Neues Wiener Journal, 6.10.1923, S. 8, „Das Theater von Morgen. Das alte Stegreifspiel in neuer Belebung“. In: Neuigkeits-Welt-Blatt, 30.4.1924, S. 5, „Lebendiges Stegreiftheater. Eine Wiener Experimentierbühne“ von Richard Smekal. In: Neues Wiener Journal, 16.6.1924, S. 5f., Erklärungen [zum Urheberrechtsstreit zwischen Moreno und Friedrich Kiesler] in MA, Jg. 10, Heft 1, 1925, S. 12.

Elisabeth Bergner: Bewundert viel und viel gescholten. Elisabeth Bergners unordentliche Erinnerungen. München: Bertelsmann 1987, 11-18, 57, Milan Dubrovic: Veruntreute Geschichten. Wien, Hamburg: Paul Zsolnay 1985, 156ff, Anton Kuh: Von Goethe abwärts. Aphorismen, Essays, Kleine Prosa. Wien: Forum, 16-22, Robert Müller: „Stegreif und steg-reif“. In: Kritische Schriften III. Mit einem Anhang hg. v. Thomas Köster. Werkausgabe in Einzelbänden hg. v. Günther Helmes. Paderborn: Igel Verlag 1996, 193-198.

Nachlasssammlungen zu Moreno siehe hier; Moreno-Archiv in Harvard [Link].

Literatur (Auswahl)

Klaus Amann und Armin A. Wallas (Hg.): Expressionismus in Österreich. Die Literatur und die Künste. Wien u.a.: Böhlau 1994, S. 60f., Gerd Zillner: Friedrich Kieslers Raumbühne als Modell und Ausstellungsstück. „Serpentinengedankengänge“ In: Wien 1924. Station der Avantgarde. Hg. von der Österr. Friedrich und Lilian Kiesler-Privatstiftung, Wien 2018, 45-59, bes. 46f., Christoph Hutter, Helmut Schwehm (Hg.): J. L. Morenos Werk in Schlüsselbegriffen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2009, Barbara Lesák: Die österreichische Theateravantgarde 1918-1926. Ein Experiment von allzu kurzer Dauer. In: Verdrängte Moderne – vergessene Avantgarde: Diskurskonstellationen zwischen Literatur, Theater, Kunst und Musik in Österreich 1918-1938. Hg. v. Primus-Heinz Kucher. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2016, 43-64, Brigitte Marschall: „Ich bin der Mythe“. Von der Stegreifbühne zum Psychodrama Jakob Levy Morenos. Wien, Graz u.a.: Böhlau 1988, Brigitte Marschall: Jakob Levy Morenos Theaterkonzept. Die Zeit-Räume des Lebens als Szenenraum der Begegnung. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. 2005, Nr. 2, S. 229-243, René Marineau: On being Moreno’s biographer. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. 2014, Nr. 13 (Hauptbeilage), S. 41-52, Jonathan D. Moreno: Impromptu Man. J.L. Moreno and the Origins of Psychodrama, Encounter Culture, and the Social Network. Bellevue Literary Press: New York 2014, Paul Pörtner: Literatur-Revolution 1910-1925. Dokumente, Manifeste, Programme. Bd. 1 und 2 . Neuwied am Rhein u.a.: Luchterhand 1960 und 1961, Paul Pörtner: Spontane Literatur. In: Protokolle 78. Wiener Halbjahresschrift für Literatur, Bildende Kunst und Musik. Hg. v. Otto Breicha. Wien, München: Jugend und Volk 1978, S. 259-278, Armin A. Wallas: Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich. Analytische Bibliographie und Register. München: Saur 1995, Friederike Scherr: Spurensuche zu den Anfängen der Soziometrie. Jakob Levy Moreno als Medizinstudent und junger Arzt während des Ersten Weltkrieges. In: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. 2014, Nr. 13 (Hauptbeilage), S. 73-84, Harald Kitzmair: Auswege aus Sackgassen und Verstrickungen. In: NU. Jüdisches Magazin für Politik und Kultur, H. 57/2014, S. 32-33.

Reinhard Müller: ausführliche Biographie sowie Bibliographie bei agso.uni-graz.at. Eintrag zu Levy Moreno bei vbkoe.org

(KK)

eigentl.: Czada, Friederike, Flora, geb. am 1.8.1898 in Wien – gest. 14.10. 1999 in New York; Tänzerin, Tanzpädagogin, Choreografin, (Stumm)Filmschauspielerin, Regisseurin, Schriftstellerin.

Die Tochter des aus Ungarn stammenden Stadtbaumeisters Edmund v. Czada und der Pianistin Frederike Brunswick de Corrompa, die 1919 ihren Vornamen von Loe auf Maria änderte (NWJ, 22.11.1919, 8), absolvierte in Wien ihre Tanzausbildung mit klassischer Ausrichtung und trat bereits im selben Jahr über die Konzertagentur Guttmann sowohl in Wien als auch Prag mit bedeutendem Erfolg in Erscheinung. 1920 wirkte sie auch im Film Gefesselt (Veritas) mit, 1921 in zwei weiteren Veritas-Produktionen wie z.B. im „Filmroman“ Herzen im Sturm. Im selben Jahr erlebte sie auch ihren internationalen Durchbruch im Zuge einer Tournee nach Holland und anschließendem Engagement an den Berliner Kammerspielen, u.a. mit ihrem Programm Impressions dansées (zur Musik von Ravel, Tschaikowsky und Debussy, inklusive eines vielbeachteten Kostümwechsels auf der Bühne), der u.a. den Musikkritiker der Neuen Freien Presse, Josef Reitler, anlässlich der Wiener Premiere jenes Programms tief beeindruckte (NFP, 28. 11.1921, 2). In Wien selbst tanzte sie vorwiegend im Rahmen der Urania-Tanzabende, aber auch im Großen und Kleinen Konzerthaussaal. Im Zuge eines Einakter-Benefiz-Abends im Carltheater im Juni 1921 (mit Stücken bzw. Szenen von Auernheimer, Schnitzler, Blumenthal u.a.) steuerte Ley Tanzeinlagen bei (NFP, 22.6. 1921, 8). Im März 1923 trat sie schließlich in der Doppelrolle Tänzerin und Schauspieler in der Komödie Gentz und Fanny Eisler von Jakob Wassermann im Akademie-Theater auf, eine Hommage an ihre Vorgängerin, die sie auch als Vorbild ansah (NFP, 17.3.1922, 7), im August in der Reinhardt-Inszenierung von Molieres Der eingebildete Kranke bei den Salzburger Festspielen, was ihr zusätzliches Renomée eintrug (SW, 16.8.1923, 5).

Materialien und Quellen:

Eintrag auf: Exilarte. Zentrum für verfolgte Musik: hier.

K.M.: Fanni-Eißler-Abend. In: Wiener Morgenzeitung, 25.3.1922, S. 8-9;

(PHK, in Vorbereitung)

geb. 10.01.1892 in Wien – gest. 26.09.1960 in Basel; Schauspieler, Regisseur, Schriftsteller.

Der aus einer jüdischen Familie stammende „Spezialist der humorvollen Satire“ (Linzer Tagespost, 9.10.1930, S. 15.) war zunächst vor allem als Schauspieler aktiv und spielte 1915 am Olmützer Stadttheater, anschließend am Linzer Stadttheater; ab 1917 war er Mitglied des Stadttheaters in der nordböhmischen Kurstadt Teplitz/Teplice. Dort lernte er die Operettensängerin Margit Karmont-Knopf kennen, die er 1918 heiratete und mit der er eine Tochter bekam. In der Sommersaison 1923 hatte Lichtenberg ein Engagement am Wiener Raimundtheater

Parallel zu seinem schauspielerischen Wirken war er auch als Regisseur tätig, so etwa am Breslauer Stadttheater (wo er auch stellvertretender Direktor war), in den Wiener Kammerspielen und an der Neuen Wiener Bühne. Im Mai 1923 übernahm er die Direktion der Vereinigten Deutschen Theater Kattowitz-Königshütte. Daneben war er auch als Schriftsteller – „frei von jeder Sentimentalität ganz auf neue Sachlichkeit eingestellt“ (Linzer Tagespost, 9.10.1930) – äußerst produktiv: Er verfasste neben humoristischen Gesellschaftsromanen auch Libretti, Hörspiele bzw. „Funkscherze“ sowie regelmäßige Beiträge für den Feuilleton, so etwa für die Linzer Tagespost. Seine Kurzgeschichten und Novellen, die sich oftmals die Tücken des (langjährigen) Ehealltags thematisierten, erschienen zudem im Neuen Wiener Tagblatt und in den Publikumszeitschriften Mocca und Die Muskete.

Lichtenberg schrieb eine Reihe von Bühnenstücken, die zumeist als Lustspiel angelegt waren und die in ganz Österreich – u. a. im Theater an der Josefstadt, im Raimundtheater und am Grazer Stadttheater – sowie auch auf Bühnen in Deutschland zur Aufführung gelangten. Besonders erfolgreich waren die Komödien Die Nacht der Frauen und Herr über Millionen, bei der Lichtenberg „sein famoses Talent zur Menschenzeichnung und Situationswirkung“ unter Beweis stellte. Zu einem immensen Publikumserfolg geriet auch Eva hat keinen Papa (1930), das 1935 auch als Hörspiel adaptiert wurde; Kritiker empfanden das Stück jedoch als „vom Anfang bis zum Ende übertrieben“ (Salzburger Wacht, 12.12.1931, S. 6) und als eine Posse, „die früher einmal in den letzten Vorstadttheatern üblich“ war (Das Kleine Blatt, 17.4.1932, S. 16). Sein ebenfalls sehr beliebtes Lustspiel Seine Majestät das Publikum wurde 1930 unter der Regie von Friedrich Neubauer mit Ebba Johannsen und Wolf Albach am Akademietheater inszeniert. Die Komödie „Wem Gott ein Amt gibt …“, das 1933 als Tournee-Inszenierung mit Max Pallenberg auch an Schweizer Bühnen zur Aufführung kam, wurde 1970 unter dem Titel Was ist denn bloß mit Willi los? mit Heinz Erhardt in der Hauptrolle verfilmt. Ebenso auf Lichtenbergs Vorlage basiert der bereits 1953 erschienene Film Die kleine Stadt will schlafen gehen.

Nach seiner 1938 erfolgten Emigration in die Schweiz erhielt er zunächst keine Arbeitsbewilligung, was seine finanzielle Situation zunehmend erschwerte. Erst im Herbst 1942 wurde ihm eine beschränkte Genehmigung zur Mitarbeit am Feuilleton der Schweizer Presse erteilt. Seinen ursprünglichen Plan, über Frankreich in die USA weiterzureisen, musste er aufgrund mangelnder Unterstützung durch die Behörden fallenlassen. In den folgenden Jahren konnte er sich als Lustspiel-Autor in der Schweiz etablieren; seine Schwänke und Komödien wurden vorwiegend im Bernhard-Theater Zürich aufgeführt. 

Lichtenberg starb 1960 in Basel.


Literatur

Thomas Blubacher, Wilhelm Lichtenberg. In: Andreas Kotte (Hg.), Theaterlexikon der Schweiz, Zürich 2005, Bd. 2, S. 1104; Hans Giebisch/Gustav Gugitz, Bio-Bibliographisches Literaturlexikon Österreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien 1963; Kristina Schulz, Die Schweiz und die literarischen Flüchtlinge, 1933-1945, Berlin 2012.

Quellen und Dokumente 

Trauung Wilhelm Lichtenberg. In: Teplitz-Schönauer Anzeiger, 10.3.1918, S. 3; Lichtenberg übernimmt Direktion. In: NFP, 5.5.1923, S. 6; Wilhelm Lichtenberg, Rummy und Liebe. Geschichte eines Sommerflirts. In: Badener Zeitung, 7.9.1927, S. 2f; Wilhelm Lichtenberg, Zukünftiges Theater. In: Die Muskete, 9.1.1928, S. 20; Maria Peteani, Ein Autor von heute. In: Linzer Tagespost, 9.10.1930, S. 15; Ein neuer Regisseur am Burgtheater. In: NFP, 6.12.1930, S. 27; Wilhelm Lichtenberg, Das Weekendparadies. In: Radio Wien, 20.6.1930, S. 7; Nelda Calliano, Theater. In: Badener Zeitung, 28.2.1931, S. 4

Ein Auto und kein Geld. In: Österreichische Film-Zeitung, 4.7.1931, S. 3; Eva hat keinen Papa. In: Salzburger Wacht, 12.12.1931, S. 6; Eva hat keinen Papa. In: Illustriertes Familienblatt 8 (1932), S. 2; Eva hat keinen Papa – Theater in der Josefstadt. In: Das Kleine Blatt, 17.4.1932, S. 16; Fritz Rosenfeld, Eine neue Pallenberg-Rolle. „Wem Gott ein Amt gibt …“ von Wilhelm Lichtenberg im Raimundtheater. In: AZ, 31.3.1933, S. 6; Herr über Millionen in der Scala. In: Illustrierte Kronen Zeitung, 10.11.1934, S. 8f; Steuerzahlen ein Vergnügen. Lustspiel von Wilhelm Lichtenberg. In: Salzburger Nachrichten, 24.1.1938, S. 7.

(MK)



geb. am 18.2.1872 in Wien – gest. am 24.4.1934 in Wien; Journalist, Redakteur, Kunst- und Musikkritiker, Schriftsteller, Librettist, Übersetzer

Aus: Wiener Sonn- und Montagszeitung, 22.8.1921, S. 2

Der Sohn aus einer Offiziersfamilie mit Wurzeln in Würzburg besuchte nach der Volksschule in Wien ein Gymnasium in Prag, um danach in Prag und Wien Jura zu studieren. In Prag kam er über den Geigenunterricht bei Anton Bennewitz mit der Musik in näheren Kontakt. Dort werden auch seine ersten literar. Versuche fassbar, als er im Prager Dichterbuch (hg. von F. Teweles) 1893, in dem u.a. Friedrich Adler u. Hugo Salus publizierten, in „eine Reihe vielversprechender Talente“ platziert wurde. 1894 finden wir L. einerseits als „brillanten“ Violinisten (PTBl. 5.12.1894), andererseits in eine Debatte über die Ausrichtung der Höritzer Passionsspiele verwickelt, in der er sich als „Deutschnationaler“ deklariert und jenen einen „jüdischen Geist“ vorwirft. Für das Deutsche Volksblatt (Wien) schreibt er 1894-95 erste Besprechungen, für die Lyra einige Gedichte. In der Neujahrsnr. 1900 der Zs. Der Humorist veröffentlicht er gem. mit Fanz Weislein den Einakter Jean; 1901 verf. er für die Verdi-Feier im Theater an der Wien einen Prolog. 1903 wird er Theaterkritiker beim Illustrierten Wiener Extrablatt, 1906 dessen leitender Redakteur. 1905 wird er als MitVerf. des Librettos der Operette Der Schwerenöter von Alfred Zamara. Im Juni 1907 gelangt die mit Bernhard Buchbinder verf. Operette Der Eintagskönig im Lustspiel-Theater zur Auff., die trotz „ziemlich dünner Handlung“ zum Erfolg geriet. Ebf. 1907 puliz. L. einen Verriss der Erstauff. Der 6. Symphonie von G. Mahler, 1908 legte er mit Der Frauenjäger wieder einen Operettenerfolgt vor, 1910 war er für die deutsche Fassung der in Paris mit großem Erfolg aufgeführten Opernversion des Sienkiewicz-Romans Quo vadis? verantwortlich. Mit der einaktigen Oper Aphrodite (Musik: Max Oberleithner, Textvorlage: Pierre Louys) polarisierte L. 1912 die Kritik: für J. Korngold in der NFP „technisch ein wahres Kunststück“, für andere wie R. Holzer ein bloß geschickter Abdruck „aus Wagner zusammengenäht und mit Strauß unterfüttert“, insgesamt aber ein Publikumserfolg an der Hofoper, wie die Neuaufnahmen im Sept. 1913, aber auch in den Jahren 1915 u. 1917 zeigen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkr. verf. L. 1915-17 versch. Feuilletontexte im Prager Tagblatt u. im Pester Lloyd (PL), u.a. über die Skoda-Waffenwerke, wirkt an der Lissafeier 1916 mit, womit sich seine patriot. Beiträge schon erschöpfen. Ab 1916  wirkt er v.a. als Theaterkritiker für den PL, besprach z.B. H.v. Hofmannsthals Ariadne auf Naxos, Strindbergs Traumspiel, F. Lehár, oder A. Wildgans.  Zu 1918-19 liegen nur wenige Äußerungen L.s. vor, u.a. kritische über das expressionist. Theater; 1920 meldet sich L. mit einem Schreker-Verriss zu Wort, der zu einer Replik in der Musikzs. Anbruch durch R. St. Hoffmann führt. Richard Specht bezichtigt ihn ebf. 1920 im Anbruch, der Gruppe der G. Mahler-Feinde in Wien angehört zu haben; in der Zs. des Dt. Volkstheaters Aufbau, die u.a. Szenen aus E. Tollers Masse Mensch brachte, ist er dagegen mit einem Essay vertreten, darüber hinaus mit einer Tagger- u. Sternheim Charakteristik in der Wiener Sonn- u. Montagszeitung (WSMZ), für die er auch 1921-29 regelm. Theaterfeuilletons verfasste, darunter eines zum Reigen-Skandal oder zur Jedermann-Auff. in Salzburg bzw. 1924 zu K. Kraus u.a. Ende 1922 erschien seine 101 (Theater)Feuilletons umfassende Slg. Von Sonntag auf Montag, 1923 die von ihm besorgte deutsche Fassung von Alexander Kuprins vieldiskutiertem Roman Jama, die Lastergrube, die bereits nach drei  Wochen bei der 5. Aufl. hielt.

Mit der Übernahme der Chefredaktion der Zs. Die Bühne (H. 1 erschien am  4.11.1924) 1925-26 gestaltete L. im umstrittenen Verlag Die Stunde die wohl vielseitigste österr. TheaterZs der Zwischenkriegszeit sowie ein maßgebliches Zeitgeist-Magazin jener Jahre maßgeblich mit. Als Mitarbeiter gewann er u.a. F. Blei, A. Grünwald, K. Farkas, F. Porges, Roda-Roda oder P. Stefan u. Alice Schalek; fallweise wirkten auch B. Bálázs, K. Čapek u. R. Neumann an der Zs. mit, die 1925-28 u.a. Primärtexte von O.M. Fontana, M. Gorki, J. Galsworthy, Th. Kramer, R. Musil, W. S. Maugham, F. Werfel u.v.a.m. zum Abdruck brachte. L. provozierte wiederholt Reaktionen: seitens K. Kraus ebenso wie durch die AZ, wo er u.a. als „der literarische ‚Schabesgot‘ des Amüsierbetriebs der jüdischen Bourgeoisie von Wien“ bzw. als einer der „Paladine Bekessys“ gebrandmarkt wurde (AZ, 22.7.1926,5). Nichtsdestotrotz vermochte die Zs. auch die Eröffnung der Piscator-Bühne mit E. Tollers Hoppla wir leben! zu würdigen. Zur vieldisk. Sylvesterauff. von Kreneks Jazz-Oper Jonny spielt auf bezog L. dagegen einen ablehnenden Standpunkt, ebenso anlässl. des Gastspiels des Leningrader Opernstudios bei den Salzbg. Festspielen 1928, was die AZ veranlasste, ihm „christliche Mystik“ vorzuwerfen. Seit seinem Wechsel zum Neuen Wiener Extrablatt vertrat L. zunehmend konservative Positionen, z.B. in der Debatte über Hasenclevers Ehen werden im Himmel geschlossen, dem er die Verletzung relig. Gefühle vorwarf, was ihm Zustimmung durch die christl.soz. Reichspost (RP, 16.3.1929) eintrug. 1930-32 verf. L. wieder vermehrt Theaterfeuilletons für die WSMZ, nimmt an Varietè-Veranstaltungen mit K. Farkas u. Roda Roda teil, verliert aber deutlich an Terrain in der öffentl. Wahrnehmung. 1932 verschlimmert sich seine Angina pectoris-Erkrankung; L. muss seine Kritiker-Tätigkeit weitgehend einstellen und verstirbt im April 1934 an deren Folgen.


Weitere Werke

Theaterkinder (1922); J. Hulay: Anna Karenina. Oper (dt. Übers. 1924); M. Lengyel: Die Schlacht von Waterloo (dt. Übers., 1925); Die Geheimwissenschaften im Licht unserer Zeit (1932, engl. Ausg. 1939)

Quellen und Dokumente

Die Wahrheit über Höritz. In: Deutsches Volksblatt, 5.8.1894, S. 1f., mit Franz Weislein: Jean. Ein Act. In: Der Humorist, 1.1.1900, S. 3f., Bei Skoda. In: Prager Tagblatt, 10.8.1915, S. 2-4, Anton Wildgans: „Liebe“. In: Pester Lloyd, 7.12.1916, S. 2-4, Strindbergs Traumspiel. In: Pester Lloyd, 14.1.1917, S. 15f., Theater und Musik. In: Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 20.12.1920, S. 2f., Theater [zum Reigen-Skandal]. In: Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 14.2.1921, S. 2, Unterwegs [zur Salzburger Jedermann-Aufführung], In: Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 22.8.1921, S. 2, Theater [zu Karl Kraus]. In: Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 5.5.1924, S. 2f., Der Schütteltanz Charleston. Einige Bemerkungen. In: Die Bühne 3 (1926), H. 98, S. 32, „Hoppla, wir leben!“. Die Eröffnungspremière des Berliner Piscator-Theaters. In: Die Bühne 4 (1927), H. 150, S. 13, Krenek spielt auf. In: Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 2.1.1918, S. 4. Musikblätter des Anbruch 10 (1928).

Mahlers sechste Symphonie. In: Prager Tagblatt, 6.1.1907, S. 12, Julius Korngold: „Quo vadis?“ In: Neue Freie Presse, 14.10.1910, S. 1f., J. K.: Hofoperntheater. („Aphrodite“, Oper in einem Akt nach Pierre Louys von H. L.). In: Neue Freie Presse, 20.3.1912, S. 1-3, Julius Bauer: Das große Welttheater. Epistel an H. L. In: Die Bühne 1 (1924), H. 1, S. 2.

(PHK)

Geb. 30.6. 1882 in Wien, gest. 9.10. 1949 in Wien. Kritiker, Schriftsteller, Gründungsmitglied der K. Kraus-Gesellschaft.

Materialien, Forschungsliteratur und Quellen:

Ursula A. Schneider: Der Unbedeutende? Leopold Liegler (1882-1949), Kulturvermittler und Literaturkritiker. In: Transfer – Kultur – Akteur. Moskau 2019, 253-274, online verfügbar: hier.

Eintrag von U. Laugwitz in: Neue deutsche Biographie: hier.

L.L.: Verlängerung der Schutzfrist? In: Wiener Allgem. Zeitung, 9.7. 1929, S. 5; L.L.: Robert Neumann: Sintflut. In: Wiener Allgem. Zeitung, 16.7. 1929, S. 5-6;

(PHK, in Vorbereitung)

Geb. 23. 1. 1897 in Wien, gest. 18.1. 2000 in Wien. Architektin, politische Aktivistin im Widerstand.

Materialien und Quellen:

Eintrag von Renate Rochner auf: femBio; Eintrag in: Architekturlexikon; Margarete Schütte-Lihotzky-Zentrum: hier.

(PHK, in preparation)