Der Jazz im Kontext von (musik)kulturellen und literarischen Debatten im Österreich der Zwischenkriegszeit

Das Modul setzt sich mit der Frage auseinander, ob und wenn ja, welchen Stellenwert die in den 1920er Jahren europaweite Jazz-Rezeption auf für Österreich hatte. Dabei stehen nicht so sehr musikwissenschaftliche Aspekte im Vordergrund als habituell-kulturelle, d.h. inwiefern der Jazz nicht nur ein Phänomen der Unterhaltungsindustrie sondern auch eine kulturelle Chiffre jener Zeit war und inwieweit dabei neue Synthesen mit der Literatur einerseits und der Musikdebatten andererseits (Stichwort: Neue Musik) gesucht und realisiert worden sind. Der Umstand, dass zwischen 1925 und 1933 mehrere Jazz-Romane vorgelegt worden sind und Jazz darüber hinaus in Feuilleton eine sichtbare Rolle gespielt hat, aber auch im Theaterbetrieb (Stichwort: Jazz-Operette, Revue), aber auch bedeutende Jazz-Orchester in Wien Station gemacht haben, unterstreicht die bislang eher unterschätzte Dimension dieses gesamtkulturellen und künstlerisch transversalen Phänomens.

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Jazz-Anfänge in Österreich/Wien
  3. Jazz und Literatur – Jazz und Theaterpraxis
  4. Jazz und Neue Musik als „Abbild der Zeit“: Das Jazz-Anbruch-Heft 1925
  5. Dörmann und sein Jazz-Roman
  6. Von Rundt zu Janowitz: Verknüpfungen von Feuilleton, Literatur und Jazz
  7. Kreneks ›Jazz‹Oper Jonny spielt auf im Kontext zeitgenössischer Debatten/Polemiken
  8. Das Jazz-Jahr 1928
  9. Langsamer Ausklang…
  10. Resümee

Von Primus-Heinz Kucher | Oktober 20181


1. Einleitung

Es war die Zeit des ›Bubikopfes‹, es war die Zeit des ›kurzen Rockes‹, der ›fleischfarbenen Strümpfe‹, es war die Zeit der fortgelaufenen Söhne und entführten Töchter“, […] es war die Zeit, da die Radiowellen, in wachsendem Andrang, täglich dichter und dichter den Erdball umspülten […], es war die Zeit der historischen Dissonanzen zwischen Ost und West […]; eine Kluft von noch nie erlebter Tiefe war aufgerissen zwischen den beiden Hälften der Menschheit, mitten durch die einstige Zivilisation der Demokratie ging jetzt ihr roter Grenzstrich, hinter dem die proletarische Kultur ihr Zukunftsreich baute […]; ja, es war die Zeit eben dieser grellen Dissonanzen, aufgewühlter Kontraste…“ denn – „das wahre Programm der Zeit hieß: Jazz [fett imOrig]… (JJ, 6)

Zählen einzelne Aspekte dieser die Zeit diagnostizierenden Befunde des Prager Autors Hans Janowitz, ausgewiesen im Text als retrospektive eines Chronisten aus dem Jahre 1999 auf die 1920er Jahre, mittlerweile zum kulturellen Profil der Zwischenkriegszeit, zumal auch prominente Stimmen wie Robert Musil, Alfred Polgar oder Joseph Roth ähnlich lautende vorgelegt haben, Musil z.B. im Essay Das hilflose Europa oder Reise vom Hundertsten ins Tausendste, so überrascht die Schlussfolgerung doch einigermaßen. Der Jazz und seine Rolle in der zeitgenössischen (Musik)Kultur – in der Weimarer Republik eher gewichtiger als in Österreich veranschlagt, wie Joseph Roths Jazzband-Artikel im Berliner Börsen Courier 1921 nahe legt, – firmiert weder unter den zentralen Leitdiskursen, und schon gar nicht als typisch für eine österreichische Signatur jener Zeit2.

Gängige Epochendarstellungen (Achberger 1994, Schmidt-Dengler 2002, Müller-Wagener 2009, auch Zeyringer/Gollner 2012) rubrizieren, wenn überhaupt, den Jazz eher als Randphänomen: als Begleitmusik zum Inflationsschock (Müller, 2009, 136), als „stimulierende“, dann wieder als „culture damaging plague“ (Cohen-Avenel, 2013,116). Vor allem aber galt er lange Zeit als Manifestation der aufkommenden Unterhaltungsindustrie, über die gewichtige Stimmen wie Theodor W. Adorno oder Siegfried Kracauer den Stab gebrochen haben.3 Erst Evelyne Polt-Heinzl hat in ihren Vorschlägen zu einer Kanonrevision eine Perspektivenöffnung eingeleitet, die vom Verfasser (Kucher 2014) und von einzelnen Beiträgen im Jazz-Sammelband Krick-Aigner/Schuster (2018) aufgegriffen und weiter ausdifferenziert wurde.

Gerade das wirkungsmächtige Verdikt Adornos über den Jazz als „Gebrauchsmusik der großbürgerlichen Oberschicht“ (Adorno 1933,796), als bloß „demokratische Attitude“ und „Ware im strikten Sinn“ (Adorno 1937,77),  steht in mehrfacher Hinsicht quer zur zeitgenössischen Debatte innerhalb der Wiener, aber auch der internationalen Musik-Avantgarde, der, wie zu zeigen sein wird, der Jazz – neben seiner Zuordnung zum Unterhaltungssegment – auch zugerechnet worden ist. Zugleich bestätigt es das in die Feuilletonistik und Literatur hineinreichende Interesse am Jazz als kulturelles Phänomen, insbesondere in der ambivalenten Erfahrung der prekären frühen 1920er Jahre, d.h. der in vielfacher Hinsicht prägenden Inflations-Periode.

Diese konträren Positionierungen – Jazz einerseits als ‚wahres Programm’ der Zwanziger Jahre bzw. als Kunstgewerbe, „Größe und Grauen der Zeit“ anzeigender „Cancan der Vernichtung“ (Dörmann,1925/1999, 116), oder als „Bazillus bis hin zur Entartung“ (Sedding 1927/Cohen-Avenel 2013,137) andererseits – sowie die auffällige Marginalisierung durch die Literaturgeschichtsschreibung bildet hier den Anlass, um anhand von Fallbeispielen das Themenfeld ‚Jazz-Kultur’ präziser, d.h. nicht nur als musikästhetische Manifestation und Bewegung, sondern im Hinblick auf die kulturellen und literarischen Kontexte zu rekonstruieren, wie dies z.B. auch im Erinnerungsbuch von Georg St. Troller Das fidele Grab an der Donau (Troller, 2004,125) erfolgt. Darzulegen ist hier, inwiefern die Jazz-Diskussion über das Musik-Ästhetische in andere Themenfelder hinein reichte und Debatten generierte, in denen grundlegende kulturelle, ästhetische und politische Konzepte der 1920er Jahre zur Verhandlung kamen. Auch drängt sich die Frage nach Teilhabe an Leitdiskursen und kulturellen Praxen der Zeit – Amerikanismus, Neue Musik, Revue-Kultur, Feuilletonistik, Kulturkritik und Rassismus – auf, um nur die nahe liegenden zu nennen.

Vier Romane, welche die Chiffre Jazz mehr oder weniger explizit im Titel anführen (Dörmann, Janowitz, Renker, Grün), das erwähnte Heft der Musikblätter des Anbruch, Jazz-Referenzen in weiteren narrativen Texten, Hörspielen und Dramen (V. Baum, H. Bettauer, J. Lederer, R. Neumann, A. Rundt, K. Sonnenfeld, H. Broch, M. Karlweis, F. Porges bis hin zu F.K. Ginzkey) und Debatten im Feuilleton anlässlich von (Gast)Konzerten, Theater-, Opern- und Operettenaufführungen – Krenek und Kálmán als Stichworte – indizieren auch literar-ästhetische Interessenslagen und rechtfertigen die zur Diskussion zu stellenden Fragen.

2. Jazz-Anfänge in Österreich/Wien

Entgegen der Annahme, der Jazz hätte via Paris und Berlin erst Mitte/Ende der 1920er Jahre, also mit einiger Verspätung, in Wiener Varietés und in der Folge in feuilletonistische und literarische Texte Einzug gehalten, kann man, wie Recherchen nicht nur im Umfeld des Southern Syncopated Orchestra gezeigt haben, dessen Auftreten bzw. Wahrnehmen in Österreich schon deutlich früher ansetzen. Ein Blick in zeitgenössische Wien-  bzw. in die Musikberichte verschiedenster Zeitungen legt den Schluss nahe, dass bereits zu Beginn der1920er Jahre eine erstaunlich vitale Jazz-Szene in Österreich existiert haben muss. So berichtete selbst die Chicago Tribune vom 1. 6. 1919 [!], man könne in Wien „American rag time, with jazz band effects“ (KN, 2018,79) hören, obwohl die Neue Freie Presse erst am 6.7.1919 den Jazz als „letzter Sensationstanz Amerikas“, der im Café Lurion zur Vorführung gelange, ankündigte (NFP, 6.7.1919,15). Verschiedene Zeitungsannoncen dokumentieren ein Auftreten von Jazz-Tanz-Ensembles in Wien schon seit 1919/20, wobei neben dem unbestrittenen Waren-und Unterhaltungscharakter im Revue-Kontext Jazz bald auch in ‚etablierte’ Genres Eingang fand. Den Auftakt dazu lieferte ein (Operetten)Komponist wie Robert Stolz, der für das Lurion Café schon im Juli 1919 das Bobby-Jazz-Stück (op. 338) verfasste (KN, 2009, 231)4. Das Satireblatt Kikeriki folgte im November 1919 mit einem Bericht über das Programm der Rolandbühnen, bei dem im Zusammenhang mit der Komödie Die Lieblingsfrau des Maharadschas von F. Lunzer auch von Jazztanzeinlagen die Rede ist, die „in virtuoser, neuartiger Auffassung“ zur Aufführung kämen (16.11.1919,6).

Während 1920 die Berichterstattung sich durchaus ambivalent präsentiert, häufig Berichte über das Jazz-Fieber in Amerika brachte – ein „Betäubungsrhythmus der Zeit“ (Neues 8-Uhr-Blatt, 15.12.1920), oder abfällig über Jazz-Dichtung urteilte, kann 1921 als ein Schlüsseljahr für die Jazz-Rezeption in Österreich bezeichnet werden. Mit den Four Black Diamonds (die z.T. in Tiroler Tracht auftraten und damit auf eine besondere ‚outstanding’-Chiffre setzten) und den Ross Brothers machten zwei Afro-Amerikanische Bands länger in Wien Station. Die im ›Cercle de Ėtrangers‹ ab 2.9.1921 auftretenden Ross Brothers trafen auf großes Interesse; selbst die bürgerliche Neue Freie Presse (NFP) begrüßte sie als „eigenartige musikalische Neuheit“ (NFP, 8.9.1921,8). Auch aus der englischsprachigen (Typoskript)Fassung von Ernst Kreneks Autobiographie Im Atem der Zeit geht hervor, dass gerade diese Gruppe auf ihn „great impression“ gemacht habe und Interesse am Jazz – „to dabble in Jazz experiments“ – geweckt hätte (Nowakowski, 234). Im Rahmen der ›Internationalen Sommerschule für Moderne Musik‹ im August 1921 in Salzburg kam unter den zeitgenössischen und experimentellen Stücken (neben Bartok, Strawinsky u.a.) auch ein Rag Time von Josef Hauer, der sich ausdrücklich zur atonalen Musik bekannte, zum Vortrag (Salzburger Wacht, 3.8.1921, 5). Den vermutlich ersten großen Auftritt in einer Institution des Wiener Musiklebens, im Großen Konzerthaussaal, hatte eine Jazzgruppe und zwar die Caligari-Band aus dem ›Maxim‹ im Rahmen eines Tanzabends von Elsie Altmann-Loos am 19.12.1921 und zwar als Begleitung zu ihrer Shimmy-Groteske (NFP, 19.12.1921,7).

Im Juni 1922 gastierte schließlich das Southern Syncopated Orchestra mit „sensationellem Repertoire“ an Tanz und Gesang auch in Wien, was Karl Tschuppik zu einem engagierten Feuilleton für das Prager Tagblatt anregte.5

Tschuppiks Interesse galt dabei nicht primär der Musik und ihrer Form, sondern der durch sie zum Ausdruck kommenden Anliegen. In der spezifischen Komik der Musik und des begleitenden Tanzes meint er z.B. eine ‚Persiflage’ der weißen Welt aus dem Blickwinkel von (ehemaligen) Sklaven und Dienstboten in Szene erkennen zu können, – und zwar auf „staunenswert hohem Niveau“, sicht- und hörbar etwa in einer Parodie Richard Wagners durch den Rhythmus des Shimmy. Aufschlussreich sein Fazit, das dieser Performance kritische und innovative Kraft zuspricht:

Neues, Entscheidendes kann nur entfesselter Sklavenbrust entspringen […] Der Enthusiasmus der Beine für die groteske Kunst der Schwarzen ist ein Protest gegen das Pathos der Köpfe und Mäuler (Tschuppik, 1922, 4).

Tschuppik schließt daraus: „Es ist kein Zufall, dass auf dem Grabeshügel aus leeren Worthülsen und Begriffen eine zu neuem Lebenswillen erwachende Welt (Hervorheb. d. Verf.) nach dem Takt der Neger Shimmy tanzt“. (Tschuppik, ebd. 4)

Von einer zu neuem Lebenswillen erwachenden Welt war  in Österreich 1922, einem Jahr, das von Hyperinflation und dramatischen Bemühungen um Stabilisierung geprägt war (Beer, 2016, 15), freilich wenig zu spüren. Dass trotzdem Shimmy getanzt wurde, verdankte sich einem Unterhaltungsbetrieb, in dem der Jazz weniger als Ausdruck künstlerischen oder kulturellen Protests, sondern vielmehr als mondäne, aber auch in den bürgerlichen Alltag eindringende Kehrseite jener Inflationsjahre punziert und in zahlreichen Revuebühnen und Cafés präsent war: von Etablissements à la Moulin Rouge über das Femina, dem Maxim und Trocadero bis hin zum Ronacher. Eine Präsenz, die durch zahllose Annoncen dokumentiert ist und im Feuilleton u.a. in Form von Beiträgen zur Tanzmode oder zu einer sich ändernden, mitunter ironisch kommentierten Begegnungskultur zwischen den Geschlechtern wie z.B. im Fall eines Feuilletons von Fred Heller.6Auch in die Kleinkunst- und Kabarett-Szene fand er schrittweise Eingang, z.B. in das Kabarett ›Chat noir‹. Obgleich der Waren-  und Konsumcharakter dieses Jazz-Angebots auffällig zu Tage trat, auch unter anerkannten Bands (H. Wellmon’s Original Nigger Band,Fred Ross American Jazzband etc.), gelang es ihm, auch Interesse im Umfeld derals Avantgarde firmierenden ‚Neue-Musik’- Bewegung in Wien sowie bei einzelnen Schriftstellern zu erwecken. So z.B. trat im Rahmen der Musikwoche im März 1923Georg Antheil, Pianist und Futurist, so Ernst Decsey im NWTBl., im Kleinen Konzerthaussaal mit einem Programm auf, in dem neben drei futuristischenSonaten auch eine Jazz-Sonate vertreten war (NWTBl. 5.3.1923; 2-3).

3. Jazz und Literatur – Jazz und Theaterpraxis

Die ersten Liaisons von Jazz und Literatur in Österreich finden sich in den Romanen von Hugo Bettauer wie z.B. Der Kampf um Wien, der zunächst in der Zeitung ›Der Tag‹ im Vorabdruck seit Dezember 1922 erschien, z.B. in einem Kapitel mit dem Titel Athleten und Tänzer (Der Tag, 9.2.1923: 6). Kommt in diesem Text der Jazz vorwiegend noch bzw. bloß als Chiffre für eine im Ansatz ambivalente, körperlich konnotierte, ausschließlich dem Tanz vorbehaltene Praxis zu Wort, auch im 1924 abgedruckten Fortsetzungsroman Vom Baum des Bösen (orig.: Les dieux trembient… von Marcel Berger, so zeigte die Wiener Erstaufführung von Frank Wedekinds bereits 1912 fertiggestelltem Mysteriendrama Franziska im Dezember 1924 im Raimundtheater das Potential des Jazz als zeitkulturelle Signatur deutlich auf. Auf einzelne Kritiker hat die von Karlheinz Martin verantwortete Gastinszenierung, für Otto Stoessl eine „kongeniale“, irritierend gewirkt, andere haben sie als nahezu wegweisend, z.B. Alfred Polgar als eine „entfesselte, voll Erfindung, Witz und Einfall“, wahrgenommen. Emil Kläger allerdings stellte in der Neuen Freien Presse die Frage, ob das von Wedekind intendierte „moderne[s] Mysterium in neuen Bildern“ nicht zum „Spektakeltheater“ ausgestaltet, ja „missbraucht“ würde, verschweigend, dass bereits im Stück selbst eine exponierte Körper- und Geschlechter-Thematisierung angelegt ist. Ein wesentlicher Faktor in der offenbar von „viel Nachtlokal, im Tempo, in der Gier übertriebenen“ Inszenierung, die auf Kläger „von Licht geblendet, von Jazzmusik betäubt“ wirkte, war dabei der Einsatz von Jazz-Stücken, aber auch von „leuchtende[n] Reklametafel[n]“, welche von Tanz und Nacktheit – Claire Bauroff feierte einen großen Auftritt – begleitet referiert werden, um wenige Monate danach als Gastspiel in Berlin einen „großen Triumph“ zu erzielen.7 Kläger lässt dagegen unerwähnt, dass Martin bereits bahnbrechende Toller- und Sternheim-Inszenierungen umgesetzt hatte, Mitbegründer des avantgardistischen Theaters Die Tribüne war und ab 1920 filmische Arbeiten vorgelegt hat, die u. a. 1931 in das mit Döblin gemeinsam verfasste Drehbuch von Berlin Alexanderplatz einmündeten.

4. Jazz und Neue Musik als „Abbild der Zeit“: Das Jazz-Anbruch-Heft 1925

Dass auch Paul Stefan, Redakteur der renommierten Musikblätter des Anbruch, der Jazz-Herausforderung ein Heft (April 1925) widmete, mag heute überraschen, lag jedoch mit Blick auf die seit 1922-23 auch im Neue-Musik-Umfeld Resonanz findende synkopische Technik wie z.B. bei Erwin Schulhoff seit Jazz-Like (1922) oder dem schon erwähnten J. M. Hauer geradezu auf der Hand. Eher überrascht die Perspektive, unter der Stefan den Jazz präsentiert: nämlich unter jener, dass „dieses böse Etwas, der Jazz, der Anfang einer Revolution sein kann“. Neben Amerikanismus fungiere Jazz überhaupt als umfassendes kulturell-gesellschaftliches Paradigma für „Abbild der Zeit: Chaos, Maschine, Lärm, höchste Steigerung der Extensität – Triumph des Geistes, der durch neue Melodie, neue Farbe spricht“ (Anbruch, 1925,187). Es handelt sich hierbei um techno-kulturelle, habituelle und ästhetische Zuschreibungen, die angesichts des Stellenwerts der Zeitschrift als Sprachrohr der Universal-Edition, die primär Komponisten der Moderne von Gustav Mahler über Franz Schreker hin zu Arnold Schönberg unter Vertrag hatte, von erstaunlicher Offenheit zeugen.

Die Beiträger selbst waren freilich allesamt ausgewiesene Kenner der zeitgenössischen Musik und zum Teil auch selbst kompositorisch tätig: Sandor/Alexander Jemnitz, ungarischer Komponist, Schönberg- und Max Reger-Schüler, auch Briefpartner Adornos, weiters Louis Gruenberg, amerikanischer Dirigent und Komponist russisch-jüdischer Herkunft, der mit der Wiener Musikmoderne (Ferruccio Busoni, Anton Webern) aufs engste vertraut war, Darius Milhaud, wohl die herausragende und vielseitigste Gestalt aus der Pariser Group de Six (Eric Satie, Artur Honegger u.a.) oder César Searchinger, Musikkritiker des New York Musical Courier in den 1920er Jahren. Für die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte ist dabei von Interesse, dass zwei der angeführten Beiträger (Jemnitz, Gruenberg) ihre kompositorische Ausbildung wesentlich im Umfeld des Schönberg-Webern-Kreises und der sich ausbildenden atonalen Techniken erhalten und diese Beziehungen auch in den 1920ern Jahren weiter gepflegt haben, allen voran Gruenberg. Er dirigierte z.B. die US-Premiere von Schönbergs Pierrot Lunaire (1923).8

Das Beispiel Gruenberg deutet an, welche Möglichkeiten produktiver Interferenz zwischen der Wiener (atonalen) Schule und dem Jazz denkbar waren und zwar sowohl auf der Ebene theoretisch-musikkultureller Reflexion als auch auf jener der Komposition. Seine Jazz-Stücke der 1920er Jahre (Jazzettees for violino and piano, Six Jazz-Epigramms, Jazz-Suite sowie die vieldiskutierte Daniel-Jazz-Komposition, die am Internationalen Kammermusikfest in Venedig im Sept. 1925 Aufsehen erregte wie P. Pisk in der AZ, 13.9.1925, 19 berichtete) aber auch seine technisch ausgefeilten, die Jazz-Erfahrung verdichtenden Violinkonzerte der 1940er Jahre (z.B. op 47 zusammen mit Sascha Heifetz) dokumentieren dies eindrucksvoll. Sie wurdenin den 1920er Jahren auch im Rahmen von Arbeitersymphoniekonzerten aufgeführt.9

Die Kenntnis der europäischen Musikmoderne – Gruenberg nahm zwischen 1923 und 1928 an allen Festivals der Internationalen Vereinigung für Neue Musik teil – hat überdies seine Recherche nach einer auch dem amerikanischen Musikverständnis gerecht werdenden Ausdrucksform mitgeprägt. Diese könne zwar gar nicht anders als auf den Jazz – „das wichtigste Element in der heutigen Musik Amerikas“, gründen, als dieser „das einzige Element ist, das ursprünglichen Impulsen entstammt“ (Anbruch, 197). Doch der „Mangel an Harmonik, Nuancierung und Aufbau“ in „gewöhnlicher Jazzmusik“ sollte, so Gruenberg, mit Techniken in der Instrumentierung, wie er sie von der Wiener Schule her aufgenommen hatte, verknüpft werden, um komplexere Stücke, Opern und symphonische Werke zu ermöglichen. (Anbruch, 199). Wie solche Verknüpfungen aussehen können, führt z.B. Milhaud am Beispiel eines Ragtime Eric Saties „im Rahmen eines Symphonieorchesters“ (Anbruch, 202) aus. Auch Searchinger will „die kontrapunktischen Extravaganzen des entwickelten Jazz“ stärker auf „symphonische Synkopierung“ hin ausgerichtet sehen. Neben George Gershwin mit seiner Rhapsody in Blue (1924), bekanntlich ein Auftragswerk des unter Kommerzvorwurf gestellten Paul Whitemann-Orchester, fänden sich interessante Ansätze bei Zez Confrey, den Searchinger als künftigen „Chopin des Jazz“ tituliert (Anbruch, 209-10). Ihm, Confrey, wird 1926 der mit Alban Berg befreundete, Jazz, Neue Musik und Dadaismus zusammenführende Erwin Schulhoff die letzte seiner 5 Etudes de Jazz widmen. Die anskizzierten Querverbindungen markieren also wechselseitige Interessens- und Rezeptionslagen zwischen (Wiener) Neuer Musik und einem sich ausbildenden konzertanten Jazz, wobei auch die literarische Avantgarde und Theatermoderne mit ins Spiel kommen: man denke man nur an Schulhoffs Hans Arp-Vertonungen oder an Alban Bergs Lulu-Projekt, das an seine Jazz-Studien um 1928 anknüpfte und partiell eine – von Adorno freilich stets verschwiegene – Jazz-Instrumentierung aufweist. (J.B. Robinson, 129/ D.R. Strykowski, 11, Adorno, 1960).

Die Jazz-Autoren im Anbruch-Heft 1925 lieferten demnach nicht nur Einblicke in die zeitgenössische Jazz-Kultur-Szene, sondern skizzierten Rezeptionslagen, interkulturelle und transmediale Potentiale an, die in der Musik- und Kulturgeschichte weitgehend verloren gegangen sind, obwohl sie Auslöser einer regelrechten, in die Folgejahre reichende Diskussion war, wie z.B. ein Beitrag in der Zeitschrift Die Bühne 1926 anzeigt10. Auch Franz Lehar sprach sich in seinem Beitrag Einfluß von Jazz und Negerrhythmus auf unsere Musik dafür aus, darin eine potentielle „Bereicherung derAusdrucksfähigkeit der abendländischen Musik“ trotz Reserven im Hinblick aufderen Integration zu erblicken; vgl. NFP, 25.12.1925, S. 44-45, während dies auf derselben dem Verhältnis Walzer-Jazz gewidmeten Rubrik die Komponisten Siegfried Wagner und Julius Bittner deutlich zurückwiesen.] oder durch das Interesse durch Kritiker wie Leo Lania oder Felix Salten gegeben war.

5. Dörmann und sein Jazz-Roman

Einen ersten, durchaus prominenten Niederschlag innerhalb der zeitgenössischen österreichischen Literatur finden diese Potentiale im Jazz übertitelten Roman von Felix Dörmann, der 1925 als Zeitroman die fiebrige, wohl auch synkopische Stimmung einer Metropole im Umbruch sowie ihre repräsentativen Nachkriegstypen einzufangen versuchte. Innerhalb seiner späten Produktion, die bekanntlich im Zeichen einer Kommerzialisierung durch Film- und Operettenarbeit steht, nimmt dieser Roman mit seinen kolportageartigen Zügen gewiss eine Ausnahmestellung ein. Doch selbst die dem Autor mit Skepsis begegnende Arbeiter-Zeitung fand anerkennende Worte über die „geschickte“ Komposition und „soziale Betrachtungsweise“, freilich ohne ihn „als Kunstwerk zu überschätzen“ (Kluy, 279). Die turbulenten Nachkriegsjahre  ab 1919 bilden den Rahmen für die Liebes- und Befreiungsgeschichte einer verwaisten jungen Frau (Marianne) aus dem k.k. Militäradel. Unvorbereitet vor das Nichts gestellt, muss sie ihr Leben in die Hand nehmen und verstrickt sich dabei in eine Beziehung zu dem aus Ungarn geflüchteten (Ex)Revolutionär Ernö Kalmar, der in Wien mit Schmuggel und Valuta-Spekulationen sein Glück versucht und vorübergehend eine steile Karriere durchläuft. Teil dieser Spekulationen ist auch die Tanzkarriere dieser jungen Frau, allerdings als zweite Option nach der zurückgewiesenen, im Schmuggelgeschäft Kurierdienste zu übernehmen. Der Tanz ist dabei weniger einem emanzipatorischen Habitus der Zeit verpflichtet als der zynischen Überlegung, den Körper als Kapital in eine entstehende Beziehung einzubringen: „…also wenn Sie nicht mit ihrem Kopf arbeiten wollen – oder können… so müssen Sie eben mit ihrem Körper arbeiten!“ (Dörmann, 61) Marianne begreift schnell, wenngleich sie versucht, eine gewisse Distanz zu bewahren:

Die Tanzschule wurde für Marianne eine Lebensschule, die ihr die Augen öffnete. Sie ahnte jetzt, wie diese Welt beschaffen war: hemmungslos, verseucht und käuflich, aus den Fugen geraten und von nackter Profitgier geschüttelt. (Dörmann, 85)

Die Zusammenhänge von Käuflichkeit, Spekulation und Profitgier schrittweise erkennend, blickt sie mit zunehmender Skepsis darauf, wie „sein Vermögen wuchs mit dem Elend Österreichs“ (Dörmann, 103). An mehreren Stellen verknüpft Dörmann die Befindlichkeit seiner Hauptfigur und ihre Auslieferung an eine ‚hemmungslos‘ gewordene Welt (so übrigens auch ein Romantitel Bettauers) mit der sozialen und politischen Stimmungslage der Ersten Republik. Den Höhepunkt der Parallelisierung dieser widerwillig angenommenen Tanz-Karriere mit den Ambitionen des neureichen Spekulanten-Liebhabers bildet Mariannes Debüt als russische Prinzessin im Ronacher unter Verleugnung ihrer Identität und Selbstpreisgabe ihres Körpers. Es ist dies eine jener Stellen im Text, in dem der Jazz explizit zum Missing link zwischen den Bedingungen der Zeit und einer ihrer kulturell-künstlerischen Ausdrucksformen deklariert, d.h. eigentlich instrumentalisiert wird:

Die Größe und das Grauen der Zeit lag in diesem Tanz. Die Verzweiflung und die grelle Lustigkeit der Verzweiflung im Shimmyrhythmus getanzt.

Grelles Blech, winselnde Geigen, schrille Pfeifen – alles war zusammengefaßt zu einem Cancan der Vernichtung – zu einem Jazzband der Verzweiflung, die mit ihrem eigenen Elend Schindluder treibt. (Dörmann, 117)

Vergleicht man Dörmanns Zeichnung des Jazz mit den Texten im Anbruch, aber auch mit den Reaktionen auf die Chocolate-Kiddies, die im November 1925 ein Gastspiel im Raimund-Theater absolviert haben, das Felix Salten und Julius Korngold, den Musikkritiker der NFP, in eine heftige Debatte verwickelte, wobei Korngold verächtlich den Ausdruck Niggersongs einbrachte, so fällt auf, dass im Roman die rhythmische Anlage des Textes über Jazz-Chiffren verstärkt und thematisch in eine Nähe zu desillusionierenden, die Identität der Protagonistin gefährdenden Erfahrungen gerückt wird. Zu Tage tritt dies z.B. in jener Szene, in der Kalmar in einem unter dubiosen Umständen erworbenen Palais „alle Parasiten der neuen Reichen“ (Dörmann, 155) versammelt und Marianne, alias Natascha, einer Trophäe gleich zu den Klängen einer Jazzband zu ihrem letzten Auftritt zwingt – „Bestie du wirst tanzen“ (Dörmann, 160).

Jazz als Teil der Käuflichkeit der Welt steht im Roman zweifellos für eine hochambivalente Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Modernitätschiffren: seine Zuordnung zur mondän-kapitalistischen Waren- und Spekulationswelt lässt ihn seinen Ursprüngen entfremdet erscheinen. Musikalisch arrangiert als Melange aus exzentrischem Tanz, der Motive aus Anita Berbers 1923 in Wien kreierten Tänze des Grauens, des Lasters, der Ekstase aufgreift (Polt-Heinzl, 2012, 214) sowie implizit auf zeitgenössische Tanz-Karrieren anspielt11, zielt ein derart modellierter Jazz auf machtbetonte wie sexuell grundierte Disziplinierung eines bloß vordergründig entfesselten Individuums. Insofern kommt er dem Verdikt Adornos – der „sex appeal des Jazz ist ein Kommando: pariere“ (Adorno, 1937, 98) – nahe, zumal er (Jazz)Tanz und Drogensucht, Macht und Unterwerfung eng führt. Zugleich kann der Text für sich in Anspruch nehmen, auch in seiner narrativen Anlage von Jazz-Elementen affiziert zu sein, z.B. vom synkopischen Rhythmus, der den Textfluss punktuell kontrastiert, indem elliptische, ins Fragmentarische brechende Sätze an Schlüsselstellen eine unübersehbare Rolle spielen. Soziale und kulturelle Brüche „…to employ jazz on various levels in an effort to represent e new social order“ (Simonow, 2013, 62), die durch zugespitzte Tauschwertkonstellationen im Zuge der Inflation krass hervortreten, werden zwar nicht ausschließlich dem Jazz angelastet, aber wesentlich über Jazz-Parameter kommentiert. Es handelt sich um Verfahrensweise, die Alfred Polgar in einem Feuilleton für die Wiener Zeitung Der Tag 1924 in der Formel „Die Synkope ist ein Symbol unserer widerspenstigen Tage, das Symbol einer aus den Fugen geratenen Welt“ (Polgar, 1983,173) treffend zusammengefasst hat, eine Verfahrensweise, die uns auch in Vicki Baums Erfolgsroman stud. chem. Helene Willfüer (1928/1979, 51) oder in Robert Neumanns Inflations-Roman Sintflut (1929, 244) an Schlüsselstellen begegnet.

6. Von Rundt zu Janowitz: Verknüpfungen von Feuilleton, Literatur und Jazz

Auf das Eingangszitat zurückverweisend – wonach das „wahre Programm der Zeit“ im Jazz sein Abbildung finde – drängt sich die Frage auf, in welcher Weise sich das Genre des Jazz-Romans in den 1920er Jahren weiter ausdifferenziert hat. Noch bevor 1927/28 weitere Texte und Werke die Jazz-Diskussion nachhaltig beeinflussen sollten, veröffentlichte Arthur Rundt 1926 in der Neuen Freien Presse (NFP) ein Feuilleton unter dem Titel Jazz. Es war dies eine der früheren Positionierungen, die dem Jazz von seiner Genese, d.h. auch von seiner spezifischen race-Komponente her, gerecht zu werden versuchen: „Der Jazz ist der Freudenausbruch des schwarzen Mannes über seinen Aufstieg, seine Freiheit, die Amerika ihm wiedergab…“ Des Weiteren skizzierte Rundt die Jazz-Frühgeschichte seit dem Memphis-Blues, seiner Ausdifferenzierung in den Kellerkneipen Chicagos und Harlems und formulierte einen Ausblick, der dem Jazz weit mehr zugestand als einen Konzert-Mode-Status. Er werde nämlich, ein wenig pathetisch, als „weltbeherrschende Macht“, als „unheimlich hämmernde Suggestion“ Europa fortan in Atem halten.12

Suggestion ist vielleicht auch das Schlüsselwort, um kurz auf Janowitz einzugehen. Sein Jazz-Roman unterscheidet sich von allen anderen deutschsprachigen Jazz-Texten zunächst durch seine Form, die der improvisatorischen einer Jazzkomposition nachempfunden wirkt: in dreißig Kapiteln, wird anhand eines einfachen narrativen Musters, d.h. ausgehend von einer Zufallsbegegnung während einer Zugsfahrt von Liverpool nach London die Geschichte einer Jazzband und ihres exzentrischen Gründers eingeführt. Die Band, die in Paris zusammen findet, wird durch eine weibliche Jazzdance-Truppe sowie eine Reihe von z.T. skurrilen Figuren ergänzt. Variations- und offene Improvisations- Kapitel verkomplizieren bzw. synkopieren die thematischen Stränge, eine Technik, die einen Jazz-Rezeptionsstand anzeigt, der heute durchaus als „unjazzy“ bzw. „jazzbandism“ (Grandt, 2013, 82) gewertet wird. Die Platzierung dieser Band in ein kommerzielles Umfeld, deren schrille personelle Komposition und Situierung in einen Unterhaltungs- Hochstapler- und Abenteurerkontext (unter den Tänzerinnen wird mit der klischierten Bibi Black, eine Überblendung von Anita Berber und Josephine Baker, eine exotisch kolorierte Schwarze eingeführt), verleitet dazu, den Jazz als eher affirmativ-ironische, denn als authentisch-kritische Zeitgeist-Chiffre zu verstehen.

Das Spezifische am Text ist allerdings weniger auf der Ebene der Handlung auszumachen, als auf jener der Form: er versteht sich als Versuch, einerseits Jazz-Kultur anhand von sketchartigen Geschichten zu beschreiben; andererseits stellt er sich permanent selbst zur Diskussion. Dabei wirft er die Frage auf, ob es überhaupt möglich sei, Jazz literarisch zu erschreiben. Aus diesem Grund wird in der Folge eine Parallelisierung zwischen Schreib- und Musikkomposition behauptet: „Andere Gesetze, so glaube ich, walten über diesem Buche, so wie über eine Jazzpièce andere Gesetze walten als über einer Sonate für Klavier oder Violine.“ (Janowitz, 25) Oder, resümierend:

Es ist wieder zu sagen, daß es andere Gesetze sind, denen die Musik dieser Seiten untersteht, als es die Gesetze einer Sonate für Klavier und Geige sind oder auch eines banalen Operettenfinales. (Janowitz, 111)

Dem Leser wird viel zugemutet, dem „Jazzwirbel“ korrespondiert ein Figurenensemble, das hart an der Kolportage entlang beständig, so die Erzählerstimme, in „eine Katastrophe hineingleitet“ (Janowitz, 111). Der Autor weiß darum und kommentiert seine Erzählintention, d.h. auch die Schwierigkeit, glaubwürdige Geschichten mit der ungewöhnlichen Textur des Erzählten zu verknüpfen, was mehr als einmal nicht gelingen will. Es wundert daher nicht, dass der Schluss unbefriedigend, abrupt ausklingt und dass dieser Ausklang wiederum mit dem Gesamtprojekt begründet wird:

Ein Jazz-Roman hat das Recht, mitten in der Wiederholung eines Motivs leise auszuklingen und einfach zu Ende zu sein. Dieses unveräußerliche Recht in dem ersten Jazz-Roman zu wahren, der nach den Gesetzen der Jazzmusik entstanden ist, muß mir selbstverständlich gestattet sein.

Aber er merkt auch an: „Das Jazz-Instrument ist schwer zu beherrschen, es geht gern seine eigenen Tonwege…“ (Janowitz, 112), eine Anmerkung, die Ausgeliefertheit an die Instrumentierung suggeriert sowie die Schwierigkeit einbekennt, über sie souverän zu verfügen. Eine Jazz-Textur, auf die beständig als etwas ‚Differentes’ wie als Zeit-Notwendigkeit rekurriert wird, tatsächlich herzustellen, ist demnach gleichermaßen Anspruch wie Begrenzung dieses Romans. Die fragmentierte Narration zielt dabei auf jene ‚Gesetze der Jazzmusik’ ab; sie kann deren synkopische Signatur jedoch nur im Ansatz markieren. Zudem weist der Roman eine auffällige musikalisch-kulturelle Leerstelle insofern auf, als er sich als „notably disengaged from any images of blackness“ (Grandt 2013, 75) präsentiert. Daran ändert wenig, dass ihn Zeitgenossen wie Paul Leppin und Willy Haas in Zeitschriften wie z.B. Literarische Welt als „herrliches Buch“, als „Roman seiner Zeit“, als „kapriziös, eigenwillig“, „betäubend“,  auch „unsinnig und unbändig radikal“ feierten und sein Bestreben, eine neue Form auszuloten, in strukturelle Nähe zu Döblins Berge Meere und Giganten rückten (Rieß/Janowitz, 130f.).

7. Kreneks ›Jazz‹Oper Jonny spielt auf im Kontext zeitgenössischer Debatten/Polemiken

Als „glänzend“ und „mit stürmischen Beifall“ aufgenommen, bezeichnete das Prager Tagblatt (PTB) in einer kurzen Notiz die Uraufführung der wohl bekanntesten und vielfach gründlich missverstandenen Oper des Komponisten (und sich auch als Schriftsteller verstehenden) Ernst Krenek Jonny spielt auf vom 10. Februar 1927 in Leipzig. Die Wiener Zeitungen nahmen, im Unterschied zur New York Times, zunächst wenig Notiz davon13, obwohl bereits im PTB zu lesen stand, dieses Werk „stellt einen geistreichen und interessanten Versuch dar, von dem, was zu allen Zeiten Oper geheißen hat, loszukommen.“14 Erst der rasante Bühnenerfolg mit mehr als 500 Aufführungen im ersten Jahr lenkte die Aufmerksamkeit auf die Jonny-Oper, die schnell als Jazz-Oper punziert sowie als Gefahr der „edelsten klassischen Musik“ (so der Vizepräsident der ‚Gesellschaft der Musikfreunde’ über die „aus dem Westen eingebrochen[e] Jazzmusik“) dämonisiert wurde15. Krenek selbst hat sich, darin Karl Kraus verwandt und ihm verpflichtet, eher zurückhaltend über seinen größten Erfolg geäußert (Krenek 1998, 651). Zwar hat er Ende 1927 in der Bühne eine Einführung zum Jonny vorgelegt, um das Publikum auf die Wiener Aufführung am 31.12.1927 in der Staatsoper einzustimmen; auch hat er die Jazzmusik in einem von Alban Berg einbegleiteten Vortrag im Jänner 1928 mit Verweis auf die „Ausdrucksgewalt“ der „Negerspirituals“ vehement verteidigt. Doch bereits in den 1930er Jahren ist Krenek wegen der plakativen Reduktionen der Oper auf Zeitgeistiges auf schweigende Distanz zu ihr gegangen.16 Diese Tänze sind dramaturgisches Erfordernis…“] Dabei hatte Krenek Elemente des Jazz bereits 1924 in die komische Oper Der Sprung über den Schatten integriert – und es handelte sich im Grunde auch nicht, und darin bestärkt durch Adorno, um eine Jazz-Oper im eigentlichen Sinn.17 Eher lag hier ein Versuch vor, die große Form mit Slapstick-Elementen aus der modernen Volks- und Unterhaltungskultur zu kontrastieren und auf diese Weise Theater, so Krenek, „lebendig“ zu erneuern:

Wieder Text soll auch die Musik der Oper aus volkstümlichen Quellen schöpfen. Wo diese […] heute zu finden sind, brauche ich wohl nicht auseinanderzusetzen. Wer den Jazz verdammt, urteilt oberflächlich, weil er über das stoffliche Interesse die künstlerische Gestaltung übersieht […] Mit all dem will ich keinen bestimmten Stil propagieren. Was ich will ist: l e b e n d i g e s Theater. Mit welchen Mitteln dieser Zweck erreicht wird, ist gleichgültig. (Neues Wiener Tagblatt 4.1.1928, 10)

Musikologische Aspekte müssen hier zurücktreten; in Erinnerung zu rufen ist dagegen, welche Polarisierungen die Wiener Aufführung nach sich gezogen hat und welche tieferen kulturellen und gesellschaftspolitischen Bruchlinien der Zeit an ihr sichtbar geworden sind.

Julius Korngold, Komponist und Musikkritiker (Vater des Jazz-Komponisten Hans/John R. Korngold) zog dabei in der an sich aufgeschlossenen NFP die übelsten Register: „So ist der Jazz-Nigger auch in das Haus des Figaro, des Fidelio, des Hans Sachs, des Tristan, der Ariadne eingezogen…“ Was sich als Neu geriere sei nichts anderes als eine bereits vom ersten Aufzug her sexualisierte schlechte Operette, die in Revue, Varieté, Kino, Detektivstück übergehe, musikalisch unterlegt mit „synkopierten Schnellpolkas“, – insgesamt eine „Entweihung“18.

Die Termini ,Nigger’, ‚Song’ und Varieté dominierten Korngolds Versuch einer rabiaten feuilletonistischen Liquidierung des Jazz, und sie werden in einem Leitartikel wenige Tage später wiederholt, – in der Diktion fast schärfer als in der ebenfalls klaren Zurückweisung durch die klerikale Reichspost, die dem Werk „krasse Realistik eines pervertierten Zeitgeschmacks“ vorwarf.19 Neben Heinrich Kralik vom Neuen Wiener Tagblatt (NWTB), der im Einzug von „Jazzband und aktuellen Schlagerweisen in die heiligen Hallen des Opernhauses […] weder Tempelschändung noch künstlerische Heldentat“ erblicken und die Aufregung gar nicht nachvollziehen konnte, nahm erwartungsgemäß die Arbeiter-Zeitung Krenek in Gestalt des Musikkritikers David J. Bach in Schutz (obwohl Krenek sich 1928 als Gegner der Sozialdemokratie positionieren wird)20. Am Jonny schätzte Bach die Zeit- und Publikumsorientierung, sozusagen das Republikanische im Kontrast zu feudalen Opern-Requisiten. Verständlich sei es, dass die Staatsoper „ein markantes modernes Werk in ihrem Spielplan zu führen“ habe, zumal dies auch die künstlerische Seite rechtfertige: „Diese Jazz-Oper hat, von jedem Standpunkt aus gesehen, so viele künstlerische Qualitäten, daß ihre Aufführung auch in der hochnoblen Staatsoper gerechtfertigt werden kann.“21 Nach einer neuerlichen Leitartikel-Attacke der NFP meldete sich auch der junge Ernst Fischer zu Wort, der Kreneks ‚Affront’ in eine Reihe prominenter epochaler Grenzüberschreitungen stellte und begrüßte: „er [= Krenek] gestaltet die Tonwelt als Abbild einer entgötterten äußeren Welt und er hat den Mut, den Jazz opernfähig zu machen wie vormals Mozart das Menuett oder Richard Strauß den Walzer.“22

Auch Arthur Schnitzler, der mit Clara K. Pollaczek Ende Jänner einer Jonny-Aufführung beiwohnte, konnte der Aufregung der NFP trotz Reserven gegen die „Großartigkeitspose des Schlusses“ nicht viel abgewinnen:

…Textbuch nicht ohne Originalität; leichtfertig, schwindelhaft, frech (auch im positiven Sinn) Musik im pathetischen meist leer und überheblich; – im spielopernhaften fein und fast melodiös […] Von einer ‚Entweihung’ der Oper zu reden (Korngold, Steger) ist albern.23

Die Polemik rund um Kreneks Jonny stand zweifellos im Kontext der seit dem Juli 1927 sich radikalisierenden kulturpolitischen Polarisierungen, die, mehrere künstlerische Felder erfasste. Paradoxerweise leitete sie zugleich jenes Jahr ein, in dem die Jazz-Präsenz und Rezeption in Wien ihren Höhepunkt erreichen sollte.

Nach der verebbenden Erregung über die Jonny-Oper, die zunächst noch in München Mitte Jänner 1928 (Ablehnung durch die Bayrische Staatsoper, Diskussion um generelles Aufführungsverbot) und schließlich in Budapest im März 1928 ein kurzes Nachspiel hatte, um dann in Wien am Operntheater bis April im regulären Spielplan zu bleiben, erzielte  Emmerich Kálmán mit seiner auf Kommerz getrimmten, Jazzelemente aufgreifenden und zeitbezogene Amerika-Europa-Stereotypen zelebrierenden Operette Die Herzogin von Chikago einen Publikumstriumph mit über 200 Vorstellungen zwischen April und November 1928. Ihr waren freilich schon die von Mischa Spoliansky mit Jazz-Stücken unterlegte Aufführung von W.S. Maughams Komödie Victoria im Herbst 1926 im Theater in der Josefstadt (Regie: M. Reinhardt) sowie die Jazzoperette Lady X im September 1927 vorangegangen. Ihr Verfasser, unter dem Pseudonym G. Edwards, war niemand anderer als der bereits gut bekannte L. Gruenberg. (NWJ, 20.9.1927)24.

8. Das Jazz-Jahr 1928

Wenn es etwas wie ein Jazz-Jahr in der Zwischenkriegszeit gegeben hat, so dürfte dies das Jahr 1928 gewesen sein. Denn in diesem Jahr gastierten  in Wien eine Reihe herausragender Jazz-Formationen: Anfang Juni 1928 (danach wieder Anfang Februar 1929) die Londoner Orpheans Savoy Band, im August die (weiße) Band The Revelers, beide mit starker Resonanz nicht nur in der Musikkritik. Paul Pisk meinte, im Konzert der Orpheans „die neue Art des symphonischen Musizierens von Tanzmusik, die, von Amerika ausgehend, in den letzten Jahren auch in Westeuropa heimisch geworden ist“ erkennen zu können. Soma Morgenstern lobte die Revellers [!] in der Frankfurter Zeitung als „hinreißender Gesamtklang im Jazzrhythmus“ und David J. Bach sprach von „höchster technischer Vollendung“.25 Radikale Veränderungen in der Jazzpraxis ortete auch Paul Whiteman in einem Interview-Artikel für die Bühne, als er unter dem Schlagwort ‚Der Jazz ist tot’ dessen Neu(er)findung als ‚synkopierte Musik’ feierte: „Was wir jetzt spielen, wonach Millionen von Menschen in Tausenden von Ballsälen tanzen […] ist eine neue synkopierte Musik, für die wir noch keinen Namen gefunden haben. Einige sprechen von ‚symphonischer Synkopierung’“26.

Im September 1928 folgten Sam Wooding’s Jazz, die Gruppe, die bereits 1925 mit den Chocolate Kiddies auf Europatour war, mit drei Extra-Vorstellungen im großen Konzerthaussaal nach vorangegangenen „sensationellem Erfolg“ im Moulin Rouge27 und am 1.10.1928 das deutsche Quartett Jazz auf vier Flügeln (Kucher, 2018, 228f.). Auch das Radio offerierte im Mittwoch-, Samstag- oder Sonntagabend-Programm regelmäßig Jazz, 1927 meist vom Wiener Jazzorchester Bertold Ullmann, 1928 vorwiegend vom Ersten Wiener Jazzorchester unter Adolf Pauscher, der Jazzkapelle Charly Gaudriot oder jener von Hans R. Korngold [hier auf YouTube]. Und in den beiden Radiozeitschriften, d.h. der konservativen Radio-Woche bzw. der eher sozialdemokratischen Radiowelt, flammten regelmäßig Debatten über ein Zuviel oder Zuwenig an Jazz-Angebot auf (Kucher/Unterberger, 2013, 28).

Anfang Dezember 1928 gastierte schließlich die englische Jazz-affine Jack Hylton Big Band im Großen Musikvereinssaal, welche die NFP mit Attributen wie „unvergleichliche Truppe“ oder „virtuose Instrumentalleistung“ belegte, eine Formation, die in den frühen 1930ern zum Inbegriff ‚moderner‘ Tanzmusik aufstieg und via Radio und Zeitschriften auch entsprechend beworben wurde.28

Wie strittig und umkämpft innerhalb der NFP-Redaktion dennoch Positionierungen zum Jazz waren, legte ebenfalls ein Feuilleton von Josef Reitler vom Dezember 1928 offen, in dem er eine Besprechung mit einem Seitenhieb auf die „Jazz- und Opernkrise“ einleitet und Ausdrucksformen der schwarzen, seiner Ansicht nach ‚primitiven’ Kultur mit problematischen Attitüden abkanzelt.29 Gegen diese bezog wiederum Ernst Lothar Stellung und verknüpfte alltagspräsente rassistische Bilder (Blues, Nigger) mit einem hymnischen Lob der Anthologie Afrika singt von Anna Nussbaum sowie mit Verweisen auf die Harlem-Passagen in Jakob Wassermanns Essaysammlung Lebensdienst30.

War also der Jahresauftakt noch im Zeichen einer hochkontroversen Jazz-Opern-Debatte gestanden, so klang er aus mit einer Operette unter dem reißerischen Titel Spektakel, deren Jazz durchsetzte musikalische Gestaltung vom europaweit erfolgreichen Paul Abraham  stammte – „Ein Durcheinander mit viel Jazzmusik in drei Akten“- so der Untertitel, sowie mit der Revue Flirt und Jazz in den Kammerspielen. Für letztere zeichneten die beiden Entertainer Fritz Grünbaum und Karl Farkas verantwortlich. Im Gegensatz zu Kreneks Jonny rief diese Revue keinen Sturm der Entrüstung hervor, obwohl auch sie sich mit der Wiener Tradition der Unterhaltungskultur kontaminierend vermengte, etwa durch die Co-Präsenz von Hermann Leopoldi. Weder musikalisch, noch von der Thematik her zentral, wurde Jazz in dieser Revue als Chiffre origineller Unterhaltungskunst aufgeboten, die in „temperamentvollen“ Tanzstücken sowie in der Modebeilage der NFP (Kostümanalyse) Niederschlag fand.31 Womit freilich auch Adornos Skepsis, der Jazz stelle seine „Tauglichkeit zum Gebrauch“, eigne sich zum „Massenartikel“, zu einer Ikone dessen, was als ‚Kulturindustrie’ suspekt werde, Bestätigung findet (Adorno, 1937, 77f.).

So sichtbar Jazz im Musik-Theater-Programm und – als Referenz wie Angelpunkt kulturkritischer Reflexionen – in feuilletonistischen Texten um 1927-28 auch war, so blieb, sieht man von Janowitz ab, dessen Jazz-Roman wesentlich von seiner Berliner Zeit im Kabarett Wilde Bühne geprägt war, der literarische Niederschlag in eher bescheidenem Rahmen. Ann Tizia Leitich, die Amerika-Korrespondentin der NFP mit mehreren authentischen Chicago- und New-York-Jahren, ließ gelegentlich eine feuilletonistische Erlebnisskizze folgen, die den Jazz als Teil der Unterhaltungskultur festschrieb und gleichermaßen zu dessen Entdämonisierung, aber auch Bagatellisierung beitrug, sichtbar z.B. in ihrem Text Newyorker Nacht, in dem sie u.a. einen Jazz-Keller in Harlem beschreibt32. Marta Karlweis arbeitet in Eine Frau reist durch Amerika (1928) anlässlich eines Streifgangs durch die Chicagoer Slums wohl einen Jazztanz-Abend ein, bei dem jedoch der „Negermusik“ (Karlweis, 118) und einer kindhaften Tänzerin vorwiegend Koloritfunktion und das Markieren einer drastischen Zeitgeist-Stimmung zukommen. Letzteres tritt auch in den kurzen Prosatexten Das Familienleben des Jazz-Zeitalters (1928) von Arnold Höllriegel zum Vorschein oder in Szenen des Hörspiels Tempo von Friedrich Porges, wobei unter Jazz eine Tango-Melodie figuriert. Und selbst ein Autor wie Franz K. Ginzkey setzte im Roman Der Gott und die Schauspielerin (1928)Jazzsignale in Form episodischer Tanzbarbesuche ein33. Nur in Arthur Rundts zwischen September und Dezember 1928 in der NFP abgedruckten Fortsetzungsroman Marylin wird der Jazz mit der zeitgenössischen schwarzen Kultur im Sinn eines zentralen Identitätsausweises und des Versuchs selbstbewusster Positionierung in einem zwar äußerlich modernen, habituell aber weitgehend kleinbürgerlich-rassistischen Metropolenkontext verknüpft.34

9. Langsamer Ausklang…

Anfang der 1930er Jahre scheint der Jazz seine akzentuierte Position und seine Attraktivität für literarische Textexperimente eingebüßt zu haben. Das gilt, wenngleich differenziert zu sehen, auch für das Theaterprogramm. Außer bei Gastinszenierungen wie z.B. Brecht/Weills Dreigroschenoper 1929 im Raimundtheater oder gelegentlich als Rahmen für spezielle Anlässe, trifft man auf ihn trotz des ständig steigenden Revue-Anteils im klassischen Opern-Theater nur mehr selten, wogegen er im Film- und Unterhaltungsprogramm eine gewisse Präsenz behaupten konnte, z.B. 1930 im Ton-Lustspiel Die Jazz-Tänzerin mit der Filmikone Colleen Moore, das in mehreren Wiener Kinos lief.35 Dennoch lassen sich bis 1934 einige weitere markante Beispiele anführen, in denen Jazz-Motive, freilich oft nur als Aufmerksamkeitsmarker, figurieren: Joe Lederers Roman Musik der Nacht (1930), Gustav Renkers Symphonie und Jazz (1931), Lilli Grüns Herz über Bord (1933)36, neuaufgelegt unter dem Titel Alles ist Jazz (2009), und Hermann Brochs Drama Die Entsühnung (1934).

Während bei Lederer die Jazz-Passagen, Blues-Melodien aus Filmen oder populäre Songs wie z.B. Mabel Waynes von bedeutenden Jazz-Interpreten aufgegriffenes In a Little Spanish Town (Lederer,162; dazu auf YouTube) auf das Lebensgefühl der Protagonistin und den hektischen Rhythmus der Großstadt abgestimmt scheinen, verwenden sie Grün und Broch explizit als Hintergrundmusik, bei Broch immerhin mit der Funktion, einzelne Szenen über Regieanweisungen mit großstädtischer „Tonintroduktion“ einzustimmen. Insofern ist paradoxerweise Renkers Roman derjenige, der nochmals Konzeptuelles aufgreift und an die seit 1925 geführten Debatten anknüpft. Dass es ihm darum zu tun war, geht schon aus der graphischen Aufmachung des Titelblatts des im bekannt konservativen Staackmann-Verlag erschienenen Romans hervor. Drei schwarze Saxophonisten, Kopien des seinerzeitigen Jonny-Plakats mit knallroten Lippen und Jazz-Pose, bilden den Kontrast zu einer antikisierten, lorbeerbekränzten Frauenfigur mit einer Lyra, welche die Saxophonisten aus der Tiefe des Hintergrunds deutlich überragt. Ein Kontrast zwischen Statik und Bewegung, Tradition und Moderne, so eine erste Assoziation.

Das Grundmuster des Textes ist das eines Künstler-, aber auch Vater-Sohn-Romans mit erwartbaren generationalen Konfliktlinien. Auf der einen Seite Othmar Wehrberg, angesehener aber verblassender, an sich selbst zweifelnder Komponist, der gerade eine D-Moll-Symphonie vollendet hat und diese mit Mühe und Fürsprache durch einen befreundeten, umtriebigen (auch explizit als jüdisch markierten) Kritiker in den Musikbetrieb bringen kann; auf der anderen Seite sein Sohn Richard/Richie, ein Anhänger des vom Vater argwöhnisch beobachteten Jazz, der insgeheim kleine Kompositionen verfasst. Teil der Handlung ist ein rasch aufgeklärter Noten-Diebstahl, eine umständlich sich entwickelnde Liebesgeschichte, ferner die Begegnung mit einer afro-amerikanischen Jazz-Größe (Makua-Taka) sowie der Kontrast zwischen der als ursprünglich konnotierten Kärntner Berglandschaft (wo Wehrberg einst Dorfschullehrer war und seine Frau verloren hat) sowie dem Wiener Raum und seinem Musikbetrieb. Verschiedene Gesprächskonstellationen legen dabei die divergierenden Musik-Positionen der einzelnen Figuren (Vater-Sohn-Kritiker) frei sowie die Intention des Romans insgesamt, grundlegende kulturelle und ästhetische Fragen gegeneinander abzuwägen.

Sind zunächst klare Grenzlinien erkennbar, so werden diese zunehmend durchlässiger. Der mythisch organische Schöpfungsbegriff des alten Wehrberg auf der einen Seite, gefasst in die Formel „flutendes, schöpfendes Leben“ (SJ 140) in der Nachfolge von Richard Wagner, Gustav Mahler (dessen Freundschaft Wehrberg sich rühmt) und des „Schauer erregenden“ Strawinsky (SJ 187), die Verdammung der ‚Neuen Musik’ als „trübe Augenblicksspekulationen“ auf der anderen mit Bezug auf Arthur Honegger und dessen D-Lok-Symphonie (realiter: das ‚mouvement symphonique’ Pacific 231) sowie der späteren Rugby-Symphonie (im Roman als in Arbeit befindliche Fußballsymphonie erwähnt), markiert zunächst eine antimodernistische Grundeinstellung gegen das forciert Neue. Sie schließt in ihre Ab- und Ausgrenzung die Jazzbegeisterung, „diese schmachvolle, den Namen Wehrberg herabsetzende Entartung“ (SJ, 50) des eigenen Sohnes mit rassistisch grundierten Vokabeln (Negerbauchverrenkungen, Niggerboy) ein. Man fühlt sich unwillkürlich an die Jonny-Polemik Korngolds erinnert, wenn Jazz, Kommerz und Rassismus zusammengeführt werden, hier allerdings, bereits ironisch grundiert, über die Stimme des befreundeten jüdischen Kritikers und mit dem Nebenblick auf einen möglichen Vorteil:

…Othmar, wir wollen zuerst, so gut es mit unserem eingerosteten Europaverstand geht, ergründen, was die Dollartüchtigkeit des Niggers aus Rickis Talent herausquetschen will. Und dann werden wir die Sache irgendeinen pfiffigen hundertprozentigen New Yorker Juden und Rechtsanwalt übergeben, der den Dollarstrom des Jazzes in Rickis Taschen lenken soll. – Und nun Fassung, alter Meister, die neue Welt naht mit Brausen. (SJ, 156)

Während Korngold, als Bezugsinstanz im Roman aufgerufen (SJ, 147), an seiner Jazz-Diffamierung, zugleich eine Diffamierung der afroamerikanischen Kultur und des ‚Neuen’  schlechthin festhielt, modifiziert Renker/Wehrberg unter dem Ursprünglichkeit verkörpernden Eindruck des „Jazzkönigs“Makua Tata, der in Anspielung auf das SouthernSyncopated Orchestra  u.a. Wagner ausschlachtet – „Wagner hat nie gehört das Wort Jazz, aber very gut Sachen for my music in seine Opera“ (SJ,156)– und eines zufällig gehörten Blues seines Sohnes, der ihn an einen Ländler erinnert und somit an eine gemeinsame Verwurzelung beider Musik involkstümlichen Tanz-Traditionen (SJ, 142), seine starre Haltung. Ja er gibt sie am Ende auf, wie auch Richard sich zunehmend vom Jazz/Blues aus an das letzteWerkprojekt des Vaters – ein Requiem – annähert und die Idee einer Jazz-Symphonie kreiert, d.h. sich an die Umsetzung des zuvor unvereinbar Gedachten macht. Womit auch am Beispiel eines eher peripher geltenden Romantextes deutlich wird, wie Jazz-Diskurse aus divergenten Blickwinkeln interagieren und dem kulturellen Bild der Zwischenkriegszeit ein heterogenes Substrat – im Sinn einer ‚Kultur als Text-Konzeption’ – unterlegen, das von Polgars ironischer Zeichnung der Synkope als „Symbol einer aus dem Takt geratenen Welt“ (KS, 2, 173) über Dörmanns Engführung von Jazz, Inflation und Machtdiskursen – hin zu Dissonanz-Befundenbei Janowitz und Adorno – „Der Kristallisationspunkt aller neuen Tendenzen der Harmonik ist die Dissonanz“ (Adorno, 1953, 73) – aber auch  zu provokant-frivolen Projektionen bei Kálmán, Farkas/Grünbaum oder eben auch zu Renker reicht.

10. Resümee

Mag die Literaturgeschichte dem Jazz mit Reserven gegenübertreten, mag im Kanon eine Rubrik zu Literatur/Theater und Jazz auch fehlen und dieser von Adorno mangels „Emanzipation des musikalischen Materials von der Tonalität“ (Adorno 1955, 126), bzw. seiner Verstrickung in ein Banales und Reproduzierendes vermengendes „musikalisches Warensystem“ (Adorno, 1937, 83) verworfen worden sein: er zählte, mit Blick auf die Werk- und Textlage, zu den präsentesten kulturellen Phänomenen Mitte der 1920er Jahre. Dass Tschuppik bereits 1922 über den Jazz eine ‚zu neuem Lebenswillen erwachende Welt’ anbrechen sah, Salten 1925 von der ‚Begleitmusik zu dem Wandel der Welt, den wir leben’, Rundt 1926 von einer bald ‚weltbeherrschenden Macht’, Janowitz vom ‚wahren Programm der Zeit’, Fischer 1928 anlässlich der Jonny-Kontroverse von ,Tonsprache der unmittelbaren Gegenwart’ schreiben und 1933/34 Broch den Jazz als ‚Tonintroduktion’ neben Straßen-, Bahnhofslärm und Fabriksirenen als akustische Zeitsignatur anführen konnten, zeigt eine musik-kulturelle Präsenz- und Wirkungsmacht an, die – mit allen Einschränkungen – doch auch einen Titel von Scott Fitzgerald auf Wien projizierbar erscheinen lässt: Jazz Age.

Am Jazz sind nämlich nicht nur musikästhetisch Polarisierungen, Verwerfungen, Persiflagen und produktive Interferenzen zu Tage getreten, letzteres eindrucksvoll an der (transatlantischen) Gruenberg-Schönberg- oder an der (Wien-Prager) Alban Berg-Schulhoff-Confrey-Konstellation. Am Jazz, der in Wien in der Lage war, Varietès ebenso wie große, traditionsbewusste Säle (bis etwa 1930) zu füllen, der als Gebrauchsmusik Furore wie als experimentelles Labor im Schnittbereich Theater-Literatur an der kulturgeschichtlichen Profilierung der Zeit manche Seite mitschreiben konnte – auch unerwartete, wie z.B. eine Benefizveranstaltung des Apollo-Kinos mit dem Apollo-Jazz-Ensemble im April 1931 für arbeitslose Jugendliche dokumentiert, wurde freilich auchein hochaggressives Potential manifest, wie die Jonny-Kontroverse und nachfolgende feuilletonistische Scharmützel belegen: eines, das in strukturell verwandter Weise die völkisch-antisemitischen Debatten über die Zulassung ostjüdischer Studenten an die Universitäten (1919/1922) quasi im Transfer auf rassenbiologische Argumentationen gegen das Feindbild einerfremden, d.h. hier vor allem afro-amerikanischen Kultur ausdehnte. Alsprimitive, als ‚Nigger’-Kultur denunziert, als sie in die Tempel der HochkulturEinzug zu nehmen begann, war diese in der Unterhaltungs- und Konzert-Kultur nichtnur geduldet, sondern mitunter auch, insbesondere im Zusammenhang mitprominenten Gastspielen oder Gastkonzerten, gefeiert. Von repräsentativenkulturellen Institutionen (Oper, Theater) galt es, so einige Kritiker, sie freilich fernzuhalten; das reale Interesse sprach allerdings, wie vollgefüllte Konzerthaussäle 1927-30 dokumentieren, oft eine andere Sprache.

Selbst in den Jahren der Wirtschaftskrise gelang es dem Jazz, sich in Wien einigermaßen zu halten, wie seine bis Mitte 1933 sichtbare Präsenz im Radio, als Begleitung von Filmen oder im Kleinkunstbereich  aufzeigt. Der Machtantritt der Nationalsozialisten hat der Jazz-Kultur in Deutschland bekanntlich ein abruptes Ende bereitet; sie verschwand nahezu völlig aus den Radioprogrammen und auch österreichische Gruppen bekamen dies rasch zu spüren, wie die Abschiebung des ehemaligen Kapellmeisters des Apollo-Jazz-Ensembles dokumentiert. Dass jedoch auch bürgerliche Kritiker wie Julius Korngold ihre Fachexpertise einer rassistischen Argumentationen opferten, wie dies im Zuge der Krenek-Jonny-Kontroverse offenbar wurde, muss mehr als nachdenklich stimmen, weil hier in angesehenen Medien wie in der NFP Anfang 1928 ein Exempel statuiert wurde, an dem sich 1936 das NS-Plakat zur ‚Entarten Kunst’ anlehnen konnte.


Siglen, Literatur- und Abbildungsverzeichnis:

  • AZ: Arbeiter-Zeitung
  • KN: Konrad Nowakowski
  • NFP: Neue Freie Presse
  • NWJ: Neues Wiener Journal
  • NWTb.: Neues Wiener Tagblatt
  • PTB: Prager Tagblatt

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  • Polt-Heinzl, Evelyne (2012): Österreichische Literatur zwischen den Kriegen. Plädoyer für eineKanonrevision. Wien: Sonderzahl.
  • Renker, Gustav (1931): Symphonie undJazz. Roman. Leipzig: Staackmann.
  • Robinson, J. Bradford: Jazz-Receptionin Weimar Germany. In: Musicand Performance During the Weimar Republic. Ed. B.Gilliam. New York-Cambrigde: UP 1994, 107-134.
  • Rundt, Arthur (1926): Amerika istanders. Berlin: Wegweiser Verlag.
  • Ders.: Marilyn. Roman (1928/2017).Ed. Primus-Heinz Kucher, Wien: edition atelier.
  • Simonow, Eileen: Functions  of Jazz inLiterature: Jazz Discourse in the Weimar Republic in the Novels Jazz by Hans Janowitz and Symphonie für Jazz by René Schickele.In: Krick-Aigner/Schuster: Jazz in German-language Literature, 57-72.
  • Steinert, Heinz (2003): Adorno inWien. Wiesbaden: Westfälisches Dampfboot.
  • Troller, Georg Stefan (2004/2013): Das fidele Grab an der Donau. Mein Wien 1918-1938. München: Artemis, 2. ed.Wien: ueberreuter 2013.
  • Unterberger, Rebecca (2018): Ernst Krenek: Zwischen den Künsten. Zwischen den Kriegen. (= PhD-Arbeit Klagenfurt 2014; im Druck bei: Winter Verlag, Heidelberg 2018)

Abbildungsverzeichnis:

  • Abb. 1: Cover des Jazz-Heftes 4/1925 der Musikblätter des Anbruchs. © und mit freundl. Erlaubnis: Universal Edition Wien
  • Abb. 2 und 3: Cover der Neuausgaben von F. Dörmann: Jazz sowie H. Janowitz: Jazz; © edition atelier bzw. Weidle-Verlag
  • Abb. 4: Cover des Renker-Romans. Rechtsinhaber des Covers konnten nicht ermittelt werden.

  1. Dieser Text fußt auf einer Fassung, erschienen unter dem Titel „Das wahre Programm der Zeit hieß: Jazz“ (Journal of Austrian Studies vol. 47, Nr. 3/2014); die vorliegende Fassung wurde um neue Ergebnisse und Quellenmaterialien erweitert und entsprechend überarbeitet.
  2. Erst letzten Jahren zeichnet sich ein kulturwissenschaftlich fundiertes Interesse am Phänomen Jazz ab, das u.a. durch einen fachdidaktischen Vorschlag von Markus Kreuzwieser (2007), durch eine Diplomarbeit von Rebecca Unterberger (2008), durch musikhistorische Forschungen von Konrad Nowakowski (2009), durch Recherchen im FWF-Projekt Moderne und Antimoderne in der Österreichischen Kultur der 1920er Jahre (Kucher, 2008-12) sowie durch die beiden Sammelbände von Kirsten Krick-Aigner/Marc-Oliver Schuster (2013/2018) dokumentiert ist. Vgl. ferner Joseph Roth: Jazzband. Berliner BC, 1.5.1921, zit. nach: J. Roth: Werke I. Das journalistische Werk 1915-1923. Köln 1989, S. 543-547.
  3. Th. W. Adorno: Abschiedvom Jazz (1933). In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 18, = MusikalischeSchriften V, S. 795-799, ferner: Über Jazz (1936, Erstdruck im Journal fürSozialforschung 1937). In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd.17, S. 74-100; vgl. weiters S. Kracauer: Die Reise und der Tanz. In: Ders.:Schriften Bd.5.1. Hg. Von InkaMülder-Bach, Frankfurt: 1990, S. 288-295.
  4. Vgl. Konrad Nowakowski: „30 Negroes(Ladies and Gentlemen)“: The Syncopated Orchestra in Vienna. In: Black MusicResearch Journal, vo. 29, no. 2, 2009, S. 229-282, hier S. 231. Zuvor, d.h. schon am 5.7. 1919 kündigte das Café (VII. Bez.Siebensterngasse/Kirchgasse) den ‘Jazz’ als “letzter Sensationstanz Amerikas. Zum ersten Mal in Wien” an. Zit. nach: Neues Acht-Uhr-Blatt, 5.7.1919, S. 3.
  5. Karl Tschuppik: Der Negerim Prater. In: Prager Tagblatt, 8.6.1922, S. 3-4, hier S.3; zur Geschichte und zur Wirkung des Southern Syncopated Orchestra vgl. RyeHoward: The Southern Syncopated Orchestra. In: Black Journal Music ResearchJournal, vol 29, 2/2009, S. 153-228; Zu weiteren Zeitungsbeiträgen vonTschuppik aus dem Jahr 1922 vgl. K. Nowakowski: A Racketeers‘ Music? Reactionsto Early Jazz in Vienna. In: Krick/Aigner: Jazz in Word, 2018, 82f.
  6. Vgl. F. Heller: Tanzrendezvous am Nachmittag. In: Der Tag, 23.12.1923; online unter: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=tag&datum=19231223&query=%22jazz%22&ref=anno-search&seite=6
  7. Emil Kläger: FrankWedekinds Mysterium ‚Franziska’. Zur Erstaufführung im Raimund-Theater. In:NFP, 21.12.1924, S. 14-15, hier S. 14. Dagegen Alfred Polgar in: Der Morgen, 22.12.1924, S.3. http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=dmo&datum=19241222&seite=3&zoom=33. Auch Stoessls Besprechung in der Wiener Zeitung vom 20.12.1924, S. 6, schlug einen geradezu hymnischen Akzent an, wenn es über Martins Regieleistung heißt:„…wir danken ihm die vollendete, der Dichtung kongeniale szenischeVerwirklichung von Frank Wedekinds so kühnem als dunklem Mysterium  in einem höchst modernen Sinn und Stil.“ ZumBerliner Gastspiel vgl. den Bericht von E. K.: Die Wiener Franziska in Berlin.Ein großer Erfolg des Raimund-Theater Gastspiels unter Karlheinz Martin. In:Die Bühne, H. 24,23.4.1925, S. 5.
  8. George Sturm: Look Back in Anger.The Strange Case of L. Gruenberg. Zit: http://www.musicassociatesofamerica.com/madamina/1981/gruenberg.html (Stand: 26.5.2013)
  9. Vgl. das Programm vom 25.12.1926: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=kuv&datum=0001&page=173&size=45&qid=Z3F2VH9A4OSOT9BKFHVH49XMAIALW1
  10. In einer Besprechung der Berliner Aufführung für das Leipziger Tageblatt sprach Leo Lania vom„entfesselten Theater unserer Zeit“, in der NFP Felix Salten am 21.11.1925, S. 1-3 davon, dass „…Jazzband spielt die Begleitmusik zu dem Wandel der Welt, den wir erleben“ und selbst in den parodistischen Zitaten klassischer europäischer Musik, etwa Mascagnis oder Wagners, z.B. dem „Pilgerchor aus Tannhäusersynkopiert in Foxtrott“ könne „man die Klänge eines neuen herandämmernden Zeitalters“ vernehmen. Ähnlich die begeisterte Aufnahme in der Wiener Zeitung, wo einerseits diePerformance der „akrobatisch geschulte(n) Solotänzer, die fast Unbegreifliches leisten“, andererseits jene der „Jazz-Band in ihrer Art erstklassig vollendet“ herausgestrichen wurde. In: WZ, 21.11.1925, S. 5 (a(rmin).fr(iedmann).
  11. Vgl. dazu Berichte ausder Zeitschrift Die Bühne, die ab 1925 immer wieder Tanz-Karrieren vorstellte, z.B. in H. 10, 15.1.1925, S. 5:Jelena Karolewna. Die in Wien entdeckte Tänzerin feiert Erfolge in Berlin bzw. S. 27: Vala Moro, eine Meisterin des Tanzes und der Radiernadel; ferner H. 21,2.4.1925, S. 6 betr. den Aufstieg der Varietè-Tänzerin Elsa Morena zum Filmstar bzw. S. 16: Anita Berben sowie H. 44, 10.9. 1925, S. 7-10: Die Pariser Revue.
  12. NFP, 17.7.1926, S. 16.
  13. Vgl. dazu Olin Downes: A Jump toJazz. In: NYT, 6.3.1927, S. X10
  14. PTBl, 11.2.1927, S. 6.
  15. Vgl. den Bericht: Jazzund die edle Musik; in: Neues Wiener Tagblatt, 23.12.1927, S. 9.
  16.  Die Bühne, Nr.164/29.12.1927, S. 7-13. Zur Zusammenfassung des Krenek-Vortrages im Kulturbund, vgl. den Artikel Ernst Krenek über seinen ‚Jonny’ in: NWTbl. 4.1.1928, S. 10. Dort heißt es z.B.:„Mißverständlich ist schon, daß man von einer Jazzoper sprach. Im ersten Teil der Oper kommen nur drei Tanznummern vor […
  17.  Vgl. dazu die PhD-Arbeit von Rebecca Unterberger: Ernst Krenek.Zwischen den Künsten. Klagenfurt 2014
  18. Julius Korngold: Operntheater (Jonny spielt auf von E. Krenek), 1.1.1928, S. 1-5, hier S. 1 bzw. S. 3.
  19.  Max Springer: Jonny spielt auf. In: Reichspost, 1.1. 1928, S. 13.
  20. Heinrich Kralik: Jonny spielt auf. Oper in zwei Teilen. In: NWTB1.1.1928, S. 2-4.
  21. (D. Bach): Jonny spielt auf. In: AZ, 1.1.1928, S. 12.
  22. Ernst Fischer: DerNeger Jonny und das freiheitliche Wien. In: Arbeiterwille (Graz), 14.1.1928, S. 3-4, hier S. 3.
  23. A. Schnitzler: Tagebuch 1927-1930. Wien 1999, S. 127.
  24. Vgl. dazu auch die Kritikin der NFP: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfp&datum=19270919&query=%22Lady+X%22&ref=anno-search&seite=17
  25.  Paul Pisk: Jazz im Konzertsaal. In: AZ, 6.6.1928, S. 10; Soma Morgenstern: Die Revellers in Wien. In: FZ, 31.8.1928, zit. nach Ders..: Kritiken. Berichte. Tagebücher. (2001), S. 200-203; D.J. Bach: Die Revelers in Wien. In: AZ, 23.8.1928, S. 8.
  26. Paul Whiteman: Der Jazz ist tot – es lebe der Jazz! Das Geheimnis des Rhythmus. In: Die Bühne, Nr. 195, 2.8.1928, S. 4-5, hier S. 5.
  27. NFP, 7.9.1928, S. 8, 10.9., S. 9; vgl. auch: http://www.redhotjazz.com/woodingo.html
  28. NFP, 8.12.1928, S. 25: Jack Hylton Jazz (Hylton, 1892-1965,organisierte 1933 die erste Duke Ellington Europa-Tournee)
  29. NFP, 10.12.1928, S. 1-2.
  30. NFP, 12.12.1928, S. 1-3: Erschütternde Melodie; J. Wassermann: Lebensdienst
  31.  NFP, 5.10.1928, S. 12 (l.hfd), Wiener Zeitung, 5.10.1928, S. 9, wo die„Musik von Tanztees her“ inspiriert bezeichnet wird bzw. NFP, 14.12.1928, S. 9(e.kl.) bzw. 16.12., S. 20 sowie NWTBl. 18.12.1928, S. 12.
  32. NFP, 10.6.1928, S. 34-35:Newyorker Nacht. Ein Vergnügungsprogramm vom Abend bis zum Morgen.
  33. Vgl. M. Karlweis: EineFrau fährt durch Amerika. Berlin 1928, S. 118f. bzw. A. Höllriegel: DasFamilienleben des Jazz-Zeitalters. In: Ders.: In 80 Zeilen durch die Welt.Berlin: Transit 1998, S. 90-93.
  34. Vgl. dazu das Gespräch des Protagonisten Philipp mit dem Jazz-Sänger Harley in Kap. IX der Buchausgabe: A. Rundt: Marylin. Roman. Hg. von P.-H. Kucher, Wien 2017, S.149f.
  35. Vgl. z.B. die ‚Nachtvorstellung’ zum 40jährigen Künstlerjubiläum von Eduard Kornau im Theaterin der Josefstadt am 25.1.1930, die durch Hans R. Korngolds Jazzkapelle einbegleitet wurde; dazu: NFP, 22.1.1930, S. 12). Das Ton-Lustspiel lief vom 3. bis 10.1.1930 im Elite-Kino. Ferner auch das Interview-Gespräch von K. Weill in der Radiowelt, H. 18/1932, S. 553 unter dem Titel Der Rhythmus macht es. Erziehung zur modernen Musik, in dem aufdie Jazz-Songs der Dreigroschenoper Bezug genommen wird.
  36. Vgl. zu L. Grün und ihrem Roman HelgaSchreckenberger: Jazz and the ‚New Woman‘: Lili Grün’s Novel Alles ist Jazz(1933). In: Krick-Aigner/Schuster (2018), S. 225-246, bes. S. 242f.